Thrash Metal in der Ukraine
Eine Bestandsaufnahme
Special
Von den Bandnamen MORIA und HELL:ON mag man eventuell schon etwas gehört haben, was sich jedoch sonst noch so tut in der Metal-Szene der Ukraine, der Heimat dieser beiden Formationen, ist hierzulande wohl nur ganz wenigen Insidern bekannt. Zusammen mit meinem Kollegen Eugen habe ich daher versucht einen Einblick in diese zu verschaffen, wobei wir dafür Alex Pasko, der als Gitarrist in beiden genannten Formationen aktiv ist und Anatolij Kondyuk, den Eigentümer des Labels Metal Scrap Records zu Wort kommen lassen um ein wenig Licht in unsere diesbezügliche Dunkelheit zu bringen. Doch auch Eugen selbst musste Rede und Antwort stehen, schließlich ist er seinerseits als Musiker aktiv und hat aus nachvollziehbaren wie logischen Gründe seine Truppe PRIPJAT genannt.
Den Beginn überlassen wir jedoch Alex Pasko, von dem wir natürlich wissen wollten, wie die Geschichte von HELL:ON eigentlich begonnen hat:
Wir haben uns als Band im Jahr 2005 formiert, wobei die Gründung von HELLION, wie wir zuerst geheißen haben, eher eine Art Konsequenz war, da wir untereinander befreundet waren und schon davor eine gemeinsame Vorliebe für Musik teilten. Zudem hatten wir alle bereits davor erste Erfahrungen in Bandprojekten gemacht und wussten was wir wollten. Dennoch war der Start in die „Karriere“ für HELLION sehr imposant, da wir schon nach wenigen Monaten für das größte ukrainische Festival, das „Metal Heads’ Mission“ gebucht wurden und dabei unterem für NAPALM DEATH eröffnen durften. Die Gründung erfolgte durch mich und Schlagzeuger Oleg Talanov, später kam dann der zweite Gitarrist Anton Pavlenko dazu, der jedoch bald wieder abhaute und durch Anton Vorozhtsov ersetzt wurde. Als nächster stieß Bassist Alexandr Sitallo zu uns und zuletzt Sänger Alexander Baev.
Und bald darauf dürfte dann euer erstes Demo „Strong Enough“ die Runde gemacht haben.
Korrekt, wobei es sich dabei keineswegs um eine “Resteverwertung“ oder so handelte, sondern wir – nicht zuletzt durch den genannten Auftritt – ungemein motiviert waren und vor Ideen geradezu überschäumten.
Dass so ein Auftritt motiviert ist klar, welche anderen Inspirationen für Euch gab es denn noch:
Da wir alle aus unterschiedlichen musikalischen Ecken stammen, gibt es da jede Menge, von Jazz und Blues angefangen, über Rock’n’Roll, den unser Basser in einem Nebenprojekt immer noch auslebt bis hin zu den üblichen Verdächtigen METALLICA, SEPULTURA, SLAYER, MEGADETH, PANTERA, KREATOR oder DEATH. Unser Sänger pflegt darüber hinaus sogar noch eine Vorliebe für das Saxophon und lebt diese auf diversen Nebenbaustellen regelmäßig aus. Für mich persönlich war auf jeden Fall das „Extreme Metalfest“ hier in Kiew die bis dato wichtigste Erfahrung überhaupt, denn nicht nur, dass wir selbst spielen dürften war sensationell, was KREATOR als Headliner hier abgeliefert haben war der helle Wahnsinn! Ein wahrhaftig unvergesslicher Auftritt!
Solange er dieses Instrument nicht zu sehr bei HELL:ON unterzubringen versucht, darf er das wohl gerne, auch wenn für Experimente bei Euch durchaus Platz zu sein scheint. In wie fern darf man denn „Age Of Oblivion“ mit den früheren Alben vergleichen?
Da zwischen “Re:Born” und “Age Of Oblivion“ einige Zeit vergangen ist, darf ich wohl durchaus behaupten, dass wir uns an den Instrumenten durch permanentes Üben gut weiterentwickelt haben. Dennoch waren wir bemüht uns nicht zu sehr von der „Old School“-Gangart zu entfernen und waren bestrebt die Songs trotz aller Technik immerzu schnell, aggressiv und kraftvoll zu halten. Zuletzt, also in den Jahren 2010 und 2011 haben wir auch eine Menge an Live-Erfahrung machen können und von daher galt es die Energie der Bühne auf Tonträger zu transferieren. So ganz gelungen ist uns das nicht, aber ich bin sicher beim nächsten Mal wird das noch deutlich besser funktionieren.
Klingt interessant, kann Du uns schon ein bisschen mehr über das kommende Album verraten?
Generell sind wir uns schon intern über den Titel und das Artwork einig und auch einige Tracks sind bereits fertig. Diese gehen noch ein wenig mehr in Richtung „Old school“-Death Metal und stellen zumindest bisher die wohl aggressivsten Nummern dar, die wir jemals komponiert haben. Allerdings weiß ich noch nicht, wie es diesbezüglich weitergehen wird, denn unter Druck setzen brauchen wir uns auch nicht.
Wie darf man sich das Komponieren bei Euch generell vorstellen?
Wir treffen uns regelmäßig in unserem Proberaum und spielen uns gegenseitig unsere Ideen vor. Daraus entstehen dann oft spontane Jams, die in weiterer Folge zu Songs, oder zumindest Passagen werden. Es kann aber auch sein, dass wir die Riffs quasi „ansparen“ und dieses dann bei Gelegenheit in völlig andere Tracks einbauen als ursprünglich angedacht war. Wichtig ist nur, dass wir alle davon überzeugt sind und der Song als gesamter funktioniert. Die Texte kommen zumeist zum Schluss dazu, auch wenn ich mitunter Themenvorschläge oder sogar schon ungefähre Ideen habe, worum es im jeweiligen Song gehen soll.
Du hast zuvor bereits kurz das Thema Live-Aktivitäten angedeutet, was gibt es denn davon noch zu berichten?
Das ist generell ein schwieriges Thema, da wir allesamt unseren Jobs nachzugehen haben und von daher ein wenig eingeschränkt sind. Allerdings führt diese Tatsache auch dazu, dass wir eben ganz gezielt und fokussiert an eventuelle Gigs herangehen. Einmal im Jahr ist es uns dann doch möglich für ungefähr zwei bis drei Wochen am Stück Urlaub zu nehmen und diese werden dementsprechend für Tourneen genutzt. Für die kommende Tour wollen wir auch erneut versuchen außerhalb der Ukraine spielen zu können, denn hier fühlen wir uns doch bereits ein wenig eingeschränkt. Im letzten Jahr konnten wir schon beim „Metalfest“ in Polen spielen und auch beim „Ciechanow Rock Festival“ gab man uns eine Chance, beides phantastische Erfahrungen für uns. Im Herbst des letzten Jahres haben wir dann eine kleine Tournee, die uns nach Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, aber auch für drei Gigs nach Deutschland führte, absolvieren können und daran wollen wir auf Grund der positiven Erfahrungen gerne wieder anschließen und speziell in Deutschland viel mehr Konzerte geben.
Sind denn diese Pläne schon konkret?
Ja, es muss einfach etwas in dieser Richtung geschehen, damit HELL:ON auch entsprechend bekannt werden können. In Osteuropa konnten wir uns mittlerweile auch schon einen ganz ordentlichen Ruf erspielen, jetzt aber soll auch der Westen von der Band etwas mitbekommen. Von daher planen wir Gigs in Deutschland, Österreich, Dänemark und in den Niederlanden. Fixieren konnten wir zwar noch nichts, aber ich denke, die Planungsphase geht gut voran und wir sind sehr zuversichtlich.
Da klingt nicht nur ziemlich euphorisch, sondern auch gut geplant. Eventuelle Nebentätigkeiten sollten kein Problem sein, oder?
Nein, auch wenn wir allesamt auch in anderen Bands und Formationen aktiv sind. So hat Anton beispielswiese sein Death Metal-Nebenprojekt UNGRACE am Laufen und ich selbst bin bei den Groove / Thrashern MORIA tätig. Unser Bassist Alexandr hat wie schon gesagt sein Rock-Outfit SWIFT am Start und unser Sänger lässt immer wieder gerne sein Saxophon ertönen. Der Fokus liegt aber dennoch ausschließlich bei HELL:ON, so dass ein Tournee hier in keiner Weise beeinträchtigt würde.
Der Name HELL:ON ist ja nun immerhin zumindest ein klein wenig bekannt, ebenso MORIA. Was aber hat die Metal-Szene in der Ukraine sonst noch an „Schätzen“ anzubieten, die nur darauf warten entdeckt zu werden?
Eine ganze Menge, alleine in unserem Freundeskreis tut sich viel. So gibt es mit DEF/LIGHT, D-HATE, SINFUL, BLACKTHORN und FRAGILE ART eine Bands in unserem unmittelbaren Umkreis, die es verdient hätten ein wenig bekannter zu werden. Darüber hinaus ist obendrein auch noch zu erkennen, dass sich in den letzten Jahren viele junge Musiker mehr dem Metal verschrieben haben.
Gutes Stichwort: In wie fern hat sich denn da in den letzten 20 Jahren etwas ändern können?
Seit dem Fall des russischen Regimes hat sich hier wirklich viel verändert. Unter anderem hat sich auch eine Unzahl an Möglichkeiten für Bands aufgetan, die zuvor noch nicht einmal ansatzweise möglich gewesen wären. Die „Szene“ an sich ist zwar immer noch tief im Underground verwurzelt, aber immerhin besteht nun endlich die Chance für kleine Formationen ihre Songs bei Konzerten, wenn auch ganz kleine zu präsentieren. Und auch was das Equipment betrifft, hat sich hier einiges getan, auch wenn der wesentlichste Part immer noch der Musiker selbst geblieben ist.
War es denn zu UdSSR-Zeiten überhaupt möglich als Band aufzutreten?
Das schon, ich denke, da waren die Unterscheide zu andere Ländern nicht ganz so krass. Allerdings kann ich mich auch noch gut an das wirklich miese Equipment erinnern, mit dem beispielsweise ich meine ersten Gehversuche unternehmen musste. Doch zumindest erfinderisch hat mich jene Zeit auf jeden Fall gemacht, ich musste für meine Gitarre nämlich die Effektpedale selbst anfertigen und auch keine Vorstufen-Verstärker oder so zur Verfügung und dementsprechend klang die Chose dann auch. Es war zwar unheimlich anstrengend, aber immerhin sehr lehrreich.
Nachvollziehbar und auch sehr informativ, da uns Bands wie ihr nicht alle Tage zur Verfügung stehen. Aktuell erweckt es zumindest aber den Anschein, als ob wir von HELL:ON in den nächsten Monaten vermehrt etwas mitbekommen würden.
Das hoffe ich auch! Zuletzt haben wir für „Disaster“ von unserem aktuellen Silberling ein Video gedreht und dieses auch ins Internet gestellt (http://www.youtube.com/watch?v=dDGt2pxEkj8). Und wie schon gesagt sind wir zudem bereits mit Feuereifer am Komponieren von weiteren Songs, deren Ausrichtung wohl noch aggressiver sein wird. Für den Sommer hoffen wir einige Festivals bestreiten zu können und im Herbst sollte dann unsere Europa-Tournee über die Bühne gehen können. Mehr ist dazu leider noch nicht spruchreif, aber ich lassen es euch gerne wissen.
Feine Sache, die wir gerne weiter verbreiten werden. Zuvor aber wollen wir zunächst wie angekündigt Anatolij Kondyuk zu Wort kommen lassen, den Eigentümer des Labels Metal Scrap Records, welchem wir den Genuss von „Age Of Oblivion“ zu verdanken haben. Eugen hatte vor kurzer Zeit die Chance sich mit Anatolij auszutauschen.
Anatolij – erzähl uns etwas zu der Geschichte des Labels:
Die Wurzeln des Labels gehen bis ins Jahr 1993 zurück. Zu der Zeit war ich in die Armee einberufen – als Radiofunker. Die meiste Zeit meiner Arbeit dort, verbrachte ich am Schreibtisch in unterirdischen Bunkern. Dort hatte ich einen Haufen Freizeit und ich begann einen aktiven Briefwechsel mit der Metal Underground Szene. So lerne ich einen Kerl aus Russland kennen, der mir vorgeschlagen hat zusammen Vinyl, Tapes etc. zu verkaufen. Wir tauften das Ganze auf den unbescheidenen Namen „Metal Scarp Corporation“ und ss entstand der erste „Metal Scarp Newsletter“ mit Werbung einiger anderer Metal Verbände und Veranstaltungen. Dadurch kamen wir mit einigen Kunden und einem Haufen neuer Bekannter in Kontakt. Das dauerte jedoch nicht lange und mein Partner verschwand zusammen mit unserer Kohle. Ich habe bis heute nichts mehr von ihm gehört. Obwohl ich innerlich kochte, brodelten gleichzeitig jede Menge neuer Ideen in mir und so erschien 1994 das erste „Metal Scrap Fanzine“, die erste Ausgabe sogar noch handschriftlich! Ein Jahr darauf folgte das erste Tape – die „Metal Scarp Compilation“. Ab diesem Zeitpunkt fingen wir an uns „Metal Scarp Production“ zu nennen, wobei meine Frau Natalie zu meiner neuen und unersetzbaren Partnerin wurde. 1996 veröffentlichen wir das englischsprachige „Horrorvoid“-Fanzine und 1997 wurde das „Metal Scarp“-Fanzine gar zu einem der fünf besten Metal-Veröffentlichungen im gesamten Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gekürt. Bedauerlicherweise hatten wir aber bald keine Zeit mehr, um uns um das Fanzine zu kümmern und stiegen ausschließlich auf den Vertrieb von Tapes um. Veröffentlichungen waren jedoch selten, doch zur damaligen Zeit war das normal. So ging es auch bis 1999 weiter, ehe sich die finanzielle Situation in unserem Land stetig verschlimmerte. 2000 musste ich dann für längere Zeit ins Ausland zu gehen, was natürlich dazu führte, dass die Aktivitäten des Labels in dieser Zeit auf Eis lagen. In die unendlichen Weiten des geliebten Metal-Undergrounds kehrte ich erst 2007 wieder zurück und begann mich auch mit dem Internet auseinander zu setzen. Auf diesem Weg frischte ich auch alte Kontakte auf und knüpfte reichlich neue, wodurch es einfacher war CDs herauszubringen. 2009 tauften wir uns dann auf den Namen „Metal Scrap Records“ um und ein Jahr später gründeten wir die Firma „Total Metal Records“. Seit 2011 sind wir zum größten Metal-Label der Ukraine und auch zu einem der wichtigsten auf dem gesamten Gebiet der ehemaligen UdSSR geworden.
Wie lässt sich das Labelkonzept am besten auf den Punkt bringen?
Ich habe mir von Anfang an einen Leitsatz ausgedacht, an den wir uns bis heute halten: „Nur echter Metal – egal, ob für‘s Ohr oder für die Eier.“ Das kann man ungefähr so verstehen: Uns gefallen alle Richtungen dieser Musik und solange man darin Heavy Metal irgendwie erkennt, respektieren wir diese. Bands im Stil von BON JOVI sind uns demnach genauso wichtig wie brachiale Bands im Stil von CANNIBAL CORPSE. Ich persönlich war jedoch schon immer ein großer Anhänger von Thrash Metal, habe aber nie die Meinung der vielen Thrash Maniacs geteilt, dass beispielsweise MÖTLEY CRÜE Musik für „Schwuchteln“ sei. Meist verstehen sie es einfach nicht, oder wollen es nicht verstehen, aufgrund von irgendwelchen bescheuerten Überzeugungen. Man sollte dem Heavy Metal viel aufgeschlossener begegnen und nicht fanatisch eine einzige Richtung feiern. Natürlich ist das meine subjektive Meinung, doch alle unsere Mitarbeiter teilen sie mit mir.
Wie sucht ihr eure Bands aus? Sollten sie aus dem Bereich Ukraine/Russland stammen?
Im Moment stehen bei uns etwas mehr als 30 Formationen unter Vertrag. Suchen müssen wir sie jedoch nicht, denn es kommen täglich so viele Demos rein, dass wir es gerade so hinkriegen die alle überhaupt zu hören. Größtenteils handelt es sich dabei um Bands aus der Ukraine oder den Nachbarländern Russland und Polen. Warum es Russland ist, ist klar: wir teilen immer noch die gleiche Sprache und Mentalität. Polen dagegen ist geographisch gesehen einfach sehr nahe an unserem Hauptbüro gelegen und außerdem habe ich viele Jahre lang dort gelebt und kenne sowohl die Sprache wie auch die Mentalität ziemlich gut. Eine räumliche Trennung lehnen wir jedoch ab, denn Heavy Metal ist internationale Musik. Aktuell ist es zwar so, dass wir in diesem geographischen Umkreis den höchsten Bekanntheitsgrad haben, es wird nicht mehr viel Zeit vergehen und auch Bands aus Deutschland, Italien, den USA oder Brasilien werden bei uns einsteigen. Wir haben übrigens bereits eine lizensierte Auflage des letzten Albums von EXUMER veröffentlicht und planen für 2013 das gleiche mit ihren beiden vorangegangenen Alben. Nicht zum ersten Mal übrigens, denn schon 1996 hatten ein Tape der deutschen SICK OF SOCIETY rausgebracht. Metal kennt eben keine Grenzen.
So muss das auch sein! Wie funktioniert denn die Zusammenarbeit mit den Bands?
Was wird von euch geboten und verlangt? Der Hauptunterschied zu anderen Independent-Labels ist wohl, dass wir eine Mindestpromotion garantieren und nicht einfach nur die Veröffentlichung des Albums. Bands können sich also sicher sein, dass sie eine bestimmte Zahl von Interviews im Print und Online-Bereich bekommen, Spielzeit im Radio und auch Rezensionen. Wenn es ein Video gibt, helfen wir dabei dieses ausstrahlen zu lassen, verhandeln obendrein aber auch mit Veranstaltern von Konzerten, Touren usw. Eine Band muss diese Dienstleistungen also nicht bei einem weiteren Anbieter kaufen (von denen es in letzter Zeit immer mehr gibt) um auf ein minimales Level zu kommen. Und wenn man sich dann entscheidet einen größeren Schritt zu machen und dieser finanziell auch tragbar ist, helfen wir auch gerne weiter, um eine größere und geeignetere Promo-Agentur zu finden. Unsere Hauptanforderungen sind: eine qualitativ hochwertige Aufnahme, interessante Musik und der Wille nach vorne zu kommen. Im Zusammenhang mit der schlechten Lage auf dem Musikmarkt mussten wir jedoch zuletzt einen weiteren Punkt hinzufügen: Die Band muss von uns einen Teil ihrer Albumauflage kaufen. Dies ist zum einen ein Zeichen, dass sie an ihren Erfolg glaubt und zum anderen eine Art Versicherung für die finanzielle Stabilität des Labels. Ihr wisst ja, wie die Lage in Sachen Musikverkäufen weltweit aussieht.
Wie würdest du die Metal-Szene in der Ukraine und Russland beschreiben?
Worin bestehen die markantesten Unterschiede zum „Rest“ Europas? Der Unterschied ist im Vergleich riesig. Unser Musikmarkt ist stark unterentwickelt, obwohl die Szene an sich groß ist. Es existiert jedoch kaum Infrastruktur, wie z.B. gut organisierte Festivals, Clubs, Fernsehen und Promotion an sich. Underground-Gigs werden immer schlechter besucht, und nicht nur die. Ein Drama, das hier in der Ukraine besonders bitter ist. Dazu kommt noch das Internet, das aus leidenschaftlichen Musikfans „MP3 Zombies“ gemacht hat und die Freude des Besuchs eines Konzerts durch Youtube ersetzt hat. Natürlich verdirbt man so keinen wahren Feinschmecker, doch davon gibt es meiner Meinung nach nicht mehr viele.
Das jedoch ist kein wirklich „regionales“ Problem. International bekannte Bands aus euer Region gibt es leider nicht viele. Woran liegt das?
Wir haben zwar viele Talente, doch für die es sehr schwierig bis zu Euch durchzudringen. Zunächst einmal werden Bands aus dem Osten im Westen ledier grundsätzlich gar nicht so gerne aufgenommen und außerdem ist euer eigener Markt schon überfüllt genug. Zur „Eistellungssache“ in Sachen hiesiger Bands hat Nuclear Blast-Chef Markus Staiger einmal gesagt, „Es ist einfacher die schäbigste Band aus Norwegen rauszubringen, als eine gute aus Russland.“ Abgesehen davon fehlt es unseren Bands hier einfach am Geld, das für Promotion benötigt wird, um bis weit in den Westen durchzudringen.
Mit welchen Problemen bist du mit deinem Label schon konfrontiert worden? Korruption? Intoleranz?
Zu Korruption ist es zum Glück bislang noch nicht gekommen, das liegt wohl alles noch vor uns. Fakt ist, dass je größer ein Unternehmen wird, umso mehr falsche Leute zieht es an, die davon irgendwie profitieren möchten. Zumindest ist es bei uns so. In unserem Land ist ja die Regierung selbst ein Blutegel, der die Leute „leersaugt“. Wir sind für die jedoch ein zu kleiner Fisch, da schnappt man sichdoch lieber die fetten. Mit Missgunst und Neidern, die einem den Erfolg nicht gönnen, ist man jedoch sehr wohl konfrontiert. Zum Glück aber sind es doch nicht so viele, die einem schaden wollen. Wichtig ist aber, diese Blutegel können rechtzeitig zu finden finden und in ein Einmachglas zu stecken, haha.
Kooperiert ihr auch mit Labels und Promotern aus dem Ausland?
Aber natürlich, wie denn sonst? In diesem Business geht es gar nicht anders. Wir haben sehr viele Partner auf der ganzen Welt und ein großes Distributionsnetz aufgebaut. Unsere Produkte kann man mittlerweile in Mexico und Japan, aber auch auf Hawaii kaufen. Das sind elementare Bestandteile, ohne die ein Label nicht funktionieren kann.
Wie hart ist eigentlich das Geschäft?
Die Ukraine ist ein armes Land und es ist verdammt schwierig Geld durch CD-Verkäufe zu verdienen und obendrein gibt es einen riesigen Piratenmarkt. Da sagst es! CDs verkaufen wir hier so gut wie gar nicht. 90 % unserer Veröffentlichungen werden wir in anderen Teilen der Welt los. In Russland ist die Situation zwar ein wenig besser, wenn auch nicht viel. Die Leute werden schon bald vergessen, wie eine CD aussieht, was ich sehr traurig finde. Die Piraterie in der Ukraine läuft meist über das Internet, wobei die gefälschten CDs, die bei uns verkauft werden, größtenteils in Russland hergestellt werden. Es gibt in letzter Zeit jedoch verschärfte Kontrollen und die Fabriken scheuen mittlerweile auch schon davor zurück solches Zeug zu produzieren. Im letzten Jahr sind uns sogar einige Fälschungen deutschen Band aufgefallen. Die Verkaufs-Rechte dafür hatte ein russisches Partnerlabel von uns, die den Fälscher (ebenso aus Russland) ziemlich schnell gefunden haben und nach einer Reihe von „Maßnahmen zur Besserung“ , die man an ihm durchführte, hat er versprochen hat nie wieder unartig zu sein.
Mehr wollen wir dazu erst gar nicht wissen, Danke. Erzähl uns stattdessen bitte noch etwas von deinem persönlichen Hintergrund.
Bevor ich den Underground kennenlernen durfte, war mein Wissen logischerweise stark begrenzt, denn man hörte höchstens hier und da mal was. Als ich 12 oder 13 Jahre alt war, fing ich aber an meine eigenen Fanzines in Schulheften herzustellen, in dem ich Bilder und Textausschnitte meiner Lieblingsbands hinein klebte. Natürlich bekam sie außer mir und einigen Freunden sonst niemand zu sehen. Als ich später dann irgendwann ein Magazin veröffentlichte, das man in Russland, Weißrussland und anderen Nachbarländern las, wurde ein Traum für mich wahr! Ein Labelchef zu werden war jedoch der absolute Höhepunkt meiner Jugendträume, obwohl ich damals noch nicht einmal genau wusste, wie das, was ich da tat, überhaupt hieß. Das Ganze vom Hobby zu Beruf zu machen war ein riskanter Schritt – doch es gab keinen anderen Weg. Alles oder Nichts, denn ich wollte kein halbgares Label, eines unter tausenden führen. Die Menschen, die jetzt mit mir arbeiten sind wenige, für mich aber fast wie eine Familie. Wir arbeiten uns sprichwörtlich die Ärsche ab – von morgens bis tief in die Nacht wenn es sein muss, denn jede unserer Bands erfordert viel Aufmerksamkeit. Wie ein kleines Kind, das seine Pflege braucht. Doch es gefällt uns, ihre „Eltern“ zu spielen.
Das mit der Zuwendung, der Pflege und der Aufmerksamkeit klappt scheinbar ganz gut, wie ihr im Interview mit seinen Schützlingen HELL:ON erfahren durftet. Zuletzt haben diese Jungs mit „Age Of Oblivion“ ein amtliches Brett abgeliefert, dass unmissverständlich darauf hindeutet, dass herber Thrash Metal sehr wohl auch in bis dato dafür noch nicht wirklich bekannten Regionen wie der Ukraine bestens gedeiht und das trotz des Umstandes, dass es in früheren Tagen für Musiker verdammt schwierig gewesen ist der Vorliebe für derlei Klänge nachgehen zu können.
Doch nicht nur HELL:ON sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Szene entwickeln konnte. Auch die an sich in Köln beheimateten PRIPJAT, die sich nach der durch den Reaktorunfall von Tschernobyl zur „Geisterstadt“ gewordenen Arbeiterstadt benannten, haben einige wissenswerte und überaus interessante Details dazu auf Lager. Das Wort bleibt also bei meinem Kollegen Eugen, der – ebenso ursprünglich aus der Ukraine stammend wie sein Bandkollege Kirill Gromada – jedoch als Gitarrist der Band diesmal auf „die andere Seite“ wechseln musste und Antworten von sich zu geben hatte.
Wann seid ihr nach Deutschland gekommen?
Ich war 10, Kirill schon etwas älter. Da er aber jünger ist als ich, kamen wir ziemlich zeitgleich an. Wir sind also schon eine Weile hier und fühlen uns wohler als irgendwo sonst.
Wie seid ihr beiden eigentlich zusammengekommen, um eine Band zu gründen?
Hehe – das ist fast schon ein Klischee. Ich kannte Kirill bis vor der Bandgründung nicht, obwohl wir beide aus Kiew kommen. Ab und an bin ich ihm in Köln beim Feiern über den Weg gelaufen. Bei einem dieser „bierlastigen“ Treffen quatschte er mich an, ob ich nicht ein Instrument spielen würde und das tat ich tatsächlich. Als er mir dann mit „Lass uns mal `ne Thrash-Band gründen!“ ankam, hab ich ihn nicht ganz für voll genommen, ging aber trotzdem in den Proberaum, einfach um zu schauen was passiert. Und es passierte direkt eine Menge! Da waren zwar nur Kirill, Bobo, unser Drummer und ich, doch schon nach einer Stunde stand der erste Song „Liquidators“ – auch wenn dieser noch keinen Namen hatte. Ebenso wenig wie die Band selbst. Aber das Riffen ging uns so locker von der Hand – wir standen nur da, zockten und grinsten uns ununterbrochen an. Das schönste Gefühl, das eine junge Band nur haben kann.
Weshalb der ungewöhnliche wie unmissverständliche Bandname?
Oh, Missverständnisse gibt’s dazu genug, oder zumindest Unverständnis. Ich muss zugeben, dass mich die Tschernobyl-Thematik schon immer stark fasziniert und betroffen hat – eigentlich schon vor meiner Geburt, denn der Reaktor explodierte kurz davor. Meine Mutter hatte natürlich große Angst, denn Kiew liegt weniger als 100 km vom Kraftwerk entfernt und die Behörden hatten damals schön auf stumm geschaltet und die Menschen dadurch logischerweise total verunsichert. Also flog sie zu ihrer Verwandtschaft nach St. Petersburg, wo ich dann geboren wurde, obwohl das nicht so geplant war. Nicht zuletzt deshalb hat mich das ganze Thema wohl auch weiterhin stark fasziniert. Und übrigens: wenn ihr jemals in Kiew sein solltet, besucht unbedingt das Tschernobyl-Museum, es ist schön und bedrückend zugleich. Was die Wahl des Bandnamens angeht, hatte ich eine Liste mit Namen in den Proberaum geschleppt und wir einigten uns auf PRIPJAT, da das einfach in jeder Hinsicht passte. Die Hälfte der Band stammt aus der Ukraine und atomare Explosionen und Geisterstädte erschienen auch passend für Heavy Metal. Auf Platz zwei der Liste stand übrigens NUCLEAR CHAINSAW, jedoch haben wir bald entdeckt, dass es eine Band dieses Namens schon in Italien gibt und die sehen nicht nur genauso aus wie wir, die Jungs machen dazu auch noch Thrash Metal!. Metaller sind offenbar überall auf dieser Welt gleich bescheuert, haha.
Hattet ihr im Sinn die Metal-Fans hierzulande noch einmal und auf diese Weise auf diese Tragödie aufmerksam zu machen?
Ja, absolut. Immerhin haben wir den Reaktorturm im Bandlogo. Wir sehen uns natürlich nicht als eine Umweltschutzorganisation, aber mir persönlich war es schon wichtig dieses vergessene Thema wenigstens ein bisschen ins Gespräch zu bringen. Wir haben gleich drei Songs, die sich unmittelbar mit der Katastrophe beschäftigen. „Liquidators“ erzählt die Geschichte der zum Tode verurteilten Helfer, die in den ersten Stunden der Reaktorexplosion geholfen haben. Diese armen Schweine mussten brennendes Graphit barhändig vom Dach schaufeln. Die durften da für 10 Sekunden hoch, schmissen einen Brocken runter und rannten zurück. Und das war auch schon das Todesurteil. Kein Wunder, dass die erste Schicht wenige Wochen später an den Auswirkungen der Strahlen verstarb. Sehr viele weitere folgten, auch wenn die genauen Zahlen bis heute Staatsgeheimnis sind, obwohl es die Sowjetunion lange nicht mehr gibt. Im Song „Acid Rain“ geht es um Weißrussland. Dort hat man damals wegen der Windrichtung das meiste an Strahlung abbekommen und wurde damit allein gelassen. Da wurde teilweise meilenweit Erde aufgeschüttet, um das kontaminierte Zeug unten zu halten. „Sons of Tschernobyl“ schließlich handelt von der Generation nach dem Unfall, also von uns. Wir haben immerhin das Glück keine offensichtlichen Schäden abbekommen zu haben, doch bei vielen Menschen ist das ganz anders. Mich würde Krebs nicht wundern. Reaktorunglücke sind schließlich kein Ponyhof.
Eurer Thrash-Metal kommt generell mit Message rüber – war das von Beginn an eine Intention?
Ja, ich denke schon. Wir sind aber nicht wirklich durchwegs ernste Zeitgenossen. Die meiste Zeit über haben wir einfach sehr viel Spaß zusammen, lachen und machen Quatsch. Auf der Bühne wollen wir aber etwas fühlen und das geht nun mal nicht mit Songs über Bier und Titten – obwohl beides großartige Themen sind, haha. Wir spielen sehr aggressive Musik und dazu braucht man einfach passende Texte. Ich mag Bands mit belanglosen Lyrics nicht. Klar, dass nicht jeder versteht, was Kirill ihm da entgegenbrüllt, aber es ist doch immer geil, wenn man die Musik einer Band mag und bei näherer Beschäftigung merkt, dass die sich den Kopf über den Inhalt ihrer Songs zerbrochen haben. Trotzdem haben wir auch Spaß-Songs wie „Toxic“ am Start, in dem es um den Spaß auf der Bühne, das Übertragen der Energie auf die Fans und das gemeinsame „völlig am Rad drehen“ geht.
Bestehen Kontakte zu Bands in der Ukraine?
Leider nicht. Wir sind als Band ja noch relativ neu und setzen aktuell 100% auf das Live-Spielen. Daher haben wir erst mal auch überwiegend Kontakt zu deutschen Bands, obwohl wir auch schon sehr viele, nette Musiker aus anderen Ländern kennengelernt haben. Wir zählen uns jedoch weder zur deutschen, noch zur ukrainischen Szene, sondern einfach zu den Thrashern dieser Welt. Genau, wir machen „Global Metal“!
Seid ihr mit den Resonanzen auf euer Demo zufrieden gewesen?
Oh ja, das war großartig. Wir haben das Glück, dass sich Kirill gut mit den Themen Sound und Produktion auskennt und so hat er uns auch einen mehr als nur passablen Sound gebastelt, für ein Demo zumindest. Für diese haben wir in der Tat durchwegs positive Beurteilungen bekommen. Die Highlights waren natürlich die Reviews auf metal.de, im LEGACY-Magazin und, dass uns sogar ROCK HARD- Chef Götz sein Wohlwollen ausgesprochen hat. Für so ein Vier-Track-Ding ganz ordentlich.
Wie sieht es denn mit einem Nachfolger für „Liquidators“ aus?
Auch da sieht es – dank Kirill – ziemlich gut aus, denn er macht im Moment eine Ausbildung im „Golden Factory“-Studio in Köln und wir durften dieses für unsere Aufnahmen mitbenutzen. Unser Debüt „Sons Of Tschernobyl“ ist daher auch schon weitestgehend im Kasten und knallt jetzt schon ordentlich, haha. Wir müssen uns auf keine Verträge einlassen und werden alles im Alleingang erledigen, worauf wir sehr stolz sind. Wir hoffen, dass es spätestens im Winter soweit sein wird und wir mit dem Album startklar sein können. Ob wir es dann selbst promoten oder nicht, steht aber noch nicht fest. Sollte sich also jemand angesprochen fühlen und Interesse haben – wir hören uns gerne jedes Angebot an. Bis dahin gibt es aber Wichtigeres zu tun, nämlich die Bühnen dieser Welt abzurocken! In diesem Sinne Leute: „Thrash Till Death“ – wir sehen uns im Pit!
Und wir wünschen PRIPJAT dafür ebenso viel Glück wie selbstredend auch HELL:ON und bedanken uns auch bei beiden Bands auch ganz herzlich für diese Bestandsaufnahmen.