Satyricon
Zeitreise mit Satyr und Frost zu “Dark Medieval Times” und “The Shadowthrone”
Special
Auch wenn die zweite, vorwiegend norwegische Black-Metal-Welle Anfang der Neunziger fälschlicherweise häufig als homogene Szene wahrgenommen wurde und wird: Sowohl ideologisch als auch musikalisch ist das natürlich Murks. DARKTHRONE standen für Einflüsse aus Thrash, Doom und Crust Punk; IMMORTAL für schnellstmögliche Raserei. EMPEROR standen für sinfonische Schachtel-Arrangements und MAYHEM für alles außer Kontinuität. Und dann gab es noch SATYRICON. Die als ECZEMA gegründete Band aus Oslo revolutionierte das Genre, das sich doch gerade selbst als Revolution begriff, mit Folklore und verkopftem Idealismus. Burzu… äh Kurzum: Die Liste ließe sich fortführen; alle Beteiligten dieser Zeit hatten einen individuellen Sound.
Zunächst eine von vielen Death-Metal-Bands …
ECZEMA wurden im Jahre 1990 von Schlagzeuger Exhurtum (aka. Aggressor aka. Carl-Michael Eide von AURA NOIR, VED BUENS ENDE und anderen) und Bassist Wargod gegründet. Wenig später schloss sich der spätere ULVER-Gitarrist Lemarchand der blutjungen Band als Sechssaiter an. Wie die allermeisten späteren Black Metaller spielten auch ECZEMA Death Metal. Das Genre – von MAYHEM-Musikern verächtlich als “Life Metal” tituliert – erlebte dank CARCASS, NAPALM DEATH und MORBID ANGEL gerade kleinere Erfolge auf MTV und Co und erreichte alsbald auch Norwegen. So schnell wie der Trend kam, so schnell wich er der ungleich finstereren Bewegung des Black Metal. Mit der Konsequenz, dass ganze Kohorten junger Musiker auf den Zug aufsprangen und sich neue Namen, Logos und Images zulegten.
Mit dem heutigen Kreativkopf der Band, Sigurd “Satyr” Wongraven an Bord wurden aus ECZEMA schließlich SATYRICON und das einstige Quartett schrumpfte bereits nach dem “All Evil”-Demo zum Singlehaushalt zusammen. Das 1993 erschienene Demo mit dem salbungsvollen Namen “The Forest Is My Throne” wurde nämlich von Wongraven nahezu im Alleingang eingespielt. Zwar von den Session-Musikern Lemarchand (man munkelt) und Frost am Schlagzeug unterstützt, zeigt das Demo doch, dass der junge Satyr bereits ein ambitionierter, fokussierter Musiker mit Begabung war.
SATYRICON: Kreative Partnerschaft seit dreißig Jahren
Dass der Songwriter und Multiinstrumentalist Satyr und der ikonische Drummer Frost dann tatsächlich drei Jahrzehnte miteinander verbringen sollten (und dabei immer noch zufrieden sind), ist keinesfalls alltäglich. Wie haben sich die beiden Musiker denn eigentlich kennengelernt? “Nun, die Geschichte ist, dass ich zu der Zeit nicht besonders zufrieden mit dem bisherigen SATYRICON-Drummer [Exhurtum – Anm. d. Red.] war und dementsprechend anders weitermachen wollte. Ich sprach also mit Faust, dem Schlagzeuger von EMPEROR, erklärte ihm die Situation und sagte: ‘Ich habe dieses Album, dass ich aufnehmen will. Könntest du dir vorstellen, darauf zu spielen?’ und er sagte, dass er eigentlich schon mit EMPEROR beschäftigt wäre und nicht in zwei Bands spielen könne, aber als Session-Drummer helfen könnte.”
“Für mich war das okay zu dem Zeitpunkt, da das Wichtigste war, dass überhaupt jemand die Drums spielt. Er fragte mich auch: ‘Hast du mal mit diesem Typen gesprochen? Hast du jenen Drummer mal gefragt?’ und die meisten von ihnen waren Leute, mit denen ich gar nicht sprechen wollte. Aber dann sagte Faust, es gäbe da diesen einen Typen, mit dem er in seiner Jugend befreundet war. Und dass er die gleiche Einstellung in Sachen Black Metal nicht nur als Musik, sondern als Lifestyle hätte”, kommt der SATYRICON-Chef ins Plaudern. Eine Szenerie, die symptomatisch für die Szene in den frühen Neunzigern ist, in der ein möglichst extremer Fanatismus mindestens den gleichen Stellenwert hatte wie ein gutes Riff. So war es offenbar von geringer Bedeutung, dass der EMPEROR-Schlagzeuger dem heute viel gepriesenen Frost etwas weniger Spielfertigkeit als sich selbst nachsagte, wie Satyr erzählt. Hauptsache die Einstellung passt.
Satyr und Frost: Vom ersten Moment an überzeugt
Die beiden anderen damaligen Mitglieder, beide aus Frosts Nachbarschaft, trafen sich zuerst mit ihm und versicherten Satyr, dass sie genau auf einer Wellenlänge liegen würden. Der wiederum empfand den Schlagzeuger zunächst als “bizarren Charakter”, bemerkte aber sowohl auf persönlicher als auch auf musikalischer Ebene bereits nach wenigen gemeinsamen Takten von “Walk The Path Of Sorrow”, dass die beiden zusammenpassen. Obwohl auch Satyr zunächst technisch versierteres Drumming gewohnt war, brachte Frost neben der erwähnten Mentalität ein Feeling zu SATYRICON, das besser zu Satyrs Riffs passte.
Auch Frost erinnert sich, dass die anderen beeindruckter von ihm waren als er von ihnen. Dennoch hatte er schnell von Satyr das Bild eines Menschen “mit Visionen, mit Ambitionen. Jemand, der von dem was draußen in der Welt abgeht, nicht wirklich beeindruckt ist, jemand der Standpunkte hat. Er kam einfach wie ein sehr starkes Individuum rüber.”
“Dark Medieval Times” und “The Shadowthrone” – kreativer Rausch in kürzester Zeit
Es dauert nicht lang, da sind auch Lemarchand und Wargod Geschichte und das Duo nimmt Ende 1993 bzw. Anfang 1994 sein Debüt “Dark Medieval Times” auf, wiewohl auch auf diesem angeblich noch Parts zu hören, die Lemarchand eingespielt hat. Dass dieser Erstling noch nicht perfekt, dafür aber voll jugendlich-naiven Charmes ist, ist sich Satyr bewusst: “Es ist schwierig zu sagen, was ich meinem jüngeren Ich aus heutiger Perspektive raten würde. Schau, wir haben zum Beispiel ‘Dark Medieval Times’ in einem lokalen Studio auf der Halbinsel nahe Oslo, auf der ich lebte, aufgenommen. Zum Mixen bin ich nach Bergen in Pyttens Grieghallen Studios gefahren, um nach zwei Songs zu entscheiden, dass ich das nicht tun kann. Ich habe mir diese beiden Songs viele Jahre später angehört und sie sind viel besser, als das fertige Album.“, sagt er schmunzelnd.
“Hätten wir das ganze Album mit Pytten gemacht, wäre es wesentlich ausbalancierter und besser gewesen. Aber nur ‘Dark Medieval Times’ wäre besser geworden. Denn für den langfristigen Nutzen für mich als Musiker und SATYRICON als Band war es besser, dass ich es selbst gemixt habe. Pytten war drauf und dran mir zu sagen, wie das Album sein sollte. Für mich war es wichtig, das selbst zu tun, obwohl ich natürlich nicht über das Können und Wissen von Pytten verfügte. Dadurch konnte ich aber lernen, mir selbst zu vertrauen und andere Leute nicht meine Kunst kontrollieren zu lassen. Das ließ auch ‘The Shadowthrone’ ein viel besseres Album werden.”
Mit “The Shadowthrone” konnten sich SATYRICON steigern
In der Tat zeigt jenes Zweitwerk eine im besten Sinne des Wortes gereifte Band. Das Songwriting ist kompakter, eigenständiger und einprägsamer; die Produktion schärfer. Auch Schlagzeuger Frost konnte sein Spiel deutlich verbessern und zeigt bereits erste Anzeichen der Finesse, für die er ab dem Folgealbum “Nemesis Divina” weltweit gefeiert wird. Seinen inzwischen unverkennbaren und typischen Stil will der Drummer aber auch laut Eigenaussage zu dieser Zeit noch nicht gefunden haben. “Worauf ich hinaus wollte, hatte ich noch nicht erreicht. Das war frühestens mit ‘Nemesis Divina’ der Fall. Man könnte aber sagen, die Richtung, in die ich wollte, entwickelte sich langsam.” Hinsichtlich der Drums sei ‘The Shadowthrone’ für Frost ein viel besseres Album als ‘Dark Medieval Times’. Letzteres sei aber wesentlich magischer für den Drummer, da es das erste selbst aufgenommene Album ist und diese Zeit für die extrem jungen Musiker prägender gewesen sei.
Beachtenswert ist auf alle Fälle die kurze Zeit von 9 Monaten zwischen der Entstehung beider Alben. Ein kreativer Rausch? “Einerseits ja”, antwortet Satyr. “Andererseits habe ich mit 17 gemerkt, dass das alles ist, was ich immer tun wollte. Zu der Zeit besuchte ich ein Gymnasium und hatte einen Teilzeitjob. Wenn du das mit deinem Leben anstellen willst, musst du sehr hart arbeiten. Also schmiss ich die Schule und meinen Job, ging ‘all in’ und konzentrierte mich auf die Musik. Nachdem wir ‘Dark Medieval Times’ gemacht haben, hatte ich den ganzen Tag Zeit um zu schreiben und zu proben. Es war buchstäblich das einzige, was ich tat und ich war voller Energie und Enthusiasmus.”
So ist es nicht verwunderlich, dass der junge Black Metaller sämtliche kreativen Energien in jenes Album kanalisierte, das umgehend zum Klassiker der norwegischen Frühneunziger-Szene avancierte. Dass die Band selbst diesen Stil nur noch mit dem unsterblichen Folgealbum “Nemesis Divina” toppen konnte und sich aus diesem stilistischen Korsett in der Folge immer scheuklappenfreier entfernte, ist oft erzählte Geschichte.
“We met as colleagues, but more importantly you have become my friend.”
Bleibt abschließend nur zu gratulieren. Nicht nur zu einer ansehnlichen Serie von stilprägenden Black-Metal-Veröffentlichungen, sondern auch zu einer fast dreißig Jahre andauernden musikalischen Partnerschaft, ohne die SATYRICON nicht SATYRICON wären.
“Ich bin so froh, diesen Typen getroffen zu haben”, gibt Satyr zu. “Weil er so ein einzigartiger Typ ist. Weißt du, es gibt viele Leute da draußen, die wirklich gute Menschen sind, aber Frost ist wirklich etwas Besonderes. Die Menschen sehen seine äußere Erscheinung und halten ihn für grimmig und dunkel, aber er ist so vieles. Er ist eine würdevolle, stolze und geduldige Person. Er ist ein guter Zuhörer. Wahnsinnig intelligent, vertrauenswürdig und loyal, und durchaus auch verwundbar. Er hat eine ungewöhnliche Art zu denken; es ist ist spannend, seinen Gedanken zu folgen.“ Satyr bei diesen Ausführungen zu einem anscheinend so wunderbaren Verhältnis zuzuhören, ist beinahe herzerwärmend. Er lächelt und sagt: “Ich bin wirklich privilegiert, mit ihm diese fantastische Reise angetreten zu haben.”
Schlagwerker Frost würdigt seinen Kollegen in ähnlicher Weise: “Ich habe nichts als Respekt für ihn übrig. Er ist eine eigensinnige Person, einer der besten Songwriter im Black Metal. Er hat nichts von irgendjemandem anderen, alles kommt aus ihm selbst heraus.” Und das meist in einer Fülle von Details, denn darum gehe es bei SATYRICON. Sicher ist das hohe Maß an Wertschätzung, das die beiden Musiker füreinander übrig haben ein entscheidendes Element ihres anhaltenden Erfolges. Dazu dürfte neben dem Willen zur konstanten Weiterentwicklung auch der Respekt vor dem eigenen Schaffen kommen: Beide Musiker empfinden die Frühphase ihrer Band als magisch und geraten in geradezu kindlichen Enthusiasmus, während sie über ihre ersten Alben sprechen. Zu Recht zeigen sich Satyr und Frost dankbar, Teil umfassenden musikalischen Entwicklung gewesen zu sein – “Dark Medieval Times” und “The Shadowthrone” wurden zu Black-Metal-Klassikern, die die Zeit überdauerten.