Scorpions
Die "50th Anniversary Editions" ihrer Klassiker

Special

Scorpions

Und es winkt ab: der credible Rock-Rebell. Als solcher. SCORPIONS? Schwanzfixierte Schnauzbart-Rüpel und schwarz-rot-goldene Kitschbarden. Bleib‘ mir wech, ich bin cool! Es winkt herbei die Horden des Hedonismus: Metal.de. Als wenn nichts wäre. SCORPIONS? Vitale Vollblut-Rocker und Hannoveraner Heroen. Nur zu, wir sind cooler! Skorpione machen nun mal viel mit dem Schwanz. Ähm.

Jedenfalls veröffentlichen die SCORPIONS acht Klassikeralben von „Taken By Force“ bis „Savage Amusement“ zur Feier der Goldenen Hochzeit von Meine und Schenker erneut. Sie machen dabei keine halben Sachen, natürlich nicht, sondern liefern durchweg fette Booklets mit Liner Notes von Edgar Klüsener, launigen Fotos und allen Texten sowie umfangreiche akustische bzw. visuelle Ergänzungen, darunter bei allen Scheiben ab „Blackout“ brandaktuelle Rückblicke auf die jeweilige Entstehungsgeschichte. Die Vinyl-Versionen stehen hier nicht zur Debatte, aber schon die Digipack-CDs machen ordentlich was her.

Und zugegeben: Wenn man sich die Cover der SCORPIONS so ansieht, dann wird die zentrale Message der Band zwischen Bums und Busen schon relativ deutlich. Doch das ist wie immer nicht die ganze Wahrheit. Also schnallen Sie sich bitte trotz zittriger Finger an: Es wird furios. Hier kommen die größten Alben der größten deutschen Rockband. Hier kommen die Klassiker der SCORPIONS.

TAKEN BY FORCE (1977)

Die SCORPIONS sind als Band nur unwesentlich jünger als beispielsweise die Fußball-Bundesliga. Ein Zehntel dieses halben Jahrhunderts war Uli Jon Roth bei den Jungs aus Hannover an der Leadgitarre tätig. Gut fünf Jahre. Bezogen auf die Bundesliga wäre er damit in etwa der 1. FC Saarbrücken. Dass Uli Jon Roth in seinem Metier bis heute bedeutend höher gehandelt wird, verweist somit unzweifelhaft auf dessen (internationale) Klasse. Sein Einfluss auf die Musik der SCORPIONS lässt sich erkennen, stellt man „Taken By Force“, das letzte Studio-Album mit Roths Beteiligung, neben die folgenden Werke der Band.

Zwar gibt es zum Auftakt „Steamrock Fever“ als Mitgröhl-Rocker und auch das ziemlich metallische „He’s A Woman – She’s A Man“ hätte von Meine/Schenker ohne aufzufallen ein paar Jahre später losgelassen werden können. Roths Kompositionen allerdings weniger; vor allem das mystisch-verspielte „The Sails Of Charon“ und das leichtfüßige „Your Light“ haben mit dem späteren Hardrock bzw. gar Metal der SCORPIONS nur die Haarlänge gemein. Schlaghose und Stirnband haben die Herren hier sozusagen ein letztes Mal akustisch im Studio nachgezeichnet. Und das Ende dieser kühnen Konfrontation von Hendrix und Haudrauf kann man durch halb geöffnete Sehschlitze durchaus mit Bedauern sehen. „Taken By Force“ macht sie zu einem großen Album.

Dafür steht schließlich auch die zwischen Melancholie und Euphorie unkitschig pendelnde Ballade „We’ll Burn The Sky“, deren Text von Roths damaliger Freundin Monika Dannemann stammt – zuvor auch mit Hendrix liiert. (Mal unter der Hand: Dass die Nummer und „White Dove“ etc. derselben Band zuzuordnen sind, steht doch der Evolutionstheorie entgegen. Aber diametral. Oder habe ich da was falsch verstanden? Im Ernst jetzt.) 9/10

Ein halbes Dutzend Stücke gibt es in der 50th Anniversary Edition von „Taken By Force“ neben dem ursprünglich aussortierten Original-Cover als Zugabe. Die B-Seite „Suspender Love“ gab es zwar 2001 schon einmal dazu, das coole „Busy Guys“ allerdings noch nicht. Bei dieser wie auch weiteren unfertigen Demo-Versionen, beispielsweise von „Believe In Love“, singt Klaus Meine derart inbrünstig „Dadadadadudududuohohohodidaadididididadadum!“ und Ähnliches, dass einem das Herz aufgeht und man insgeheim hofft, die (vermeintliche) Muse hätte ihn einfach ein paar Mal öfter mit dem prallen Arsch nicht angeguckt. Kapitulation statt Kopulation: einfach mal nicht übers Ficken singen! (Wobei der fertige Text zur offiziellen und akustisch glatteren Version von „Believe In Love“ Jahre später auf „Savage Amusement“ zugegeben gar nicht so explizit ist.)

TOKYO TAPES (1978)

Am 24. und 27. April nehmen die SCORPIONS zwei Konzerte in der Nakano Sun Plaza in Tokio auf. „Tokyo Tapes“ stellt die letzte Veröffentlichung mit Uli Jon Roth dar. Der hatte eigentlich schon gar keinen Bock mehr und gibt dann nebst Kumpanen an den Instrumenten doch alles. Klaus Meine singt rau, rasant und engagiert gar Japanisch. BLIND GUARDIAN wiederum nennen ihr eigenes Live-Album irgendwann „Tokyo Tales“ und das ist so, als titulierten STEEL PANTHER einen Konzertmitschnitt „No Peep ‚Til Hammersmith“. Und da ich selbst nicht anmaßend sein möchte, endet dieser Text jetzt hier. 10/10

Den Bonus zur 50th Anniversary Edition von „Tokyo Tapes“ bilden sieben Aufnahmen aus den genannten Konzerten, die auf bisherigen Versionen des Albums noch nicht veröffentlicht wurden. Die japanische Nationalhymne hätte es nicht unbedingt gebraucht, den Rest schon.

LOVEDRIVE (1979)

Die Weltruhm-Crew der SCORPIONS definiert auf „LOVEDRIVE“ erstmals ihren typischen Sound. Schenker, Meine, Jabs, Rarebell und Buchholz rocken kompakt, kernig und den Refrain im Visier los.

Neben den bekannten Hits, angeführt von „Loving You Sunday Morning“ und dem „Holiday“-Heuler, überzeugt auf „Lovedrive“ der Kontrast des Frontalangriffs „Can’t Get Enough“ mit dem zurückgelehnten „Is There Anybody There?“ Und mit dem Instrumental „Coast To Coast“ liefert der für einige Gitarren als, ähm, „Unterstützung“ für den Jungspund Jabs zurückgeholte Michael Schenker den SCORPIONS einen ihrer größten Songs schlechthin.

Das Cover stammt (wie auch das von „Animal Magnetism“) von Hipgnosis. Man könnte es als frech verpackte Kritik männlicher Triebgesteuertheit deuten. Man könnte aber nach Exegese der textlichen Ergüsse der SCORPIONS auch festhalten, dass hier einfach einer seiner Nachbarin an die Möpse packt. Mannomann. Trotzdem irgendwie: 8/10

Obendrauf gibt es „Cause I Love You“, welches es bisher lediglich auf einer Compilation gab, sowie „Holiday“ auf neuneinhalb Minuten gestreckt. Na ja. Astrein ist allerdings die DVD-Zugabe in Form einer Live-Aufnahme aus Japan von 1979. Die klassische SCORPIONS-Besetzung mit dem jungen und hochkonzentrierten Matthias Jabs an der Leadgitarre zelebriert ein selbstbewusstes Heimspiel in Japan. Sauber. Doch damit nicht genug, wird der wilden Bühnen-Action doch ein ums andere Mal durch Zwischenblenden in die Umkleide und Ähnliches ein kulturhistorisches Geschenkband umgebunden. Amtlich ging es zu, sodass die sonore Wilhelm-Wieben-Stimme aus dem Off sich unter anderem rechtfertigend zu der kühnen Feststellung genötigt sieht: „Nach zwei Stunden Konzert, nach Erfolg, nach Applaus darf auch ein Musiker in der Garderobe mal ausflippen.“ Passend dazu sieht man Meine und Schenker mit dem Handtuch auf dem Kopf Arm in Arm vom Klappstuhl rutschen. Spaß muss sein. Und die jungen Leute haben sich da schließlich etwas Eigenes aufgebaut mit ihrer Rock’n’Roll-Musik, die so vielen zu gefallen scheint.

ANIMAL MAGNETISM (1980)

Das kompakt angreifende „Blackout“ wird meist als das härteste Album der SCORPIONS betrachtet. Das dunkelste und schwerste ist allerdings dessen Vorgänger „Animal Magnetism“, bei dem Matthias Jabs sich erstmalig richtig einzubringen weiß. Abgesehen vom schmissigen Hit „Make It Real“ gibt es hier vor allem eher stampfendes Midtempo; das gilt für „Hold Me Tight“ ähnlich wie für „Twentieth Century Man“ oder „Only A Man“. Richtig wirkungsvoll bringen die SCORPIONS diese Wucht jedoch erst im vorletzten Stück „The Zoo“ auf den Punkt. Das simple Grundriff schleicht sich lauernd wie ein Tiger im Halbschatten die gesamte Strophe über an, um dann schließlich im Refrain vom Lead unterstützt anzugreifen. Mächtiges Teil, das sie heute noch spielen, verfremdende Talkbox und Straßensamples von der New Yorker 42nd Street inklusive. „Animal Magnetism“ als Song geht dann zum Abschluss noch einen Schritt weiter und beschreibt das wilde Verlangen mittels episch-doomiger und pechschwarzer Riffwände. Aber ob man Meines Klaus beim Beschwören des Beischlafs jetzt auch noch im dunklen Folterkeller fürs Kopfkino braucht? Hm.

Das andere Extrem ist allerdings die in der Mitte des Albums platzierte Ballade „Lady Starlight“. Scheißegal, ob da nach säuselndem Gestreiche nach vier Minuten tatsächlich eine Gitarre mit hochrotem Kopf einsetzt – das Ding setzen die SCORPIONS so geschickt in den verminten Sand zwischen Sibirischem Orchester und Silbereisen, dass man es fast schon wieder bewundern muss. Hinterhältig ist allerdings der subtile intertextuelle Verweis, den die Kollegen da eingebaut haben. Denn sie dehnen das Ding bei genauerer Betrachtung nur vermeintlich unmotiviert auf quälende 6:16 Minuten, um dem nach ROCK hungernden Rezipienten noch einen von ganz oben mitzugeben: „Wenn ihr fastet, dann setzt keine Leidensmiene auf wie die Scheinheiligen.“ (Matthäus 6.16). Leute, wer ist hier wohl scheinheilig? So eine Triefnummer kann euch doch wohl selbst keinen Spaß machen… 6/10

Als Bonus gibt es hier nur Demo-Stücke. Die allerdings sind ziemlich interessant. „Animal Magnetism“ kommt als schnellerer, gewöhnlicherer SCORPIONS-Rocker. Die vergleichsweise erträgliche Ballade „Get Your Love“ wurde später zu „Heroes Don’t Cry“ geformt und als Zugabe zur „Live Bites“ veröffentlicht, „Twentieth Century Man“ hieß als ähnlich klingender Demo-Song noch „Restless Man“, das lässige „All Night Long“ gab es vorher nur auf „Tokyo Tapes“ und „American Girls“ gab es vorher noch gar nicht. „Hey You“ wiederum erschien 1980 als Single und war 2001 bereits Bonus. Rudolf Schenker singt erstaunlich lieblich und das mit Blick auf „Animal Magnetism“ vollkommen aus dem Rahmen fallende Stück überzeugt mit cooler Leadgitarre und teils verpeilt-sphärischer Indie-Atmosphäre.

BLACKOUT (1982)

„Ey, Rudi! Dunkls Bier oder lieber helln Wein?“

„Wenn ich ’nen ordentlichen Blackout haben will, dann letzteren!“

Entschuldigung, aber wenn ein Cover Kultstatus erlangt, auf dem Gottfried Helnwein sich im Selbstporträt zwei Gabeln unter einem Mullbinden-Turban auf die Augen geklebt hat, wenn das also erlaubt ist, dann wird ja wohl ein kleiner Scherz… tja. Dass stets davon ausgegangen wurde, König Rudolf höchstselbst sei abgebildet, ist kaum verwunderlich. Neben dem charakteristischen Bart ahmt der Künstler schließlich DEN Signature-Move Schenkers schlechthin nach: den bis zum Anschlag aufgerissenen Schlund. Mal drauf achten: Es existiert kaum ein Promo-Foto, auf dem man Rudis Zäpfchen nicht in voller Pracht präsentiert bekommt. Und der Titelsong von „Blackout“ stellt die Vertonung dieser Geste dar.

So aggressiv röhrten die Gitarren im SCORPIONS-Camp zuvor selten und den simplen Refrain bekommt man so leicht auch nicht mehr aus dem Hirn. Ähnlich schnell, kompakt und offensiv ist neben dem weiteren Klassiker „Dynamite“ vor allem das etwas in Vergessenheit geratene „Now!“ ausgefallen, wilder sang Klaus Meine mit wiedererlangter Stimme vorher kaum und hinterher nie. „Arizona“ ist eine lässige Hymne mit cooler Leadgitarre und gegen Ende „Yeahyeahyeah“ bis der Arzt kommt, das düster-harte „China White“ klingt wie die SCORPIONS auf SABBATH, „When The Smoke Is Going Down“ ist eine gar nicht mal so unsägliche Ballade und „No One Like You“ ohnehin allseits bekannt. Die SCORPIONS landen fast nur Treffer und sind, mal abgesehen von „Animal Magnetism“, so Metal wie nie. 9/10

Als Bonus befinden sich auf der 50th Anniversary Edition von „Blackout“ neben der überflüssigen Demo-Version des Titelstücks auch drei Demo-Songs, die bisher unter Verschluss gehalten wurden. Sowohl „Running For The Plane“ als auch „Sugar Man“ und „Searching For The Rainbow“ sind allerdings nicht grundlos damals durchs Raster gefallen.

Cooler ist die weiterhin beigefügte DVD, die neben den Clips zu „Arizona“ und „No One Like You“ (!) den 83er-Auftritt der SCORPIONS beim „Rock Pop In Concert“ in der Dortmunder Westfalenhalle enthält. „Make It Real“ und „The Zoo“ waren damals im Fernsehen dabei nicht einmal zu sehen. Wer dabei war, schwärmt – und jetzt können auch alle anderen nachvollziehen, wie die SCORPIONS zu ihrem eine Zeit lang legendären Ruf als Live-Band gekommen sind. The times they are a-changin’…

Unter anderen DEF LEPPARD, OZZY, JUDAS PRIEST und IRON MAIDEN wurden weggerockt von Rocktier Rudi und seiner Gang. Schenker fegt als eine aufgedrehte Mischung aus Dieter Eilts und Jürgen Kohler über die Bühne – optisch und auch spielerisch, stellt er mit seiner Rhythmusgitarre doch den rustikalen Motor der SCORPIONS in Action dar. Buchholz und Rarebell halten da nicht mit, spielen aber sehr mannschaftsdienlich und Jabs sowie Meine dribbeln sich hakenschlagend durch die Abwehrreihen aller Zweifler. Beide trumpfen zudem mitten in Dortmund taktisch geschickt mit Maja-Look auf. Sexy ist das zudem.

Bester Moment: Klaus Meine außer Rand und mit vollkommen irrer Band stachelt die ohnedies schon heiße Meute vor „Can’t Live Without You“ immer weiter auf: „Was haltet ihr davon, wenn ihr diesen Song einzählt? […] Was meint ihr, habt ihr das drauf? Alright, let’s check it out. […] Seid ihr okay? Wollt ihr’s versuchen? […]“ Immer lauter und immer drängender. Minutenlang. Und minutenlang hüpfen Band und Publikum sich gemeinsam in Ekstase, bevor es richtig losgeht. Phänomenal. Zweitbester Moment: Rudolf Schenker kündigt die Zugabe „Can’t Get Enough“ mit einem ekstatischen Kreischen an und macht dann den Townsend-Propeller für Erwachsene. Vorher hatte er seine Gitarre zur Feedback-Orgie schon dermaßen rücksichtslos herumgeschleudert, dass man mit dem Schlimmsten rechnen wollte. Drittbester Moment: Matthias Jabs hat bei „The Zoo“ was im Mund. Sollte man insgesamt schon mal gesehen haben.

LOVE AT FIRST STING (1984)

Das Cover räumt ein Vorurteil aus dem Weg und zwar in geschmackvoller Schwarz-Weiß-Optik: Männer sind doch des Multitaskings fähig! Er tätowiert ihr nämlich mit der Rechten blind einen Skorpion auf den Schenkel, während er mit der Linken gerade den BH aufgefriemelt bekommen hat und mit den Lippen (dezent im Schatten, wie es nun einmal SCORPS-Style ist) den Hals nach einer Vene oder dem G-Punkt abtastet. So.

Und die Musik auf „Love At First Sting“ räumt endgültig mit dem Vorurteil auf, Männer aus Niedersachsen könnten keine Bad Boys im engeren Sinne sein, Männer aus Hannover könnten nicht hard rockin‘ durchdrehen. Na gut, „Blackout“ zwei Jahre vorher war noch eine Ecke härter, aber „Love At First Sting“ hat DEN Signature-Song der SCORPIONS überhaupt: „Rock You Like A Hurricane“ – gegen diese Ansage verblassen sogar der massive Stampfer „Bad Boys Running Wild“ zum Einstieg oder die ebenfalls Funken sprühenden Hits „Coming Home“ und „Big City Nights“. Zwar fällt der im Prinzip begrüßenswerte Friedens-Appell „Crossfire“ mit seinem tranigen Refrain über durchgängigem Marschrhythmus etwas ab, andererseits glänzen Meine und seine Komparsen im Zeichen des heißen Herzens aber mit dem melodischen „I’m Leaving You“ auf der einen und „The Same Thrill“ mit seinen harschen Gangshouts auf der anderen Seite. Von „Still Loving You“ ganz zu schweigen, der Mega-Ballade der SCORPIONS sechs Jahre vor DER Mega-Ballade der SCORPIONS. 9/10

Als Zugabe gibt es auf der CD einige Demo-Songs, wobei vor allem das ansonsten meines Wissens nirgendwo auftauchende „Living At Night“ ein ganz netter Schunkler ist. Auf einer weiteren CD gibt es zudem elf Songs aus dem Madison Square Garden zu New York, aufgenommen auf derselben Tour wie „World Wide Live“. Das Konzert basiert dementsprechend auf einer identischen Setlist in gekürzter Form, weiß fast so zu begeistern wie genannter Klassiker, ist aber natürlich nur für Menschen interessant, die sozusagen drei Pflichten mit einem Stich erledigen wollen. Was wiederum kein so abwegiges Unterfangen ist, bietet die 50th Anniversary Edition von „Love At First Sting“ doch als weiteren Bonus noch eine DVD mit Doku, TV-Auftritten und Musikvideos zum Album. Mit dem Package hat man also das 80er-Album der SCORPIONS mit der wohl größten Hitdichte, dazu weitere Smasher der Dekade in Live-Versionen und eben die einzigartige Optik und famose Erzählkunst der 80er über die Clips (s. u.). Coolio.

WORLD WIDE LIVE (1985)

Was haben die SCORPIONS mit den RAMONES gemeinsam? Das Arbeitsethos? Ja. Und: Beide Gruppen klingen, na ja, klangen in ihren besten Jahren auf der Bühne deutlich dynamischer als auf Konserve. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal? Wer (wie ich) mit „It’s Alive“ in den Zauber des „1-2-3-4!“ eingeführt wurde, konnte „Rocket To Russia“ danach jahrelang nur auf 45 abspielen. Ähnliches gilt für den Einstieg mit „World Wide Live“ in die wilde Welt der SCORPIONS.

Das ’85 aktuelle „Love At First Sting“ ist für sich ja schon ein formidables Album – das auf der zugehörigen Tour dokumentierte „World Wide Live“ präsentiert die Stücke der Hannoveraner aber auf einem derartigen Cocktail aus Adrenalin und Scheinwerferkegel, dass der Puls beim Zuhören schon zuhause vor dem Kamin in Notruf-Regionen rast. Allein wie Schenker und Jabs nach dem Intro zu „Coming Home“ die Gitarren aufheulen lassen wie ein entfesselter Valentino Rossi den tollwütig getunten Motor, ist unfassbar gut. Man sieht die SCORPIONS geradezu auf die Bühne rasen, auf dass es keine Gefangenen geben mag.

Und so geht es weiter durch die größten Treffer der Post-Roth-Jahre; Überschneidungen mit der 78er-Ansage „Tokyo Tapes“ gibt es keine. Dafür aber eine Band in der Form ihres Lebens und ein Publikum, dass ihr weltweit zu Füßen liegt. Wenn man sich (bei allem Respekt) im Vergleich die jüngsten Live-Alben der SCORPIONS von Wacken bis Hellas gibt, dann liegen da schon Welten dazwischen. „World Wide Live“ ist im Prinzip als Gesamtwerk ein Highlight, hervorzuheben sind neben „Coming Home“ aber auf jeden Fall das Instrumental „Coast To Coast“ (die vielleicht leuchtendste Rakete ihres Ehemaligen Michael Schenker am SCORPIONS-Himmel), „Holiday“ mit Tausender-Chor und gut sieben Minuten „Dynamite“ mit Krachorgie am Schluss. Fazit: „World Wide Live“ ist die Definition eines Live-Albums.

Bonus sind die rasanten Rocker „Can’t Get Enough I & II“ sowie „Six String Sting“ – und eine insgesamt noch lauter vernehmbare Meute vor der Bühne. Rock you like a hurricane. Most definitely. „Live After Death“, „Unleashed In The East“, „No Sleep ‚Til Hammersmith“? Kurze Hose, Holzgewehr… 10/10

Des Weiteren: Rudolf Schenker brüllt vor Freude – was für ein Tag! Zum Wachwerden (und einfach aus Scheiß) war er nackt in einer Viertelstunde einmal längs durch den Amazonas gekrault, hatte dann spontan Godzilla mit bloßen Händen eine Lektion in Demut erteilt, bevor ein aus dem Nest gefallenes Mammutjunges unter seinem Schnauzbart über den Winter gebracht werden musste. Und jetzt sitzt er hier mit seiner Flying V auf der Terrasse des Weißen Hauses, Kaffee gerade durch, weil Ronald Reagan bekehrt eine musikalisch initiierte Annäherung von Ost und West beim Barbecue wünscht. Na ja. Im Prinzip jedenfalls.

Denn was ernsthaft auf der außerdem als Bonus beigefügten Doku zu „World Wide Live“ auffällt, ist der beeindruckende Optimismus der SCORPIONS und allen voran der ihres Motors Schenker. Dessen Selbstbewusstsein und Lebensfreude kristallisieren sich in der Gesamtschau immer mehr als entscheidende Faktoren für den eigentlich ziemlich unwahrscheinlichen Erfolg der SCORPIONS heraus. Durch nichts lässt sich der Mann aufhalten, auch nicht durch fremde Sprachen. Sein Sendungsbewusstsein führt nicht nur – dazu einige Jahre später noch mehr – Menschen über Grenzen hinweg zusammen. Es pulverisiert auch Unterschiede auf lexikalischer und grammatikalischer Ebene, als wären sie nichts als die wolkigen Grillen eines aus der Zeit gefallenen Schulmeisters vom Dorf und vorgestern.

Im, ähm… Klartext heißt das: Dass die bislang nur als VHS erhältliche „World Wide Live“-Doku nun als DVD vorliegt, ist schon deshalb eine gute Sache, weil Schenker und seine SCORPIONS sich derart entwaffnend durch ihr charmantes Denglisch dengeln, dass kein Auge trocken bleibt. Und auch sonst nichts. Großes Kino!

SAVAGE AMUSEMENT (1988)

„Savage Amusement“ ist gar keine so wilde Platte. Haarspray und Airbrush-Ästhetik prägen Vorder- sowie vor allem Rückseite des Covers und die Musik der SCORPIONS erhält einen erneut dickeren Hochglanz-Anstrich. Die Hitdichte vergangener Werke erlangt „Savage Amusement“ dennoch nicht ganz, wenngleich „Rhythm Of Love“ und „Passion Rules The Game“ ihren Platz im Minne-Kanon unserer Helden sicher haben. „Believe In Love“ als obligatorische Abschluss-Ballade hat da schon mehr zu kämpfen, ist auch cheesy ohne Ende, aber immerhin ein respektabler Armeschwenker resp. Engtanz-Schieber, der viele der vollkommen zahnlosen Akustik-Ausfälle der SCORPIONS in die Tasche (neben das zerrissene Foto der Ex) steckt.

Und Fakt ist auch, dass „Love On The Run“ richtig hart und „Media Overkill“, für viele Rocker der Pop-Sündenfall schlechthin, in Wahrheit ein cooler Ohrwurm über mediales Trommelfeuer Jahre vor dem Massen-Internet ist. Fazit: Wer „Crazy World“ auch noch mochte, wird dem etwas im Schatten stehenden „Savage Amusement“ etwas abgewinnen können. Aber muss man schon wollen. 8/10

Den Bonus stellen einige Songs in Demo-Fassungen dar, die es zum Teil gar nicht aufs Album geschafft haben. Das raue, schnelle und ohne Text belassene „Fast And Furious“ mit seinem sprechenden Titel ist ein Kracher und auch der Rest kommt roh und mehrheitlich rockend daher. Neben einigen wie gewohnt in jeder Hinsicht (Story Telling, Cast, Bilder!) brillanten Musik-Videos werten die SCORPIONS die 50th Anniversary Edition von „Savage Amusement“ außerdem mit der zeitgenössischen Doku „To Russia With Love And Other Savage Amusements“ auf DVD auf. Sehr sehenswert, die Bilder zur Pionierarbeit der SCORPIONS in Sachen Rock. (Dass sie wenig später zusammen mit The Hoff die Berliner Mauer pulverisieren würden, war allerdings noch nicht zu erahnen.)

03.12.2015
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