Der Weg einer Freiheit
"Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass wir die Konzerte lieber nicht gespielt hätten."
Special
Willkommen zu einem Jahresabschlussspecial der besonderen Art. Natürlich präsentieren wir Euch in den kommenden Wochen auch unsere gewohnten Jahresbestenlisten. Aber da dieses Jahr aufgrund der immer noch anhaltenden Corona-Pandemie gerade für die gesamte Veranstaltungsbranche mehr als schwierig ist, haben wir uns folgendes überlegt: Warum lassen wir nicht einfach mal VertreterInnen der Industrie zu Wort kommen? In den nächsten Wochen werden wir euch hier Texte präsentieren, die von Bands, Veranstaltern etc. verfasst worden sind. In diesen können sie ganz persönlich beschreiben, wie 2021 für sie gelaufen ist. Der vierte Beitrag stammt von unseren Freunden von DER WEG EINER FREIHEIT. Sie sind eine der größten Black-Metal-Bands der deutschen Szene und haben 2021 mit „Noktvrn“ ein neues Highlight veröffentlicht. Der Text wurde von Sänger Nikita verfasst. Er allein ist verantwortlich für die folgenden Zeilen.
Ziemlich genau 23 Monate lagen zwischen unserem letztem Konzert vor Ausbruch der Corona-Pandemie und der nun nur wenige Wochen zurückliegenden Release-Shows, die wir zur Veröffentlichung unseres neuen Albums „Noktvrn“ im November 2021 spielen durften. Fast zwei Jahre also, die nicht nur für uns vieles an Veränderung gebracht haben.
Nachdem wir Anfang April das fertige Master unseres neuen Albums in den Händen hielten und es ohne große Umwege direkt ins Presswerk geschickt hatten, bekamen wir vom Label kurzerhand unseren Veröffentlichungstermin zugesichert. Wir hatten uns zwar gewünscht, dass das Album bereits im September oder Oktober erscheint, aufgrund der immensen Vinyl-Vorlaufzeiten und einer Adele, die gerade eine halbe Million Platten für ihr neues Album in Auftrag gegeben hatte, war ein Releasetermin vor dem 19. November aber leider nicht möglich. Aber gut, zumindest war es noch 2021! Natürlich haben wir uns gleichzeitig Gedanken darüber gemacht, wie man das Album in diesen Zeiten live auf die Bühne bringen kann, und haben uns nach ausgiebigen Gesprächen mit unserer Booking Agentur darauf geeinigt, den Umständen entsprechend zumindest 2021 noch auf eine ausgedehnte, internationale Release-Tour zu verzichten und den Fokus erstmal auf nur ein paar wenige Deutschland-Daten zu legen. Dies erschien uns als sinnvoll, auch wenn der Sommer schon einiges an Konzerten und vereinzelt sogar Festivals zuließ und viele dem Herbst recht optimistisch entgegen blickten. Die vergangenen anderthalb Jahre haben uns und der gesamten Live-Branche aber nicht nur ein Mal gezeigt, dass die Planung von Konzerten nach wie vor äußerst heikel ist.
Wir kündigten also Anfang September unsere kleine, zehn Konzerte umfassende Tour an, obwohl schon ein leichter Aufwärtstrend in den nationalen Inzidenzen festzustellen war – bis Ende Oktober die erste Absage reinkam. Zuerst traf es Dresden aufgrund von neuen Bestimmungen des Landes Sachsens, die eine Durchführung der Show unmöglich machten. Bis kurz vor dem eigentlichen Tourstart am 18. November in Berlin waren wir uns aufgrund der immer weiter ansteigenden Zahlen unsicher, ob die verbleibenden neun Daten so stattfinden könnten. Aus Würzburg kam die Meldung, dass das Konzert aufgrund einer neuen Verordnung in Bayern nur unter 2G+ und Maskenpflicht stattfinden durfte, München und Stuttgart wurden am Ende leider komplett abgesagt, nachdem die Inzidenzen im Laufe des Novembers noch weiter in die Höhe schossen. Zu dieser Zeit erreichten uns fast täglich Nachrichten der Veranstalter zu neuen Regeln, aber auch Stimmen der Fans und Ticketkäufer wurden immer lauter, ob die noch bestehenden Konzerte nun überhaupt stattfinden würden oder nicht. Zugegebenermaßen wussten wir das bis wenige Tage vor dem jeweiligen Konzert oftmals selbst nicht. Keiner wusste es. Es war einfach eine sehr undurchsichtige Situation, mit der am Ende jeder irgendwie leben musste. Und dann kam noch eine sehr unglückliche Absage des Auftritts in Trier dazu, nachdem ich mich auf den ersten Konzerten stark erkältet hatte und rein physisch nicht in der Lage war, das letzte noch ausstehende Konzert des dritten Tourblocks zu spielen. Ganz ohne Corona, einfach nur erkältet – das ist mir in 12 Jahren Bandgeschichte noch nie passiert. Aber wie war das jetzt mit den sechs von ursprünglich zehn bestätigten Konzerten?
Als am späten Abend des 17. Novembers vor unserer Proberaumtür in Würzburg der dicke schwarze Bus auftauchte, der für die ersten vier Konzerte in Berlin, Bochum, Köln und Frankfurt unser Zuhause darstellte, wussten wir: Jetzt geht’s los und es gibt auch erstmal kein Zurück. Von den Veranstaltern als auch den örtlichen Behörden gab es grünes Licht und so standen wir am nächsten Tag pünktlich zum Get-in um 12:00 Uhr Mittags vor dem Berliner Kultladen SO36, luden ein, bauten auf, machten Soundcheck, aßen und tranken – ja und dann gingen auch schon die Türen auf. Manchmal weiß ich gar nicht so recht, wo die Zeit geblieben ist – gerade haben wir noch den letzten Ton im Studio eingespielt, ich habe mich durch den Albummix gekämpft und jetzt liegt die fertige Platte auf dem Merchtisch, Leute stürmen nach vorangegangener 2G-Kontrolle den Raum und alles ist so ein bisschen normal.
Erwartungsvolle Gesichter, klirrende Flaschen und Gläser, stimmungsvolle Hintergrundmusik, der Support-Act fängt an zu spielen und während ich hinter der Bühne den Klängen von „The Devil’s Trade“ lausche, realisiere ich langsam, dass wir in einigen Minuten da oben auf der Bühne stehen werden. Diesmal war es aber einfach anders, anders aufgrund der langen Pause, aufgrund des neuen Albums, des neuen Sets, das wir schon seit Wochen einstudiert hatten, aber vor allem aufgrund einer unsichtbare Sache: Corona. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich nicht mehrmals während unseres Sets darüber nachdenken musste. Nicht nur an diesem Abend in Berlin.
Ich würde aber auch lügen, wenn ich behauptete, dass wir die Konzerte lieber nicht gespielt hätten. Ganz im Gegenteil: im Nachhinein sind wir sehr glücklich, diese Erfahrung gemacht zu haben, weil es uns gezeigt hat, dass es trotz aller Widrigkeiten und Unsicherheiten doch möglich ist, Veranstaltungen in einem adäquaten und sicheren Rahmen den Umständen entsprechend durchzuführen. Auch wenn es hier andere Meinungen gibt, die wir durchaus nachvollziehen können und respektieren – uns war es an dieser Stelle wichtig, diese Möglichkeit wahrzunehmen, denn keiner weiß, was als nächstes passiert. Die glücklichen Gesichter und leuchtenden Augen, in die wir jeden Tag blicken durften, sprachen eine eindeutige Sprache – der Wunsch, wenn auch nur für ein paar wenige Stunden, etwas Normalität in sein Leben zu lassen. Dies verdanken wir allen voran denen, die sich trotz aller Ungewissheit ein Ticket gekauft haben, den Veranstaltern, die alle erdenklichen Vorkehrungen und Kontrollen gewissenhaft durchgeführt haben, den Technikern, dem Personal im Club, den Putzkräften – allen, die so ein Konzert überhaupt möglich machen. Jeder zog an einem Strang, da für alle Beteiligten enorm viel auf dem Spiel steht. Was bleibt sind die positiven Erinnerungen, die einem niemand nehmen kann und die in diesen Zeiten doch so wichtig sind. Danke an alle, die uns in Berlin, Bochum, Köln, Frankfurt, Würzburg und Zürich unterstützt haben, in welcher Form auch immer!