Running Wild
Listening-Session zu "ReUnation - A Tribute To Running Wild"

Special

„Warning! This LP contains loud sound effects.“ Mit diesem Aufkleber warb seinerzeit (1987) die deutsche Produktionsfirma Noise Records für das RUNNING WILD-Album „Under Jolly Roger“. Mir reichte das für fein befundene Plattencover mit Gespensterschiffmotiv nach Art alter Europa-Märchenplatten bereits zum Kauf der Langspielplatte. Das Piraten-Intro („Ship Ahoi…“), Kanonendonner und der fette Refrain des Titelsongs führten dazu, diese deutsche Band von diesem Zeitpunkt an zu den Faves JUDAS PRIEST, SAXON, FATES WARNING, IRON MAIDEN und METALLICA aufsteigen zu lassen. Erwähnenswert sicher, dass RUNNING WILD später abseits von Grunge-, Death-, Black- oder anderen Metalspielarten „true“ ihr Ding durchzogen und ihren Kultstatus ausbauten. Nun, nicht umsonst beginnt die Liste der von mir zu besprechenden Covertracks (13 von 31 Songs) auf „ReUnation – A Tribute To Running Wild“ mit ihrem vielleicht größten Hit…

 

Running Wild

CUSTARD – „Under Jolly Roger“

Der Titelsong der 1987 erschienenen gleichnamigen LP ist noch heute ein Gassenhauer. Die deutsche Power-Metal-Band CUSTARD hält sich bei ihrer Coverversion recht eng an die Vorlage. Der Chorus tönt im Grunde beinahe original; die Strophenphase vielleicht etwas nasaler, höher. Druckvoll produziert mit lautem Schlagzeug und diesen typischen RUNNING WILD-Leads fein im analogen Stil von einst (wie er zu dieser Musikform passt), kämpfen sich CUSTARD durch das Seegefecht. Ein guter Einstieg, wie ich meine.

ESENIA – „Resurrection“

In diesen Song von „The Rivalry“ (1998) bauten RUNNING WILD ihre typischen ausufernden Melodielinien der Sorte „Little Big Horn“ ein. ESENIA, eine spanische Gothic-Metal-Band, setzt auf mehr Groove; der Gesang erinnert an HIM und ähnlich gelagerte Combos. Das Original erkennt man eigentlich nur am Chorus, der sehr stark Rock’n’Rolfs Stimmlagen imitiert. Auch eine nette Variation, gerade weil das Original verfremdet wird.

FATE – „Soul Vampires“

Yeah! Das ist allerdings wirklich gut. Fette Hard-Rock-Vibes á la WHITESNAKE, LYNARD SKYNARD und BLUE CHEER. Heavyness durch die fette Hookline und diese für FATE typisch ausgefeilte Rhythmus-Sektion machen aus dem ursprünglichen Track vom Album „Rogues En Vogue“ (2005) einen feinen US-typischen Rocksong: Autoradio, Highway, Schools Out, Nachbarin, Vatis Schlitten, Picknick usw. Und die Soli sind abartig geil! Hoffentlich machen FATE es auch noch einmal MERCYFUL. Die Hammonds lassen diese altmodische Analog-Atmosphäre aufkommen. Die Westcoast-Attitude steht dem Track, die Verwandlung des True Metal in Rock ist erstaunlich lässig geglückt.

HALOR – „Little Big Horn“

Was habe ich diesen Song einst gemocht, gerade weil es dort das Erwartete gab, keine seinerzeit trendigen verschachtelten Riffs oder Growls. HALOR aus Ungarn nähern sich dem Track mit Ergebenheit an die Achtziger. Das Cover tönt trockener, blecherner als das Original, die Vocals erstaunlich ähnlich zu denen des Altmeisters. Beim Riff kriege ich heute noch eine Gänsehaut, selbst beim Cover. Eine gute Version!

HELLISH WAR – „Return Of The Gods“

Da versucht doch einer Angelo nachzumachen? Der Gesang ist auch sehr an Rolf orientiert. Obwohl hart am Original, ist auch diese Version sehr gelungen. Der Refrain ist sehr traurig, melancholisch, das flirrende Lead richtig gut; „Return Of The Gods“ ist ja einer der besten Songs der „neueren“ RUNNING WILD-Ära. Und auch das Cover gehört klar zu den besten bisher. Toll die Instrumentalpassage, die Abstimmung mit der Rhythmus-Abteilung. HELLISH WAR kommen aus Brasilien und spielen den Song wie Angelsachsen oder Teutonen, kaum zu glauben!

MAGICA – „Victory“

Diese Version ist mir zu durcheinander geraten. Zu viele Stimmen überlagern sich, der Esprit und Charme des Originals wird nicht erreicht. Alles klingt live, zu schnell produziert, zu ungeordnet. Dabei ist der Chorus eigentlich so gut und böte gute Ansätze für eine z.B. akustische Verfeinerung. Vielleicht hätten MAGICA nur (moderaten, nicht zu hellen) Frauengesang einsetzen oder eben eine Akustikversion daraus machen sollen. Gerade eine Gothic-Band müsste daraus mehr machen können.

OVERTURE – „Pirate Song“

Hier passt der Power-Bombast gut, weil dieser mit kräftig irischer Saufatmosphäre gemischt wird. Man fühlt sich nach Port Royal ins „Black Hand Inn“ versetzt. Das Original („The Brotherhood“, 2002) erinnerte mich stark an „Conquistadores“, sozusagen Teil II. OVERTURE schaffen eine leichte, transparente, flotte Adaption des Tracks vollgepackt mit Augenklappen, Enterhaken, Whiskey und Golddukaten. Auch gut, dass diese Band zur Abwechslung einmal nicht versucht, den Gesang von Rock’n’Rolf zu imitieren, sondern dem Ganzen eine Wendung in hellere Gefilde gibt. Das Solo ist klasse!

SKILTRON – „Ballad Of William Kidd“

Sind das ENSIFERUM? Fast könnte man das denken, bei dem Intro. Dann folgen diese typischen Achtziger-Vibes mit kräftig DIO-Flair (Gesang) und traditionelles Heavy-Riffing. Herrlich altmodisch. „Seeea“, „Saaails“, „Sacrifiiiice“, „Galloooows“. Der Chorus ist DIO pur. Auch diese Adaption ist geglückt, denn hin zu alten BLACK SABBATH der „Children Of The Sea“-Phase hat sich hier noch keine Band bewegt. Und für Dudelsackpfeifen gibt es ohnehin einen Bonus.

SUIDAKRA – „Marooned“

SUIDAKRA (mit Axel Römer und PERZONAL WAR-Sänger/Gitarrist Matthias Zimmer) machen aus der Vorlage einen komplexen Dark-Death-Track. Einer meiner Favoriten, ganz klar. „Marooned“ (und die „Death Or Glory“, 1989) fand ich immer super. Und endlich einmal heisere Vocals! Growls, Fauchen, schwedische Vibes, russische Folklore, Black- und Death-Attitude. Überhaupt, diese beiden letztgenannten Genres müssten eigentlich gut passen, um RUNNING WILD-Tracks zu verfremden. Schließlich waren RUNNING WILD immer auch Vorbilder der Göteborg-Fraktion. Der Chorus mit Klargesang und Dudelsack kontrastiert die Rauheit in der Strophenphase. Groove, Tempo, Melodie, beinahe überladen wirkt diese Nummer. Weil sie sich zutrauen zu experimentieren und das Original sehr variieren, gibt es einen Bonuspunkt. Ab Minute 1:37, der akustische, im Klargesang vorgetragene Chorus, tönt sehr fein!

THUNDERSTORM – „Welcome To Hell“

Viel trockener als RUNNING WILDs Version, aber eigentlich eine gute Verfremdung des Originals. Der Gesang gefällt mir nicht sonderlich. Selbiger ist hier zu kraftlos und abgehackt. Musikalisch könnten sie nämlich gut sein mit ihren Soli, diesen eher rockigen Leads im dann allerdings ein wenig schräg vorgetragenen Chorus.

WILD KNIGHT – „Tsar“

Das klingt wie neuere SAXON!!! Etwas mehr Speed, Dynamik und Härte wären nicht schlecht. Das Original von RUNNING WILD wurde erheblich fetter produziert; die britisch-deutsche Band WILD KNIGHT legt dagegen Wert auf Biff Byford-Vocals, kompakte Soloeinlagen und insgesamt eine weichere und wärmere Ausrichtung. Könnte bezüglich Drums und Gesang produktionstechnisch etwas mehr Druck vertragen.

WITHERING SOUL – „Firebreather“

Eine interessante Veränderung des Originalsongs! Tempo, Growls, garstige Atmosphäre, beinahe Melodic Black Metal (erinnert etwas an frühere ETERNAL TEARS OF SORROW), Gothic, Death; alle möglichen Facetten des Kaleidoskops der Veränderung werden aufgefahren. Hier ist auch die Produktion opulent geraten. Sehr gut, wie permanent Druck ausgeübt wird, Speed, Power, der Mittelteil (um Minute 3:00) huldigt RUNNING WILD hörbar. WITHERING SOUL haben mit ENSLAVED und VREID auf Konzerten gespielt; der Horizont ist düsterer, der Zugang zum Original erfolgt von der schattigen Seite, welches eine Neuerung im Vergleich zu den bisherigen Variationen darstellt. Black- oder Dark Metal eignet sich zur Verfremdung von RUNNING WILD, wie man hören kann.

WINTERS DAWN – „Into The Fire“

Überdrehter Power-Metal-Gesang nach Art von WATCHTOWER steht neben sägenden Gitarrenleads im Mittelpunkt dieser Variation des Originals der Hansekogge. Klirrend sind die Soli, hämmernd und immer auf die Zwölf die säbelnden Licks. Den Gesang hätte ich schon etwas weniger hektisch produziert, aber immerhin, an die Stimme von Rolf erinnert das nicht und das Experiment ist verwegen.

Abschließend könnte man sagen, dass die vorgestellten Bands ihre Versionen mit einigem Herzblut eingespielt haben. Hervorragend, dass dabei auch schonmal die True-Metal-Schiene verlassen wurde. Im großen und ganzen ist es schon erstaunlich, dass RUNNING WILD, welche sich musikalisch immer treu geblieben sind und kaum als experimentell oder Tellerrandgucker bezeichnet werden können, dennoch locker sowohl im Black Metal, Gothic oder Westcoast-Rock zitiert werden können. Vielleicht gab es in RUNNING WILDs auf den ersten Blick sehr im True-Metal-Sektor verbleibenden Kompositionen (also nicht nur in den Texten) immer einen versteckten Freiheitsdrang, der nun durch die Coverbands illustriert wird, wer weiß?

Daher als Abschluss das Zitat des großen schwarzen Freiheitskämpfers Malcolm X von der Rückseite des filigran gestalteten Booklets: „If You Don’t Stand For Something, You Will Fall For Anything“. Rock’n’Rolf wandelt diese Aussage in (und da schließt sich der Kreis zur vorletzten Passage) „Glowing Fire Deep In Your Heart, Cry Of Freedom Ready To Start“ um.

Galerie mit 15 Bildern: Running Wild - Rockharz 2022
04.09.2009

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