Feigheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Toxisches Männlichkeitsverhalten in der Metalszene
Special
Seien wir ehrlich: Metal ist keine Rebellion mehr, muss es aber auch nicht sein. Es reicht, dass uns diese Musik eine inhaltliche und künstlerische Vielfältigkeit bietet, die wir andernorts vielleicht nicht finden. Metal ist dem stumpfen “Je lauter ich spiele, desto krasser bin ich gegen das Establishment”-Hedonismus seiner Kinderjahre längst entwachsen. Außerdem torpedieren wir mit unserem Szene-Chic höchstens so manches potenzielle Tinder-Match, aber nicht die Spießermoral unserer Elterngeneration. Oder, wenn wir bei über fünfzig Jahren Metalgeschichte korrekt bleiben wollen: auch unserer Großelterngeneration.
Metal ist längst ein Querschnitt der Gesellschaft und war es letztlich immer schon. Es ist müßig, den ignoranten Ewiggestrigen die Namen von Szene-Ikonen, die einer Minderheit angehör(t)en vorzubeten und auf Rob Halford, Phil Lynott, Gene Simmons, Joanna “Jo” Bench oder Mina Caputo zu verweisen. Es sollte überflüssig sein, mit der musikalischen Leistung dieser Personen über ihre Sexualität oder Vorfahren zu argumentieren. Es sollte überflüssig sein, weil hier auch Personen stehen könnten, die keine epochalen Klassiker aufgenommen haben, sondern einfach nur ein Festival oder Konzert besuchen wollen. Ganz abgesehen davon müffelt nichts in dieser Welt so elend nach piefigem Fünfzigerjahre-Weltbild und dem sogenannten Establishment wie Homophobie, Rassismus, Sexismus, Ableismus oder jedwede andere Abwertung von Menschen aufgrund oberflächlicher Zuschreibungen. Nichts ist vorgestriger und gegen jede Idee von Metal, als Leute darüber abzuurteilen, wie sie leben. Trotzdem passiert es in der Gesellschaft und somit in “unserer” Szene, die sich für rebellisch und fortschrittlich hält. Gerade hier kommt es kurioserweise vor, dass Solidarität mit unterdrückten Minderheiten in Frage gestellt wird. Ja sogar, dass sie für reaktionäre Systemtreue gehalten wird.
Wenn Metal und Spießermoral aus den Fünfzigern Hand in Hand gehen …
Es gibt – unter Fans und Musikern – immer wieder bedauernswerte Sofakrieger, deren fragile Identität als Mann permanent in Gefahr ist und quasi nur durch öffentliche Fetischpartys mit Odin, Conan-Actionfiguren und Donald Trump zurückerlangt werden kann. Wir werden für ein metal.de-Logo in Regenbogenfarben auf Facebook verbal angegriffen. Die Kolleg*innen vom Deaf Forever müssen sich für das kleine “Love Music – Hate Racism”-Label rechtfertigen, weil es einigen nicht in den Kram passt. Es gibt Online-Trolle, die Bands als “Weicheier” und linientreue Establishment-Knechte beschimpften, als sie Solidarität mit George Floyd respektive dem Black-Lives-Matter-Movement gezeigt haben.
Es gibt da einen wohlbekannten australischen Musiker, der #metoo-Aktivistinnen “harte Schwänze” wünscht. Es gibt Melissa Moore, die nachdem sie kein Mann mehr war, ihren Posten bei einer bekannten US-Amerikanischen Black-Metal-Band verloren hat. Es gibt Typen, die neben dir auf dem Festival-Gelände darüber phantasieren, wen sie “ins Lager” schicken würden. Es gibt heldenhafte Verteidiger des Abendlandes, die in Kommentarspalten (auch auf metal.de) eine Melodie, eine Stimme oder ein Cover, das ihnen nicht gefällt, als “schwul” bezeichnen. Die einer Band wie BURNING WITCHES unterstellen, gecastet zu sein oder ihre Instrumente nicht selbst zu spielen. Die Liste könnte traurigerweise ewig weitergeführt werden, den “Alltagssexismus” am Merch-Stand oder auf der Festivalzeltwiese haben wir noch gar nicht erwähnt.
Für eine neue Zufluchtskultur
Der einzige Unterschied zur im Bible Belt gelebten Boomer-Moral ist also, dass bei uns die Musik lauter ist? Bravo, irre Rebellion gegen das Establishment! Es ist ja nicht zufällig so, dass die sogenannte “bürgerliche Gesellschaft” nicht sowieso schon nach dem “divide et impera”-Prinzip den immer reaktionärer werdenden Konsens bestimmt.
Wenn wir uns in irgendeiner Form als Alternative, als Zufluchtskultur vor einer restriktiven Gesellschaft verstehen wollen; wenn Bands weiterhin ohne rot zu werden, die “Einigkeit der Metalszene” beschwören wollen und ihren “Wir sind alle Brüder und kämpfen Seite an Seite”-Kriegerpathos in die Welt posaunen wollen, oder die “große Familie in der Metalszene” beschwören, sollten wir – und dazu ist definitiv der überwiegend männliche Teil der Gemeinschaft aufgefordert – anfangen, eine Sache auch wirklich zu leben: Menschen unterdrücken und abwerten ist keine Rebellion. Es ist einfach nur feige und zeugt von charakterlicher Armut.