Unleashed/Grave/Asphyx
Century-Media-Death-Metal-Special
Special
Century Media feiern in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Obwohl das heutzutage nur noch wenig zu spüren ist, ist das Ruhrpott-Urgestein-Label zu Beginn der Neunziger eines der führenden Death-Metal-Labels in Europa gewesen und schickte einige Richtung weisende Kapellen auf die lange Reise durch das Musikbusiness. Drei davon sind die Holländer ASPHYX und die Schweden von UNLEASHED und GRAVE – allesamt im Jahr 2008 noch oder wieder führende Vertreter urwüchsigen Death Metals. Anlässlich der (teilweise schon etwas zurückliegenden) Neuauflage einiger Klassiker dieser Bands sprangen Sickman und Alboin wagemutig kopfüber in den brodelnden See der Death-Metal-Vergangenheit.
ASPHYX
„The Rack“ + „Last One On Earth“
(Alboin)
Da ist doch tatsächlich jemand nicht tot zu kriegen. Vermutlich gibt es keine Band, die sich binnen zwanzig Jahren Existenz so oft aufgelöst und wieder reformiert hat wie die Holländer ASPHYX. Sie segneten 1995, 1996 und 2000 das Zeitliche und formierten sich 1996, 1999 und 2007 neu. Stilecht, wenn man bedenkt, dass es sich immerhin um eine Death-Metal-Band handelt, und zwar um eine der ersten aus unserem Nachbarstaat neben THANATHOS und den früh verblichenen PESTILENCE .
Century Media veröffentlichten 2006 die beiden ersten ASPHYX-Alben „The Rack“ und „The Last One On Earth“ neu, vollgepackt mit Bonustracks. Anlässlich des derzeitigen Erfolges von HAIL OF BULLETS, für die ASPHYX Wegbereiter waren, und nicht zuletzt der aktuellen Re-Union inklusive Ankündigung eines neuen Studioalbums (!) ist es sicherlich nicht verkehrt, einen kleinen Rückblick auf die Anfänge holländischen Old-School-Death-Metals zu wagen.
„The Rack“ ist zwar ein allgemein anerkannter Klassiker, wirkt allerdings nach heutigen Maßstäben tatsächlich ein wenig antiquiert. Das 1991 nach drei Demos und einer Single erschienene Debütalbum zeichnet sich in erster Linie durch eine wahrhaft ungeschliffene Brutalität aus. Im Gegensatz zu vielen us-amerikanischen und auch schwedischen Bands äußerte sich die Brutalität bei ASPHYX allerdings auch schon 1991 nicht durch überbordende Geschwindigkeit oder Herunterstimmen bis zum Ausleiern der Saiten. Vielmehr zeugen Tracks wie das groovende „Vermin“, die thrashigen Tracks „Wasteland Of Time“ und „The Sickening Dwell“ oder das ungewöhnliche Titelstück davon, dass ASPHYX sich früh zwischen Doom-Einflüssen und wahrem Heavy Metal verorteten. Was die Holländer zu einer wirklich Furcht einflößenden Band machte, war die einzigartig hässliche Stimme von Martin van Drunen, die auch fast zwanzig Jahre später unkopiert und unerreicht ist.
Kaufenswert ist die Neuauflage dieses mit neun Tracks und etwa 37 Minuten relativ kurzen Albums deshalb, weil Century Media gleich elf Bonustracks spendiert haben, die eine semiprofessionell mitgeschnittene Liveshow von 1991 bezeugen. Hier sind neben Liveversionen von allen Albumtracks auch noch die beiden Tracks von der 1992er „Crush The Cenotaph“-EP zu hören. Im Gegensatz zu den leicht gezähmten Studioversionen entfachte die Band live offenbar ein für damalige Zeiten beeindruckendes Inferno, in dem die leichten Timingprobleme und Holprigkeiten in der Performance nicht mehr ins Gewicht fielen. Man merkt an allen Tracks dieser CD: Hier ging es noch um handgemachten Death Metal von echten Pionieren ihres Faches, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich brachte.
Deutlich gereift und in der Produktion transparenter in Szene gesetzt zeigte sich die Combo schon ein Jahr später auf dem Zweitwerk „The Last One On Earth“. Der Opener „M.S. Bismarck“ feuert gleich aus allen Kanonen und ist einer der größten Klassiker der Bandgeschichte geworden, der selbst auf den Re-Union-Konzerten von 2008 nicht fehlen darf. Stilistisch festigte sich erst auf diesem Album der unverwechselbare ASPHYX-Stil: relativ lange, meist eher schleppende Stücke mit gewaltigen, unkontrollierten Ausbrüchen des thrashigen Death Metals, einfach gehaltene Strukturen, weniger Doublebass-Parts als bei den Kollegen, dafür hämmernde, thrashige Drumpatterns. Martin van Drunens Stimme drückt dem Sound auch hier den Stempel der sofortigen Wiedererkennbarkeit auf und lässt vermuten, dass ASPHYX ohne dieses wütende, geifernde Gekotze ihren heutigen Status vielleicht nicht inne hätten.
„The Last One On Earth“ fehlen zwar die großen Death-Metal-Hits, dafür hält die Platte über die gesamten 40 Minuten ein erstaunliches Level, zu dem man prinzipiell non stop rotorbangen könnte – nicht umsonst gilt die Scheibe als Kult. Und „Kult“ spreche zumindest ich den meisten Alben ab. Zudem sind die beiden Zugaben, die 1992er „Crush The Cenotaph“-EP und das „Asphyx“-Demo (mit frühen Versionen von „The Sickening Dwell“, „Evocation“ und „Diabolical Existence“) absolut hörenswert und übertreffen in Sachen Ursprünglichkeit, Ehrlichkeit und Brutalität fast die späteren Albumversionen. Sehr hörenswert!
Man könnte sich aus dem Fenster lehnen und dieses zweite als das beste Album der Karriere bezeichnen – andererseits sollte man vielleicht abwarten, was die Jungs derzeit zusammenbasteln. Angesichts des auf der Myspace-Seite der Band zu hörenden „Death, The Brutal Way“ sollten sich alle ASPHYX-Fans auf ein gewaltiges Comeback einstellen.
GRAVE
„Soulless“ und „You’ll Never See“
(Sickman)
Ebenfalls eine erneute Wiederveröffentlichung erfährt das dritte reguläre Album von GRAVE, „Soulless“ (1994), aufgewertet mit dem Videoclip zum Titelstück.
Zwar ist das Album durchaus eine akzeptable Sache, aber in Bezug auf den Großteil der Songs haben sich GRAVE auf „Soulless“ nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Angefangen beim mäßigen Opener „Turning Black“, der irgendwie nicht so wirklich nach GRAVE klingen will, geht es über das ordentliche aber nicht gerade beeindruckende Titelstück und die ebenso einzuordnenden „I Need You“ und „Bullets Are Mine“ weiter. Auch das folgende „Bloodshed“ kann nicht rundum überzeugen, hält aber dennoch die Stange, und erst das etwas langatmige Instrumental „Judas“ macht einem als Hörer unmissverständlich klar, dass GRAVE hier keine Glanzleistung angeliefert haben.
„Unknown“ beginnt mit etwas unüblichen Melodiefolgen für GRAVE-Verhältnisse, wandelt sich dann aber zu einem waschechten Todesstampfer. Danach folgt das von der gleichnamigen EP bereits bekannte „And Here I Die…“ und erst jetzt werden einem wieder die Qualitäten dieser Band bewusst. Ein ordentliches Midtempo-Stück, keine Meisterleistung, aber gut. Danach wird mit „Genocide“, „Rain“ und „Scars“ gleich drei Mal unterdurchschnittlicher Standard abgeliefert, der höchstens zum Schulterzucken einlädt. Das war es dann auch schon und betrachtet man das Album unterm Strich, bleibt kaum Stoff über, der das Prädikat „unbedingt anhören“ verdient.
Als Bonus gibt es wie eingangs bereits erwähnt das Video zu „Soulless“, welchem man jedoch das geringe Budget ansieht. Ein Video, das man sich höchstens einmal ansieht und dann ganz schnell wieder vergisst. Mal abgesehen von der mangelhaften Musik und dem eher unwesentlichen Stand des Albums in der Death-Metal-Geschichte ist es fraglich, ob dieses Re-Release wirklich Sinn macht.
Mit ihrem zweiten Album „You’ll Never See“, welches für mich persönlich das Beste in der Discographie der Band darstellt, haben GRAVE 1992 bewiesen, dass sie mehr können, als nur den Schwedentodstandard zu erfüllen.
Nachdem nun die erste und zweite Auflage vergriffen ist und sie mittlerweile nur noch über Online-Auktionshäuser oder durch Restpostenbestände erhältlich sind, ist es nachvollziehbar, dass sich Century Media diesem Meisterwerk noch einmal angenommen und es Ende 2006 erneut aufgelegt haben, zusammen mit der ebenfalls richtig guten „And Here I Die… Satisfied“-EP.
„You’ll never See“ besticht durch fetten Groove und eine extrem metallische Schwere, die bisher nicht viele andere Bands erreicht haben. Natürlich spielt hier der typische Schweden-Sound eine große Rolle und so sägen sich die Gitarren unbarmherzig durch das gesamte Album. Egal ob langsame, schleppende Parts oder das überschaubare Uptempo, GRAVE schleudern dir stets einen riesigen Fels vor die Füße, den es zu erklimmen gilt.
Alleine der Opener „You’ll Never See“ erfüllt sämtliche Erwartungen dieses Albums. Textlich mit griffigen Worten ausgestattet und Parts die dich so gnadenlos erdrücken, als wenn tonnenschwere Gewichte auf deiner Brust abgelegt werden, überzeugen GRAVE hier auf ganzer Linie. Dieses Erfolgsrezept findet sich auch in den folgenden Songs wieder. Egal ob „Now And Forever“, der leicht schwermütige Todes-Groover „Morbid Way To Die“ oder die Kampfansagen „Grief“, „Severing Flesh“ und „Brutally Deceased“, jeder Schlag sitzt und trifft dich direkt in die Zähne.
Das Sahnehäubchen der „You’ll Never See“-Tracks ist meiner bescheidenen Meinung jedoch der Rauswerfer „Christ(ins)anity“, welches trotz aller Brachialität mit viel Feeling und ebenfalls einem (dem Genre entsprechend) vorzüglichem Text ausgestattet ist. Hier wird Brutalität mit Melodie und Feeling kombiniert.
Die sechs Stücke der EP „And Here I Die… Safisfied“ wirken dann durch den unterschiedlichen Sound zunächst etwas trocken und der Fluss der Veröffentlichung ein wenig gebrochen, aber es dürfte nicht lange dauern, bis man sich daran gewöhnt hat und seine Matte weiterhin zu den fetten Beats der Schweden kurbeln lassen kann.
Von den EP-Tracks stechen besonders das relativ eingängige „Black Dawn“, „Day Of Mourning“ und „Inhuman“ hervor. Letztere zwei gab es in altem Gewand auch schon auf dem Debüt „Into The Grave“ zu hören.
Für alle, denen „You’ll Never See“ bislang nicht geläufig ist, sei dieses Re-Release wärmstens ans Herz gelegt, denn hier bekommt man gleich noch einen netten Bonus drauf.
UNLEASHED
„Shadows In The Deep“, „Across The Open Sea“, „Victory“ und „Warrior“
(Alboin)
Zusammen mit ihren Kollegen von DISMEMBER, ENTOMBED und GRAVE starteten UNLEASHED spätestens 1992 mit ihrem zweiten Album „Shadows In The Deep“ die heute wieder aktuelle Attacke schwedischen Death Metals gegen die durch Kommerzdenken und Überschwemmung aufgeweichte US-Death-Metal-Szene. Die Tatsache, dass (bis auf ENTOMBED) alle Bands noch heute Alben veröffentlichen, die sich in puncto basaler, räudiger Brutalität in nichts von ihren Frühwerken unterscheidet, zeigt, dass der schwedische Oldschool-Death-Metal nicht kaputt zu kriegen ist.
Wer UNLEASHED erst mit „Hammer Battalion“ kennengelernt hat, dem seien auch die Frühwerke der Kapelle um den fußballfanatischen Neuzeitwikinger Johnny Hedlund empfohlen, die Century Media, mit netten Bonustracks versehen, neu aufgelegt hat.
„Shadows In The Deep“ lässt dabei bereits deutlich den bis heute charakteristischen Sound UNLEASHEDs erkennen, auch wenn das Album insgesamt noch etwas technischer und eher im Mid-Tempo-Bereich anzusiedeln ist. Die zeitlosen Smashhits fehlen hier noch ein wenig, auch wenn Songs wie das Titelstück, „Bloodbath“ und „Onward Into Countless Battles“ nachwievor gerne gehörte und gespielte Klassiker sind. Das Album bewegt sich durchgehend im gutklassigen Bereich, groovt eine gute halbe Stunde in bangfreundlichem Tempo und ist, für 1992, produktionstechnisch absolut auf der Höhe. Außerdem ist mit „Countess Bathory“ eine der besten Coverversionen des vielleicht besten VENOM-Stücks verewigt.
Aufgepeppt ist die Platte mit einer Liveperformance aus Wien (auch auf „Live in Vienna“ von 1993 zu hören), die zwar vom Sound her um einiges bissiger und schlagzeuglastiger ausgefallen ist, aber einen guten Eindruck davon vermittelt, wie brutal Death Metal wirkt, wenn er einem livehaftig von der Bühne aus eingehämmert wird. Insgesamt eine schnuckelige Veröffentlichung und zudem nett aufgemacht.
Die eigentlichen Klassiker enthält meines Erachtens nach „Across The Open Sea“. Die erste Hälfte des Albums besteht ausschließlich aus Hits. „To Asgard We Fly“ mag einen der selbst für UNLEASHED-Verhältnisse stumpfesten Texte haben, aber der Song ist genial einfach und besser als alles, was die Truppe vorher oder hinterher geschrieben hat. Da gibt es nur vier Ausnahmen: noch eine Kelle drauf legen die Jungs bei den folgenden „Open Wide“, „I Am God“, „The One Insane“ und „Execute Them All“. Hier hat sich hörbar der Stil manifestiert, der UNLEASHED erfolgreich gemacht und der sie über die mauen folgenden Jahre getragen hat – und den sie in den letzten Jahren wieder aufgegriffen haben: griffigste Riffs mit erbarmungslosesten Grooves, hämmerndes Schlagzeug mit der Komplexität von AC/DC, Wikingertexte, von heiser gebrüllter Stimme vorgetragen. Das ist unnachahmlich und rockt einem, inklusive einer zeitlos brutalen Produktion, auch nach 15 Jahren noch die Eier aus der Hose.
Ein bisschen nutzlos ist das zwar stimmungsvolle, aber den Fluss des Albums etwas störende, rein schwedisch-folkige Titelstück. Danach braucht die Truppe auch hörbar zwei Songs Anlauf, um wieder in Fahrt zu kommen.
Trotzdem: ein geniales Album und wahrscheinlich der Höhepunkt einer langen Karriere. Da braucht’s auch keine Bonustracks, nach diesem Album sollte sowieso erstmal eine Weile nichts kommen. Das angehängte „The One Insane“-Video zeigt übrigens, dass sich beim Einfallsreichtum von Musikvideo-Regisseuren seit 15 Jahren genau GAR nichts getan hat. Ein echt zeitloses Relikt und übrigens eines der Videos, das mich 1994 bei „Headbanger’s Ball“ immer am meisten gefesselt hat.
Danach folgte eine Durststrecke für den schwedischen Death Metal, der fast vollkommen von einer Flutwelle zweit- und drittklassiger Black-Metal-Bands überrollt wurde. Death-Metal-Maschinen waren weniger gefragt, Bands wie ENTOMBED orientierten sich nach und nach in andere Stilrichtungen oder lösten sich, wie GRAVE, zeitweilig auf. Das 1995 erschienene „Victory“ lässt noch einen Funken alter Klasse durchscheinen, einige wirklich coole Parts (wie in „Victims Of War“, „Hail The New Age“ oder „Berserk“) schütteln sich die Axtschwinger auch aus den Ärmeln, insgesamt wirkt das Album aber schon deutlich von Thrash-Metal-Einflüssen und Stagnation verwässert.
Getoppt wird dieser eher traurige Punkt in UNLEASHEDs Discographie nur durch das wirklich leicht angebiederte „Warrior“, das 1997 erschien und – zu Recht – vor einer mehrere Jahre langen Veröffentlichungspause liegt. Das öffnende „Warmachine“ hat fast Hardcore-Groove-Charakter, auch wenn die Band hörbar um das Bewahren ihrer Trademarks bemüht ist. Die Riffs allerdings zünden nicht, „Mediawhore“ wirkt mit seinem Gethrashe fast albern, „My Life For You“ beginnt gut und geht schlecht weiter, und echte Kracher hat das Album generell gar nicht zu bieten.
Zudem scheinen sich die Jungs um Autosuggestion oder mindestens Automotivation zu bemühen, was Songtitel wie „Death Metal Victory“, „Hero Of The Land“ oder „I Have Returned“ nahelegen. Allerdings wusste auch die Band, dass es mit dem Death-Metal-Victory nicht mehr weit her war. „The End“ beschließt, ebenfalls sprechenden Titels, UNLEASHEDs schwächste Platte und verabschiedet die einstigen Heroen in eine fünf Jahre währende Pause, die ihn sehr gut getan hat. Ich wage mal zu behaupten: ein weiteres Album auf einer Linie mit „Victory“ und „Warrior“, und Killer wie „Midvinterblod“ und „Hammer Battalion“ hätte es nie gegeben.
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