Savatage
“Sirens” und “The Dungeons Are Calling” Vinyl Re-Releases
Special
SAVATAGE ist der Bandname, der bei vielen Metalfans religiöse Ehrfurcht und lüsternes Schmatzen hervorruft, obwohl der letzte Output der Band “Poets And Madmen” inzwischen genau 20 Jahre alt ist. Egal, ob der Mensch nun die klassische Metal-Ära mit Jon Oliva am Gesang, seinem verstorbenen Bruder Criss an der Gitarre und Urgestein Steve Wacholz an den Drums oder die “Musical-Phase” der Band mit Zak Stevens am Gesang, Jeff Plate an den Drums und dem Gitarrenduo Chris Caffery und Al Pitrelli bevorzugt: In der Regel sind SAVATAGE eine der meistgenannten Bands, wenn es um die Forderung nach einer langfristigen Reunion geht. 2014 spielte die Legende aus Tampa, Florida zwar ein umjubeltes Wacken-Konzert, verschwand danach aber fast genau so plötzlich in der Versenkung, wie sie einst aus ihr auftauchte.
SAVATAGE: Vermächtnis und Legende
Obwohl SAVATAGE nie offiziell aufgelöst wurden, gilt ein neues Studioalbum insbesondere seit dem Tod von Mentor, Produzent und Cheftexter Paul O’Neill als so unwahrscheinlich wie Doro Pesch und interessante Geschichten von früher. Insofern ist überhaupt jedes Lebenszeichen der Band ein Grund zum Feiern und 2021 dürfte in dieser Hinsicht so einige Korken knallen lassen. Gleich drei Tonträger der Band wurden soeben auf einen Streich auf Vinyl neu veröffentlicht. Das legendäre Debütalbum “Sirens”, die kongeniale Nachfolge-EP “The Dungeons Are Calling” und die bisher noch nicht veröffentlichte “The Hourglass”-EP.
“Sirens” – Herausragendes Debüt
“Sirens”, der SAVATAGE-Erstling aus dem Jahre 1983, hat den historischen Wert, dass es das erste Album war, das in den Morrisound-Studios der Gebrüder Jim und Tom Morris aufgenommen wurde (und das Jon Oliva und Paul O’Neill im vergangenen Jahrzehnt aufgekauft haben). Die Session sollte den Status des Studios als superber Sound-Tempel für harten Metal begründen, in dem bald ICED EARTH, OBITUARY, MORBID ANGEL, CANNIBAL CORPSE, SEPULTURA, DEATH und viele weitere überlebensgroße Klassiker aufnehmen werden.
Im Vergleich zu späteren Klassikern wie “Hall Of The Mountain King” oder “Gutter Ballet” ist “Sirens” das mit Abstand ruppigste Album der SAVATAGE-Historie. Der Sound ist voll und warm, kommt schön rotzig aus den Boxen und klingt auf dem neuen Vinyl um einiges besser als die bisher erhältlichen CD-Versionen. (Der Sound der für drei- bis vierstellige Beträge gehandelte Original-Vinylversion des Albums entzieht sich leider der Kenntnis des Autoren.) Besonders gelobt werden kann die Tatsache, dass zudem das Cover der Erstauflage verwendet wurde. Analog zur ersten Vinylversion ist nun auch eine Auflage in blauem Vinyl (mit extra bedruckten Sleeves) erhältlich.
Klassiker in einer Reihe von Klassikern
Zur Musik bleibt freilich kaum noch etwas zu sagen. Der Titelsong mit seinem mächtigen Riff, das bedrohliche “Holocaust” oder das spannende “Scream Murder” sind mindestens drei Songs, die auf einer Best-Of-Playlist zum Thema SAVATAGE auftauchen sollten. “I Believe” und “Living For The Night” fallen ebenfalls kaum ab. Ansonsten waren die Oliva-Brüder und ihre Mitstreiter anno 1983 noch für den einen oder anderen stilistischen Ausreißer zu haben, wie das rock ‘n’ rollige “Twisted Little Sister” oder das rohe “Rage” bezeugen. Ansatzweise deutet “Out On The Streets” die epischeren Ansätze des Spätwerks an.
Der Band selbst hört man an, dass sie jung waren und es wissen wollten. Jon Oliva, der hier nur selten Keyboard-Tasten drückt und hauptsächlich für “shrieks of terror” (Credits) zuständig ist, ist auch fast vierzig Jahre später noch als Ausnahmestimme zu erkennen. Sein jüngerer, leider verstorbener Bruder Criss entzückt mit virtuosem Gitarrenspiel der Marke junger Eddie van Halen oder Randy Rhoads und spielt die Zeitgenossen vor allem im Titelsong “Sirens” an die Wand. Bass und Drums wurden seinerzeit von Keith Collins und Steve Wacholz bedient, was die Band zuweilen etwas grobmotorisch, wenngleich unglaublich heavy wirken lässt.
“The Dungeons Are Calling”… for me!
Innerhalb der gleichen Session nahmen SAVATAGE noch sechs weitere Songs auf, die sie auf die ein Jahr später erschienene EP “The Dungeons Are Calling” auslagerten. Tatsächlich ist “Dungeons …” sogar die qualitativ konsistentere Veröffentlichung der beiden Zwillinge, da auf ihr ausschließlich dunkler, fantasievoller und sehr harter Power Metal geboten wird, der sämtlichen Balladen und Rock-‘n’-Roll-Nummern klare Absagen erteilt. Zudem befinden sich auf der EP fast ausschließlich Hits.
Der abermals eröffnende Titelsong untermauert die Unverkennbarkeit des typischen Criss-Oliva-Gitarrenriffs und wird alsbald von dem ohrwurmigen Stampfer “By The Grace Of The Witch” abgelöst. “Midas Knight” und der langjährige Konzertopener “City Beneath The Surface” gehören ebenfalls in jede relevante Liste über SAVATAGE. “The Whip” und “Visions” (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Stück auf “Handful Of Rain” 1994) bedienen nochmals die härtere Seite der Band und zählen in dieser Disziplin gewiss zu den Spitzenreitern.
SAVATAGE würdigen Vergangenheit historisch korrekt
Ähnlich wie bei “Sirens” wurde auch bei “The Dungeons Are Calling” darauf geachtet, der Scheibe eine authentische Verpackung zu spendieren. Neben obligatorischem Schwarz ist die EP auch auf rotem Vinyl erhältlich. Dieser Version liegt eine 7“-Re-Issue der EP “City Beneath The Surface” der Vorgängerband AVATAR bei. Da das Original inzwischen für bis zu 7000€ gehandelt wird, ist diese Neupressung eine sehr sinnvolle und schöne Beigabe zur Wiederveröffentlichung.
“The Hourglass”: Sieben Zoll Picture Disc
Wir spulen vor ins Jahr 1997. Criss Oliva wurde bereits vor vier Jahren von einem betrunkenen Geisterfahrer umgebracht; Jon hat längst die Lead-Vocals abgegeben und begnügt sich – offiziell, denn im Studio spielt er inklusive Drums so ziemlich jedes Instrument mal ein – mit dem Posten als Songwriter, Pianist und zweiter Sänger. SAVATAGE haben den einstigen Tourgitarristen und Criss’ einstigen Schützling Chris Caffery zum Vollzeitgitarristen gemacht und sich außerdem mit dem ehemaligen ALICE-COOPER– und späteren MEGADETH-Gitarristen Al Pitrelli verstärkt. Am Mikrofon steht Zak Stevens, der inzwischen mit CIRCLE II CIRCLE einige Erfolge feiern konnte. Nach “Streets” und “Dead Winter Dead” veröffentlichen SAVATAGE in Form von “The Wake Of Magellan” ihre dritte konzeptuelle Rockoper.
Bereits mit dem Vorgänger “Dead Winter Dead” befand sich die Band mit mindestens anderthalb Beinen im Broadway-Musical, was auch “The Wake Of Magellan” mit seinem epischen Closer “The Hourglass” nicht ausspart. Für diesen Song haben SAVATAGE eine äußerst schnieke Picture-Disc-EP herausgebracht, deren Artwork Elemente der Kunst Gustave Dorés aufgreift. Die B-Seite wird geschmückt von den Songs “Shotgun Innocence” und “Forever After”, die beide noch mit Criss Oliva an der Gitarre während der Sessions zu “Edge Of Thorns” 1993 aufgenommen wurden. Beide Stücke prägt das leichtfüßige Flair jenes Albums, wobei die beiden schon häufiger als Bonustracks Verwendung fanden. Nichtsdestotrotz ist die Single für SAVATAGE-Fans ein hübsches Sammlerstück, das direkt anregt, die Stevens-Phase mal wieder einer intensiven Kopfhörersitzung zu unterziehen.
Ob da noch was kommt? Wer weiß …