Soulcrusher 2024
Festival- und Reisebericht
Special
Das Soulcrusher Festival im niederländischen Nijmegen beschreibt sich am besten selbst: „An apocalyptic trip into the unknown where bonecrushing riffs meet melancholic and dark soundscapes.“ So zu finden in der Instagram-Bio des Festivals. Eine Beschreibung, die sehr gut passt und den Interpretationsspielraum lässt, den das Event benötigt. Das Soulcrusher als Genrefestival zu beschreiben, wäre nur halb richtig. Es ist nischig, bedient aber mehrere Nischen. Am 11. und 12. Oktober 2024 haben wir das ausverkaufte Festival besucht und uns einen Eindruck verschafft. Da wir zum ersten Mal ausführlich darüber berichten, haben wir einen kleinen Reiseführer für euch zusammengestellt. Viele nützliche Tipps rund um den Besuch stellt das Venue Doornroosje in den FAQs auf der Festivalwebsite bereit.
Galerien mit Fotos von Marvin Heins findet ihr jeweils am Seitenende.
Soulcrusher Bandauswahl
Wie bereits angedeutet, bietet das Soulcrusher mehreren Genres ein Zuhause. Auf den ersten Blick denkt man wahrscheinlich an Black Metal, und so verkehrt ist das nicht. Allerdings tummeln sich zu etwa gleichen Teilen auch Doom/Sludge-Bands sowie Synth- beziehungsweise Noise-Künstler:innen auf dem Soulcrusher. Zudem gibt es Ausreißer wie die Hardcore-Band COILGUNS. Eine Mischung, die gut funktioniert. Auf den Noise haben wir jedoch teilweise verzichtet.
Anreise und Unterkunft
Nijmegen ist Grenzgebiet und von vielen deutschen Bahnhöfen erreichbar. Mit dem ICE International geht es nach Arnhem. Zwischen Arnhem und Nijmegen fahren selbst am Wochenende einige Züge pro Stunde; die Fahrt dauert 15 Minuten. Mit früher Buchung und Sparpreis ist der Roundtrip von weiter weg – hier Frankfurt – für unter 100 Euro drin. Das Doornroosje liegt direkt am Bahnhof und es befinden sich viele Hotels in Laufweite. Eine frühe Reservierung lohnt sich, denn kurz vor dem Festival sind die Preise deutlich höher. Über Qualitätsunterschiede könnt ihr euch auf diversen Buchungsportalen ein Bild machen. Festival-Camping gibt es nicht.
Venue – Doornroosje
Unschlagbar ist die Lage des Doornroosje am Bahnhof, an den die Innenstadt anschließt. Auch in jeder anderen Hinsicht punktet der Club an diesem Wochenende. Die Infrastruktur passt hervorragend zur Kapazität. So gibt es trotz ausverkauftem Festival kaum Schlangen. Ausreichend Bars, Toiletten, Ein- und Ausgänge der Säle, Sitzgelegenheiten, Schließfächer (kostenpflichtig) und eine gut besetzte, kostenlose Garderobe machen den Besuch selbst zu Stoßzeiten reibungslos. Der Sound ist in beiden Sälen einwandfrei. Für eine top Sicht gibt es im großen Saal einen Balkon mit mehreren Stufen und im kleinen Saal immerhin eine kleine Erhöhung an der Seite. Zu den coolen Extras zählen ‚Bierablagen‘ entlang der Wände und kostenlose Menstruationsprodukte in den Toiletten.
Soulcrusher Tag 1
Der erste Festivaltag ist ein Freitag und beginnt mit dem Einlass um 14:30 Uhr. Erste Band um 15:00 Uhr. Humane Zeiten für diejenigen, die noch arbeiten müssen oder eine längere Anreise haben. Bereits angereiste Auswärtige haben Zeit, sich in der Stadt umzusehen und gemütlich zu Mittag zu essen.
Mehr Fotos von Marvin Heins folgen hier und auf unserer Galerieseite.
Das Soulcrusher hat zwei Bühnen. Los geht es im großen Saal mit PONTE DEL DIAVOLO. Als Intro läuft der Édith-Piaf-Chanson „Non, Je Ne Regrette Rien“; die Band steht auf Position und wartet untätig auf dessen Ende. Den merkwürdige Start lässt die italienische Blacked-Doom-Formation schnell durch ihr dynamisches Set vergessen. Vor allem Fronterin Elena Camusso beweist vollen Körpereinsatz und findet sich gegen Ende auf dem Bühnenboden wieder.
Im Anschluss heißt es schnell sein. Das Soulcrusher verzichtet zwar dankenswerterweise auf Überschneidungen, aber auch auf Pausen zwischen den Bands. So beenden PONTE DEL DIAVOLO ihr Set um 15:40 Uhr und ZETRA beginnen ihres nebenan ebenfalls um 15:40 Uhr. So früh ist das noch machbar, doch als es voller wird, schieben sich die Besucher:innen langsamer von einem Raum zum anderen. Zudem ist zu bedenken, dass in den kleinen Saal deutlich weniger Leute passen. Bei manchen Bands bleibt uns deshalb nur ein kurzer Blick durch die Tür. Zu ZETRA haben wir es aber geschafft. Das Duo spielt eine Mischung aus Shoegaze und Synthpop und wurde uns von Neige von ALCEST empfohlen. Sehr angenehm und tanzbar, mit ausgeprägtem 80s-Vibe.
Die nächsten Stunden wird es schwarz und doomig in verschiedenen Ausprägungen. LAMP OF MURMUUR halten es klassisch und füllen den großen Saal samt Balkon bis zum Anschlag. Sie halten ihr Set anfangs roh und lassen später mehr Melodik einfließen. Vor allem das Finale ist großes Kino. FIVE THE HIEROPHANT kreieren durch ihren avantgardistischen Instrumental-Doom eine ganz eigene Atmosphäre. Das Saxofon, das leicht nervig werden kann, setzen sie gekonnt ein. Mit DÖDSRIT folgt eines der Tageshighlights. Und das, obwohl Fronter Christoffer Öster nicht dabei sein kann. Trotzdem liefert die Band ein äußerst energetisches Set, und besonders die Leads gefallen.
Bei GOST darf wieder getanzt werden, und zwar richtig. Wo bei ZETRA eher geschunkelt wurde, entwickelt sich hier eine echte Tanzfläche. Sie bilden damit ein Highlight der anderen Art. INTER ARMA packen schließlich alle Genres aus, bevor es wieder schwarz wird. Zwischendurch spielen noch HEALTH (Industrial), doch warm werden wir mit ihnen nicht. Zu sehr leidet das Hörerlebnis unter den Vocals im PLACEBO-Stil und zusätzlichem Effekt auf dem Mikro. Mickey Mouse lässt grüßen. Ihr Merch, bestehend aus Buttplugs und Shirts mit der Aufschrift ‚Cum Metal‘ und ‚Sad music for horny people‘, ist zwar einen Lacher wert, verstärkt aber den Eindruck, dass sie es zu sehr versuchen.
Bei HIPPOTRAKTOR war kein Reinkommen mehr und wir lassen mit WOE, BLACKBRAID und THANTIFAXATH den Abend ausklingen. Vor allem BLACKBRAID sind ein weiteres Highlight, obwohl man die ab und zu eingesetzte Flöte kaum hört. Sie bildet neben dem Intro, bestehend aus traditionellem Gesang und Trommeln, das einzige Element, das das native Thema der Band musikalisch umsetzt. Mit ihrer Mischung aus Rohheit und Atmosphäre punkten sie trotzdem. Bei THANTIFAXATH gibt es dann noch das zweite Theremin des Tages. Das andere hatten INTER ARMA.
Galerie mit 15 Bildern: Ponte Del Diavolo - Soulcrusher Festival 2024Soulcrusher Tag 2
Am Samstag geht es etwas früher los. Einlass ist um 13:30 Uhr, Beginn um 14:00 Uhr. Trotzdem genug Zeit für ein Mittagessen und einen Besuch des Wochenmarkts. Anders als am Vortag startet das Festival auf der kleinen Bühne. Mit dem großen Andrang wird wohl später gerechnet.
Den Anfang machen DEATHLESS VOID vor einem prall gefüllten Saal. Am Mikro erkennen wir den Sänger von HELLERUIN. Der eigentliche Fronter Jelle Soolsma, der gestern noch vor Ort war, ist mit DÖDSRIT weitergezogen. Offiziell Black-Death, machen sie hier einen sehr schwarzen Eindruck, der gefällt. In Sachen Tempo bieten NORNA im Anschluss ein Kontrastprogramm. Ihr Sludge ist zwar sehr gut umgesetzt, aber ausgeschlafen sollte man sein, um bis zum Ende durchzuhalten. Auch mit MIZMOR und MORNE kommen Sludge-Fans auf ihre Kosten. Letztere sorgen für reichlich Atmosphäre, zu der die Videowand im Hintergrund beiträgt. So entsteht ein starkes audiovisuelles Erlebnis.
Die elektronische Fraktion am Samstag unterscheidet sich deutlich vom Vortag. Statt tanzbarer Beats gibt es heute eher Noise in seiner Reinform. LANA DEL RABIES, KOLLAPS, PHARMAKON und GREAT FALLS (in diesem Fall Noise Rock) checken wir aus, entscheiden uns aber dagegen. Ihren Anklang finden alle Bands trotzdem, wie der stets volle Saal beweist.
Der zweite Soulcrusher-Tag beherbergt viele der eingangs als Ausreißer bezeichneten Bands. Zwei Highlights bilden DVNE, die eine sehr progressive, allumfassende Soundlandschaft kreieren, und ULCERATE, die mit ihrem avantgardistischen Tech Death das Gleiche auf ganz andere Weise machen. Optisch passiert nichts, klanglich unheimlich viel. Bis hin zur Kakofonie, in der man sich verliert. Bei COILGUNS passiert dagegen auch optisch unheimlich viel. Fronter Louis Jucker fällt mehr über die Bühne, als dass er rennt. Er nimmt einem Besucher das Handy weg, springt auf die Bassdrum, gibt das Handy zurück und springt ins Publikum. All das in unter einer Minute.
Am meisten freuen wir uns auch heute auf den Black Metal im Line-up. Neben den erwähnten DEATHLESS VOID stellen diesen NYRST und ZEAL & ARDOR, wobei man bei Letzteren diverse Adjektive hinzufügen kann. NYRST holzen herrlich los und versprühen einen bedrohlichen Vibe, den besonders Fronter Snæbjörn Þór Árnason mit seinem Starren ins Publikum unterstreicht. Passend zu ihrer Heimat Island ist ihr Sound kalt und roh. Vor allem bei Bands wie dieser fällt auf, wie gut herausgearbeitet die Instrumente im Mix sind. Sowohl Soundanlage als auch Personal verdienen hier ein Lob.
ZEAL & ARDOR headlinen im großen Saal und machen für uns den Festivalabschluss. Sie haben einige Stücke ihres neuen Albums „Greif“ im Programm, die sich live erst noch etablieren müssen. Mit reichlich Material älterer Alben und einem Fokus auf dem self-titled „Zeal & Ardor“ schafft die Band ein starkes Gegengewicht. Sie mäandern zwischen traurig-dramatischen Songs und aggressiven Stücken. Letztere kommen besonders gut an und sorgen für einen ordentlichen Pit. Fronter Manuel Gagneux hat seine Stand-Up-Qualitäten, die uns zuletzt bei Summer Breeze 2023 aufgefallen sind, beibehalten. „Death To The Holy“ kündigt er als den einzigen guten Song der Band an, „according to some guy on YouTube“. Es ist tatsächlich einer ihrer besten Songs, zumindest am heutigen Abend.
Essen und Getränke
Damit beenden wir den musikalischen Teil und widmen uns zum Abschluss dem Drumherum. Zu Mittag essen sollte man vor dem Festivalbesuch, denn vor Ort gibt es erst ab 17:30 Uhr Essen. Darauf weist das Soulcrusher auf der Website hin. Es gibt Burger und warme Bowls. Bis auf eine vegetarische Ausnahme ist alles vegan. Eine Variante ist augenscheinlich glutenfrei. So können fast alle fast alles essen. Die Preise der Bowls sind mit 15 Euro happig; Burger kosten knapp die Hälfte. Auswärts essen ist dank der Innenstadtlage auch kein Problem. Preislich dürfte das aber keinen großen Unterschied machen.
Ein echtes Highlight ist die umfangreiche Bierauswahl samt extra Craftbeer-Bar. Eher belgisch ausgerichtet, gibt es viel Süßes, aber auch für uns gewohntere Geschmäcker. Serviert wird in den jeweiligen Flaschen beziehungsweise Gläsern, und mit einem Leffe-Pokal in der Hand fühlt man sich gleich viel eleganter. Guten Kaffee bekommt man an einer separaten Kaffeebar im Chillout-Bereich mit DJ. Günstig sind die Getränke beim Soulcrusher nicht, das gilt aber auch anderswo.
Nijmegen
Bei uns gehen die Meinungen auseinander, ob sich ein Aufenthalt in Nijmegen lohnt. Die Stadt ist sehr alt, wurde im Zweiten Weltkrieg aber ausgiebig zerbombt und im bekannten Nachkriegsstil wiederaufgebaut. Dementsprechend gibt es hübsche und weniger hübsche Ecken. Zu empfehlen sind der Marktplatz und die umliegenden Altstadtstraßen. Leider findet zumindest in diesem Jahr parallel zum Soulcrusher genau dort eine Kirmes statt, sodass man von der schönen Kulisse nicht viel hat. Es gibt viele Shoppingmöglichkeiten, auch second hand, und einen gut sortierten Buchladen mit großer Auswahl an englischen Büchern. Sammler:innen sollten sich in den Plattenläden umsehen, zum Beispiel im Vinylarchief oder bei Discords. Wir haben einige gute Restaurants entdeckt, unter anderem das Katzencafé Balthazar. Hunde trifft man beim Barbershop Hezelbarbers an, einem von vielen in der Stadt.
Kassensturz
Die Rubrik ‚Kassensturz‘ dürft ihr wörtlich und im übertragenen Sinne lesen. Einen Festivalbesuch mit Übernachtung und weiterer Anreise kostet. Mit um die 100 Euro für das Wochenendticket ist der Ticketpreis beim Soulcrusher einwandfrei. Eine bezahlbare Anreise mit der Bahn ist, wie oben erwähnt, möglich. Die Unterkunft wird dagegen vergleichsweise teuer werden, denn Nijmegen ist keine günstige Stadt. Trotz früher Buchung und geringen Ansprüchen lagen wir in diesem Jahr bei durchschnittlich 130 Euro pro Nacht. Beim Essen im Restaurant kann man mit rund 20 Euro für ein Hauptgericht rechnen.
Bleibt der Kassensturz im übertragenen Sinne. Lohnt sich der Besuch trotzdem? Wir finden: ja. Allgemeine Aussagen lassen sich nicht treffen, denn es kommt auf die eigenen Vorlieben und den Geldbeutel an. Das gebotene Line-up, die Atmosphäre und die sehr angenehmen Räumlichkeiten und Rahmenbedingungen machen das Soulcrusher zu einem Wohlfühl-Festival. Das Publikum ist ein weiteres Plus, denn es ist keine Partycrowd. Auf eine Grabensecurity kann das Festival verzichten. Offensichtlich Betrunkene? Fehlanzeige. Aggressives Durchdrängen nach vorne? Nope. Laute Unterhaltungen, die den Musikgenuss stören? Wenig bis gar nicht. Trotz ausgegebener Gläser und Glasflaschen keine Scherbe in Sicht. Toiletten? Einfach immer sauber. Klingt langweilig? Dann solltet ihr das Festival anderen überlassen. Ausverkaufen tut es sich sowieso. Die Early-Bird-Tickets sind bereits erhältlich.