Turn Back Time To 1996
Folge 10: "Swansong" von Carcass

Special

Der Aufschrei war groß vor 20 Jahren, als die britischen Death-Grinder CARCASS aufgrund diverser Differenzen ihren Schwanengesang anstimmten. Wobei man natürlich schon relativieren muss: Bei einem Teil der Fans. Denn viele alte Anhänger hatten sich bereits spätestens nach „Necoticism – Descanting The Insalubrious“ von der Band abgewandt, weil für sie ausschließlich die Grind-Göttergaben „Reek Of Putrefaction“ und „Symphonies Of Sickness“ zählten. Das kommerziell sehr erfolgreiche „Heartwork“ mit seiner todesmetallischen Ausrichtung und der Verwendung von Melodien (Sakrileg!) passte ganz einfach nicht mehr in das Weltbild dieser Fans. Daher hielt sich bei diesen die Trauer sicher auch in sehr überschaubaren Grenzen, als die Band 1996 mit „Swansong“ die Bühne verließ. Und das man sich rund 8 Jahre später wieder reformieren würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt auch niemand.

Carcass „Swansong“ – Fakten:

Aufgenommen wurde bereits von Februar bis April 1995 mit Produzent Colin Richardson. Bis zur Veröffentlichung sollte dann aber noch über ein Jahr vergehen aufgrund von Streitigkeiten mit dem neuen Label Columbia, bei denen das Album dann letztlich auch nicht erschien. Das übernahm dann schließlich am 10.06.1996 das ehemalige und nun wieder aktuelle Label Earache.

Besetzung:

Jeff Walker (Vocals, Bass)

Bill Steer (Guitar)

Carlo Regadas (Guitar)

Ken Owen (Drums)

Tracklist:

1. Keep On Rotting In The Free World

2. Tomorrow Belongs To Nobody

3. Black Star

4. Cross My Heart

5. Childs Play

6. Room 101

7. Polarized

8. Generation Hexed

9. Firm Hand

10. R**k The Vote

11. Don’t Believe A Word

12. Go To Hell

Was hatten wir damals „Necroticism“ und „Heartwork“ vergöttert, und trotz aller stilistischen Unterschiede zwischen den beiden Scheiben liefen diese regelrecht heiß in den heimischen CD-Playern. Das war Gänsehaut pur, immer und immer wieder. Und dann kam „Swansong“, und nur die allerwenigsten wussten umgehend mit diesem Album etwas anzufangen. Was sollte das bitte? Wo waren die Metzel-Orgien wie „Inpropagation“ oder „Pedigree Butchery“ geblieben? Wo die erhaben-melodische Raserei von „Heartwork“ oder „Arbeit Macht Fleisch“? Stattdessen frönten CARCASS nun einer komischen Art Melodic Death und verharrten dabei fast ausschließlich im groovigen Midtempo. Damit verprellte man umgehend auch noch einen guten Teil jener Anhänger, welche die mittlere Schaffensphase der Band mit der Zeit kennen und lieben gelernt hatten. Das soll also das letzte Album dieser Legende sein, ein würdevoller Abgang, eine Art Vermächtnis? Nein, und da waren sich damals nahezu alle einig, diese Scheibe wird dem Schaffen der Band nicht gerecht, die hätte man sich durchaus sparen können.

Wie aus einem schwachen Abgang rückblickend ein starkes Stück Death ’n‘ Roll wurde

Damit wollte ich mich jedoch nicht abfinden, das konnten mir meine Helden doch nicht ernsthaft antun. Dagegen gab es nur ein probates Mittel: „Swansong“ landete wieder und wieder im CD-Schacht, ohne Rücksicht auf Verluste. Und siehe da, plötzlich zündete die Scheibe! Und rückblickend betrachtet ist es eigentlich ziemlich verwunderlich, dass dies doch längere Zeit gedauert hat. Denn gerade die A-Seite ist gespickt mit einigen absoluten Krachern. Da wäre gleich mal der genial betitelte Opener „Keep On Rotting In The Free World“, der mit den ersten Takten bereits tief im Rock ’n‘ Roll startet und mit einem hochmelodischen Refrain glänzt. Dazu noch Jeff Walkers typisches dreckiges Gekeife, das hat für mich heute Klassiker-Potential.

Oder aber „Black Star“ (Sollte später namensgebend für ein Projekt von drei CARCASS-Recken sein.) mit seinem unglaublich schweren Groove. Ebenfalls ein Killer, der wie der Opener noch heute des Öfteren den Weg in die Setlist findet. Auch das zähe Monster „Childs Play“ mit seinem schwer pumpenden Bass zu Beginn und wieder mit einem mega eingängigem Refrain muss man an dieser Stelle unbedingt erwähnen. Dazu noch das wieder tief im Death ’n‘ Roll verwurzelte „Room 101“. CARCASS versprühten auf „Swansong“ wirklich jede Menge Coolness, gepaart mit einer ordentlichen Portion Rotzigkeit und einer zünftigen Fuck-Off-Attitüde. Auch das deutlich Richtung „Heartwork“ blickende „Cross My Heart“ weiß durchaus zu überzeugen. Aber auf der B-Seite haben sich dann mit „Polarized“, „Generation Hexed“ oder „Firm Hand“ doch ein paar Filler eingeschlichen. Damit wir uns richtig verstehen, viele Kapellen würden vermutlich auch für solche Songs die eigene Oma verkaufen. Aber wir reden hier schließlich von CARCASS, und da sind die Ansprüche natürlich höher. Doch gegen Ende hebt dann „R**k The Vote“ wieder das Niveau. Und der Abschluss-Track hat es dann nochmal absolut in sich. „Go To Hell“ spannt nicht nur bockstark den Bogen zurück zum Opener, sondern wäre als wirklicher Schwanengesang und kräftiges „Fuck Off!“ an alle ein CARCASS-würdiger Abgang gewesen. „Let’s burn in the flames, yeah..!“

Doch es sollte bekanntlich anders kommen, die Band reformierte sich 2007 wieder und brachte nochmals 6 Jahre später endlich das starke Comeback-Album „Surgical Steel“ heraus. Seitdem ist man erfolgreicher denn je, tourt beständig um den Globus und headlined große Festivals. Gut so!

Gitarrist Bill Steer sagte im Rückblick über „Swansong“ mal, dass eigentlich alle von dem Album enttäuscht gewesen seien: alte Fans, neue Fans und auch das Label. Ich kann mich da nicht anschließen, die Scheibe rockt auch heute noch! Oder mit den Worten von Austin Powers, der dann ein Jahr später die Leinwand enterte: „Groovy!“ Genau das waren CARCASS damals.

25.11.2016
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