Soilwork
Das meint die Redaktion zu "The Living Infinite"
Special
Drei Jahre haben uns die Schweden SOILWORK auf ein neues Album warten lassen, dafür haben sie uns dann aber auch gleich eine Doppelscheibe mit 20 Songs und fast anderthalb Stunden Lauflänge gegönnt. Das ist natürlich ein ambitioniertes Verlangen, was aber auch hätte in die Hose gehen können – schließlich konstatiert unser Rezensent Stephan Möller in seiner Review zu „The Living Infinite“ zwar diverse gute bis sehr gute Songs, aber eben auch eine Handvoll Lückenfüller. Wir haben noch ein paar Meinungen mehr eingeholt, um zu schauen, ob das denn alle so sehen.
Zweifel waren angebracht, nachdem sich Gitarrist und Songwriter Peter Wichers zum zweiten Mal bei den schwedischen Melo-Death-Vorreitern SOILWORK verabschiedet hat. Das erste Ergebnis, das unter seiner Abwesenheit entstand („Sworn To A Great Divide“ von 2007), war ein satter Fehlschlag, und erst nach seiner kurzzeitigen Rückkehr konnte die Band vor knapp drei Jahren mit „The Panic Broadcast“ wieder halbwegs an alte Zeiten anknüpfen. Und nun, oh weh, oh Graus, auch das noch: SOILWORK gehen doch tatsächlich das Wagnis ein und veröffentlichen ihr neues Lebenszeichen (mittlerweile mit dem einstigen Aushilfsgitarristen David Andersson als festes Mitglied) direkt mal als Doppelalbum. „The Living Infinite“ umfasst 20 Songs, und das obwohl der Band die vermeintliche Hauptinspiration in Sachen Songwriting fehlt – das kann doch eigentlich nur schiefgehen oder?
Aber siehe da: Es kommt alles anders. „The Living Infinite“ IST ein Überflieger, und zwar von vorne bis hinten, und es überzeugt auf ganzer Linie. Selbst diejenigen, die die Klasse von „The Panic Broadcast“ seinerzeit nicht erkennen wollten, dürften auf dem Doppelwhopper ihre Highlights finden, und diejenigen, die SOILWORK völlig zurecht auch weiterhin die Treue halten, sowieso. Wer davon überzeugt war, dass die Zeiten von „A Predator’s Portrait“ und „Natural Born Chaos“ endgültig vorbei seien, der muss sich nur mal den Opener „Spectrum Of Eternity“ anhören und wird eines Besseren belehrt: Der Song ist volle Kanne SOILWORK in Tradition, hat die Riffs, die Growls, die Melodien und die Soli zu bieten, wegen der man die Band mag, und jener ureigenständige Sound wird auf der Scheibe des Öfteren zelebriert. Fast immer sind die Refrains überragend, die Arrangements trotz allen Anspruchs vollkommen stolperfrei, und die Tiefe und Vielfalt, die durch Keyboards, Gitarrenleads und Speeds variablem Gesang erreicht wird, ist allgegenwärtiges Qualitätsmerkmal. SOILWORK schreiben die vielleicht eingängigsten und massentauglichsten Songs der Melo-Death-Welt, aber in jedem Song ist der metallische Anteil heavy genug, dass sich potenzielle scheiteltragende Kommerz-Käufer mit Schrecken abwenden. Wer weitere Songs im altbewährten Muster, aber mit völlig neuen melodischen Ideen haben will, der kann sich auch an den ganz und gar unbestrittenen Hits „This Momentary Bliss“, „Tongue“ oder „Long Live The Misanthrope“ erfreuen, und wer für den Kauf eines Doppelalbums noch dessen Existenzberechtigung braucht, der hält sich an dem, womit SOILWORK ihren Sound erweitert haben.
„Whispers And Lights“ ist ein atmosphärischer Ohrenschmeichler im luftigen Traumtänzerformat, eine Beschreibung, die auf das fast schon balladeske „Antidotes In Passing“ noch viel mehr zutrifft. „The Windswept Mercy“ kokketiert mit Alternative-lastiger Eingängigkeit und würde die Grenze zum Kommerz streifen, wäre der Mittelteil nicht so kompromisslos heavy. „Let The First Wave Rise“ ist Speed Metal mit Hymnenflair, und bei „Owls Predict Oracles Stand Guard“ lassen SOILWORK ein wenig den doomigen Hammer-Kreisen, ohne dabei auf ihre Trademarks zu verzichten. Der zweigeteilte Titelsong beherbergt in seiner Konsequenz alle Facetten des Bandsounds, und wer all diese Songs gehört und für gut befunden hat, der wird auch den Rest des Albums aufsaugen. „The Living Infinite“ ist eines dieser Mammutalben, bei denen man irgendeinen Song auswählen kann und immer einen Treffer landet – und bei dem man am Ende des einen sich schon auf den nächsten freut.
Man kann mir viel erzählen, aber dass SOILWORK eine Band von gestern seien, die ihre großen Zeiten hinter sich hat, über diesen Unsinn kann ich nur müde lächeln. „The Living Infinte“ zeigt eine Band, die noch lange nicht am Ende ist, und egal ob ihr das Teil nun als Doppelalbum oder als „zwei Alben zur gleichen Zeit“ betrachtet: Fans von durchaus zeitgemäßem Metal, der Härte, Melodie und technisches Können vereint, werden derzeit kaum eine bessere Band zur Bedürfnisbefriedigung finden. Und „The Living Infinite“ ist eines der ersten wirklichen Highlights des Jahres.
(Heiko Eschenbach | 9/10 Punkte)
Neun Alben in 15 Jahren – die Schweden von SOILWORK sind mit Sicherheit eine der fleißigsten Bands der Metal-Szene. Noch beeindruckender ist diese Tatsache vor dem Hintergrund, dass sich die Diskografie des Fünfers – mit Ausnahme der etwas schwächeren „Figure Number Five“ und „Sworn To A Great Divide“ – aus durchweg starken Platten zusammensetzt. Vor allem auf dem letzten Langeisen „The Panic Broadcast“ präsentierte sich die Band in starker Verfassung. Kurzum – meine Erwartungen an das neue Werk „The Living Infinite“ waren hoch, zumal man bei Doppelalben immer die Befürchtung haben muss, dass mit ordentlich Füllmasse gestreckt wird.
Um es gleich vorweg zu nehmen: ich bin nicht enttäuscht worden. SOILWORK agieren auch anno 2013 auf einem außerordentlichen Niveau. Die Songs bieten technisch anspruchsvollstes Riffing, mitreißende, frische Melodien und musikalisches Facettenreichtum. Der Sound tönt zudem klar und druckvoll, wie man sich das für ein modernes Metal-Album dieser Art wünscht.
Vor allem die erste Albumhälfte ist gespickt mit Highlights. Ob nun der Opener „Spectrum Of Eternity“, das melodisch ausgefeilte „Memories Confied“, das treibende „This Momentary Bliss“ oder das sehr eingängige „The Living Infinite I“ – die Tracks sprühen vor Spielfreude und sind über weite Strecken beeindruckendes Zeugnis der Kompositionskunst der Schweden. Lediglich „The Windswept Mercy“ und „Whispers And Lights“ fallen hier etwas ab, was in diesem konkreten Fall am Clean-Gesang von Fronter Björn Strid liegt, der mir bei besagten Songs etwas zu schmalzig agiert. Hier muss aber gesagt werden, dass der Mann seine Sache ansonsten wirklich ausgesprochen gut macht. Besonders gelungen sind die mehrstimmigen Arrangements in den Refrains, die eben nicht am Rande zum Kitsch wandeln, sondern sehr reif und griffig klingen.
Auch die zweite Platte bietet höchsten Unterhaltungswert. Tracks wie das SOILWORK-typische „Long Live The Misanthrope“, das rasante „Leech“ oder das groovige „Drowning With Silence“ können das Niveau der ersten Hälfte problemlos halten. Die Songs überzeugen mit punktgenauem Riffing der Gitarristen Sylvain Coudret und David Andersson, dem – wieder einmal – überirdischen Drumming von Schlagmann Dirk Verbeuren und jeder Menge eingängiger Hooklines. Und auch tief in der zweiten Albumhälfte gibt es noch Überraschungen. Das überwiegend clean besungene „Antidotes In Passing“ beispielsweise weiß mit progressiver Melodieführung und interessantem Arrangement zu gefallen.
Letztlich zementieren SOILWORK mit „The Living Infinite“ ihren Status als wichtigste schwedische Melodic-Death-Metal-Band. Strid und Kollegen sind in meinen Augen einfach viel abwechslungsreicher als IN FLAMES, vielseitiger als DARK TRANQUILLITY und ARCH ENEMY sowie frischer und kraftvoller als AT THE GATES. „The Living Infinite“ hat definitiv das Zeug zum Klassiker, auch wenn es natürlich durchaus eine gewisse Anstrengung bedeutet, alle 20 Songs am Stück durchzuhören. Aber für mich ist das am Ende einfach ganz großer musikalischer Sport.
(Anton Kostudis | 9/10 Punkte)
Lange habe ich nun persönlich keinen musikalischen Kontakt mehr zu SOILWORK gehabt. Nach den für mich tatsächlich starken Alben „A Predator’s Portrait“ und „Natural Born Chaos“ war für mich aus unerklärlicher Weise Schicht im Schacht und demzufolge Funkstille. Da die Schweden mittlerweile aber keineswegs aus dem öffentlichen Fokus ausfallen, sondern tendenziell noch viel mehr Gehör als damals erhalten, sollte „The Living Infinite“ potenziell ein neues Sprungbrett für mich bilden. Erster Gedanke, wen wundert’s: Ach, was klingen die doch heute anders.
Dabei ist der Opener und vorab bereits hörbare Track „Spectrum Of Eternity“ wohl noch einer der Songs, die am Ehesten mit den alten SOILWORK vergleichbar erscheinen. Natürlich ist das produktionstechnisch aalglatt und auch die Keyboards von Sven Karlsson scheinen nicht unwesentlich intensiver geworden zu sein, doch der Grundkern ist begeisternd. Mit wütender Dynamik und gleichzeitig toller Melodie treibt das Stück mächtig voran und Björn Strid veredelt gewohntermaßen hochwertig mit seinen variablen Vocals.
Dass „The Living Infinite“ als Doppelalbum ein weiteres Novum in der größeren Geschichte des Melodic Death Metal herstellt, wirkt für mich in der Umsetzung letztlich nicht allzu spektakulär, denn für mich erscheint das Teil musikalisch schlichtweg wie zwei unterschiedliche Alben. Es fällt ein wenig auf, dass die erste Scheibe grundsätzlich etwas heavier und uriger daherkommt, während CD Zwei moderner und vermutlich etwas typischer nach den neuen SOILWORK klingt. Die wirklichen Fans der Schweden werden an dieser Stelle sicherlich nicht enttäuscht sein, denn mit „Tongue“, „Leech“ oder den beiden Titeltracks, um nur ein paar wenige zu nennen, verfügt das Album auch über einige richtig fette Kracher.
So markiert „The Living Infinite“ ein blitzsauberes Spagatwerk zwischen melodischem Death Metal und weiteren neuartigen metallischen und rockigen Spielarten. Und das auf fast anderthalb Stunden Spielzeit ist sicherlich erstmal genug Chappy für das aufgeregte Köterchen.
(Patrick Olbrich | 8/10 Punkte)
Nun gut, die Kollegen haben sich ja schon ausgiebig zu „The Living Infinite“ geäußert, daher bemühe ich mich, mich kurzzufassen. Meine letzte Berührung mit den Schweden ist immerhin auch schon ein Weilchen her, seit „Stabbing The Drama“ habe ich nichts mehr von ihnen gehört und das, obwohl SOILWORK bei meiner jugendlichen Erkundungsreise durch die verschiedenen Metal-Stile eine Konstante waren, die ich immer gern hervorgeholt habe. Aber gut, wenn ich mir „The Living Infinite“ so anhöre, habe ich auch nicht viel verpasst. Nein, SOILWORK sind keineswegs schlecht und ja, sie verbraten durchaus Einflüsse ihrer früheren Tage. Das große Aber folgt sogleich: Sie sind glatter als früher, weniger spontan und besitzen inzwischen gewaltigen Pop-Charme. Davor habe ich Respekt. Nun sind aber süßliche Hooklines, poppige Ohrwurm-Refrains und auch der mitunter durchschimmernde Prog-Einschlag nicht das, was ich an SOILWORK geschätzt habe.
Ich mochte die ungestüme Spontanität, bei der sich gefühlt zufällig Härte und Melodie zu unglaublich großartigen Momenten voller Energie zusammengefunden haben. Das findet sich auf „The Living Infinite“ nur noch in Ansätzen. Nichtsdestotrotz haben SOILWORK erneut ein paar Hochkaräter aufgefahren, auch das will ich nicht verleugnen: Der Opener „Specturm Of Eternity“ lässt mich tatsächlich etwas nostalgisch werden, während „Leech“ einem zunächst die Ohrmuscheln freipustet um dann mit einem großartigen Refrain von letzten Zweifeln zu befreien (Bjorn „Speed“ Strid zeigt hier wirklich eindrucksvoll seine stimmliche Vielfalt), aber auch zum Beispiel „Tongue“ hat es mir durchaus angetan. Nun ist „The Living Infinite“ aber ein Doppelalbum mit opulenter Spielzeit, das nicht durchgehend das Niveau hält und vor allem verschiedene Seiten SOILWORKs auszuloten versucht. Das Experiment ist eher weniger gelungen, so führt mich mein Finger immer wieder zur Skip-Taste um meine Favoriten zu suchen, der Rest, gerade die ruhigeren Songs, haben eher was von besseren Lückenfüllern. Das macht „The Living Infinite“ aber nicht schlechter als es ist, das Album ist sehr gut, aber haut mich nur in wenigen Momenten wirklich komplett vom Hocker.
(Jan Wischkowski | 7/10 Punkte)