SAOL
Interview mit Jan Rosenberg

Special

HATRED, ANSOTICCA, THE BRONX CASKET CO. – nur drei Bands aus einer immer größer werdenden Zahl, die alle ihr neues Zuhause beim jungen Label SAOL Music gefunden haben. Ob Chicagoer Urgesteine wie TROUBLE oder hessische Urgesteine als grüne Giftzwerge (GIFT DWARF), das Spektrum ist breit und die Philosophie erfrischend zeitgemäß. Mit Produktmanager Jan Rosenberg habe ich mich darüber unterhalten, warum man sich bei SAOL nicht als klassisches Musiklabel versteht, sondern neue Wege geht.

SAOL

SAOL steht für „service for artist owned labels“, euer Slogan lautet „der zukunftsweisende Service für Künstler und Labels in Sachen Vertrieb und Promotion“. Für zukunftsweisende Ideen scheint die Musikindustrie dieser Tage mehr als dankbar zu sein. Was ist die Unternehmensphilosophie von SAOL? Wo steht SAOL zwischen Selbstvermarktung, Netlabels, Creative Commons und den klassischen 360°-Deals der Majorlabel?

Die Unternehmensphilosophie bei SAOL besteht darin, qualitativ guten und vor allem fleißigen Künstlern und Bands die Möglichkeit zu bieten, ihr Produkt professionell auf den Markt zu bringen. Das fängt an bei der Beratung zu Artwork, Layout und Pressung, reicht über die Listung im Warenwirtschaftssystem bis hin zu einer gut organisierten Promokampagne in den Bereichen Print, Online und Radio sowie einem super funktionierenden physischen und digitalen Vertriebsnetzwerk. Künftig wollen wir außerdem vermehrt Hilfestellung beim Booking leisten.

Aber anders als bei klassischen Labels investiert hier der Künstler in seine Veröffentlichung, wir stellen die Tools, die kreativen Köpfe und das Netzwerk und versuchen in Zusammenarbeit mit dem Künstler einen optimalen und individuellen Weg zu finden. Der Künstler verdient an seinen Sales und tritt keinerlei Rechte seiner Musik ab.

Seht ihr euch als klassisches Musiklabel oder eher als Musikdienstleister? Welche Services bietet SAOL an, was ist minimal und maximal möglich, wenn man als Band an euch herantritt?

Als klassisches Musiklabel würde ich uns auf keinen Fall bezeichnen. Produktionen (vor-) finanziert zu bekommen, wie es klassische Musiklabels tun, klingt zunächst attraktiv. Was dabei jedoch oft übersehen wird ist, dass ein Label keine Stiftung ist; die finanzielle Handreichung lockt zwar und hilft, ein Produkt schnell auf die Beine zu stellen, der Ausgleich erfolgt dann aber in Form sehr viel geringerer Beteiligung der Künstler an den Einnahmen und enorm beschnittener Einflussnahme auf das Produkt. Musikdienstleister trifft es daher schon eher.

Der Service erstreckt sich wie eben schon erwähnt über alle wichtigen Bereiche, die es bei einer Veröffentlichung zu beachten gilt: CD Produktion, Listung im Warenwirtschaftssystem und im Phononet, Promotion, regelmäßiger Newsfluss in Zusammenarbeit mit dem Künstler, Digitalvertrieb, physischer Vertrieb, Lösungen für Anzeigenschaltungen.

SAOL macht es in jedem Fall für alle Bands möglich, ihr Standing in eine gewünschte Richtung auszubauen. Allerdings hängt natürlich auch ein großer Teil davon ab, wie das Produkt von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

SAOL wartet bestimmt nicht nur auf Bands, die sich bewerben, sondern sucht sicherlich aktiv nach neuen Talenten. Welche Kriterien sind bei der Auswahl der Bands, die ihr verlegt, entscheidend? Wo werden sie von euch gesucht, wo gefunden?

Wichtig sind vor allem zwei Dinge. Zum einen muss uns das musikalisch Dargebotene dahingehend überzeugen, dass Qualität und Auftreten stimmen. Zum anderen ist es uns extrem wichtig zu sehen, dass die Band von sich aus daran interessiert ist, präsent zu sein und alles für ihren Werdegang zu tun. Das zeigt sich in kontinuierlichen Newsposts, aktuell geführten Tourdaten, das Auftreten im Social Web usw. Eine Band, die nach Unterzeichnung des Vertrags quasi darauf wartet, dass sich der Erfolg von alleine einstellt, ist bei uns definitiv an der falschen Adresse; bessere Chancen haben die Quirligen und Zappeligen.
Gesucht und gefunden werden Künstler und Bands auf die verschiedensten Arten; durch Empfehlungen von anderen Bands, MySpace, Kontakte von Wolfgang (Anm. Wolfgang Rott, Managing Director von SAOL) und eingehende Bewerbungen.

Wie „frei“ sind Bands bei euch? Die Formulierung „unter Vertrag“ stehen verband man ja früher vor allem mit gnadenlosen Knebelverträgen, die die Musiker völlig entrechtet haben. Daneben stehen zweifelhafte Unternehmen wie Bridgeport, die sich Lizenzen und Verlagsrechte von Musikwerken an Land ziehen, auf die die eigentlichen Künstler dann keinen Zugriff mehr haben. Natürlich haben aber auch Künstler immer die Wahl, worauf sie sich einlassen – worauf können sie sich bei euch „einlassen“?

Den Bands stehen bei SAOL alle Türen offen, sie finden Beratung und kompetente Unterstützung, aber keinen Zwang. Jede Band ist quasi ihres eigenen Schicksals Schmied, wie man so schön sagt. Es steht dem Künstler frei, wie viele CDs er pressen lassen will, wie viele Seiten sein Booklet haben soll, ob er verstärkt Onlinepromo fahren will und und und. Dabei bleibt allerdings zu berücksichtigen, dass jede Leistung natürlich ihren Preis hat. Wir beraten die Bands und Künstler aber selbstverständlich, wie man die Kosten bzw. eine Finanzierung (z.B. durch einen Verlagsdeal) in den Griff bekommt.

Ihr habt mittlerweile eine stattliche Anzahl von unterschiedlichen Künstlern in eurem Roster. Was für ein Resümee könnt ihr nach zwei Jahren Existenz ziehen?

Ein unglaublich Positives. Wir können mittlerweile auf ein enorm breit gefächertes Genrespektrum blicken, von Thrash und Death Metal, über Rock und Gothic bis hin zu Punk und AOR. Seit dem Beginn Ende 2008 konnten wir uns merklich in der deutschen Musikszene etablieren und sind nun im Begriff, den Rest Europas anzugehen.
Außerdem gibt es genug Künstler aus unserem Roster, die sehr befreit darüber wirken, nicht mehr im Korsett eines klassischen Labels stecken zu müssen.

Die immer noch währende Krise der Musikindustrie geht sicherlich auch nicht an euch vorbei. Wo ist sie zu spüren, wie begegnet ihr den Auswirkungen?

Die Krise mach sich natürlich am allerdeutlichsten bei der Kaufmoral der Endverbraucher bemerkbar. Die Musik wird immer mehr als selbstverständliches und kostenloses Gut angesehen, das keine Gegenleistung einzufordern hat. Die CD Verkäufe sinken bei einem momentan ständig wachsenden Angebot an Alben auf dem Markt. Durch dieses ungünstige Verhältnis (Angebot und Kaufkraft) werden die jeweiligen Auflagen kleiner und pro Stück teurer. Auf der anderen Seite steigen die reinen Herstellungs- und Materialkosten. Das Alles hat die Gewinnspannen stark schrumpfen und die Preise steigen lassen. Zu spüren bekommt letzteres der Endverbraucher, der dadurch noch weniger CDs kauft. Ein wahrer Teufelskreis also.

Allerdings wächst die Livefront wieder an allen Ecken. Wir haben allein in Deutschland mehr Festivals als man als normaler Mensch besuchen kann. Hinzu kommen unzählige Undergroundkonzerte junger und talentierter Bands. Hier sind die Leute bereit, Eintritt zu zahlen, und sich die CDs und Shirts an den Merchandiseständen mitzunehmen. Von daher muss eigentlich jede Band, die ernsthaft daran interessiert ist, aus ihrer Musik mehr als ein Hobby zu machen, gewillt sein, sich die Hintern wund zu touren.

Ist das Internet für euch eine Chance oder eher das langfristige Verderben für die Industrie? Inwiefern nutzt ihr das Internet für eure Arbeit, welches Potential seht ihr darin? Sind digitale Releases schon das Ende der Fahnenstange oder erwartet ihr da noch mehr?

Das Internet ist auf eine Art und Weise natürlich Fluch und Segen zu gleich, allerdings muss man fairer Weise zugeben, dass einem Tools wie Facebook, Twitter und das Web 2.0 eine zwar arbeitsreiche, aber kostengünstige Alternative zu klassischer Promotionarbeit bieten. Das Filesharing erschwert es natürlich gerade Newcomern und kleineren Bands, die auf jeden Taler angewiesen sind. Auf der anderen Seite können die Bands das Filesharing, sollte ihr Produkt von der Öffentlichkeit positiv aufgenommen werden, auch als virales Tool verwenden, ein gutes Beispiel hierfür ist die Band GAMA BOMB, die von vorne rein ihr zweites Album zum freien Download zur Verfügung gestellt hat.

Als langfristiges Verderben für die Industrie würde ich das Internet deshalb nicht bezeichnen, es handelt sich ganz einfach um eine „Neuerung“, auf die es angemessen und durchdacht zu reagieren gilt. Gerade bei SAOL, wo so gut wie alles durch die Bands selber finanziert wird, bieten einem Onlinegewinnspiele und Bandspecials auf Internetseiten natürlich die Möglichkeiten, die einem durch teure Anzeigenkampagnen, deren tatsächlicher Erfolg nicht einmal messbar sind, verwehrt bleiben.

SAOL ist nicht das einzige Unternehmen seiner Art, ähnliche Slogans und Philosophien sind schon bei anderen und neuen Labels zu vernehmen. Ist das vielbeschworene „Ende der Musikindustrie“ vielleicht einfach nur ein lange überfälliger Prozess der Umstrukturierung, in der vor allem Majorlabels zukünftig Einfluss einbüßen?

Ich würde es nicht als Ende bezeichnen, vielmehr muss so langsam ein Umdenken stattfinden. Die Zeiten von fett vorfinanzierten Albumproduktionen mit siebenstelligen Werbetaren ist mit ganz wenigen Ausnahmen definitiv vorbei. Gerade dieser Fakt spielte 2008 bei der Einführung einer Alternative in Form von SAOL eine ungemein wichtige Rolle.

Ob die Majorlabels Einfluss einbüßen werden oder im Laufe der nächsten Zeit von alleine die Zeichen der Zeit erkennen und mit einer Umstrukturierung beginnen, vermag ich nicht vorzuorakeln. Es wird aber sicherlich einige geben, die den Sprung schaffen werden, und andere, die nicht reagieren und deren Zukunft dann relativ negativ daherkommen wird.

Breitband-Anschlüsse, mp3s, Musikportale, home recording – all das hat zu einer „Befreiung“ von Musikern geführt, die in den 90er Jahren noch nicht absehbar war. Buchstäblich jeder kann heute Musik in Profiqualität zuhause aufnehmen, irgendwo hochladen und verbreiten. Das Ergebnis ist eine regelrechte Schwemme von Künstlern, die einen mehr noch als vor 15 Jahren zu ersticken droht. Wie behält ein Unternehmen wie SAOL in diesem musikalischen Dschungel den Überblick, worauf legt ihr den Fokus bei eurer Arbeit?

Ein Medienpartner von mir hat mir kürzlich von einer Statistik berichtet, dass pro Monat rund 5000(!) Alben, seien es Majorthemen oder Self-Releases, im Metalbereich weltweit auf den Markt kommen, d.h. also ca. 60.000 Alben pro Jahr. Für den gemeinen Hörer und Konsumenten ist es dementsprechend unmöglich, alles zu hören und aufzunehmen, was ihm der Markt zu bieten hat, und je größer die Auswahl, desto schwieriger die Entscheidung bei der Produktauswahl. Wir versuchen daher mit unseren SAOL Themen immer möglichst zielgerichtet die jeweils passenden Käuferkreise zu erreichen und zu bewerben, allerdings auch in artverwandten Bereichen zu fischen. Die Mischung macht es in diesem Fall also.

Am 18./19. März veranstaltet ihr das erste SAOL-Festival in Hannover. Eine einmalige Veranstaltung oder Testlauf für eine evtl. regelmäßige Serie in der Zukunft? Geht es einfach nur um die Präsentation eurer Bands oder verbindet ihr mit dem Festival auch eine besondere Botschaft/ein besonderes Motto?

Zu aller erst wollen wir unsere bis dato zweijähriges Bestehen feiern. Wir hoffen natürlich, dass die Veranstaltung auf großen Anklang stoßen wird. Außerdem versuchen wir auch den Communityfaktor unter den SAOL Bands zu stärken, so kann sich ein großer Teil unserer Bands einmal persönlich treffen, Erfahrungen austauschen und das ein oder andere Bier zusammen trinken. Sollte sich die Veranstaltung als Erfolg herausstellen, könnten wir uns eine Wiederholung mit anderen Bands aus unserem Roster in unregelmäßigen Abständen durchaus vorstellen. Das Interesse innerhalb unserer Bands war jedenfalls enorm und wir konnten leider aus zeitlichen gründen nicht alle Bands berücksichtigen, die gerne hätten spielen wollen.

Vielen Dank für das Interview!

28.02.2011

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