Thrash Metal in der Ukraine
Eine Bestandsaufnahme
Special
Feine Sache, die wir gerne weiter verbreiten werden. Zuvor aber wollen wir zunächst wie angekündigt Anatolij Kondyuk zu Wort kommen lassen, den Eigentümer des Labels Metal Scrap Records, welchem wir den Genuss von „Age Of Oblivion“ zu verdanken haben. Eugen hatte vor kurzer Zeit die Chance sich mit Anatolij auszutauschen.
Anatolij – erzähl uns etwas zu der Geschichte des Labels:
Die Wurzeln des Labels gehen bis ins Jahr 1993 zurück. Zu der Zeit war ich in die Armee einberufen – als Radiofunker. Die meiste Zeit meiner Arbeit dort, verbrachte ich am Schreibtisch in unterirdischen Bunkern. Dort hatte ich einen Haufen Freizeit und ich begann einen aktiven Briefwechsel mit der Metal Underground Szene. So lerne ich einen Kerl aus Russland kennen, der mir vorgeschlagen hat zusammen Vinyl, Tapes etc. zu verkaufen. Wir tauften das Ganze auf den unbescheidenen Namen „Metal Scarp Corporation“ und ss entstand der erste „Metal Scarp Newsletter“ mit Werbung einiger anderer Metal Verbände und Veranstaltungen. Dadurch kamen wir mit einigen Kunden und einem Haufen neuer Bekannter in Kontakt. Das dauerte jedoch nicht lange und mein Partner verschwand zusammen mit unserer Kohle. Ich habe bis heute nichts mehr von ihm gehört. Obwohl ich innerlich kochte, brodelten gleichzeitig jede Menge neuer Ideen in mir und so erschien 1994 das erste „Metal Scrap Fanzine“, die erste Ausgabe sogar noch handschriftlich! Ein Jahr darauf folgte das erste Tape – die „Metal Scarp Compilation“. Ab diesem Zeitpunkt fingen wir an uns „Metal Scarp Production“ zu nennen, wobei meine Frau Natalie zu meiner neuen und unersetzbaren Partnerin wurde. 1996 veröffentlichen wir das englischsprachige „Horrorvoid“-Fanzine und 1997 wurde das „Metal Scarp“-Fanzine gar zu einem der fünf besten Metal-Veröffentlichungen im gesamten Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gekürt. Bedauerlicherweise hatten wir aber bald keine Zeit mehr, um uns um das Fanzine zu kümmern und stiegen ausschließlich auf den Vertrieb von Tapes um. Veröffentlichungen waren jedoch selten, doch zur damaligen Zeit war das normal. So ging es auch bis 1999 weiter, ehe sich die finanzielle Situation in unserem Land stetig verschlimmerte. 2000 musste ich dann für längere Zeit ins Ausland zu gehen, was natürlich dazu führte, dass die Aktivitäten des Labels in dieser Zeit auf Eis lagen. In die unendlichen Weiten des geliebten Metal-Undergrounds kehrte ich erst 2007 wieder zurück und begann mich auch mit dem Internet auseinander zu setzen. Auf diesem Weg frischte ich auch alte Kontakte auf und knüpfte reichlich neue, wodurch es einfacher war CDs herauszubringen. 2009 tauften wir uns dann auf den Namen „Metal Scrap Records“ um und ein Jahr später gründeten wir die Firma „Total Metal Records“. Seit 2011 sind wir zum größten Metal-Label der Ukraine und auch zu einem der wichtigsten auf dem gesamten Gebiet der ehemaligen UdSSR geworden.
Wie lässt sich das Labelkonzept am besten auf den Punkt bringen?
Ich habe mir von Anfang an einen Leitsatz ausgedacht, an den wir uns bis heute halten: „Nur echter Metal – egal, ob für‘s Ohr oder für die Eier.“ Das kann man ungefähr so verstehen: Uns gefallen alle Richtungen dieser Musik und solange man darin Heavy Metal irgendwie erkennt, respektieren wir diese. Bands im Stil von BON JOVI sind uns demnach genauso wichtig wie brachiale Bands im Stil von CANNIBAL CORPSE. Ich persönlich war jedoch schon immer ein großer Anhänger von Thrash Metal, habe aber nie die Meinung der vielen Thrash Maniacs geteilt, dass beispielsweise MÖTLEY CRÜE Musik für „Schwuchteln“ sei. Meist verstehen sie es einfach nicht, oder wollen es nicht verstehen, aufgrund von irgendwelchen bescheuerten Überzeugungen. Man sollte dem Heavy Metal viel aufgeschlossener begegnen und nicht fanatisch eine einzige Richtung feiern. Natürlich ist das meine subjektive Meinung, doch alle unsere Mitarbeiter teilen sie mit mir.
Wie sucht ihr eure Bands aus? Sollten sie aus dem Bereich Ukraine/Russland stammen?
Im Moment stehen bei uns etwas mehr als 30 Formationen unter Vertrag. Suchen müssen wir sie jedoch nicht, denn es kommen täglich so viele Demos rein, dass wir es gerade so hinkriegen die alle überhaupt zu hören. Größtenteils handelt es sich dabei um Bands aus der Ukraine oder den Nachbarländern Russland und Polen. Warum es Russland ist, ist klar: wir teilen immer noch die gleiche Sprache und Mentalität. Polen dagegen ist geographisch gesehen einfach sehr nahe an unserem Hauptbüro gelegen und außerdem habe ich viele Jahre lang dort gelebt und kenne sowohl die Sprache wie auch die Mentalität ziemlich gut. Eine räumliche Trennung lehnen wir jedoch ab, denn Heavy Metal ist internationale Musik. Aktuell ist es zwar so, dass wir in diesem geographischen Umkreis den höchsten Bekanntheitsgrad haben, es wird nicht mehr viel Zeit vergehen und auch Bands aus Deutschland, Italien, den USA oder Brasilien werden bei uns einsteigen. Wir haben übrigens bereits eine lizensierte Auflage des letzten Albums von EXUMER veröffentlicht und planen für 2013 das gleiche mit ihren beiden vorangegangenen Alben. Nicht zum ersten Mal übrigens, denn schon 1996 hatten ein Tape der deutschen SICK OF SOCIETY rausgebracht. Metal kennt eben keine Grenzen.
So muss das auch sein! Wie funktioniert denn die Zusammenarbeit mit den Bands?
Was wird von euch geboten und verlangt? Der Hauptunterschied zu anderen Independent-Labels ist wohl, dass wir eine Mindestpromotion garantieren und nicht einfach nur die Veröffentlichung des Albums. Bands können sich also sicher sein, dass sie eine bestimmte Zahl von Interviews im Print und Online-Bereich bekommen, Spielzeit im Radio und auch Rezensionen. Wenn es ein Video gibt, helfen wir dabei dieses ausstrahlen zu lassen, verhandeln obendrein aber auch mit Veranstaltern von Konzerten, Touren usw. Eine Band muss diese Dienstleistungen also nicht bei einem weiteren Anbieter kaufen (von denen es in letzter Zeit immer mehr gibt) um auf ein minimales Level zu kommen. Und wenn man sich dann entscheidet einen größeren Schritt zu machen und dieser finanziell auch tragbar ist, helfen wir auch gerne weiter, um eine größere und geeignetere Promo-Agentur zu finden. Unsere Hauptanforderungen sind: eine qualitativ hochwertige Aufnahme, interessante Musik und der Wille nach vorne zu kommen. Im Zusammenhang mit der schlechten Lage auf dem Musikmarkt mussten wir jedoch zuletzt einen weiteren Punkt hinzufügen: Die Band muss von uns einen Teil ihrer Albumauflage kaufen. Dies ist zum einen ein Zeichen, dass sie an ihren Erfolg glaubt und zum anderen eine Art Versicherung für die finanzielle Stabilität des Labels. Ihr wisst ja, wie die Lage in Sachen Musikverkäufen weltweit aussieht.
Wie würdest du die Metal-Szene in der Ukraine und Russland beschreiben?
Worin bestehen die markantesten Unterschiede zum „Rest“ Europas? Der Unterschied ist im Vergleich riesig. Unser Musikmarkt ist stark unterentwickelt, obwohl die Szene an sich groß ist. Es existiert jedoch kaum Infrastruktur, wie z.B. gut organisierte Festivals, Clubs, Fernsehen und Promotion an sich. Underground-Gigs werden immer schlechter besucht, und nicht nur die. Ein Drama, das hier in der Ukraine besonders bitter ist. Dazu kommt noch das Internet, das aus leidenschaftlichen Musikfans „MP3 Zombies“ gemacht hat und die Freude des Besuchs eines Konzerts durch Youtube ersetzt hat. Natürlich verdirbt man so keinen wahren Feinschmecker, doch davon gibt es meiner Meinung nach nicht mehr viele.
Das jedoch ist kein wirklich „regionales“ Problem. International bekannte Bands aus euer Region gibt es leider nicht viele. Woran liegt das?
Wir haben zwar viele Talente, doch für die es sehr schwierig bis zu Euch durchzudringen. Zunächst einmal werden Bands aus dem Osten im Westen ledier grundsätzlich gar nicht so gerne aufgenommen und außerdem ist euer eigener Markt schon überfüllt genug. Zur „Eistellungssache“ in Sachen hiesiger Bands hat Nuclear Blast-Chef Markus Staiger einmal gesagt, „Es ist einfacher die schäbigste Band aus Norwegen rauszubringen, als eine gute aus Russland.“ Abgesehen davon fehlt es unseren Bands hier einfach am Geld, das für Promotion benötigt wird, um bis weit in den Westen durchzudringen.
Mit welchen Problemen bist du mit deinem Label schon konfrontiert worden? Korruption? Intoleranz?
Zu Korruption ist es zum Glück bislang noch nicht gekommen, das liegt wohl alles noch vor uns. Fakt ist, dass je größer ein Unternehmen wird, umso mehr falsche Leute zieht es an, die davon irgendwie profitieren möchten. Zumindest ist es bei uns so. In unserem Land ist ja die Regierung selbst ein Blutegel, der die Leute „leersaugt“. Wir sind für die jedoch ein zu kleiner Fisch, da schnappt man sichdoch lieber die fetten. Mit Missgunst und Neidern, die einem den Erfolg nicht gönnen, ist man jedoch sehr wohl konfrontiert. Zum Glück aber sind es doch nicht so viele, die einem schaden wollen. Wichtig ist aber, diese Blutegel können rechtzeitig zu finden finden und in ein Einmachglas zu stecken, haha.
Kooperiert ihr auch mit Labels und Promotern aus dem Ausland?
Aber natürlich, wie denn sonst? In diesem Business geht es gar nicht anders. Wir haben sehr viele Partner auf der ganzen Welt und ein großes Distributionsnetz aufgebaut. Unsere Produkte kann man mittlerweile in Mexico und Japan, aber auch auf Hawaii kaufen. Das sind elementare Bestandteile, ohne die ein Label nicht funktionieren kann.
Wie hart ist eigentlich das Geschäft?
Die Ukraine ist ein armes Land und es ist verdammt schwierig Geld durch CD-Verkäufe zu verdienen und obendrein gibt es einen riesigen Piratenmarkt. Da sagst es! CDs verkaufen wir hier so gut wie gar nicht. 90 % unserer Veröffentlichungen werden wir in anderen Teilen der Welt los. In Russland ist die Situation zwar ein wenig besser, wenn auch nicht viel. Die Leute werden schon bald vergessen, wie eine CD aussieht, was ich sehr traurig finde. Die Piraterie in der Ukraine läuft meist über das Internet, wobei die gefälschten CDs, die bei uns verkauft werden, größtenteils in Russland hergestellt werden. Es gibt in letzter Zeit jedoch verschärfte Kontrollen und die Fabriken scheuen mittlerweile auch schon davor zurück solches Zeug zu produzieren. Im letzten Jahr sind uns sogar einige Fälschungen deutschen Band aufgefallen. Die Verkaufs-Rechte dafür hatte ein russisches Partnerlabel von uns, die den Fälscher (ebenso aus Russland) ziemlich schnell gefunden haben und nach einer Reihe von „Maßnahmen zur Besserung“ , die man an ihm durchführte, hat er versprochen hat nie wieder unartig zu sein.
Mehr wollen wir dazu erst gar nicht wissen, Danke. Erzähl uns stattdessen bitte noch etwas von deinem persönlichen Hintergrund.
Bevor ich den Underground kennenlernen durfte, war mein Wissen logischerweise stark begrenzt, denn man hörte höchstens hier und da mal was. Als ich 12 oder 13 Jahre alt war, fing ich aber an meine eigenen Fanzines in Schulheften herzustellen, in dem ich Bilder und Textausschnitte meiner Lieblingsbands hinein klebte. Natürlich bekam sie außer mir und einigen Freunden sonst niemand zu sehen. Als ich später dann irgendwann ein Magazin veröffentlichte, das man in Russland, Weißrussland und anderen Nachbarländern las, wurde ein Traum für mich wahr! Ein Labelchef zu werden war jedoch der absolute Höhepunkt meiner Jugendträume, obwohl ich damals noch nicht einmal genau wusste, wie das, was ich da tat, überhaupt hieß. Das Ganze vom Hobby zu Beruf zu machen war ein riskanter Schritt – doch es gab keinen anderen Weg. Alles oder Nichts, denn ich wollte kein halbgares Label, eines unter tausenden führen. Die Menschen, die jetzt mit mir arbeiten sind wenige, für mich aber fast wie eine Familie. Wir arbeiten uns sprichwörtlich die Ärsche ab – von morgens bis tief in die Nacht wenn es sein muss, denn jede unserer Bands erfordert viel Aufmerksamkeit. Wie ein kleines Kind, das seine Pflege braucht. Doch es gefällt uns, ihre „Eltern“ zu spielen.
Das mit der Zuwendung, der Pflege und der Aufmerksamkeit klappt scheinbar ganz gut, wie ihr im Interview mit seinen Schützlingen HELL:ON erfahren durftet. Zuletzt haben diese Jungs mit „Age Of Oblivion“ ein amtliches Brett abgeliefert, dass unmissverständlich darauf hindeutet, dass herber Thrash Metal sehr wohl auch in bis dato dafür noch nicht wirklich bekannten Regionen wie der Ukraine bestens gedeiht und das trotz des Umstandes, dass es in früheren Tagen für Musiker verdammt schwierig gewesen ist der Vorliebe für derlei Klänge nachgehen zu können.
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