Rush
RUSH - das Frühwerk in drei "Sektoren"
Special
Man hört zwar immer wieder, dass RUSH die unangefochtenen Götter des Progressive Rock sind. Warum das so ist und warum die Band so stilprägend war, beziehungsweise ist, kann man jetzt anhand von drei Boxsets noch einmal erfahren. Die mit “Sector 1–3” betitelten Boxen enthalten die Alben der Band bis 1988.
“Sector 1” enthält dann logischerweise die Frühphase von RUSH, die wie alle Phasen der Band unverzichtbares Material für jeden Progressive Rock-Fan bietet. Wer RUSH kennt, weiß, dass man von der Band immer Qualität zu erwarten hat. So auch bei den “Sector”-Boxsets. Die bestehen nämlich aus einem robust Pappschuber und enthalten, neben den CDs in Plastikhüllen mit Gatefold-Digipak auch noch ein dickes Booklet mit Texten, etc.. Als Bonus gibt es zudem das Album “Fly By Night” zusätzlich als 5.1 Surround-Mix, was Sound-Freunde wohl begeistern dürfte. Also hier schon mal value for money.
Mit dem schlicht “Rush” betitelten Debüt von 1974 war schon vielen Leuten klar, dass es sich hier nicht nur um ein erstes Lebenszeichen der Band handelt. Neben dem auch heute noch zeitweise im Live-Set der Band auftauchenden “Working Man” hat die Platte aber auch noch einige andere interessante Nummern, wie u.a. “In The Mood”, “Finding My Way” oder “Need Some Love”, zu bieten. Die musikalische Ausrichtung auf dem Debüt der Kanadier war hier allerdings noch nicht so progressiv wie auf späteren Veröffentlichungen. Die typischen Merkmale von RUSH sind auch hier schon zu erkennen, doch befindet sich die Band noch in einer Findungsphase, in der man auch noch Einflüsse wie LED ZEPPELIN heraushören kann. Zudem befindet sich zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung mit John Rutsey ein Drummer in der Band, der zwar einen guten Job abliefert, aber nicht die Genialität von Neal Peart besitzt.
Der ist ab dem Nachfolger “Fly By Night” bis heute dabei und nicht nur wegen seines genialen Schlagzeugspiels ein wichtiger Teil von RUSH. Gleich der Opener “Anthem”, der obendrein ein Publikumsliebling ist und jahrelang in der Setlist der Band zu finden war, zeigt den gehobenen Anspruch von RUSH an ihre Musik. Die Arrangements fallen viel komplexer als noch beim Debüt aus, und das Spiel von Neal Peart ist, verglichen mit seinem Vorgänger, wesentlich präsenter und nicht mehr nur Beiwerk. Insgesamt zeigen sich RUSH experimentierfreudiger als noch auf dem Debüt und machen auch Qualitativ einen großen Schritt nach vorne. Neben rockigen Nummern wie “Beneath, Between & Behind”, dem Titeltrack oder “By-Tor & The Snow Dog” hat das Album auch ruhige Momente, wie das völlig entspannte “Rivendell” (auch vor RUSH macht der gute Tolkien anscheinend keinen Halt), zu bieten. Wie gesagt, ein wichtiger Schritt in der Karriere von RUSH. Aber insgesamt doch nur Vorbereitung auf das folgende Album “Caress Of Steel”.
Ebenfalls 1975 veröffentlichten RUSH ihr bislang ambitioniertestes Werk “Caress Of Steel”, das gleichzeitig die erste Platte war, die die Kanadier nun in ihrem zukünftigen Schwimmbecken zeigt. Nicht, dass die beiden Alben vorher qualitativ schlecht waren. Ganz im Gegenteil. Nur, ihren Stil haben RUSH erst mit diesem Album gefunden. Neben Klassikern wie „Bastille Day“ sind es vor allem die beiden überlangen Stücke „The Necromancer“ und „The Fountain Of Lammeth“, die eindrucksvoll die Stärken der Band belegen. Zwischen komplexen Arrangements und harten Gitarren findet das Trio immer Zeit für einfühlsame Momente und Ohrwurmmelodien. “Caress Of Steel” kann man durchaus als erstes komplettes Werk von RUSH bezeichnen und es ist sicherlich auch eines der besten Alben der Bandgeschichte, aber an dem nachfolgenden “2112” muss sich auch diese superbe Scheibe messen lassen.
Mit “2112” haben sich RUSH endgültig unsterblich gemacht. Man muss es so sagen. Ein Meilenstein der Rockgeschichte, ohne Frage. Klar, andere Bands wären froh und dankbar, wenn sie Platten wie “Caress Of Steel” in ihrer Diskographie hätten. Bei RUSH stellt das zweite 1975er Album aber lediglich einen Schritt in die richtige Richtung dar. Alleine der über zwanzig Minuten lange Titeltrack “2112” ist derart musikalisch, dass andere Gruppen daraus locker fünf Alben gemacht hätten. Aber auch die anderen Songs brauchen sich neben diesem Epos zu keiner Sekunde zu verstecken. “A Passage To Bangkok”, “The Twilight Zone”, “Lessons”, “Tears” und “Something For Nothing” gehören nach wie vor zum Besten, was das Genre zu bieten hat und wir reden hier über eine Platte, die 1976 heraus gekommen ist. Unschlagbar ist dieses Album, ein Pflichtkauf für jeden Prog-Rocker und es hat ein musikalisches Niveau, das meiner Meinung nach selbst RUSH nur noch auf dem späteren “Moving Pictures” wieder erreichen. Nach vier Studioalben war es dann wohl auch an der Zeit, ein Live-Album zu veröffentlichen.
Mit “All The World’s A Stage” hatten RUSH dann auch erstmals die Möglichkeit zu zeigen, dass sie die komplexen Songs auch live ohne Qualitätsminderung wiedergeben konnten. Die Platte besticht durch eine dichte Atmosphäre und zeigt eine bestens aufgelegte Band, die sich federleicht durch ein Arsenal an Hits spielt, dass einem beim Zuhören schon schwindlig wird. Auch, wenn es für RUSH noch lange nicht das Ende der Fahnenstange war, bildet “All The World’s A Stage” doch einen schönen Schlusspunkt unter die erste Phase der Band, die sich neben komplexen Arrangements vor allem auch durch ihre rockige Seite auszeichnete. (Colin)
Mit dem zweiten Teil des fetten Boxsets, simpel „Sector Two“ genannt, bekommt der Prog-Maniac die Alben „A Farewell To Kings“, „Hemispheres“, „Permanent Waves“ und „Moving Pictures“ in die Hand gedrückt. Zusätzlich liegt noch das Live-Album „Exit…Stage Left“ sowie „A Farewell To Kings“ als DVD mit 5.1. Surround Sound bei.
Den Anfang der wundervoll in Form eines Stage-Koffers gestalteten Box macht das 1977er Album „A Farewell To Kings“. Hier schlagen RUSH bereits eine eher rockigere Richtung ein. Sänger Geddy Lee ist auf diesem Album über alle Zweifel erhaben. So singt sich der Bassist locker durch die anspruchsvollen Stücke wie ein Prog-Gott. Und mit Nummern wie dem Titeltrack „A Farewell To Kings“, dem späteren Live-Kracher „Xanadu“ oder dem verspielten „Closer To The Heart“ schrieben RUSH bereits damals Geschichte. Auch hervorzuheben ist die ausgezeichnete Produktion, die zu dieser Zeit so nicht unbedingt üblich war. In der Box gibt es „A Farewell To Kings“ übrigens auch als 5.1. Version auf DVD, allerdings nur zum Hören, optische Komponenten sind, bis auf ein Menü, leider nicht vorhanden.
Bei vielen Alben von Progressive Rock- und Metalbands spielt die optische Gestaltung des Produkts eine große Rolle. FATES WARNING z.B. verarbeiten gerne Thematiken auf ihren Covern, die zum Nachdenken einladen. Woher sie dies haben? Von RUSH natürlich. Es ist bis heute nicht ganz schlüssig, was sie mit dem Cover von „Hemispheres“ sagen wollten, was allerdings keine Rolle spielt. Denn die Musik auf „Hemispheres“ lässt keine Fragen offen. Bereits mit der monumentalen Nummer „Cygnus X-1 Book II Hemispheres“, einem über 18 Minuten langen Prog-Monster, hauen RUSH auf den Putz. Dieser Track hat mit Sicherheit auch Gruppen wie DREAM THEATER maßgeblich beeinflusst. Man kann sich vorstellen, wie die Musikfans 1978 mit offenen Mündern dieser Mammutversion zugehört haben müssen. Eine ausgeklügelte Komposition, die zu keiner Sekunde langweilig wird. Da kommen einem ebenfalls starke Tracks wie „Circumstances“ oder das international klingende „La Villa Strangiato“ eher kurz vor.
1980 war die große Punkinvasion größtenteils überstanden, eine Reaktion auf eben jene großen Rockbands, die mit Lightshows und riesigen Bühnenproduktionen überheblich wirkten. RUSH gehörten nicht in diese Kategorie hochnäsiger Bands, weswegen sie diesen Ausbruch auch locker überstanden. Im Gegenteil, denn auf „Permanent Waves“ konnten RUSH ihren größten Radiohit, „The Spirit Of Radio“, verzeichnen, einen Song, der bis heute unvergessen ist und live von den Jungs einfach gespielt werden muss. Die coole Nummer hat auch nach 30 Jahren nichts von ihrem Charme verloren und kann getrost als Klassiker der Rockgeschichte bezeichnet werden. Doch auch Stücke wie das coole „Freewill“ oder „Jacob’s Ladder“ stehen dem Hit nur bedingt nach. Natürlich können diese Tracks in kommerzieller Hinsicht nicht mithalten, rein künstlerisch allerdings schon.
Im Jahre 1981 veröffentlichten RUSH mit „Moving Pictures“ ein Album, das sehr vom Synthesizer geprägt ist. Der Song „Tom Sawyer“ wurde zu dieser Zeit von vielen Radiostationen gespielt und gehört zu den größten Hits der Band. Die irren Bassläufe von Geddy Lee sind hier besonders ausgeprägt und selbst nach all den Jahren immer noch nicht von dieser Welt. Auch „Red Barchetta“ gehört zu den stärksten Nummern der Platte, zu der man hin und wieder Parallelen zu THE POLICE finden kann, auch wenn RUSH rein musikalisch der Gruppe um Sting meilenweit voraus waren/sind. Das rockige „Limelight“ kommt locker flockig rüber und lässt erkennen, dass RUSH niemals auf der Stelle getreten sind. Im Gegenteil, die Entwicklung der nächsten Jahre wurden hier angefangen.
Das Livedokument „Exit…Stage Left“ bildet einen vorerst krönenden Abschluss der Historie von RUSH. Das Album zeigt deutlich die Klasse dieser Band – im Studio, wie auch auf der Bühne, RUSH überzeugen. Und das mit einer Setlist, die sich gewaschen hat. Natürlich dürfen Granaten wie „The Spirit Of Radio“ (bei dem den Schreiberling ein wohliger Schauer über den Rücken läuft), „Red Barchetta“, „Tom Sawyer“, „Beneath, Between & Behind“, „Xanadu“ (Wahnsinn!) oder „Freewill“ nicht fehlen. Die Atmosphäre, die hier aufgebaut wird, ist unbeschreiblich. Wenn man bedenkt, dass dieses Album bereits 30 Jahre alt ist, bekommt man vielleicht eine Ahnung, welche Perfektion RUSH schon damals mit sich brachten.
Und diese Perfektion findet man auch bei dem Box-Set wieder. Die CD-Hüllen sind teilweise Plattenhüllen nachempfunden, die CDs selbst sind in eine Plastikfolie gepackt. Das fette Booklet enthält alle Texte der jeweiligen Alben, ist mit vielen Fotos versehen und mehr als einen Blick wert. Die schöne Box, wie am Anfang bereits erwähnt, ist Teil einer Triologie, die alle frühen Werke von RUSH enthält. Und man kann sicher sein, dass auch die anderen Perioden solch eine musikalische Qualität mit sich bringen. (Ingo)
Abgerundet wird die überaus üppige „Sector“-Set von jenen Scheibletten, die in den 80er Jahren erschienen sind, in der die Kanadier ihre Synthie-orientierte Phase durchlebten. Den Auftakt der Box markiert das 1982er Epos „Signals“, von dem man mit „New World Man“, „Subdivisions“ und „The Analog Kid“ gleich drei Singles in den Charts platzieren konnte. Vor allem die erstgenannte Komposition erwies sich als überaus Zuhörerfreundlich und sollte sich für einige Zeit sogar ganz oben in den Hitparaden entpuppen.
Zwar versuchte sich das Dreigestirn in eben jenen Jahren vermehrt an derlei „synthetischen“ Sounds, doch Alex Lifeson durfte seine Klampfe selbstredend immer noch zum Qualmen bringen. So gibt es auch in dieser Phase von RUSH essentielle Lehrbeispiele für jeden angehenden Saitenhexer zu entdecken. Einhergehend mit den nunmehr „mainstreamtauglicheren“ Kompositionen kam auch noch der Wechsel des Produzenten. Terry Brown, der noch für „Signals“ die Regler betätigt, wurde in weiterer Folge von Peter Collins abgelöst. Offenbar eine weise Entscheidung, denn Geddy Lee’s nunmehr doch deutlich Keyboard-lastigere Nummern wurden nicht zuletzt von diesem Mann perfekt eingefangen und konserviert.
Zudem muss angeführt werden, dass sich RUSH auch auf lyrischer Basis deutlich von ihren Frühwerken zu entfernen begannen und nicht mehr reinrassige Science/Fiction-Themen vertonten. Auch „Grace Under Pressure“ (1984) machte deutlich, dass die Herren nunmehr eine wesentlich breitere Publikumsmasse anzusprechen im Stande wären – kein Wunder, dass man auch knapp 30 Jahre später eine Nummer wie „Distant Early Warning“ mit zu den absoluten Trademarks des Trios zählt.
Die Neuauflage kommt (wie sämtliche anderen Scheiben von „Sectors“) in überarbeiteter Sound-Qualität aus den Boxen und eben diese macht eindrucksvoll deutlich, dass RUSH wohl schon Mitte der 80er Jahre jenes Klangbild mitgeprägt haben, dass mehr als 20 Jahre später als „modern“ bezeichnet werden sollte. „Marathon“ und „Mystic Rhythms“ seien als Exemplare für das im Jahr 1985 veröffentlichte Werk „Power Windows“ hervorgehoben, das einen weiteren Schritt in der Erfolgsgeschichte von RUSH darstellte. Bemerkenswert einmal mehr die Texte, wobei sich Neil Peart von einer bis dato unbekannten sozialkritischen Seite zeigte (wie etwa in „Manhattan Project“) die der Truppe gut zu Gesichte stand.
Zwar konnten sich RUSH wie erwähnt in dieser Phase sehr wohl auch auf dem Mainstream-Markt etablieren, viele ihre treuen Fans jedoch sind noch heute der Meinung, dass speziell das nächste Album „Hold Your Fire“ so etwas wie den Tiefpunkt in der Karriere der Band darstellt. Dabei ist diese im Jahr 1987 aufgelegte Scheiblette aus heutiger Sicht alles andere als „schwach“ – selbst wenn diese im direkten Vergleich zu essentielleren Veröffentlichungen der Band doch ein wenig abfällt.
Und ganz so „schlimm“ dürfte es für die Band zur damaligen Zeit auch nicht gewesen sein, kamen doch einige der Tracks zusammen mit jenen der zuvor erwähnten Schnittchen in hervorragenden Live-Versionen auf dem ebenso in dieser Box enthaltenen Live-Album „A Show Of Hands“ zum Einsatz. Auch dieses Ton-Dokument kann man sich heute erneut zu Gemüte führen, rundet es doch „Sector 3“ zusammen mit einem hübsch aufgemachten, üppigen Booklet (in dem die Texte aller erwähnten Scheibletten verewigt sind) und der Audio-DVD von „Signals“ für Sound-Gourmets perfekt ab und macht obendrein Lust auf Neuauflagen der späteren RUSH-Großtaten. (Walter)
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