Synth Or Die!
2018: Der Jahresrückblick
Special
2018 geht zu Ende, das Jahr, in dem die Rubrik „Synth Or Die!“ geboren wurde (Fanfaren! Synthesizer-Fanfaren!). Ein Synthwave-Album pro Monat zu besprechen ist das Konzept, zwölf Veröffentlichungen pro Jahr, mehr nicht – schließlich ist metal.de ja ein Metalmagazin. Dennoch: Viel Wunderbares gab es in diesem Genre im abgelaufenen Jahr zu entdecken. Da bietet sich ein Jahresrückblick als Format geradezu an, einen kurzen Blick auf all jene Alben zu werfen, die nicht besprochen werden konnten – 2018 aber trotzdem ein bisschen schöner gemacht haben und Stoff für weitere Entdeckungsreisen bieten. Dominik Rothe (DR) und Sven Lattemann (SL) blicken zurück: Auf zehn Veröffentlichungen 2018, die einen eigenen „Synth Or Die!“-Artikel verdient gehabt hätten.
Zur Einstimmung gibt es das vielleicht schönste Video des Jahres vorab: CARPENTER BRUT haben sich zu „Inferno Galore“ so einiges einfallen lassen. Gut so.
Aber jetzt ernsthaft. Los geht’s.
HOLLYWOOD BURNS – „Invaders“
Schmeißt man Soundeffekte aus Science-Fiction-Filmen der 1950er-Jahre, treibende CARPENTER BRUT-Beats, orchestrale Film-Soundtracks und ein bisschen DAN TERMINUS-Abgedrehtheit in einen Topf, dann kommt HOLLYWOOD BURNS dabei raus. „Invaders“ ist eine gelungen Hommage an klassische Hörspiele, eingebettet in ein „Krieg der Welten“-Szenario und packend umgesetzt: Cinematic Synthwave mag als stark verkürzte Bezeichnung für diesen Stil gültig sein.
Mastermind Emeric Levardon gelingt es auf seinem Debütalbum spannende und unverwechselbare Songs zu arrangieren – und eine der stärksten Genre-Veröffentlichungen in 2018 abzuliefern. Filmliebhaber und Soundtrackfans sollten unbedingt (mindestens) einen Durchlauf wagen und sich von dem anfänglichen Wust an Eindrücken und eingesetzten Elementen nicht abschrecken lassen. (SL)
Label: Blood Music, Release: 13.04.2018
DEADLIFE – „Variations On The Resolve“
Auf der verträumten Seite des Genres unterwegs: DEADLIFE. „Variations On The Resolve“ ist ein eher zurückhaltendes, stimmungsvolles Synthwave-Album. Legt man gedanklich mal den zweiten Track „Before The Rains Falls“ neben einen SÓLSTAFIR-Song, so sind einige Überschneidungen zu entdecken – nur dass die Einsamkeit und melancholische Atmosphäre aus einem nordischen Setting in eine futuristische Landschaft umgebettet wurde.
Auch das Zusammenspiel von zarten Melodien und harten Beats meistert DEADLIFE ausgezeichnet, „Variations On The Resolve“ ist ein Album zum zurücklehnen und genießen. (SL)
Label: New Retrowave Records, Release: 19.10.2018
DREAMHOUR – „VLLNS“
Schöne Geschichte: „Eine Megacity, beherrscht von einem Vampir-Kult. Und zwei Protagonisten, die es mit dem Kult aufnehmen“. Klingt nach einer ordentlichen 1980er-Slasher/Action/Thriller-Reise. Da sind wir dabei.
DREAMHOUR (bürgerlich Debo Sanyal) stammt aus Indien, hat sich für die Umsetzung von „VLLNS“ Unterstützung durch den bekannten österreichischen Synthwave-Künstler POWERNERD besorgt – und herausgekommen ist ein Werk zwischen Bollywood, Grand Theft Auto und Blade: Bunt, exotisch, faszinierend. DREAMHOUR legen Wert auf einen ordentlich wummernden Bass hinter eingängigen Melodien: „VLLNS“ ist ein Album für die gelungene Sommer-Dachterrassen-Pool-Party – gebt euch unbedingt das flockige „Cerebral Chase“. (SL)
Label: New Retrowave Records, Release: 20.07.2018
JOHN CARPENTER – „Halloween (Soundtrack)“
Kaum jemand hat den Snythwave so stark beeinflusst wie Komponist und Regisseur JOHN CARPENTER. Mit den Soundtracks seiner Filme „Assault On Precinct 13“ oder „Escape From New York“ nahm er bereits in den späten 70ern und frühen 80ern sowohl Sound-Ästhetik als auch Grundatmosphäre des heutigen Genres vorweg. Nachdem er mit „Lost Themes“ und „Lost Themes II“ zwei Alben ohne dazugehörigen Film aufgenommen hat, kehrt er mit „Halloween“ zu seinen Wurzeln zurück.
Der Original-Film von 1978 ist nicht nur sein vielleicht bekanntester Film, sondern enthält mit dem „Halloween Theme“ auch sein definitiv populärstes Stück Musik. Beim Score für den nunmehr elften Teil der Reihe macht der Track folgerichtig den Anfang. Dabei knallt der treibende Synthie-Beat um einiges Satter aus den Boxen als noch vor 40 Jahren.
Wie schon bei den beiden „Lost Themes“-Platten unterstützt Cody Carpenter seinen Vater bei der Komposition gemeinsam mit Patensohn Daniel Davies. Das Trio zimmert einen Score, der an genau den richtigen Stellen alte Motive aufgreift und mit neuen Elementen verbindet. Somit pendelt „Halloween“ zwischen wohliger Nostalgie und zeitgemäßem Sound. Niemals altbacken, sondern auf die richtige Art Old School; nicht anbiedernd, aber im richtigen Maße modern. JOHN CARPENTER spielt 2018 immer noch in der Champions League. (DR)
Label: EVP Recordings, Release: 19.10.2018
CARPENTER BRUT – „Leather Teeth“
Nach drei EPs, die 2015 als „Trilogy“ zusammengefasst wurden, und einer Live-Platte, veröffentlicht Franck Hueso alias CARPENTER BRUT mit „Leather Teeth“ sein erstes Studioalbum. Die immer häufiger werdenden Konzerte haben darauf deutliche Spuren hinterlassen.
CARPENTER BRUT gestaltet „Leather Teeth“ nämlich deutlich Gitarren-lastiger als die vorangegangenen EPs. Höhepunkt dieser Entwicklung ist „Beware The Beast“ mit Gastsänger Mat McNerney. Dank seines knackigen Riffs und eines Ohrwurm-Refrains stünde der Song jeder AOR-Band dieses Planet gut zu Gesicht. Auf dem „Rock IV“-Soundtrack zwischen ROBERT TEPPERs „No Easy Way Out“ und SURVIVORs „Burning Heart“ würde der Track kein bisschen auffallen.
Film ist dann auch das richtige Stichwort, denn wie es sich für eine gute Synthwave-Platte gehört, funktioniert „Leather Teeth“ als perfekter Score für einen 80er-Sci-Fi-Action-Streifen, den endlich mal jemand drehen sollte. Das schlägt sich in der Dramaturgie der Platte nieder. Der entspannte Abschlusstrack heißt nicht umsonst „End Titles“, während das Titelstück als sich langsam aufbauendes Quasi-„Main Theme“ am Anfang steht. Vor dem geistigen Auge läuft da schnell mal der Terminator durchs Bild, dicht gefolgt von Snake Plissken und Rick Deckard. So muss es sein. (DR)
Label: No Quarter Prod, Release: 23.02.2018
DJ TEN – „Trinity“
Ein außergewöhnliches Stück Synthwave liefert DJ TEN mit „Trinity“ ab. Das Album des aus Brooklyn, New York, stammenden DJs bedient sich nicht nur eines biblischen Themas, sondern macht sich auch eine Reihe von ungewöhnlichen Einflüssen zu Gute. Da steckt Hip-Hop drin, Trip-Hop, ein bisschen Gospel und einiges an 1980er-Wave und Pop – bis hin zu Ähnlichkeiten mit SANDRA oder MADONNA.
Auch wenn „Trinity“ stellenweise ein etwas zu wilder und übersprudelnder Mix ist, so ist das Album doch letztlich eine spannende und abwechslungsreiche Achterbahnfahrt. Sicherlich nichts für diejenigen, die ihren Synthwave eher düster und dystopisch mögen… (SL)
Label: New Retrowave Records, Release: 30.03.2018
PERTURBATOR -„B-Sides and Remixes, Vol. I & II“
Das Platten-Duo „B-Sides and Remixes, Vol. I & II“ ist eine Blick auf die Anfangstage mit seltenen und teilweise unveröffentlichten Werken von PERTURBATOR, heuer sicherlich eines der Aushängeschilder des Synthwave. Wertvoll ist dieser Blick zurück insbesondere deshalb, weil es zum einen zu den Anfängen des Genres insgesamt führt, aber auch zu den musikalischen Anfangstagen von PERTURBATOR selbst liefert. Gerade wenn man die Werke nach „DANGEROUS DAYS“ heranzieht, scheint Herr Kent diesen „idealtypischen“ Synthwave-Sound“ zunehmend zu verlassen, seine Fühler in andere Genres auszustrecken und sich neuen Aufgabe zuzuwenden.
„B-Sides and Remixes, Vol. I & II“ taugt als Überbrückung zu einem neuen PERTURBATOR-Album als Nachfolge zu der spannenden „New Model“-EP ziemlich ordentlich und sollte in keiner ordentlichen Genre-Sammlung fehlen. (SL)
Label: Blood Music, Release: 16.11.2018
EDICTUM – „Passage Back“
EDICTUM nimmt mit „Passage Back“ einen düsteren Blickwinkel ein: „Passage Back“ nimmt sich bewusst des Themas der ständigen Bedrohung einer nuklearen Vernichtung an, die seit den 1970er-Jahren schwer auf den Gesellschaften der Welt lastete und so auch die genreprägenden 1980er-Jahre formte – und platziert sein Album folgerichtig in einen Atombunker, mit allen verschiedene Stimmungslagen der dort untergebrachten Menschen. Wenig Happy-Sunny-Cabrio-Feeling an dieser Stelle, wie er ansonsten gern im Synthwave verbraten wird, kann man sagen.
EDICTUM liefern ein stimmungsvolles, abwechslungsreiches Album. Insbesondere der Einsatz des Saxophons und sogar Ansätze klassischer Orchestrierung fallen ins Auge (oder besser: ins Ohr). Zur Umsetzung nimmt EDICTUM auch Szenekollegen wie POWERNERD und VICI zu Unterstützung hinzu. „Passage Back“ ist ein ganz besonderer Geheimtipp 2018, abseits aller großen Szenelabels! (SL)
Label: Eigenproduktion, Release: 08.06.2018
METEOR – „White Crows“
METEOR schmeißt neben einem markanten Synthie auch ein auffällige E-Gitarre in den musikalischen Ring. Das Ganze klingt dann auf eine besondere Art futuristisch: Nämlich so, wie man sich heutzutage vorstellen kann, dass Komponisten eines Film-Soundtracks sich 1982 den Sound der Zukunft vorgestellt haben. Nachvollziehbar?
Auf jeden Fall könnte „White Crows“, das 2018er-Werk von METEOR, sich geschmeidig in einen RUNNING MAN-Soundtrack einfügen. Oder ROBOCOP. Das imaginäre Setting: Eine verrauchte Kneipe in einem abgeranzten Viertel der Stadt. Der gehetzte Protagonist auf der Suche nach seinem verlorenen Identitätschip. Die Häscher auf den Fersen. Und Action! (SL)
Label: 591309 Records DK, Release: 22.10.2018
KEYGEN CHURCH – „░ ▒ ▓ █“
Zum Abschluss des Jahresrückblicks schlagen wir nochmal eine kleine Brücke: Zwischen Synthie-Projekten und Metal – Cyber Metal ist das Stichwort. Unter dieser Bezeichnung firmiert KEYGEN CHURCH, ein Projekt, dass in diesem Sinne kein reiner Synthwave ist, das aber klingt, als sei ein 8-Bit Castlevania-Soundtrack in die Mühlen einer Black Metal-Band geraten (einer symphonischen, zugegeben).
KEYGEN CHURCH sind roh, aber bombastisch. Elektronisch, aber nicht steril. Und episch, aber abgedreht. “ ░ ▒ ▓ █ “ heißt das dazugehörige Album und umschreibt sich selbst als Barock. Nicht verwunderlich, nimmt man den massiven Orgel- und Piano-Einsatz als Anhaltspunkt hierfür. Keine Überraschung ansonsten: KEYGEN CHURCH ist das geistige Kind von Victor Love, der auch für die famosen MASTER BOOT RECORD verantwortlich zeichnet. (SL)
Label: Eigenproduktion, Release: 29.08.2018
Bleiben ansonsten noch die berühmten „Honorable Mentions“ – ebenfalls hörenswert in 2018:
GOST „Possessor“ – Baalberith goes Techno
TIMECOP1983 „Night Drive“ – Klassisch-gut, der Timecop
JUDGE BITCH „Horse Blood“ – DiscoDisco!
ROBERT PARKER „End Of The Night“ – Cheesy Side Of The Moon
Wir lesen uns 2019, dem Jahr, in dem BLADE RUNNER seine dystopische Handlung entfaltet haben wird – auch wenn wir noch bis November des Jahres Zeit haben. Stellen wir uns also schon mal auf Replikanten, gigantische Pyramiden und Neon-Regenschirme mit dazugehörigem Dauerregen ein – und natürlich auf weitere tolle Synthwave-Veröffentlichungen. In diesem Sinne: Synth Or Die!
Kein Metal und trotzdem für viele Metaller interessant: Synthwave. Die elektronische Spielart rund um apokalyptische Endzeit, Palmen in Miami und Neonreklame wird einmal monatlich auf metal.de mit einem ausgewählten Release gewürdigt. Also: Synth Or Die!