Trivium
Der große Diskografie-Check
Special
TRIVIUM sind eine der erfolgreichsten und prägendsten Modern-Metal-Bands der Nullerjahre. In sehr jungen Jahren als Highschool-Band gestartet, die ihren Bay-Area-Idolen auf beeindruckend professionellem Niveau nacheiferte, lieferten Matt Heafy, Corey Beaulieu und Paolo Gregoletto als songwriterische Trias in den folgenden zwei Dekaden die Blaupause für modernen Metal, der den Spagat zwischen seinen Wurzeln einerseits und Innovation und Massenkompatibilität andererseits auf der Höhe ihres Schaffens perfektionierte. Mit der Veröffentlichung ihres neuen Albums „What The Dead Men Say“ im Rücken, wollen wir das Schaffen der Florida-Truppe einmal in Gänze unter die Lupe nehmen und die Alben einem Gegenwartscheck unterziehen.
„Ember To Inferno“ (2003)
Nachdem er im Rahmen einer Art Talentwettbewerb zunächst mit METALLICA-Covern auf sich aufmerksam machen konnte, kam Matt Heafy zu der zum Zeitpunkt bereits bestehenden Band TRIVIUM und übernahm mehr oder weniger das Ruder, als sich Gründungsmitglied Brad Lewter, der Heafy zuvor in die Band gebracht hat, aus dem Lineup verabschiedete. Weitere Shows erweckten schließlich das Interesse von Lifeforce Records und brachten TRIVIUM somit ihren ersten Plattendeal – der Weg zum Debüt „Ember To Inferno“ war geebnet. Und es traf den Nerv der Zeit, als der Metalcore-Hype im vollen Gang war.
Der Metalcore-Einschlag ist auf besagtem Debüt noch sehr deutlich zu erkennen, auch wenn die Band schon fleißig mit Thrash- und Melodeath-Anleihen arbeitete, zugleich aber auch mehrstimmige Gitarren-Leads einarbeitete, besonders schön bei „Falling To Grey“ und dem folgenden „My Hatred“. Die hatten natürlich den typischen MAIDEN-Einschlag und machten den Reiz des Sounds aus. „Ember To Inferno“ ist damit der berühmte „Diamond in the rough“ und legte den Grundstein für das folgende, schon deutlich härter zupackende „Ascendancy“.
Es ist mit seiner angestaubten Metalcore-Ästhetik aber irgendwie fast schon ein Relikt der frühen 2000er, da die Songs noch diesen offenkundigen Metalcore-Makel aufweisen: Der Metal ist da und gekonnt inszeniert, deutete damit das ungeheure Potential der Band an, das sich im Laufe der Karriere immer weiter entfalten sollte. Aber die melodramatischen Cleans zwingen dem Sound eine Poppigkeit auf, die ihm ein bisschen den Furor raubt. Aber das war egal, die Core-Kids, zu denen auch Unsereins während der Oberstufe gehörte, haben das Zeug gefressen und geliebt.
Sammlungswürdig: Zweitrangig, mit leichtem Nostalgie-Bonus.
Anspieltipps: „If I Could Collapse The Masses“, „Falling To Grey“, „My Hatred“
Michael Klaas
Hier geht’s zur ausführlichen Review von „Ember To Inferno“.
„Ascendancy“ (2005)
Als „Ascendancy“ 2005 erschien, lieferte es den Startschuss für ein heißes Kopf-an-Kopf-Rennen. Noch im selben Jahr legten BULLET FOR MY VALENTINE ihr Debütalbum „The Poison“ vor. Anschließend versuchte die Fachpresse, sich gegenseitig darin zu überbieten, beide Bands als mögliche Nachfolger von METALLICA zu etablieren. Heute bilden sie gleichermaßen die Speerspitze der aktuellen Metalgeneration. Und „Ascendancy“ legte im Falle von TRIVIUM den Grundstein dafür. Ihr Mix aus knallharten Modern-Metal-Gitarren auf der Grenze zum Thrash und einer Portion Pop-Affinität macht Songs wie „Dying In Your Arms“ oder „Pull Harder On The Strings Of Your Martyr“ zu zeitlosen Hits. TRIVIUM verbeugen sich regelmäßig vor großen Vorbildern wie IRON MAIDEN oder eben METALLICA, ohne zur bloßen Kopie zu verkommen. Folgerichtig wurde „Ascendancy“ der Soundtrack einer Jugend, die Metal in den 2000ern für sich entdeckt. Manche mögen es sogar ihr bis heute stärkstes Album nennen – zu Recht.
Sammlungswürdig: Absolut.
Dominik Rothe
Hier geht’s zur ausführlichen Review von „Ascendancy“.
„The Crusade“ (2006)
Wenn ich “The Crusade” höre, denke ich an meinen alten iPod im Urlaub an der Ostsee. Kaum ein Album hat für mich einen so linearen Bezug wie das dritte von TRIVIUM. Was habe ich „Becoming The Dragon“ und Co gefeiert, als ich in einem winzigen Kaff Joggingrunden gedreht oder morgens zum mobilen Bäcker gegangen bin – begleitet von einem sanften, hintergründigen Meeresrauschen.
Dabei liegt mir die Band an sich nicht besonders am Herzen. „The Crusade“ schon. DAS Hit-Album der Amerikaner, das weder Thrash Metal noch Metalcore ist, sondern lupenreiner Hook-Metal. Nicht wegen dem Captain, sondern aufgrund der unzähligen Hooklines. Es ist mir auch völlig schnuppe, wie oft die Riffs vorher METALLICA gehört haben. Das Teil sprüht nicht vor Energie, es hat sie flüssig gemacht und sich darin gesuhlt. Daher kann ich mir schwer vorstellen, dass TRIVIUM jemals ein besseres Album schreiben werden. Die Frage, welchen Stellenwert es in der Diskografie hat, beantwortet sich automatisch: Alle anderen Werke können sich dahinter einreihen. Zumal „The Crusade“ völlig zeitlos erscheint und das Potenzial hat, alle erdenklichen Tramper im Umkreis von Thrash, Heavy und Modern Metal einzusacken.
Sammlungswürdig: Siehe oben.
André Gabriel
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„Shogun“ (2008)
Auf das hochwertige Thrash-Zitat folgte das Epos. Der Titeltrack bringt es als erster Song der Bandgeschichte auf eine Spielzeit im zweistelligen Minutenbereich, ehrenwerte japanische Kampfestraditionen und griechische Mythologie bilden den thematischen Rahmen für „Shogun“. Was als hoffnungslos anmaßender und gekünstelter Emanzipationsversuch hätte enden können, erweist sich als Triumph auf ganzer Linie. „Shogun“ hat Riffs, Drama(turgie) und Hits. „Kirisute Gomen“, „Torn Between Scylla And Charybdis“ und vor allem das erhabene „Down From The Sky“ sind moderne Klassiker. „Shogun“ klingt auch zwölf Jahre nach seiner Erstveröffentlichung frisch und hungrig und thront wenig anfechtbar über den Œuvre von TRIVIUM.
Sammlungswürdig: Definitiv.
Anspieltipps: „Kirisute Gomen“, „Down From The Sky“, „Torn Between Scylla and Charybdis“
Tobias Kreutzer
Hier geht’s zur ausführlichen Review von „Shogun“.
„In Waves“ (2011)
Die Vergleiche zum „Black Album“ drängen sich nahezu auf: Auf Album Nummer fünf fahren TRIVIUM die Komplexität und bisweilen auch die Härte nach vier mal mehr und mal weniger thrashigen Releases massiv zurück. Doch wer hier unkt, hat nicht aufgepasst. Schon „Ascendancy“ hatte mit „Dying In Your Arms“ die Blaupause für die Rockradio-Hot-Rotation, und Matt Heafy hatte bei „In Waves“ endgültig keine Lust mehr, sein Händchen für Hits unter hemmenden Thrash-Klischees zu verstecken. Trotz seiner verhältnismäßig langen Tracklist ist „In Waves“ ein absolut fesselndes Modern-Metal-Album – und wo bitte steckt der Weichspüler in „Dusk Dismantled“? Härte und Komplexität sind hier schlicht und einfach kein Selbstzweck mehr, und das tut TRIVIUM richtig gut. Nichts wäre an diesem Punkt schlimmer gewesen, als eine halbgare „Shogun“-Kopie.
Sammlungswürdig: Schon.
Anspieltipps: „In Waves“, „Dusk Dismantled“
Tobias Kreutzer
Hier geht’s zur ausführlichen Review von „In Waves“.
„Vengeance Falls“ (2013)
Eine solche in Bezug auf „In Waves“ ist nämlich „Vengeance Falls“. Neben dem hässlichsten Cover der Bandgeschichte gibt es hier wenig Neues. Klar, „Brave The Storm“ und „Strife“ fügen sich bei Bedarf hervorragend ins Live-Set von TRIVIUM ein, gesetzt sind aber auch sie sicherlich nicht. „Vengeance Falls“ fühlt sich müde an. Die Formel wirkt das entscheidende Bisschen zu routiniert. Tatsächlich meint man den Produzenten David Drainman (besser bekannt als Mann am Mikro bei DISTURBED) an mehr als einer Stelle durch Matt Heafys Gesang hindurchzuhören. Die Folge ist ein Geschmäckle von Stangenware. Ob nun die ausgebrannten TRIVIUM sich auf der Suche nach Inspiration an einen musikalischen Reißbrett-Papst gewandt haben oder ob der Produzent sich erst im Studio als eindeutig zu dominant entpuppte, ist letztlich irrelevant. „Vengeance Falls“ ist nicht der große Wurf.
Sammlungswürdig: Nein.
Anspieltipps: „Brave This Storm“, „Strife“
Tobias Kreutzer
„Silence In The Snow“ (2015)
Wieder ein Album ohne harsche Gesangseinlagen! Das war es aber auch schon an Gemeinsamkeiten zwischen „The Crusade“ und „Silence In The Snow“. Um ein Haar hätten TRIVIUM mit Album Nummer sieben eine lupenreine Power-Metal-Platte aufgenommen. Hier regieren das Midtempo, der pathetische Refrain, das breitbeinige Solo – leider aber auch der Durchschnittssong. „Silence In The Snow“ ist in seiner Vision zwar konsequenter als sein Vorgänger, die generischen Riffs macht aber auch ein noch so starker Fokus auf ausgefeilte Gesangslinien nicht wett. Dass mit „Until The World Goes Cold“ trotzdem ein absoluter Überhit dabei ist, reicht allein leider nicht, um den Karren aus dem Schnee zu ziehen.
Sammlungswürdig: Nein.
Anspieltipps: „Silence In The Snow“, „Until The World Goes Cold“
Tobias Kreutzer
Hier geht’s zur ausführlichen Review von „Silence In The Snow“.
„The Sin And The Sentence“ (2017)
Der Drummer hatte bei TRIVIUM schon immer den präkersten Posten inne. Als Alex Bent die Spuren für „The Sin And The Sentence“ eintrommelt, ist er ungefähr so alt, wie der Rest der Band es bei Veröffentlichung von „The Crusade“ beziehungsweise „Shogun“ war. Wie groß genau sein Einfluss auf Album Nummer acht war, ist von außen im Nachhinein schwierig zu bewerten. Fakt ist, das hier ein entfesselter, technisch hochversierter Trommler auf endlich wieder zwingendes Songmaterial trifft, das „Shogun“ und „In Waves“ zu gleichen Anteilen huldigt. Kritiker und Fans zeigten sich gleichermaßen angetan, diverse neue Songs schafften es im Verlaufe des folgenden Tourzyklus‘ auf direktem Wege in die Setlist. „The Sin And The Sentence“ schlägt die Brücke zwischen verspieltem Thrash-Riffing, wieder komplexeren Songstrukturen und der in der zurückliegenden Dekade nicht nur durch die gewachsenen Gesangsqualitäten von Matt Heafy gewonnenen Eingängigkeit von TRIVIUM.
Sammlungswürdig: Ja.
Anspieltipps: „The Sin And The Sentence“, „Beyond Oblivion“, „The Wretchedness Inside“
Tobias Kreutzer
Hier geht’s zur ausführlichen Review von „The Sin And The Sentence“.
„What The Dead Men Say“ (2020)
Mit „The Sin And The Sentence“ kehrten TRIVIUM zumindest ein Stück weit zu ihren Wurzeln zurück. „What The Dead Men Say“ schließt daran an. Gleichzeitig wollen die US-Amerikaner in jeder Hinsicht noch einen draufsetzen. Die wiedergewonnene Brutalität trifft in „Catastrophist“ auf einen Stadion-tauglichen Refrain. „Amongst The Shadows & The Stones“ wiederum zeigt die Band von ihrer besonders gnadenlosen Seite. Klingt erst einmal wie die Erfüllung aller feuchten Träume der Fans. Das Beste von Früher und Jetzt vereint. Allein dank der unantastbaren handwerklichen Fähigkeiten der Musiker ist „What The Dead Men Say“ schon ein überdurchschnittliches Modern-Metal-Album. Allerdings verlieren sich TRIVIUM regelmäßig in zu verkopftem Songwriting, anstatt den Tracks eine natürliche Dramaturgie zuzugestehen. Trotzdem stehen mit „Bleed Into Me“ oder „Scattering The Ashes“ wieder einige Hits auf der Matte, die das Fan-Herz höher schlagen lassen. Und die fulminanten Gitarrensoli scheinen wie immer nicht von dieser Welt zu sein.
Sammlungswürdig: Für Fans auf jeden Fall
Dominik Rothe
Hier geht’s zur ausführlichen Review von „What The Dead Men Say“.