W.A.S.P.
ReIdolized (The Soundtrack to the Crimson Idol)

Special

25 Jahre „The Crimson Idol“ gab es 2017 zu feiern. Im Zuge dieses Jubiläums begaben sich W.A.S.P. auf eine ausgedehnte Tour, bei der das Album in voller Länge dargeboten wurde. Vielerorts war die Sause ausverkauft, das Interesse der Fans an der Geschichte vom Aufstieg und Fall des fiktiven Rockstarts Jonathan Aaron Steel ist offenbar immer noch hoch. Kein Wunder also, dass die Platte jetzt noch mit einer Neuveröffentlichung in Form von „ReIdolized (The Soundtrack to the Crimson Idol)“ gewürdigt wird. Doch wie der sperrige Titel bereits andeutet, ist es nicht einfach nur das altbekannte Album in einer neuen Auflage. Aber eins nach dem anderen.

W.A.S.P. beschreiten neue Pfade

W.A.S.P. – The Crimson Idol (Artwork)

„The Crimson Idol“ ist wohl ohne Zweifel das ambitionierteste Werk in der Karriere von W.A.S.P. und auch eines der wichtigsten. 1992 präsentieren sich Blackie Lawless und seine Mannen überaus gereift. Von plakativen Ansagen der Marke „Animal (Fuck Like A Beast)“ fehlte jede Spur. Stattdessen offenbart das Quartett ein ungeahntes Gespür für musikalische Komplexität und die ganz großen Gefühle. Jeder einzelne Song folgt seiner eigenen Dramaturgie mit logischem Spannungsaufbau sowie einem klar erkennbaren Höhepunkt. Die grandiosen Melodien fressen sich nur so in die Gehörgänge. Gleichzeitig feuer auch die Gitarren ein Killerriff nach dem anderen ab. Songs wie „Chainsaw Charlie (Murders In The New Morgue)“, „Arena Of Pleasure“ oder „Doctor Rockter“ sind astreine Hits, die jede Metal-Party zum kochen bringen.

Doch erst im Gesamtzusammenhang des Albums offenbart sich die wahre Größe der hier dargebotenen Musik. „The Crimson Idol“ zu hören ist wie einen guten Film zu schauen, der allerdings wesentlich düsterer ist als der übliche Hollywood-Kram. „The Titanic Overture“ ist dabei die Exposition und „The Great Misconceptions Of Me“ der dramatische Klimax. In der Zeit dazwischen erlebt der aufmerksame Hörer eine Geschichte, wie sie nur der Rock’n’Roll schreiben kann – Sex und Drogeneskapaden natürlich inklusive. Langweilig wird es dabei zu keiner Sekunde, denn W.A.S.P. setzen bis zum Schluss immer wieder neue Akzente, sei es bei den Harmonien oder in der Instrumentierung. „The Crimson Idol“ beinhaltet nicht einen mittelmäßigen Song, dafür aber Gänsehautmomente in Massen. Produziert hat die Chose übrigens Mister Lawless selbst und der Platte dabei ein zeitloses Sound-Korsett gezimmert, das auch heute noch fantastisch klingt.

ReIdolized – war das wirklich nötig?

Coverartwork von W.A.S.P. „RE-IDOLIZED: The 25th Anniversary of The Crimson Idol“

Im Jahr 2018 ist „The Crimson Idol“ in seiner ursprünglichen Form aber wohl nicht mehr genug. So wurde die Platte um vier Songs erweitert, die ’92 aus Zeitgründen unter den Tisch gefallen sind. Doch es geht noch weiter: Für „ReIdolized“ hat die aktuelle W.A.S.P.-Besetzung das gesamte Album noch einmal neu aufgenommen. Bei einem solchen Klassiker ist das ein durchaus gewagtes Unterfangen. Schließlich verhält es sich mit Neuaufnahmen ähnlich wie mit Film-Remakes: Niemand fragt so richtig danach, trotzdem tauchen sie regelmäßig wieder auf. Laut Aussagen von Blackie Lawless geschah dies, da die Originalaufnahmen aus rechtlichen Gründen nicht verwendet werden durften. Immerhin gibt es also eine plausible erscheinende Ausrede.

Allen, die jetzt zurecht skeptisch sind, sei aber gesagt, dass sich W.A.S.P. alle Mühe gegeben haben, den Geist des Originals möglichst authentisch wieder einzufangen. Die Gitarren sägen etwas weniger als früher und generell tönt „ReIdolized“ polierter aus den Boxen als „The Crimson Idol“ seinerzeit. Doch auf der anderen Seite klingt Blackies Stimme, als wäre er kaum einen Tag gealtert. Auch an den Arrangements der Songs wurde nicht großartig geschraubt. Einzig ein paar derbe Textzeilen wurden durch eine gemäßigtere Ausdrucksweise ersetzt, was Blackies Glaubensfindung zu verdanken ist. Naja, sei’s drum, an der musikalischen Klasse der Songs ändert das schließlich herzlich wenig.

Weniger Neues als erwartet

Viel spannender ist aber ohnehin die Frage, wie sich die drei neuen Songs in das Gesamtbild einfügen. Wobei „drei“ neue Songs wohl die ehrlichere Angabe ist, denn die überlange, sehr gelungene Ballade „Miss You“ war bereits auf dem 2015er Output „Golgotha“ zu hören. Macht also tatsächlich nur zwei vollwertige neue Stücke. Dazu gesellen sich dann noch drei kleinere Zwischenspiele. Das erste davon, „Michael’s Song“, kommt an sechster Stelle und leitet von „The Gypsy Meets the Boy“ in das bereits angesprochene „Miss You“ über. Dadurch gestaltet sich der Mittelteil der Platte jetzt sehr viel gemächlicher als bisher. Das stört nicht unbedingt, die Sinnfrage darf aber trotzdem gestellt werden. „Miss You“ beginnt bereits äußerst ruhig, warum also noch ein ruhiges Instrumentalstück davor schieben?

Der nächste Einschnitt folgt nach „Hold On To My Heart“. Das neue Material wird wieder mit einem Zwischenspiel in Form von „Hey Mama“ eingeleitet. Warum das nach den beiden vorangegangenen Balladen sein muss, erschließt sich nicht so ganz. „The Lost Boy“ entpuppt sich anschließend als schmissige Uptempo-Nummer, die den Geist von „The Crimson Idol“ ebenso atmet wie die folgende Ballade „The Peace“. Das diese Tracks in der gleichen Session entstanden sind wie der Rest der Platte, fällt nicht schwer zu glauben. Vor dem Fulminanten Höhepunkt gibt es mit „Show Time“ noch ein letztes Zwischenspiel. Der größte Einschnitt in den Albumfluss ist allerdings die Aufteilung auf zwei CDs aufgrund der erhöhten Spielzeit. Nach „Doctor Rockter“ heißt es jetzt: Tonträger wechseln. Das ist etwas schade und wäre mit der Datenkapazität heutiger CDs auch vermeidbar gewesen.

Und was soll das Ganze jetzt?

Wer sich nach „ReIdolized“ noch mal das Original-Album anhört, wird die neuen Songs wohl kaum vermissen. Für W.A.S.P.-Fans ist das Material trotzdem spannend, weil es die Dramaturgie im Mittelteil und vor allem gegen Ende stark verändert. Ob das Ergebnis gut oder schlecht ist, muss jeder selbst entscheiden. Gelungen sind die neuen Stücke für sich gesehen allemal. Nur die Zwischenspiele hätten wirklich nicht sein müssen. Zu guter Letzt gibt es noch den „The Crimson Idol“-Film als DVD-Beilage. Im Vorfeld wurde darum eine ganze Menge Brimborium gemacht. Während der Jubiläums-Tour 2017 war er bereits auf den Leinwänden zu sehen. Doch um ehrlich zu sein: So richtig dolle ist der Streifen nicht. Allein der Begriff „Film“ ist hierfür schon ziemlich hochgestochen. Vielmehr ist es einfach ein überlanges Musikvideo. Durchaus nett anzuschauen, aber alles andere als essenziell.

Aber lohnt sich der Kauf von „ReIdolized“ denn jetzt oder eher nicht? Das kommt ganz auf die eigene Person an. Absolute Puristen werden an dem Ding sowieso kein gutes Haar lassen. Wer hingegen offen ist für eine Neuinterpretation von „The Crimson Idol“, bekommt hier die absolute Vollbedienung des Kults. Für die armen Seelen, die bislang noch gar nicht in den Genuss der Platte kamen, führt sowieso kein Weg an „ReIdolized“ vorbei.

04.02.2018

"Irgendeiner wartet immer."

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