St. Anger
Von der Bubble, die wir alle manchmal brauchen
Special
Während nur wenige Flugstunden entfernt Menschen um ihr Leben kämpfen, das Ganze bedrohlich nahe ist und den Kopf beschäftigt, während die Corona-Fallzahlen durch die Decke steigen, aber gleichzeitig alle Regeln fallen und das Gehirn mit Fragezeichen herumwirbelt, gerade in dieser Zeit flüchtet sich der Kopf auch bewusst in Erinnerungen. Verschwindet in Fotos und Archiven. Kramt gedanklich nach Sachen, die toll waren, gut waren, ok… scheiße geil waren!
Kramt in Handyfotos, die an Sommer erinnern, in denen man glückselig mit einem Bier in der einen und einer Stulle solides Handbrot- hallo Handbrot- beste Erfindung für Essen auf die Schnelle- in der anderen Hand, auf einem Acker steht, auf dem vor einigen Wochen Bauer Willi noch seine Kuhherde getrieben hat. Nur schaut man nicht breit grinsend einer kackenden Kuh zu, sondern seiner Lieblingsband auf der Bühne. Sommer. Festival. Wacken. Full Force. Summer Breeze. Rock Harz. Rock Am Ring. Um nur einige zu nennen, denn alle anderen haben wir genauso lieb.
Da stehst du also mit einem Handbrot und einem Bier und rechts neben dir steht ein Typ in einem aufblasbaren Dinosaurier-Kostüm, links neben dir steht ein Typ, der sich die intimsten Stellen mit Gaffa-Tape beklebt bzw. bedeckt hat. Du fragst dich kurz was wohl schmerzhafter ist: Sich Gaffa-Tape vom Sack ziehen oder bei 35 Grad in einem Plastikkostüm vor sich dahin schwitzen. Und entscheidest dich für folgende Antwort während du genüsslich in dein Brot beißt und die Lyrics, die von der Bühne zu dir herüberschallen mit murmelst,: ES IST DIR GERADE EGAL!!
Und klar könnten wir an dieser Stelle wieder die allseits beliebte Frage aufwerfen in wieweit es real, und trve und Metal ist, in einem Dinosaurier oder Hello-Kitty-Kostüm auf einem Metalfestival herumzulaufen und auf dem Campingplatz alles.. ja wirklich alles.. bis hin zum letzten vollgedonnertem Dixieklo mit Helene Fischer-Songs zu beschallen. Und ja manchmal macht es auch mir Angst, wie textsicher Metalheads in Sachen volkstümlichen Liedguts sein können, aber genau… ES ist EGAL…!!
Weil es für wenige Tage ein Kopf-Aus-Und-Urlaub-Vom-Alltag-Ding ist. Weil es genau diese Art von Alltags-und Realitätsflucht ist, die wir alle brauchen. Besonders jetzt vielleicht. Weil es diese Blase ist, in der man sich für wenige Tage befindet, in der einfach mal kurz alles egal ist. Spaß haben, Musik hören, Tanzen, Lachen, Knutschen, Menschen kennenlernen, die selbst ausgesuchte Festival-Familie wieder treffen. Ob im Spiderman-Outfit oder nackt. Weil wir diese Blase einfach ab uns zu brauchen.
Corona hat uns das genommen und auch die aktuelle Situation wirft wieder mit Fragen um sich. Dürfen wir wieder kurz in den Egal-Modus diesen Sommer? Dürfen wir kurz einmal wieder auf Pause drücken? Darf ich wieder mit Bier und Handbrot neben einem Dinosaurier stehen und solange laut mitsingen, bis ich selbst nicht mehr reden kann und rumgrunze wie der Typ im Plastikkostüm, der dies offensichtlich tut, weil es unter dem Ding dann doch was heiß geworden ist.
Als die Reisebestimmungen gelockert wurden, ist die Mallorca-Fraktion grölend mit Sangrialaune in den Urlaubsflieger gestiegen. Festivals nein. Wir haben brav gewartet. Wir haben gewartet auf Moshpit und Metal statt Malle. Inwieweit ist es denn aber aktuell okay die Verantwortung ein Stück weit draußen zu lassen und das Gedankenkarussell und die harte Realität gegen ein Festivalbändchen am Eingang einzutauschen? Inwieweit macht uns gleichzeitig aber genau DAS und diese Momente wieder stärker und positiver für die restlichen Tage, auf einem Kalender mit klugen Sprüchen, der zuhause in der Küche herumhängt?
Wir sind uns bewusst, dass einiges anders sein wird und sicherlich wird es sich auch ein Stück weit fremder anfühlen. Dennoch wünsche ich uns ein Heimkehren- ein Nachhausekommen in diese Bubble. In der wir wildromantisch gemeinsam Herumspringen. Mit Seifenblasen. Unbedingt. Und allem Zipp und Zapp. Aber vor allem für einen kurzen, kurzen Moment den Egal-Modus. Weil. Den brauchen wir wirklich manchmal alle.
PS: Der Artikel ist bewusst nur mit Handyfotos versehen. Denn sind wir mal ehrlich. Verwackelte, etwas miese Handyfotos, unbearbeitet, sind dann doch immer noch die beste Erinnerung. Und einfach auch scheiße TRVE!!
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