Turn Back Time To 1996
Folge 3: "Stormblåst" von DIMMU BORGIR
Special
DIMMU BORGIR – „Stormblåst“ (1996)
Es gibt mehrere Gründe, warum DIMMU BORGIRs Zweitwerk ein unsterblicher Klassiker des melodischen Black Metals ist. Da wäre die Art des Keyboard-Einsatzes – 1996 eine Neuerung. Auch das Piano wurde vorher nur selten so inflationär und so geschickt mit Black Metal verwoben wie auf „Stormblåst“. Bahnbrechend ist aber auch und vor allem das Songwriting des Albums: Nach besagtem, von MAGNUM geklautem Piano-Intro geht es gleich im Opener „Alt Lys Er Svunnet Hen“ in die vollen, DIMMU BORGIR geben erst richtig Gas, drosseln dann das Tempo, um dann wieder Gas zu geben, und wenn Shagrath den Mund aufmacht, um die ersten beiden Textzeilen „Glinsende månelys ovenfor driver / Frostlagte stier viser vei“ zu singen, dann ist das einer der ganz großen Momente der norwegischen Black-Metal-Geschichte.
Weiter geht es mit dem Down- bis Midtempo-Song „Broderskapets Ring“, der im Gegensatz zum Opener zumindest in Sachen Tempo auf wenig Diversität setzt, sich stattdessen mit seinem einprägsamen Drei-Viertel-Riffing, seiner melodischen Leadgitarre sowie Shagraths mal eindringlich gekrächztem, mal getragen gesprochenen Vocals unweigerlich in die Gehörgänge frisst. Auch „Når Sjelen Hentes Til Helvete“ setzt zunächst auf Langsamkeit, bevor DIMMU BORGIR das Tempo im weiteren Verlauf anziehen und mit einem ultra-eingängigen Mainriff einen weiteren Meilenstein in Sachen Melodic Black Metal setzen. Das Piano-Intermezzo in der Mitte ist ausnahmsweise nicht geklaut, aber nicht weniger legendär als das Albumintro.
Über „Sorgens Kammer“ wurde bereits gesprochen – ohne Wissen der Band geklaut, und wenn man weiß, wo das Instrumental herkommt, dann lässt sich auch nur schwer leugnen, dass das Ganze ein wenig nach frühem Videospiel-Soundtrack klingt. Die Geschichte des Stücks hinterlässt einen faden Beigeschmack, trotzdem verfehlt „Sorgens Kammer“ als Ruhepunkt zwischen all dem Black-Metal-Geschredder nicht seine Wirkung. Mit „Da Den Kristne Satte Livet Til“ geht es zunächst getragen, später dann harsch und gegen den Strich der Gewohnheiten gespielt weiter, bevor der Titeltrack des Albums als der Song durchgehen kann, der mit seinem einfachen Powerchord-Riffing und nur gelegentlich eingeschobenen Keyboards dem klassischen Norweger-Black-Metal am nächsten steht.
Das Hauptmotiv des anschließenden „Dødsferd“ ist dann wohl eines der unterschätztesten Motive des frühen Black Metals norwegischer Schule: Legendenstatus hätte hier drin sein sollen, genannt wird das Teil jedoch selten. „Antikrist“ macht seinem Titel im Anschluss alle Ehre und geht vergleichsweise ruppelig zu Werke. Der Anfang gehört zu den unspektakuläreren Parts auf „Stormblåst“, dafür ist die zweite Hälfte mindestens so großartig wie der Rest des Albums. In „Vinder Fra En Ensom Grav“ packen DIMMU BORGIR noch einmal den schleppenden Drei-Viertel-Takt aus und fräsen sich einigermaßen repetetiv, aber wirkungsvoll in die Hirnwindungen. Zum Abschluss gibt es mit „Guds Fortapelse – Åpenbaring Av Dommedag“ noch einmal klassisches DIMMU-BORGIR-anno-1996-Material – die Band zieht sämtliche Register ihres Zweitwerks und versammelt noch einmal alle Stärken der Platte in einem Song.
DIMMU BORGIRs „Stormblåst“: Mehr als nur Hits und Eingängigkeit
Bisher war in erster Linie von den einzelnen Songs die Rede, die meist sehr eingängig gestaltet sind und gut in Kopf, Bein und Nacken gehen. Dies wird „Stormblåst“ jedoch insofern nicht gerecht, als dass DIMMU BORIGR auf dem Album eben nicht nur einzelne Songs geschrieben, sondern ein Komplettwerk voller Atmosphäre und mit rotem Stimmungsfaden hingelegt haben. So ist das ganze Album von einer beeindruckenden Atmosphäre durchzogen. Angefangen bei „Alt Lys Er Svunnet Hen“ und bis „Guds Fortapelse“ ununterbrochen lassen DIMMU BORGIR auf „Stormblåst“ den Hörer in ihre Welt der dunklen Festungen eintauchen. Das Album vermittelt Bilder von weiten Landschaften, die jedoch alles andere als schön anzusehen sind, sondern eher eine Gefahr für jene darstellen, die sich mit den Naturgewalten messen wollen. Dunkle Burgen, eisige Schneeflächen, verworrene Wälder voller seltsamer Ungeheuer – DIMMU BORGIRs zweites Album hört sich an wie der Soundtrack zu einem Fantasywerk, aber zu einem sehr, sehr düsteren.
DIMMU BORGIR – Wie es nach „Stormblåst“ weiterging
Und das ist letztlich der Knackpunkt, der „Stormblåst“ von den folgenden Werken DIMMU BORGIRs unterscheidet: Hits haben die Norweger auch später noch geschrieben, aber keines der nachfolgenden Alben hatte diese ganz spezielle Atmosphäre, die sonst nur noch auf dem Debüt der Band, „For All Tid“ von 1994, zu finden ist. Des Weiteren lässt sich der Eindruck nicht verhehlen, dass DIMMU BORGIR im weiteren Verlauf ihrer Karriere ein wenig an songschreiberischem Können eingebüßt haben. Denn oft machen neuere DIMMU-Alben den Eindruck, beim Komponieren seien Dialoge dieser Art gefallen: „Hey Shaggy, das reicht noch nicht an Bombast, oder?“ – „Nein Silly, pack noch ordentlich was drauf.“
Solche Eindrücke vermitteln DIMMU BORGIR bis einschließlich „Stormblåst“ zu keiner Sekunde, das Songwriting ist ausgeglichen, dynamisch und durchdacht, Bombast gibt es, wenn überhaupt, nur an ausgewählten, passenden Stellen. Zweifler mögen sich einmal die 2005er-Version von „Stormblåst“ anhören: Obwohl der Sound des Albums dort an die späteren Plastikwerke der Band angepasst wurde, machen die Kompositionen an sich immer noch sehr viel mehr Eindruck als die von zum Beispiel „In Sorte Diaboli“ oder „Abrahadabra“.
Ansonsten ist „Stormblåst“ eben das letzte Album, auf dem DIMMU BORGIR in ihrer Muttersprache gesungen haben, und es ist auch das letzte Album des klassischen DIMMU-Stils. Ab „Enthrone Darkness Triumphant“ von 1997 geht es mit mehr Bombast weiter (obwohl das Album zweifelsohne auch noch ein paar klasse Stücke zu bieten hat). Mit „Spiritual Black Dimensions“ (1999) und „Puritanical Euphoric Misanthropia“ (2001) folgten die beiden wohl unbeliebtesten Alben der DIMMU BORGIR-Karriere, bevor der Band mit „Death Cult Armageddon“ (2003) der endgültige Durchbruch in den Metal-Mainstream gelang. (Dessen „Progenies Of The Great Apocalypse“ der Band sogar MTViva-Aufmerksamkeit bescherte.) „In Sorte Diaboli“ (2007) hat als Konzeptalbum ein paar interessante lyrische Ansätze, scheitert aber an musikalischer Beliebigkeit, „Abrahadabra“ (2010) geht hingegen wieder in eine düsterere Richtung, ohne die Eindringlichkeit der Frühwerke der Band zu erreichen. Dass DIMMU BORGIR jemals wieder ein Album der „Stormblåst“-Klasse aufnehmen, ist also arg zweifelhaft.
Die späteren DIMMU BORGIR-Alben kann man mögen, muss man aber nicht. „Stormblåst“ hingegen sollte jeder einmal gehört haben, der auch nur im entferntesten etwas mit melodischem Black Metal anfangen kann – ein Pflichtkauf, falls man die Platte noch nicht im Regal stehen hat. Und übrigens: Die 2005er-Version ist ein Anfang, sollte man das Album noch gar nicht kennen und sich vorsichtig an die „alten“ DIMMU BORGIR rantasten wollen – aber auf Dauer kann es nur eine Lösung geben, und das ist die originale 1996er-Variante!
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Danke für den Artikel! Habe Dummi Borgir bisher nicht so beachtet aber hör mir das Album (´96) gerade an, sehr geil. Und mit den Extra Infos zusätzlich 😉