Swallow The Sun & Oceans of Slumber
Doom On Wheels - auf Tour mit den Düstermetallern

Special

Im April und Mai 2019 lief die „When A Shadow Is Forced Into The Light“-Tour, benannt nach dem aktuellen Album der Headliner SWALLOW THE SUN. Als Support haben sich die Finnen OCEANS OF SLUMBER und AEONIAN SORROW mit an Bord geholt. Für einige Termine hatten sie schließlich auch noch Kollegin Angela mit im Gepäck.

Gegen Ende der Tour, am 08.05.2019 in Trier, stoße ich zur Tour. Ab heute werden wir vier Städte in vier Ländern besuchen, und das an vier aufeinanderfolgenden Tagen. Volles Programm also. Dabei werde ich mich 24/7 mit den Musikern umgeben und am eigenen Leib erfahren, welche Vor- und Nachteile das Tourleben so hat. Inklusive Crew teilen sich nicht weniger als 22 Personen einen Nightliner.

Mittwoch, 08.05.2019 – Trier, Deutschland

Vor dem Mergener Hof werde ich von Tourmanager Sami in Empfang genommen. Ich erhalte eine Koje ganz hinten und oben im Bus. Ca. 70 x 190 Zentimeter sind Schlafplatz und Lagerraum zugleich, denn Sachen im Bus herumliegen lassen ist nicht; das ist Teil der Bus Rules. Das heißt, die Siebensachen möglichst ans Fußende legen und Füße hoch (darauf schwört SWALLOW THE SUN-Sänger Mikko) oder alles an die Seite packen, sich gaaanz schmal machen und hoffen, noch weit genug weg von der Kante zu liegen, um auch in den Kurven nicht abzustürzen.

Morgens, halb 12 in der Lounge.

Es gibt eine Lounge mit Kühlschrank und Kaffeemaschine sowie eine Toilette, die ausdrücklich nur für das kleine Geschäft ist (das gehört ebenfalls zu den Bus Rules) und deren Türschloss kaputt ist. Hier ist vorher Klopfen angesagt, und das funktioniert auch (fast) immer. Dann kommt die Vorstellungsrunde. Dabei wird schnell klar, dass es noch das ein oder andere Eis zu brechen gilt. „So you’re the reporter“ kommt noch etwas finnisch-kühl rüber. Ein paar Minuten bleiben auch noch, um sich gegenseitig zu beschnuppern, doch viel geredet wird nicht. ‚Typisch finnisch‘ oder ‚Das kann ja was geben‘? Wir werden sehen. Dann ist Showtime.

Den Anfang machen AEONIAN SORROW, eine noch recht junge Band, die sich aus verschiedenen Nationen zusammensetzt. Die meisten Mitglieder stammen jedoch aus Finnland und werden von der Griechin Gogo (auch in LUNA OBSCURA aktiv) ergänzt. Nicht auf der Tour dabei ist Bassist Pyry, den man unter anderem als Live-Musiker von OMNIUM GATHERUM und STAM1NA kennt. Der hier gelieferte (Funeral) Doom erinnert durch die Kombination aus weiblichem Gesang und sehr gutturalen Growls ziemlich an DRACONIAN. Auch die Musik leistet ihren Beitrag zu diesem Eindruck.

Aeonian Sorrow sind (von links): Pyry Hanski, Jukka Jauhiainen, Gogo Melone, Ville Rutanen, Daniel Neagoe und Taneli Jämsä. Copyright: Gillian Pieteraerens.

Dass es nicht mehr ganz voll werden wird, ist spätestens beim Auftritt von OCEANS OF SLUMBER klar. Die Texaner passen trotz ihrer viel progressiveren Herangehensweise sehr gut ins Programm und haben gerade mit ihrem aktuellen Album „The Banished Heart“ mit Recht einen kleinen Hype ausgelöst. Die Live-Umsetzung ihrer traurig-verträumten, düsteren Musik ist gerade durch die Bühnenpräsenz von Sängerin Cammie fesselnd. OCEANS OF SLUMBER sind live ganz großes Kino, und die Aussicht, diese Show noch drei weitere Male geboten zu bekommen, weckt Vorfreude.

Oceans Of Slumber sind (von links): Alexander Lucian, Jessie Santos, Cammie Gilbert, Mat V. Aleman, Semir Özerkan und Dobber Beverly.

Sowohl noch düsterer als auch dusterer wird es im Anschluss mit SWALLOW THE SUN. Die Fotografen, die sich teils resigniert durch die ersten Reihen schlängeln, verfluchen ganz offensichtlich die Beleuchtung. Die Musik der Band verlangt aber eine entsprechende Atmosphäre, die durch das zwar kaum vorhandene, aber gerade so Stimmung setzende, kühl-blaue Licht erreicht wird. Die Gesichter hinter langen Haaren oder tiefsitzenden Kapuzen verborgen, liefern die Finnen ein Set ab, das aufwühlender kaum sein könnte. Die traurigen Hintergründe des aktuellen Albums werden von der Musik getragen und sind auch bei der Live-Umsetzung spürbar. Tief beeindruckt zeigen sich auch die Zuschauer, von denen sicher jeder eigene Emotionen mit den Songs verbindet.

Swallow The Sun sind (von links): Jaani Peuhu, Juha Raivio, Mikko Kotamäki, Juuso Raatikainen, Juho Räihä und Matti Honkonen.

Nach der Show wird das Equipment von einem eingespielten Team aus Musikern und Crew in Windeseile abgebaut. So bleibt noch etwas Zeit zum Entspannen und – ein zentraler Part – Organisieren von Dönern. OCEANS OF SLUMBER wollen losziehen und Cammie nimmt die Bestellung von Mikko auf, der schon dem einen oder anderen Bier zugesprochen hat. Nach einigem Hin- und Her kommt sinngemäß ‚Döner mit alles‘ dabei raus. Nun, da das Tagewerk erledigt ist, werden SWALLOW THE SUN auch gesprächiger. Keyboarder Jaani zeigt mir seine Beute von einem Flohmarkt: Schöne, alte Bucheinbände, die sich perfekt für Notizbücher eignen. Die Döner kommen an und werden verspeist, und ich mache die erste Bekanntschaft mit dem Bettfertigmachen auf einer Club-Toilette. Pünktlich zur Venue-Curfew werden wir vom Club vor die Tür gesetzt.

Beim Zusammensitzen im Bus bricht dann auch das letzte Eis, das zuvor noch ein kleiner Grund zur Sorge hätte sein können. Spätestens, wenn man im Schlafanzug in der Bus-Lounge sitzt und sich Sprüche anhören muss, weil man das angebotene Bier aufgrund der schon geputzten Zähne ablehnt („You’re not enjoying your life enough“, pöbelt Mikko), weiß man, dass man angekommen ist, und fühlt sich als Teil der Gruppe. Wenig später geht es in die Koje, die, wie sich zeigt, leider von der Resterampe ist. Ohrenbetäubend dröhnt der Motor nebenan und bringt sogar den Schädel zum Vibrieren, dass die Zähne nur so klappern. So krass ist es zwar nur, wenn der Bus mit laufendem Motor steht oder sehr langsam fährt, die Nacht wird aber trotz Ohrstöpsel kurz ausfallen.

Vorsicht: Während der Fahrt nicht in fremde Kojen stolpern!

Donnerstag, 09.05.2019 – Luzern, Schweiz

Am nächsten Morgen in der Bus-Lounge hängen die, die es schon aus der Koje geschafft haben, meist am Fenster und lassen die Schweizer Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln an sich vorüberziehen. So etwas gibt es nicht in Finnland, und wahrscheinlich auch nicht in Texas. Im krassen Gegensatz zur Kühle draußen steht die ekelhafte Hitze im Bus. Die Reaktionen auf meine Nachfrage zeigen, dass die Innentemperatur wohl schon des Öfteren Thema war und es diese entweder in viel zu heiß oder viel zu kalt gibt. „I can put on a jacket, but I can’t take off skin“, meint jemand von OCEANS OF SLUMBER pro kalt. „You can, but only once“, erwidert ein anderer.

Drummer Juuso heißt metal.de beim Soundcheck willkommen

Im Luzerner Konzerthaus Schüür angekommen gibt es lecker Frühstück, inklusive Stolperfalle, denn da haben sie uns glatt zu den regulären Kaffeekapseln auch noch koffeinfreie gelegt. Die, die schon Bekanntschaft mit der Kaffeemaschine gemacht haben, warnen heldenhaft die Neuankömmlinge. So sind am Ende keine Opfer zu beklagen. Dann geht es an den Soundcheck. Diesen machen die Bands in umgekehrter Reihenfolge, also Headliner zuerst. SWALLOW THE SUN ist anzusehen, wie viel wohler sie sich auf der geräumigeren Bühne fühlen. Drummer Juuso hat allerdings seine ganz eigene Antwort auf Paparazzi-Fotos auf der Bühne. Ein Highlight des Soundchecks ist übrigens, dass „Stone Wings“ in voller Länge gespielt wird.

Im Anschluss geht es in die Stadt. OCEANS OF SLUMBER-Drummer Dobber stellt sich als Reisebegeisterter heraus, der bei seinem letzten Luzern-Besuch schon einiges erkundet hat. Schnell wird er zu unserem Tourguide und wir watscheln brav hinterher. Neben OCEANS OF SLUMBER haben sich uns auch Juha und Jaani von SWALLOW THE SUN sowie Mercher Toni angeschlossen.

Die Tourie-Gruppe beim Aufbruch.

Es geht zur Kapellbrücke, der ältesten überdachten Holzbrücke Europas, die sich über den Fluss Reuss erstreckt und außer uns noch viele andere Touristen angelockt hat. Unsere Gruppe ist als schwarze Hoodie-Gang schwer zu übersehen, was dazu führt, dass einige ältere Damen aus dem asiatischen Raum gerne Fotos mit uns machen wollen. Leider versäumen wir es, zum Schicken der Fotos E-Mail-Adressen auszutauschen. Das hätte wahrscheinlich einen noch größeren Unterhaltungsfaktor gehabt. In der Altstadt angekommen, zieht es die Kollegen von OCEANS OF SLUMBER an einen Obststand, wo sie überteuerten Fruchtsaft erstehen.

Im Nieselregen geht es weiter durch Gassen und vorbei an eindrucksvollen Gebäuden und einem Wandbild, von dem alle glauben, es stelle hier geschehene Hexenverbrennungen dar. Ein vor dem Gebäude stehender Kellner klärt uns darüber auf, dass es sich um eine Karnevalsszene handelt und macht uns noch den Angus Young, als er realisiert, dass er ein paar Metalmusiker vor sich hat.

Rätselraten in Luzern: Was will der Künstler uns damit sagen?

Da schon bald das Abendessen ansteht, wird es Zeit, den Rückweg anzutreten. Dabei wird – wie so oft – über Musik diskutiert. Zum Beispiel über Alben, deren Wirkung sich erst langsam entfaltet. Juha empfiehlt die kanadische Künstlerin ANILAH und vor allem ihre Kollaboration mit Einar Selvik (WARDRUNA). Auch Dobber schwört auf ihre Musik. Die beiden sind sogar solche Fans, dass ich später im Club genötigt werde, mir den Namen bitte zu notieren und am besten gleich eine Story über sie zu bringen. Noch am nächsten Tag bekomme ich ein Handy mit YouTube-Video vor die Nase gehalten.

Wir schaffen es rechtzeitig zum Abendessen und bekommen sehr leckeres, hausgemachtes Essen, bei dem auch an die Vegetarier und Veganer unter uns gedacht wird. Nicht nur ich freue mich über das vorzügliche Kichererbsen-Curry, sondern auch die beiden anderen Fleischverächter Juha und Jaani von SWALLOW THE SUN. Später im Außenbereich streiten – äh – fachsimpeln wir weiter über Musik. Deutsche stünden ja nur auf diese ganzen Mittelalter- und Wikingerbands in ihren doofen Kostümen, sticheln die Finnen scherzhaft. Allgemein nimmt man sich in der Gruppe gerne gegenseitig auf Korn. „Don’t ever take us seriously“, wird SWALLOW THE SUN-Gitarrist Juho (nicht zu verwechseln mit Juha) zwei Tage später immer noch erklärenderweise sagen.

Ruhe vor dem Sturm: Konzerthaus Schüür in Luzern

Die Schweizer Zuschauer sind deutlich zahlreicher erschienen als die in Trier. Auch die besseren Gegebenheiten vor Ort machen das Konzert in Luzern zu einem sowohl für die Bands als auch die Zuschauer angenehmeren Erlebnis. Das betrifft insbesondere Größe von Bühne und Halle sowie die Akustik. Vor allem SWALLOW THE SUN wirken hier, mit mehr Freiraum auf der Bühne und umstrahlt von weißem und blauem Licht, noch einmal viel stärker als am Abend zuvor. Gebannt stehen die Fans hier bis an den Bühnenrand, singen mit und lassen sich von den ergreifenden Wogen davontragen, die einen beim Lauschen dieser Musik überkommen. Das mit 50 Minuten ein wenig knappe Set, das SWALLOW THE SUN täglich spielen, wirkt so noch etwas kürzer.

Die Swallow The Sun Setlist auf der „When A Shadow Is Forced Into The Light“-Tour

AEONIAN SORROW und OCEANS OF SLUMBER finden sich wie jeden Abend am Merchstand ein. Uns fällt ein Fan auf, den wir nachmittags schon in der Stadt gesehen haben und der uns gefragt hat, ob wir denn abends auch zum Konzert gingen. Erkannt schien er da keinen zu haben, doch nun hat er seinen Weg an den Merch glücklicherweise gefunden. SWALLOW THE SUN wird man auf der Tour allerdings kaum bis gar nicht am Merch antreffen. Die Band legt Wert darauf, die Musik magisch und mysteriös zu halten. Sie soll für sich selbst sprechen.

Eine Strecke von 13 Stunden und ein erneuter Grenzübertritt liegen vor uns, denn als nächstes geht es nach Wien. Der Bus fährt deshalb bereits um 1:00 Uhr ab. Durchgezählt wird nicht, man sollte also tunlichst darauf achten, rechtzeitig im Bus zu sein. Entspannt wird es nach der Show also nicht, denn bis alles eingeladen ist und alle geduscht sind, ist es schon fast Zeit, den Club zu räumen. Juho schafft es aber trotzdem noch, einen Döner zu verspeisen. Diesen hat er bereits nachmittags geholt. Übertrieben? Vielleicht ein bisschen. Jetzt ist der Döner kalt, doch Juho beißt beherzt rein und erklärt, „I‘m dedicated to eating“. Bald macht der Tourmanager uns Beine und wir tragen fast fluchtartig die letzten Sachen zum Bus. Dabei müssen sich die Herren SWALLOW THE SUN vergessene Kleidungsstücke hinterhertragen lassen. Es werden nicht die letzten sein.

Freitag, 10.05.2019 – Wien, Österreich

Die Fahrt nach Wien ist lang. Wirklich verdammt lang, wenn man dabei auch nicht unbedingt so gut schläft. Klingt nach ‚mimimi‘, doch die ernst gemeinte Frage, wie man denn geschlafen habe, und das gegenseitige Jammern sind tatsächlich ein Morgenritual. Noch steht der obere Gang voller Schuhe, was heißt, dass deren Besitzer noch in den Kojen liegen. Hier und da ist ein Schnarchen zu vernehmen. Die Lounge füllt sich, als wir schon im Landeanflug auf Wien sind. Die Temperatur im Bus ist wieder unerträglich warm und der ein oder andere von uns hat schon eingesehen, dass er eine Dusche nötig hat. Die Stadt-Ansichten, die sich uns auf der Fahrt zum Club bieten, entschädigen aber etwas.

Swallow The Sun beim Soundcheck in Wien

Erst am Nachmittag kommen wir am Viper Room an, und das mit einer halben Stunde Verspätung. So muss sofort ausgeladen werden, noch bevor es ans Frühstück gehen kann. Im Club erwarten uns zahlreiche Treppen und schlechte Sicht, denn die Beleuchtung ist hier minimal. Tapfer schleppen Musiker und Crew sämtliche Ausrüstung die drei Stockwerke in die dunkle Tiefe. Dobber schmiedet schon wieder Ausflugspläne. Nach dem Soundcheck geht es deshalb los – diesmal nur mit den Mitgliedern von OCEANS OF SLUMBER. SWALLOW THE SUN haben unter anderem Interviews auf dem Plan, sind aber – mit Verlaub gesagt – manchmal schon auch Stubenhocker. Mit den Texanern geht es nach einem kleinen Zwischenstopp an einer Eisdiele zum Stephansdom.

Kommen an keinem ‚Gelato‘ vorbei: Cammie Gilbert (Oceans Of Slumber) und metal.de-Autorin Angela

Als Warm-Up-Konzert zum Vienna Metal Meeting hat die heutige Show einen kleinen Werbeboost erhalten. Der Laden ist zwar nicht riesig, aber doch ganz ansehnlich und als das Konzert beginnt auch schon annähernd ausverkauft. Spätestens bei OCEANS OF SLUMBER wird es dann richtig kuschelig, egal, wo man steht. Eigentlich könnte es also das perfekte Konzert werden. Voller Laden, tolle Bands. Leider fallen Teile des Wiener Publikums aber in einem entscheidenden Punkt durch. Hinten an der Bar wird sich lautstark unterhalten. Die Fans, die weiter hinten stehen, drehen sich immer wieder genervt um. Besonders bitter: Einige der lautesten Stimmen gehören auch noch zur ortsansässigen Crew. Nicht cool.

Was bei OCEANS OF SLUMBER phasenweise kaum zu ertragen war, legt sich bei SWALLOW THE SUN glücklicherweise ein wenig, wenn auch hauptsächlich dadurch, dass die ruhigen Stellen einen kleineren Teil ihrer Musik ausmachen. Jemand filmt zwar die ganze Show über mit einem Selfie-Stick, das stört aber zumindest nicht den Hörgenuss. Sehr positiv sieht es dafür weiter vorne aus. Das Wiener Publikum feiert SWALLOW THE SUN gehörig ab. Mit jedem Song springt der Funke erneut über und es herrscht eine Stimmung, die man bei einer Doom-Show so nicht erwartet hätte. Fäuste werden rhythmisch in die Höhe geworfen, wo die Musik es hergibt, und auch geheadbangt wird ausgiebig.

Täglich unterwegs: Oceans Of Slumber in Wien.

Durch eine kurze Weiterfahrt von sechs Stunden und einen späten Bus Call um 3:00 Uhr haben wir nach der Show noch etwas Zeit, uns in die Aftershow-Party zu stürzen. Vorher gibt es aber noch ein Bierchen im Backstage, wo sich ein hier nicht näher bezeichneter Angehöriger von SWALLOW THE SUN mit einem kleinen Graffiti an der Wand verewigt. Sehr brav geht es ansonsten zu. Während der eine rumfragt, ob er sich von jemandem Haarspülung leihen kann, trägt der andere schon seine Feuchtigkeitscreme auf. Die Zeiten der wilden SWALLOW THE SUN, von denen man auf dieser Tour immer wieder erzählt, sind vorbei. Neue Regeln wurden vor einigen Jahren aufgestellt, harter Alkohol ist verboten und über die Stränge wird höchstens beim Döner geschlagen.

Besonderes Amüsement nach der Show bieten die etwas heruntergekommenen Räumlichkeiten. So verläuft das Abwasserrohr des Klos in der Etage darüber mitten durch den Backstage und plätschert laut bei jeder Spülung. Beliebtes Ratespiel: Wer war gerade kacken? Auf dem Klo selbst ist es noch weniger appetitlich. Als mir dort ein Euro aus der Hosentasche fällt, überlege ich ernsthaft, ihn einfach liegen zu lassen. Dass man zum Spülen in den Spülkasten greifen muss, macht die Sache auch nicht besser. Mikko bringt es auf den Punkt, als er beim Rauchen im Treppenhaus erwischt wird und meint: „Come on, I make this place smell better.“

Kein Durchkommen, tolle Stimmung – Swallow The Sun in Wien

Aber da war ja was von wegen Aftershow-Party. Wirklich viel davon gibt es für uns am Ende nicht, es hat sich nämlich deutlich geleert. OCEANS OF SLUMBER haben sich noch ein Getränk besorgt und sind größtenteils unter sich. Ein Weilchen sitzen wir noch und philosophieren. Als wir bemerken, dass außer unserer Gruppe praktisch keiner mehr im Club ist, räumen wir das Feld und begeben uns zum Bus, wo sich schon der Rest der Entourage eingefunden hat. Überraschend schnell sind wir aus Wien draußen. Als der Bus auf der Autobahn Fahrt aufnimmt, ist endlich auch in den Kojen am Motor an Schlaf zu denken. Zumindest vorerst.

Samstag, 11.05.2019 – Prag, Tschechische Republik

Während der Nacht lässt die Straßenqualität deutlich nach, was dazu führt, dass wir alle in unseren Kojen durchgeschüttelt werden, wie bei einer Fahrt über Kopfsteinpflaster. Wenigstens ist die Strecke relativ kurz und wir kommen früh am Club Nova Chmelnice an. Dieser entpuppt sich als wirklich schicker und neu renovierter Club mit geräumiger Bühne und Saal. Das auf uns wartende Frühstück macht viel her. Der Kaffee verzückt besonders die Finnen, denn beim Eingießen sieht er fast wie Teer aus. Mikko ist derweil angeschlagen. Er hustet und schnieft schon seit gestern. Als sein Husten und Röcheln durch den leeren Konzertsaal hallen, meint Juho nur trocken: „sounds like a singer“, und nippt an seinem Kaffee.

OCEANS OF SLUMBER haben natürlich wieder was vor, denn die Prager Altstadt und die Burg rufen. Zuerst steht aber wie immer der Soundcheck an. Außerdem sind ein paar logistische Fragen zu klären. Woher bekommen wir eigentlich tschechische Kronen? Straßenbahn oder Uber? Wer kommt überhaupt mit? Es wird letztendlich Uber. Kurzentschlossen springt auch noch Jaani von SWALLOW THE SUN mit ins Boot. So sind wir also zu acht. Trotz getrennter Autos finden wir uns überraschend leicht am Altstädter Ring wieder, wo ein Volksfest stattzufinden scheint. Neben zahlreicher Fressbuden findet sich auch eine chinesische Tanzgruppe samt Drachen. Mit einem kleinen Snack von den Buden geht es los Richtung Burg. Dabei haben wir alles bedacht, außer den Wetterbericht.

Dunkle Wolken am Himmel: Vorzeichnen ignorieren können wir.

Wir sind nicht weit gekommen, da ziehen sich die vorher schon verdächtigen Wolken noch schwärzer zusammen. Schnell wird klar, dass wir es nicht mal mehr zur Brücke über den Fluss schaffen werden. Unter einem Vordach stellen wir uns unter, doch Regen und Hagel kommen bald waagerecht. Um uns herum bricht die volle Wetterapokalypse aus, inklusive rennender und schreiender Menschen. Als unser Unterschlupf nicht mehr ausreicht, flüchten wir in die U-Bahn, zu der es glücklicherweise nur einige Meter sind. Dort harren wir aus, bis es einigermaßen nachgelassen hat, und suchen uns ein Pub. Sämtliche Lokale sind zwar mit Wettergeplagten überfüllt, aber wir bekommen trotzdem einen ausreichend großen Tisch.

In der Kneipe angespült.

Der Ausblick, der sich uns bietet, als wir es dann doch noch zur Brücke über den Fluss schaffen, ist wirklich beeindruckend. Auf dem Weg nach drüben verlieren wir deshalb immer wieder Jaani, der dem ‚money shot‘, dem perfekten Foto, hinterherjagt. Drüben angekommen, arbeiten wir uns langsam den Berg hinauf zur Burg. Oben eröffnet sich uns eine atemberaubende Aussicht über die Stadt sowie die Architektur der Burg und der dazugehörigen Kirche, die mehr an eine Filmkulisse als an die Realität erinnern. An der Sicherheitskontrolle zeigt man sich von unserem Erscheinungsbild unbeeindruckt und winkt uns gelassen durch. Auch durch den Metal-Detektor (höhö) schaffen wir es ohne Zwischenfälle. Was sollten wir bei all der Militärpräsenz auch anstellen?

Auf dem Rückweg lässt uns unser Uber trotz Rufen und Winken fast stehen, was wiederum an unserem Aufzug liegen könnte: Am Rückspiegel baumelt ein Kruzifix. Als wir wieder am Club ankommen, machen wir uns schnell über das für uns aufgehobene Essen her, bevor es losgeht. Und da passiert es, dass es einigen Herren von SWALLOW THE SUN im Backstage zu langweilig wird. Diese Kleiderhaken da an der Wand sähen ja irgendwie wie Penisse mit Eiern aus, meint einer. Der Nächste greift beherzt zu einer Banane und zwei Äpfeln und spießt diese auf den jeweiligen Haken auf. Ein Dritter meint, das reiche noch nicht, und dekoriert das Kunstwerk noch etwas weiter. Als es schließlich abstürzt, geht das mit einem Raum voller vor Lachen sterbender Zwölfjähriger einher, die im Körper von Mittdreißigern gefangen sind.

Nicht alleine schuld: Juho führt noch mehr im Schilde.

Prag erweist sich als sehr würdige Abschlussshow für unsere Tourbegleitung. Ein wundervolles Publikum, in dem man verschiedenste Sprachen – unter anderem Deutsch – hört, und das alle Bands so abfeiert, wie es ihnen gebührt, ein hervorragender Sound und die erstklassige Leistung sämtlicher Bands machen dieses Konzert zu einem einfach tollen Erlebnis. SWALLOW THE SUN holen sich für „Cathedral Walls“ Gogo von AEONIAN SORROW auf die Bühne, die die Vocals von Anette Olzon (ex-NIGHTWISH) übernimmt. Mikko hat es außerdem geschafft, dass man ihm absolut nichts von seiner Erkältung anmerkt, selbst, wenn man von seinem Zustand weiß. Zum Abschluss gibt es ein Foto mit dem Publikum.

Swallow The Sun und ihr Prager Publikum

Viel Zeit zum Verabschieden bleibt nicht, denn die Fahrt nach Hamburg ist lang und der Bus Call deshalb früh. Für ein gemeinsames Bierchen reicht es noch, dann wird der Backstage auch schon geräumt und ich begebe mich für ein letztes kurzes Beisammensein zu SWALLOW THE SUN in die Bus-Lounge. Nach einer herzlichen Verabschiedung von den Jungs und von AEONIAN SORROW geht es nach draußen zu OCEANS OF SLUMBER. An der Tram-Haltestelle sehe ich schließlich den Nightliner – mein Zuhause der letzten Tage – an mir vorbeiziehen und winke ein letztes Mal. Ein komisches Gefühl.

Bonus: Is dat Kunst?

Doom on Wheels in Retrospect

Das Leben auf Tour haben verschiedene Musiker in den letzten Tagen auf unterschiedliche Weise geschildert. Dobber von OCEANS OF SLUMBER beschreibt den Ablauf als aufwachen, Kaffee finden, einen Ort zum Kacken finden, warten, spielen, und das Ganze von vorne. Semir, ebenfalls OCEANS OF SLUMBER, geht etwas poetischer vor und meint, es sei wie eine Schildkröte, du trägst dein Haus auf deinem Rücken. Matti, Bassist von SWALLOW THE SUN, erklärt, dadurch viele Dinge wertschätzen gelernt zu haben. Ein richtiges Bett, eine richtige Dusche, ein richtiges Klo. All diese Dinge endlich wiederzuhaben, ließe einen noch mehr an die Menschen denken, denen es allgemein fehlt.

Galerie mit 13 Bildern: Oceans Of Slumber - When A Shadow Is Forced Into The Light Tour 2019 in Luzern

Selbst nach diesem kurzen Einblick kann man nachempfinden, was er meint. Die Geschichte mehrere Wochen oder gar Monate durchzuziehen, verlangt einiges ab und verdient den größten Respekt. Das hier erlebte, herzliche Miteinander und die entspannte Atmosphäre wären ohne eine große Kompromissbereitschaft und Anpassungsfähigkeit aller Beteiligten gar nicht möglich. Dass hier jeder Einzelne seine Bedürfnisse hintangestellt hat, um am Ende des Tages den Fans ein tolles Erlebnis zu bieten, steht außer Frage. Auch die schiere Menge an Planung und an logistischem Geschick im Tagesgeschäft muss hier lobend erwähnt werden. Jeder Soundcheck, jedes Essen, jedes Set, jeder Bus Call – fast immer lief alles auf die Minute genau.

Galerie mit 13 Bildern: Swallow The Sun - When A Shadow Is Forced Into The Light Tour 2019 in Luzern

An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei all jenen bedanken, die diese Aktion möglich gemacht haben. Century Media Records, das Management von SWALLOW THE SUN sowie natürlich die beteiligten Musiker und Crewmitglieder haben metal.de als Magazin und mir als Redakteurin großes Vertrauen entgegengebracht. Der tolle zwischenmenschliche Umgang und natürlich die genialen Performances jeden Abend haben diesen Trip zu einem wahrhaft unvergesslichen Erlebnis gemacht. Um SWALLOW THE SUN zu zitieren, „and I carve each word you sing on my stone wings“.

Quelle: Swallow The Sun, Oceans Of Slumber, Aeonian Sorrow
04.07.2019

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