Sirenia
Listening Session zu "Nine Destinies And A Downfall"

Special

Sirenia

Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass sich Morten Veland das letzte Mal in musikalischer Form zu Wort gemeldet hat. Die „Sirenian Shores“-Mini, die dem ein halbes Jahr zuvor erschienenen Zweitling „An Elixir For Existence“ gefolgt war, bot damals wenig Neues und dürfte eher der Vertragserfüllung mit Napalm Records gedient haben, als künstlerischen Belangen zu folgen.

Im letzten Jahr folgte die für viele konsequente Unterzeichnung bei Nuclear Blast. Mit seiner Unabhängigkeitserklärung „At Sixes And Sevens“ und dem erwähnten Zweitwerk hatte Morten eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er sich mit einem Platz im Schatten TRISTANIAs nicht zufrieden geben würde. Die Tatsache, dass deren Alben aus der Post-Veland-Ära weitaus weniger Begeisterung hervorrufen konnten als SIRENIA, welche die Tugenden aus „Beyond The Veil“-Tagen aufgriffen, und besser fortführten als ihre eigentlichen Interpreten, begünstigte Mortens Vorankommen mit SIRENIA mit Sicherheit sehr. Wäre dem nicht so, befänden wir uns heute nicht in Donzdorf, wo er in Begleitung seines weiblichen Counterparts Monika das neue Album „Nine Destinies And A Downfall“ vorstellt.

Sichtlich nervös begrüßt der schüchterne Hüne die kleine Schar erlesener internationaler Journalisten im Büro von Labelchef Staiger, wo die beste Anlage des Hauses steht. Nervös ist er nicht ohne Grund: denn wie sich herausstellt, hat er SIRENIA einer einschneidenden Kurskorrektur unterzogen, die keiner der Anwesenden erwartet hat. Die Zutaten des Erfolgsrezepts sind im Grunde zwar immer noch dieselben, das Mischverhältnis ist aber stark abgeändert. Bereits beim Opener „The Last Call“ fällt auf, dass Monikas Part deutlich an Gewicht gewonnen hat, und zwar derart, dass sie den kompletten Gesang allein stemmt. Mortens Growls finden nicht statt. Diese neue Verteilung der Aufgaben ist für das gesamte Album prägend: die Laut-/Leise-Dynamik, respektive das Wechselspiel von harschen Growls und sanften weiblichen Gesangsparts, die jedoch selten über ein untermalendes, unverständliches Säuseln hinausgehen, ist einer alleinig dominanten, ausdrucksstarken weiblichen Stimme gewichen, was die „neuen“ SIRENIA in der Konsequenz in die unmittelbare Nähe von LEAVES‘ EYES rückt. In den Songs, in denen Growls auftauchen, ist das klassische Gothic-Metal-Schema dann tendenziell umgekehrt: die Growls stemmen den Refrain, während der weibliche Part die Strophen übernimmt (z.B. in „Sundown“). Allein das sagt viel über die neue Rollenverteilung der Vocals aus. Vom unverkennbaren TRISTANIA-Erbe seiner Vorgänger hat sich „Nine Destinies And A Downfall“ eindeutig emanzipiert und sich vieler Parallelen entledigt.

Ebenso wie Mortens Growls, die lediglich auf insgesamt drei Songs sporadische Verwendung finden, ist die traditionelle Geige dem Richtungswechsel zum Opfer gefallen und erklingt nur zusammen mit einem Cello in „Glades Of Summer“, das als Powerballade das Album mit viel Akustikgitarreneinsatz beschließt. Im Verlauf der Scheibe wird sehr bald ein Strickmuster erkennbar, nach dem die neuen Songs gefertigt sind. Im Vergleich zu ihren Vorgängern geben die sich weitaus weniger metallisch, legen stark gesteigerten Wert auf dominante, melodieführende Keyboards und weisen den Gitarren eine Statistenrolle zu. Erfreulich fällt hier zwar auf, dass durch die Verwendung von Zwölfsaitern endlich mehr Druck von den Klampfen kommt als noch auf den beiden ersten Alben, die durch ihre arg zurückhaltende Produktion eher schwachbrüstig wirken. Allerdings scheinen sich die Gitarren dies mit ihrem Stellenwert in den Songs erkauft zu haben.

Eine ähnliche Entwicklung ist beim sakralen Moment zu verzeichnen, das sowohl bei TRISTANIA als auch bei SIRENIA stets stilprägend war: Die Chöre wurden zugunsten der Alleinstellung von Monikas Gesang reduziert und konzentrieren sich hauptsächlich auf ein kurzes, isoliertes Break pro Song. Dieses Muster von klar abgrenzbaren Songabschnitten lässt sich auf jeden der neun enthaltenen Tracks anwenden.

Insgesamt fällt „Nine Destinies And A Downfall“ mit reichlich Keyboard, den zur Untermalung degradierten Gitarren, wenig variiertem Midtempo und klassischen Popsong-Strukturen sehr zeitgemäß oder – kritisch ausgedrückt – kommerziell aus. Einige der Songs empfehlen sich dabei schon jetzt als künftige Single-Erfolge. Besonders das bereits erwähnte „The Last Call“ und „My Mind’s Eye“ warten mit entsprechend eingängigen Hooklines auf. Selbst ein aggressiverer Track wie „One By One“, der etwas angezogenes Tempo und betontere Gitarren ins Feld führt, lässt dank seines Refrains, der gar ein wenig an RAMMSTEINs „Engel“ erinnert, entsprechendes Potenzial erkennen.

„Nine Destinies And A Downfall“ ist für den großen Markt abseits des Metal gemacht, der durch den Erfolg der Wegbereiter NIGHTWISH für entsprechende Veröffentlichungen mittlerweile sensibilisiert ist. Eine so tiefgreifende Stilanpassung wäre damit zwar kaum nötig gewesen, die Chancen auf entsprechend hohe Verkaufszahlen hat Morten mit diesem Album allerdings sicher optimiert. Ob das Album im Kielwasser von EVANESCENCE, LEAVES‘ EYES und LACUNA COIL bestehen kann, wird sich zeigen. Neue Fans werden sich damit allerdings eher aus der breiten Masse als aus der Szene ergeben.

Galerie mit 20 Bildern: Sirenia - Summer Breeze Open Air 2018
20.12.2006

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