Tenside - The Defiled
Der Vergleich
Special
Immer diese furchtbaren Konsumentscheidungen, welche Cornflakes nehme ich denn? „Die Besten aus der Stadt“ oder doch lieber „Die Besten aus der Gegend“? Auch die Musikwelt hat sich geändert, neuer Input ist massig vorhanden und auch zahlreiche kleine Bands nutzen die komfortablen Vertriebsmöglichkeiten über das Internet. Wir freuen uns natürlich über die Flut an Veröffentlichung, aber gleichzeitig stellt sich auch eine gewisse Überforderung ein und wer nicht gerade ein direkter Verwandter von Bill Gates ist, stößt irgendwann finanziell an seine Grenzen. Wir von metal.de unterstützen euch dabei, die Spreu vom Weizen zu trennen und warnen vor offensichtlich vertonter Scheiße, ummantelt von einem logischen Punktesystem.
Was für den einen Fan 6 Punkte wert ist, können aber für den anderen schon 8 oder nur noch 4 Punkte bedeuten. Sicher wird keiner blind alle 8 Punkte-Wertungen oder das „Album des Monats“ kaufen, oder doch? Erwischt! Deshalb wollen wir in unregelmäßigen Abständen auf mehrere, ähnliche Platten eingehen. Es geht nicht darum einen Sieger oder einen Verlierer zu küren, sondern durch einen direkten Vergleich eine detaillierte Hilfestellung zur Entscheidung zu geben und die Unterschiede hervorzuheben. Den Anfang macht das Genre „Metalcore im weiteren Sinne“ und im direkten Vergleich stehen zwei brandneue Scheiben: „Nova“ von TENSIDE und „Daggers“ von THE DEFILED.
Das Auge hört mit: Erstmal beschränken wir uns schön platt auf die Äußerlichkeiten, nicht viele Metalheads sind dahingehend nämlich leider megauntolerant und Metal ohne lange Haare ist für sie „untrue“ und unvorstellbar. THE DEFILED hauen dieses Klischee richtig platt und stylen sich wie eine ambitionierte Gothik Rock Band und zwar von Kopf bis Fuß. Ein Tauber denkt Robert Smith von THE CURE sei reanimiert, wenn Sänger Stitch D. ins Mikro brüllt, Erinnerungen an MARILYN MANSON und seine Crew werden wach. TENSIDE sind da schon eher traditionell angehaucht, lange Haare und lockere Kleidung – mehr Tam Tam wird nicht benötigt, im Vordergrund steht das Mähnenschütteln. Das schlägt sich auch in den aktuellen Clips der beiden Bands nieder. Während TENSIDE einfach durch den Song bolzen, erzählen THE DEFILED eine aufwendig Geschichte und bemühen sich um etwas Effekthascherei. Sicher wird beim THE DEFILED Konzert auch mal die ein oder andere Gruftilolita auftauchen, weil sie eines der Bandmitglieder „voll süß“ findet…
Das Cover von „Nova“ wirkt eigentlich fragiler, sogar leicht esoterisch und könnte auch eine Platte mit Weltmusik beherbergen. Auch „Daggers“ ist keine künstlerische Glanzleitung. Beide Bandlogos sind eher schofelig und nicht wirklich unfassbar einfallsreich. Die Black Metal Fraktion zeigt doch, wie es geht: Unleserliche und jahrelang ausgetüftelte Bandlogos, zu deren Hintergrund und Erschaffung der Künstler eine Stunde referieren könnte. Manche Fans mögen sowas. Wer Wert auf künstlerischen Ausdruck in Form von ansprechenden Albumcovern steht, wird weder bei TENSIDE noch bei THE DEFILED in Freudentränen ausbrechen.
Wer es lieber pur und offensichtlicher Metal mag und mit Zombie-Image so gar nichts anfangen kann, wird eher mit TENSIDE zufrieden sein. Wer auf etwas mehr Show und kreiertes Bad-Boy Image steht, der wird in diesem Punkt mit THE DEFILED besser fahren. Die Cover sind beide nichts, um stundenlang zu verweilen.
Atmo der Platte: Das Wesentliche einer Platte sind aber noch immer die Songs und die dadurch entstehende Atmosphäre – und auch hier haben beide Alben ihre Reize. TENSIDE ziehen deutlich stärker durch und spicken ihre Stücke mit prägnanten Gitarrenriffs. Astreines Metalcore ist das nicht (aber was ist das schon?), hier und da wird Schnelligkeit durch Thrashelemente erzielt und es wird mächtig Wert auf Mitsingmöglichkeiten gelegt. Zahlreiche „Ohos“ und weite, offene Refrains beschäftigen den Hörer und halten „Nova“ frisch. Manchem könnte das auch ein Stück zu anstrengend oder zu überladen wirken. Wie gehen THE DEFILED vor? Eigentlich ähnlich, denn auch auf „Daggers“ wird ein prägnanter Refrain nach dem anderen abgeschossen, dafür weniger mit Augenmerk auf Publikumsbeteiligung. THE DEFILED liefern zum Ausgleich auch langsame Momente, auf dem Konzert sicher auch wunderbar zu nutzen, um zu checken ob das Feuerzeug noch intakt ist.
Gute einprägsame Refrains haben also beide Bands, TENSIDE etwas abwechslungreicher und THE DEFILED sind weniger aufdringlich.
Gesang: Ein wichtiger Punkt, denn schon so mancher Schrei oder so manche Betongung kann dem Durchschnittshörer die Stimmung verhageln und aus einer eigentlich guten Platte eine unerträgliche Sache machen. Stimmtlich gibt es bei beiden Bands variable Frontröhren. TENSIDE haben mit Daniel Kuhlemann eine wahre Rockröhre, mit deutlich mehr Dreck und noch dazu einen fetten Chor im Hintergrund, TENSIDE sind auf jeden Fall die Gang mit mehr Schmackes! Die Gangshouts (haben wir diese Bezeichnung dreist aus dem Hip Hop geklaut?) der anderen Bandmitglieder wirkten kerniger. THE DEFILDED sind mit Stitch D. zwar ebenfalls gut aufgestellt, allerdings weniger hart und zeigen sich sogar teilweise von ihrer weichen Seite, besondern in den klaren Refrainpassagen oder in balladesken Momenten. Könnte manchen zu seicht sein, mancher steht drauf.
Mehr Rotz und das Gefühl von Zusammenhalt transportieren TENSIDE, THE DEFILED bedienen auch die ruhigen Momente und greifen auch gerne mal das Herz an.
Pitfaktor: Nicht uninteressant sind die Livequalitäten der Songs. Nichts ist schlimmer, als eine Scheibe daheim abzufeiern und live kommt dann leider so gar nichts rüber. Da beide Platten noch nicht auf Livetauglichkeit geprüft werden konnten, kann hier nur spekulativ geurteilt weden. TENSIDE wirken mit „Nova“ mächtiger als THE DEFILED mit „Daggers“, die ständigen Rhythmuswechsel können live sehr reizvoll sein und das Quentchen mehr ausmachen. TENSIDE scheuen sich sicher nicht, auch mal ein Bad in der Menge zu nehmen und mächtig Schweiß zu versprühen. THE DEFILED sind optisch imposanter und ihr Material weniger fordernd, nach enigen Minuten hat man aber das extrovertierte Outfit verdaut, vom Bass mehrere imaginäre Schläge in den Bauch gekriegt und das Keyboard zehnmal in die Luft fliegen sehen.
Klang:
Bezüglich des Klangs, haben sich weder TENSIDE noch THE DEFILED grobe Schnitzer erlaubt. TENSIDE haben das Klangzepter an Tue Madsen übergeben (HEAVEN SHALL BURN, SUICIDE SILENCE, AUGUST BURNS RED…) und THE DEFILED haben auf Jason Suecof vertraut (DEVILDRIVER, ebenfalls AUGUST BURNS RED, TRIVIUM…). Beide Produzenten bewegen sich also in ähnlichen Gefilden und haben eine saubere, druckvolle Produktion abgeliefert. THE DEFILED legen auf „Daggers“ Wert auf den Bass, während TENSIDE eher die Gitarren in den Vordergrund stellen. Auch die Persönlichkeiten der Bands sind im Sound hörbar und schön verabeitet. „Nova“ klingt somit erdiger und „Daggers“ etwas glatter.
Wer auf Bums steht wird THE DEFILED mögen, Fans von satten Gitarrenriffs sind bei TENSIDE besser bedient.