Thrash Metal in der Ukraine
Eine Bestandsaufnahme
Special
Doch nicht nur HELL:ON sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Szene entwickeln konnte. Auch die an sich in Köln beheimateten PRIPJAT, die sich nach der durch den Reaktorunfall von Tschernobyl zur „Geisterstadt“ gewordenen Arbeiterstadt benannten, haben einige wissenswerte und überaus interessante Details dazu auf Lager. Das Wort bleibt also bei meinem Kollegen Eugen, der – ebenso ursprünglich aus der Ukraine stammend wie sein Bandkollege Kirill Gromada – jedoch als Gitarrist der Band diesmal auf „die andere Seite“ wechseln musste und Antworten von sich zu geben hatte.
Wann seid ihr nach Deutschland gekommen?
Ich war 10, Kirill schon etwas älter. Da er aber jünger ist als ich, kamen wir ziemlich zeitgleich an. Wir sind also schon eine Weile hier und fühlen uns wohler als irgendwo sonst.
Wie seid ihr beiden eigentlich zusammengekommen, um eine Band zu gründen?
Hehe – das ist fast schon ein Klischee. Ich kannte Kirill bis vor der Bandgründung nicht, obwohl wir beide aus Kiew kommen. Ab und an bin ich ihm in Köln beim Feiern über den Weg gelaufen. Bei einem dieser „bierlastigen“ Treffen quatschte er mich an, ob ich nicht ein Instrument spielen würde und das tat ich tatsächlich. Als er mir dann mit „Lass uns mal `ne Thrash-Band gründen!“ ankam, hab ich ihn nicht ganz für voll genommen, ging aber trotzdem in den Proberaum, einfach um zu schauen was passiert. Und es passierte direkt eine Menge! Da waren zwar nur Kirill, Bobo, unser Drummer und ich, doch schon nach einer Stunde stand der erste Song „Liquidators“ – auch wenn dieser noch keinen Namen hatte. Ebenso wenig wie die Band selbst. Aber das Riffen ging uns so locker von der Hand – wir standen nur da, zockten und grinsten uns ununterbrochen an. Das schönste Gefühl, das eine junge Band nur haben kann.
Weshalb der ungewöhnliche wie unmissverständliche Bandname?
Oh, Missverständnisse gibt’s dazu genug, oder zumindest Unverständnis. Ich muss zugeben, dass mich die Tschernobyl-Thematik schon immer stark fasziniert und betroffen hat – eigentlich schon vor meiner Geburt, denn der Reaktor explodierte kurz davor. Meine Mutter hatte natürlich große Angst, denn Kiew liegt weniger als 100 km vom Kraftwerk entfernt und die Behörden hatten damals schön auf stumm geschaltet und die Menschen dadurch logischerweise total verunsichert. Also flog sie zu ihrer Verwandtschaft nach St. Petersburg, wo ich dann geboren wurde, obwohl das nicht so geplant war. Nicht zuletzt deshalb hat mich das ganze Thema wohl auch weiterhin stark fasziniert. Und übrigens: wenn ihr jemals in Kiew sein solltet, besucht unbedingt das Tschernobyl-Museum, es ist schön und bedrückend zugleich. Was die Wahl des Bandnamens angeht, hatte ich eine Liste mit Namen in den Proberaum geschleppt und wir einigten uns auf PRIPJAT, da das einfach in jeder Hinsicht passte. Die Hälfte der Band stammt aus der Ukraine und atomare Explosionen und Geisterstädte erschienen auch passend für Heavy Metal. Auf Platz zwei der Liste stand übrigens NUCLEAR CHAINSAW, jedoch haben wir bald entdeckt, dass es eine Band dieses Namens schon in Italien gibt und die sehen nicht nur genauso aus wie wir, die Jungs machen dazu auch noch Thrash Metal!. Metaller sind offenbar überall auf dieser Welt gleich bescheuert, haha.
Hattet ihr im Sinn die Metal-Fans hierzulande noch einmal und auf diese Weise auf diese Tragödie aufmerksam zu machen?
Ja, absolut. Immerhin haben wir den Reaktorturm im Bandlogo. Wir sehen uns natürlich nicht als eine Umweltschutzorganisation, aber mir persönlich war es schon wichtig dieses vergessene Thema wenigstens ein bisschen ins Gespräch zu bringen. Wir haben gleich drei Songs, die sich unmittelbar mit der Katastrophe beschäftigen. „Liquidators“ erzählt die Geschichte der zum Tode verurteilten Helfer, die in den ersten Stunden der Reaktorexplosion geholfen haben. Diese armen Schweine mussten brennendes Graphit barhändig vom Dach schaufeln. Die durften da für 10 Sekunden hoch, schmissen einen Brocken runter und rannten zurück. Und das war auch schon das Todesurteil. Kein Wunder, dass die erste Schicht wenige Wochen später an den Auswirkungen der Strahlen verstarb. Sehr viele weitere folgten, auch wenn die genauen Zahlen bis heute Staatsgeheimnis sind, obwohl es die Sowjetunion lange nicht mehr gibt. Im Song „Acid Rain“ geht es um Weißrussland. Dort hat man damals wegen der Windrichtung das meiste an Strahlung abbekommen und wurde damit allein gelassen. Da wurde teilweise meilenweit Erde aufgeschüttet, um das kontaminierte Zeug unten zu halten. „Sons of Tschernobyl“ schließlich handelt von der Generation nach dem Unfall, also von uns. Wir haben immerhin das Glück keine offensichtlichen Schäden abbekommen zu haben, doch bei vielen Menschen ist das ganz anders. Mich würde Krebs nicht wundern. Reaktorunglücke sind schließlich kein Ponyhof.
Eurer Thrash-Metal kommt generell mit Message rüber – war das von Beginn an eine Intention?
Ja, ich denke schon. Wir sind aber nicht wirklich durchwegs ernste Zeitgenossen. Die meiste Zeit über haben wir einfach sehr viel Spaß zusammen, lachen und machen Quatsch. Auf der Bühne wollen wir aber etwas fühlen und das geht nun mal nicht mit Songs über Bier und Titten – obwohl beides großartige Themen sind, haha. Wir spielen sehr aggressive Musik und dazu braucht man einfach passende Texte. Ich mag Bands mit belanglosen Lyrics nicht. Klar, dass nicht jeder versteht, was Kirill ihm da entgegenbrüllt, aber es ist doch immer geil, wenn man die Musik einer Band mag und bei näherer Beschäftigung merkt, dass die sich den Kopf über den Inhalt ihrer Songs zerbrochen haben. Trotzdem haben wir auch Spaß-Songs wie „Toxic“ am Start, in dem es um den Spaß auf der Bühne, das Übertragen der Energie auf die Fans und das gemeinsame „völlig am Rad drehen“ geht.
Bestehen Kontakte zu Bands in der Ukraine?
Leider nicht. Wir sind als Band ja noch relativ neu und setzen aktuell 100% auf das Live-Spielen. Daher haben wir erst mal auch überwiegend Kontakt zu deutschen Bands, obwohl wir auch schon sehr viele, nette Musiker aus anderen Ländern kennengelernt haben. Wir zählen uns jedoch weder zur deutschen, noch zur ukrainischen Szene, sondern einfach zu den Thrashern dieser Welt. Genau, wir machen „Global Metal“!
Seid ihr mit den Resonanzen auf euer Demo zufrieden gewesen?
Oh ja, das war großartig. Wir haben das Glück, dass sich Kirill gut mit den Themen Sound und Produktion auskennt und so hat er uns auch einen mehr als nur passablen Sound gebastelt, für ein Demo zumindest. Für diese haben wir in der Tat durchwegs positive Beurteilungen bekommen. Die Highlights waren natürlich die Reviews auf metal.de, im LEGACY-Magazin und, dass uns sogar ROCK HARD- Chef Götz sein Wohlwollen ausgesprochen hat. Für so ein Vier-Track-Ding ganz ordentlich.
Wie sieht es denn mit einem Nachfolger für „Liquidators“ aus?
Auch da sieht es – dank Kirill – ziemlich gut aus, denn er macht im Moment eine Ausbildung im „Golden Factory“-Studio in Köln und wir durften dieses für unsere Aufnahmen mitbenutzen. Unser Debüt „Sons Of Tschernobyl“ ist daher auch schon weitestgehend im Kasten und knallt jetzt schon ordentlich, haha. Wir müssen uns auf keine Verträge einlassen und werden alles im Alleingang erledigen, worauf wir sehr stolz sind. Wir hoffen, dass es spätestens im Winter soweit sein wird und wir mit dem Album startklar sein können. Ob wir es dann selbst promoten oder nicht, steht aber noch nicht fest. Sollte sich also jemand angesprochen fühlen und Interesse haben – wir hören uns gerne jedes Angebot an. Bis dahin gibt es aber Wichtigeres zu tun, nämlich die Bühnen dieser Welt abzurocken! In diesem Sinne Leute: „Thrash Till Death“ – wir sehen uns im Pit!
Und wir wünschen PRIPJAT dafür ebenso viel Glück wie selbstredend auch HELL:ON und bedanken uns auch bei beiden Bands auch ganz herzlich für diese Bestandsaufnahmen.
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