Metallica
The Struggle Within – Die Lyrics des “Black Album”

Special

Waren METALLICA auf ihrem ersten Album “Kill ‘Em All” textlich noch von typischer T(h)rash-Lyrik à la EXODUS über Mosphits, Partys und Satan geprägt, entwickelte sich der junge James Hetfield ab einschließlich “Ride The Lightning” zu einem Qualitäts-Texter mit einer originellen Stimme. Ihren Zenit erreichte seine Arbeit mit den eindringlichen politischen Statements der “Master Of Puppets”/“… And Justice For All”-Ära. Immerhin kann jeder Metalfan, ganz gleich, ob er oder sie die Band mag, in der Disse bierselig zu “Battery” oder “One” mitsingen und damit ein Stück weit Metal-Geschichte zelebrieren. Dass Hetfields Texte in der Zenitphase METALLICAs nicht unerheblich Anteil am Erfolg der Band gehabt haben dürften, wird dabei gern übersehen.

Turning Point: “Black Album”

Das selbstbetitelte METALLICA-Album von ‘91 stellt in gewisser Weise einen Scheitelpunkt für Hetfields weitere textliche Arbeit dar. Denn ähnlich wie die Musik der Band wandelte sich auch der lyrische Stil hin zu einem zugänglicheren, umgangssprachlicheren und insgesamt bodenständigeren Ansatz, der später die beiden “Load”-Teile dominierte. Auf “Metallica” stehen die Texte daher noch etwas zwischen den Stühlen.

Wobei sich eindeutig bemerkbar macht, dass James Hetfield nun begann, verstärkt über Themen seiner persönlichen Biografie zu schreiben als über Politik- und Gesellschaftskritik. Der frühe Krebstod seiner Mutter, die religiöse Borniertheit seiner Familie, Verlust, Trauer, Ängste und Unsicherheit werden auf “Metallica” thematisiert. Erstmals präsentiert sich James als verletzlicher, gereifter Mann und lässt etwas von seinem bis daher geradezu unantastbaren Frontmann-Image ab.

METALLICA goes zerbrechliche Intimität

Der Signature-Song und Opener des Albums “Enter Sandman” ist dabei einer der ikonischsten Texte in der gesamten Karriere von Hetfield und METALLICA. Die Perspektive wechselt zwischen Aussagen der Eltern und den Empfindungen des Kindes und stellt das Spannungsfeld zwischen durch die Familie vermittelte Glaubenssätze und kindliche Angsterfahrungen dar. Wie auch bei E. T. A. Hoffmann symbolisiert der Sandmann hier keine süßen Träume, sondern die Schrecken der Nacht; für Kinder oft nicht rational nachvollziehbare Traumata. Ähnlich wie in anderen Texten Hetfields schimmert immer wieder die biografisch geprägte Frustration darüber durch, dass Eltern ihre Kinder nicht vor allen Schrecken bewahren können (und wollen).


Ein ähnliches Thema, wenn auch von komplett anderem Blickwinkel, macht “The God That Failed” auf. ‘Der Gott, der versagte’ ist der christliche Gott, an den Hetfields Mutter so unerschütterlich glaubte, dass die Angehörige der “Christian Scientists”-Sekte trotz qualvoller Schmerzen und Brustkrebs im Endstadium jegliche Behandlung ihrer Krankheit ablehnte: “Find your peace, find your say / Find the smooth road on your way / Trust you gave, a child to save / Left you cold and him in grave”. Aus dieser Frustration und Wut heraus entsteht die gallige Anklage in Richtung korrumpierter Religionsführer mit dem Song “Holier Than Thou”.

James Hetfield 2019

Dieses Thema schneidet auch der Jahrhundertsong “The Unforgiven” an: “They dedicate their lives to running all of his / He tries to please them all, this bitter man he is / Throughout his life the same, he’s battled constantly / This fight he cannot win, a tired man they see no longer cares”. Auf einer weiteren Ebene stellt der Song zudem einen jungen Menschen dar, der sich aufgrund der Unfähigkeit oder des Unwillens sich den Regeln der übrigen Welt zu unterwerfen, in sich selbst zurückzieht und der Welt eine Absage erteilt – auch darin können wir James Hetfield selbst wiederfinden. Die weiterführende Frage nach Platz und Ordnung der Menschheit im kosmischen Ganzen stellt wiederum das thrashige “Through The Never”.

… mit dem ersten METALLICA-Liebeslied

So kommt es auch, dass der bekannte (und endgültig totgespielte) Welthit “Nothing Else Matters” das erste, textlich beinahe schon traditionell-romantische Liebeslied von METALLICA darstellt. James schrieb das Lied auf Tour für seine damalige Freundin und plante ursprünglich nicht mal, es für METALLICA zu verwenden. Obwohl der Song kaum mehr zu ertragen ist, muss man doch nach 30 Jahren immer noch sagen, dass der zugehörige Text ein auffallend schönes, kitschfreies und ehrliches Bekenntnis zur besseren Hälfte ist: “Trust I seek, and I find in you / Everyday for us something new / Open mind for a different view.”

Voraussetzung dafür dürften Empfindungen sein, wie sie Hetfield in “Wherever I May Roam” darstellt. Der Song beschreibt nomadisches, vagabundierendes Leben, das Klischee “the road becomes my bride” wird nicht ausgespart. Zwar beschreibt der Text eher eine klassische Einsamer-Wolf-Thematik und Freiheitsliebe, doch dürften die langen und strapaziösen Touren auf der Höhe des METALLICA-Erfolges dazu beigetragen haben, solche Gefühle zu entwickeln. “And the Earth becomes my throne / I adapt to the unknown / Under wandering stars I’ve grown / By myself but not alone” klingt schon sehr nach James Hetfield daselbst. Die Mentalität des Einzelkämpfers, der irritiert-passiv die Welt mehr beobachtet, als sie zu gestalten, thematisiert auch der musikalisch ähnlich gelagerte Track “My Friend Of Misery”. Irgendwo zwischen all diese Stühle passt zudem das eher unspektakulär betextete “The Struggle Within”, das relativ allgemein mentale und psychische Schlachten thematisiert und sich auf Angststörung oder Depression beziehen könnte.

Schwarzes Album, schwarze Texte

Optimismus oder Fröhlichkeit findet sich daher in den Lyrics von “Metallica” weniger. Wenn in “Sad But True” die dunkle Hälfte der Persönlichkeit eines Menschen Kontrolle über ihn übernimmt und in “Of Wolf And Man” angeregt durch den Roman “Wolfsbrut” von Whitley Strieber auf übertragener Ebene das Werwolfs-Motiv aufgearbeitet wird, könnte man denken, James Hetfields damalige Geisteswelt bestehe im Wesentlichen aus nicht überwundenen Kindheitstraumata und einer sehr misanthropischen Sichtweise auf die Gesellschaft. Der Grundtenor der Lyrik dieses Albums passt hingegen zur bereits vorher von METALLICA begründeten Tradition, Worte zu wählen, die schonungslos unter die Haut gehen (“Ride The Lightning”, “Fade To Black”, “Disposable Heroes”, “Dyers Eve”, “One”).

Strugglet within: James Hetfield, Cheftexter im Hause METALLICA.

Konträr zur Musik ist “Metallica” ein durch und durch abgründiges, dunkles Album. Die von Bob “Mötley Crüe” Rock besorgte, radiotaugliche Produktion und die allgemeine Entschlackung der Songstrukturen gehen jedoch mit einem neuen rhetorischen Ansatz einher, die Sprache basischer, offener und zugänglicher zu gestalten. Fremdkontrolle war das dominierende Thema auf “Master Of Puppets”, (Un-)Gerechtigkeit auf dem Nachfolger “… And Justice For All”. Müsste man ein Oberthema für “Metallica” finden, könnte man es mit der “Fragilität des Selbst” auf einen philosophischen Nenner bringen. Ein Duktus, der auf den folgenden Alben noch tiefgehender, aber auch mitunter kryptischer ausgebaut werden sollte …

Quelle: James Hetfield - Lyrics zu "Metallica" / Konzertfotos: Thomas von Schaewen (metal.de)
19.08.2021

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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