Siddharta
Clash zu "Rh-": Wieviel Pop verträgt der Metaller?

Special

Ja, gibt’s das? Der Clash lebt wieder! Und wie! Diese Ausgabe verspricht ein ganz heißer Tanz zu werden, denn es dreht sich um die slowenischen Durchstarter von SIDDHARTA. In ihrem Heimatland sind sie bereits Superstars, ihre Konzerte sind ausverkauft und in den ersten Reihen tummeln sich pubertierende Teenager. Wenn das mal keine erstklassigen Voraussetzungen für einen verbalen Faustkampf zwischen Thomas und unserem alltime-Clasher metalgreg sind…

Thomas: SIDDHARTA? Nie gehört. Zumindest bis vor zwei Wochen. Seither quasi nur noch! SIDDHARTA sind für mich DIE Überraschung des noch jungen Jahres. Denn mit „Rh-“ veröffentlichen die Slowenen ein absolut überzeugendes Werk, das es einem nicht schwer macht zu glauben, daß die sechs Jungs in ihrer Heimat Slowenien gefeierte Megastars sind. Zwar fangen sie bei uns praktisch wieder bei Null an, mit „Rh-“ in der Hand dürfte es allerdings nicht lange dauern, bis ihr Name auch hierzulande in aller Munde ist und ihre Hits in den Clubs hoch- und runtergespielt werden. Und nicht nur da, denn SIDDHARTAs Mucke ist so zugänglich und ohrwurmig, daß wohl auch eine Chartpositionierung im oberen Drittel drin sein dürfte! Eine Anbiederung an den noch immer um sich greifenden Metal-Hype kann man den sechs Jungs dabei jedoch nicht vorwerfen, da nicht nur der Härtegrad unter (!) dem der aktuellen Radiokonkurrenz angesiedelt ist, sondern auch die verarbeiteten musikalischen Einflüsse eine eher unmetallische Sprache sprechen. Und genau die machen die Musik so besonders: Da werden extrem poppige Ohrwurmmelodien mit flockigen, tanzbaren Rhythmen kombiniert und mit immer wechselnden Elementen angereichert. Und die reichen von SYSTEM OF A DOWNschem Sprechgesang über Vocoder Stimmeffekte, düstere Synthiesamples, epische Streicher bis zu hin zum Einsatz eines Saxophons. So heterogen die Zutaten scheinen mögen, so stimmig ist die Scheibe, die mit ihren 14 vollwertigen Songs wirklich keinen Ausfall zu verzeichnen hat und bei allem Pop-Appeal auch ihre Daseinsberechtigung in der Metalszene hat. Und jetzt kommst Du!

Metalgreg: Und wie ich komme! Löcher könnte ich in die Wand kotzen! Bratpfannengroß! Ohne Scheiß! Im Prinzip beschreibst Du die Mucke der Slowenen gut, denn alles, was ich mir auf meinen Schmierzettel geschrieben hatte, kommt in Deiner Kurzanalyse zu Wort. Allerdings unterscheiden sich unsere Wahrnehmungen dieser Darbietung doch bei weitem. Zugänglichkeit ist nicht verboten, ebenso wie Ohrwurmigkeit. Die Chartposition kann auch passieren. Wo ich allerdings einen Schreikrampf bekomme, ist die Tatsache, daß Du die sehr wohl stattfindende Anbiederung dieser Band an die Metal-Szene (und eigentlich an alles) geflissentlich negierst. Wenn sich jemand anbiedert, dann ja wohl SIDDHARTA, weil sie jedem, auch denen außerhalb der Hartwurstgrenzen, gefallen wollen. „Sim Hae“ ist gänzlich auf moderne PARADISE LOST gepolt, langweilt jedoch von der ersten bis zur letzten Sekunde. „Rooskie“ bedient die SYSTEM OF A DOWN-Fans und „Insane“ bezieht die Folk- und Mittelalter-Fraktion mit ein, ganz zu schweigen vom fürchterlich klebrig-süß-poppigen und penetranten „Kloner“ (Hiiilfe, das kriege sogar ich nicht mehr aus dem Kopf!), das strunznormale Chartmucke ohne jegliche Gitarren darstellt. Pfui Spinne, Kollege! Wenn man es über die Jahre schafft, ohne sich zu verdrehen, everybody’s darling zu werden, herzlichen Glückwunsch! Geschieht dies jedoch auf eine solche bis ins Kleinste durchkalkulierte Weise wie auf „Rh-„, ist dies keinesfalls lobenswert!

Thomas: Gut gebrüllt, Löwe! Das mit der Trend-Anbiederung kann ich so aber nicht stehen lassen. Schließlich besteht die Band schon seit 1995, also einer Zeit, als ein Name wie SYSTEM OF A DOWN noch in den Sternen stand und PARADISE LOST auch noch um einiges kräftiger klangen! Gut, ich kenne den Backkatalog von SIDDHARTA nicht, aber es liegt doch nahe, daß sich die älteren Scheiben stilistisch nicht allzu weit abseits von dem bewegen dürften, was die Band auch heute noch macht: charttaugliche aber dennoch alternative Mucke. Schließlich hat das „Phänomen SIDDHARTA“ seinen Anfang bereits vor einigen Jahren genommen. Klar werden vor zehn Jahren noch keine Nu-Metal Einflüsse dabei gewesen sein, aber ist es denn verboten, sich bei anderen funktionierenden Konzepten zu bedienen? Wenn es denn so gut funktioniert und auch noch so überzeugend klingt wie im Falle SIDDHARTAs, muß die Antwort meiner Meinung nach schlicht „DOCH!“ heißen. Wenn sich Metalcore Bands (nur als aktuelles Beispiel und nichts gegen Metalcore an sich) zu Dutzenden gegenseitig kopieren und sich untereinander tausend mal gehörter Strukturen bedienen, finde ich das weitaus schlimmer, als wenn sich eine Band öffnet und ihren Stil interessant und abwechslungsreich hält. Monokulturen sind über kurz oder lang zum Aussterben verdammt. Niemand beschwert sich, wenn sich eine Band problemlos in eine bestehende Schublade einordnen läßt und Althergebrachtes aufwärmt. Da frage ich mich aber, was kommerzanbiedernder ist: diese Nummer-sicher-Schiene bis zum Erbrechen zu fahren oder Experimente zu wagen und sich – in diesem Falle zugegeben poppigen und radiotauglichen – Einflüssen zu öffnen, mit denen auch sehr viele Leute ihre Probleme haben dürften?

Metalgreg: Betrachtet man das oder besser gesagt Dein „Phänomen SIDDHARTA“ objektiv, müßte ich Dir hier sicherlich zustimmen. Auch was den Metalcore oder früher den Melodic Death Metal made in Sweden angeht. Aber dies hier ist ein Clash, also scheiß auf Objektivität! Ich will einfach nicht, daß eine solche Platte in manch deutschem Printmag sogar Platte des Monats wird oder das Video zu „Rave“ (zugegebenermaßen einer der besseren Songs der Platte) in Metal-Sendeformaten anderen weitaus mehr der Szene zugehörigen Bands den Sendeplatz wegnimmt. Ab damit ins normale Chartprogramm zu NU PAGADI oder VANILLA NINJA. Sicher, „Rh-“ offenbart eine große stilistische Breite. Das ist unbestreitbar. In meinen Augen haben aber Pop-Kaugummi wie „Kloner“ oder dümpelige Schmachtfetzen wie „Rain“ (durch platt-plakativen Flöteneinsatz furchtbar auf keltisch getrimmt) oder „Marslander“ auf einer Platte, die in „unseren“ Medien stattfindet, nichts verloren. Sorry, SIDDHARTA machen kein Metal, sondern mitunter harten Pop. Dafür kann man sie nicht verurteilen. Aber gefallen will es trotz der vielen zuckersüßen Melodien und der superben Stimme von Sänger Tomi M. nur rudimentär. Und mal ganz ehrlich: Ist dieses Öffnen hin zu sämtlichen Stilrichtungen nicht doch die größere Kommerzanbiederung, weil man auf jedes Klientel, angefangen bei der 12-jährigen Bravo-Leserin bis hin zum THE-KOVENANT-meets-RAMMSTEIN-Fan, der mit „T.H.O.R.“ vorzüglich bedient wird, schielt?

Thomas: Ha! Touché, mein Gutester! Der Punkt mit der Anbiederung ging wohl an mich, denn genau das ist doch des Pudels Kern. Ich gebe Dir allerdings in dem Punkt recht, daß SIDDHARTA eindeutig kein Metal sind, sondern handelsüblicher Pop, der mit harten Gitarren kokettiert. Aber nur weil die Mucke eingängig ist und die Gitarren auf einem Popfundament aufbauen, muß man sie doch nicht gleich verteufeln! Es kommt immer darauf an, aus welcher Richtung man das Ganze betrachtet. Ist das nicht auch ein kleines bißchen ein Credibilty Problem? Schau Dir beispielsweise HAVAYOTH, das Projekt von gewissen Herren namens Hedlund (aka VINTERSORG), Vargher (ANCIENT WISDOM) und Mad Morgan Hansson (NAGLFAR) an. Denen wird niemand vorwerfen, sie seien kein Metal, aber dennoch klingen HAVAYOTH und SIDDHARTA sehr ähnlich, mit dem kleinen Unterschied, daß erstere den Weichspüler sogar noch etwas höher dosiert haben. Oder schau Dir SAMAEL an. Deren Songs sind auch extrem poppig und übrigens auch nicht so weit vom SIDDHARTA Sound entfernt, wie man vielleicht glauben mag. Warum fährt denen keiner an den Karren? Richtig, weil sie eben auch „Blood Ritual“ gemacht haben. Was haben KARI RUESLÅTTEN, LEAVES‘ EYES und aktuelle ANATHEMA in Metalformaten verloren? Nur weil sich SIDDHARTA in der Vergangenheit keine Hartwurst-Lorbeeren verdient haben (wobei, wissen wir’s?) und somit keinen offensichtlichen Rechtfertigungsgrund liefern, daß auch Otto Normal Metaller reinen Gewissens behaupten darf, ihm gefalle „Rh-„, muß man jetzt keine Hexenjagd veranstalten. Etwas mehr Openmindedness, bitte (man verzeihe mir den Anglizismus). In dem Punkt, dass Pop im Metal nichts verloren hat, gehe ich mit Dir generell konform. Ich finde aber, dass SIDDHARTA die Grenze zwar berühren, aber nicht überschreiten und so auch ihre Rechtfertigung für den Metal haben, „Kloner“ einmal ausgenommen, was aber trotzdem ein cooler Song ist. Die Situation ist vergleichbar mit der Diskussion um HIM. Viele ihrer Songs sind einfach zu schmalzig, „Join Me“ oder „Right Here In My Arms“ haben aber auch gestandenen Metallern gefallen! Genauso ist es bei „Rh-„. Das rockige Zeug wird in den Clubs gespielt werden und in der Szene Anklang finden, der Rest wird unter den Tisch fallen und eher im Mainstream einschlagen. Außerdem: die Flöten in „Rain“ als platt-plakativ und verkrampft keltisch zu nennen ist ein unerlaubter Tiefschlag, denn meiner Meinung nach passen die sich prima in den Song ein und zeigen nur mehr eine weitere Facette des SIDDHARTAschen Sounds. Auch auf die Gefahr hin, daß diese Killerphrase zu früh kommt: die Hauptsache ist doch, daß die Mucke gefällt! Und wenn ich mir anschaue, daß „Rh-“ seit Wochen bei mir hoch- und runterläuft, sehe ich keinen Grund, warum ich der Scheibe nicht die Höchstnote geben sollte, egal ob poppig der nicht.

Metalgreg: HAVAYOTH? Kenn ich nicht. SAMAEL? Die letzte gute Platte war „Passage“. KARI RUESLÅTTEN? Mochte ich noch nie. ANATHEMA? Ebenso. LEAVES‘ EYES? OK, hier hast Du mich erwischt. Daß ich diese Band mag, liegt aber wohl eher an meiner Vorliebe für Livs Stimme. Und als SIDDHARTA-mäßigen Pop-Rock würde ich diese Band auch nicht bezeichnen, sondern eher als eingängigen Goth-Rock mit leichtem Hang zum Metal. Openmindedness (der Anglizismus sei Dir verziehen!)? Ich denke, daß ich eine gesunde Portion davon mein Eigen nennen kann. Allerdings säubere ich mir anscheinend öfters meine Ohren als Du, weil mir die nötige Portion Schmalz im Gehörgang fehlt, um SIDDHARTA nicht als allergenen Stoff abzustoßen. Ich habe einfach keine Windung oder Nische in den Ohren, in der diese Art von Musik, die ohne Zweifel gut gemacht ist, Platz hat. So ist es auch kein Wunder, daß ein Song wie „T.H.O.R.“ aufgrund seiner harten Ausrichtung mein Favorit auf dieser Platte ist, ein Schmachtfetzen zum Zerfließen wie „Etna“ aber Pickel hervorruft. Womit ich jetzt bei meinem Fazit zu „Rh-“ angekommen wäre (habe echt keine Lust, diese Platte noch öfters zu hören!): Das positivste dieser 15 Tracks ist ganz klar Sänger Tomi M., der mit einer einfühlsamen und warm emotionalen Stimme gesegnet ist, die sämtliche Stimmlagen problemlos in sich vereint. Hinzu kommen vereinzelte, bessere Tracks wie „T.H.O.R.“ oder „Rave“, die mit Sicherheit die hiesigen Tanzflächen im Sturm nehmen werden. Dagegen wäre auch nichts einzuwenden, wenn „Rh-“ nicht den nun schon oft beschriebenen Pop-Appeal samt Schmacht-Schmalz-Charakter hätte, der einfach nicht zu meinem „Otto-Normal-Metaller-Gehör“ passen will. Metal und generell mit härteren Gitarren versehene Musik ist populär im Moment, keine Frage! Verhilft diese Tatsache aber Bands wie SIDDHARTA dazu, „unsere“ Szene zu unterwandern und poppig einzuwickeln, steht dem Metal keine große Zukunft bevor, sondern der tiefe Fall ins mit Kaugummi verklebte nichts. 3/10 Punkten! Nicht mehr, nicht weniger!

Thomas: Na, jetzt malst Du aber schwarz! Wenn es nach Dir geht, stellen ja selbst VANILLA NINJA eine ernstzunehmende Bedrohung für den Metal dar! Was Du dabei aber übersiehst sind die Selbstheilungskräfte der Szene, die sie schon immer hatte und auch immer haben wird. Der „wahre“, traditionelle Metal ist das einzige Kontinuum, das es immer gab und immer geben wird. Diese Modetrends sind Strohfeuer, die der Szene ein, zwei Jahre massiven Zulauf bescheren, danach aber genauso schnell wieder verschwinden, wie sie aufgetreten sind. Wie ein Konjunkturzyklus eben. Aber dieses Thema ist ein ganz anderes Fass ohne Boden. Wobei ich Dir allerdings zustimme, ist die Tatsache, dass wohl kein Promoter auf die Idee gekommen wäre, Metalmagazine mit SIDDHARTA zu bemustern, wenn sich nicht der breite Mainstream eine Gitarre umhängt hätte, um einen auf Poser zu machen. SIDDHARTA ist (alternative) Popmusik, das gebe ich ganz offen zu. Trotzdem ist es aber Popmusik, die extrem zu gefallen weiß, weil sie zwar im Vergleich zu unseren – oder besser Deinen – Hörgewohnheiten gewöhnungsbedürftig und viel zu soft sein mag, sich aber gleichzeitig deutlich vom restlichen Pop-Metal-Kram abhebt. SIDDHARTA versuchen nicht verkrampft, düster, übel oder böse zu klingen. Wo man derlei Dinge heraushören will, frage ich mich immer wieder! Was ich nicht verstehe ist, warum Du Dich der Mucke so vehement verweigerst und verkrampft versuchst, davon um Himmels Willen bloß keinen Ohrwurm zu bekommen. Ist es denn so schlimm zuzugeben, dass es Dir – und sei es nur manchmal – gefällt? Das bricht weder Dir noch mir einen Zacken aus der Krone, denn mit Sicherheit unterscheidet sich auch mein sonstiger Musikkonsum deutlich von dem, was auf „Rh-“ zu hören ist.

Dass ich der Scheibe die Höchstnote gebe, liegt einfach daran, dass alle Songs auf dem Album potenzielle Singleauskopplungen sind und mich voll überzeugen. Ja, auch wenn es teilweise nicht das Geringste mit Metal zu tun hat. Mehr kann und weniger darf man für die Höchstnote nicht erwarten. Es ist einfach Popmusik, die zwar in meinen, aber offensichtlich nicht in Deinen Toleranzbereich fällt. Vielleicht änderst Du ja Deine Ansichten noch. Du weißt ja: Jeder hat ein Recht auf meine Meinung! 😉

20.03.2005
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