Queensrÿche
Operation:Mindcrime und Empire
Special
In jedem Genre gibt es einige wenige Scheiben, welche als richtungsweisend oder Meilenstein in der Retrospektive angesehen werden. In Bezug auf Progressive Metal und Konzeptalben fällt der Name QUEENSRYCHE und das Release „Operation:Mindcrime“ von 1988 als einer der Meilensteine für die Entwicklung des Genres. Eine Band wie DREAM THEATER war 1988 noch in der Findungsphase unter dem Namen MAJESTY unterwegs und das Debüt „When Dream And Day Unite“ erscheint erst ein Jahr nach „Operation:Mindcrime“.
„Empire“ ist kommerziell erfolgreicher als sein Vorgänger, steht in der Retrospektive jedoch im Schatten von „Operation:Mindcrime“. Ein neues Release gab es bereits als 20th Anniversary Edition im Jahre 2010. Zum 30. Geburtstag folgt am 25.06.2021 eine abermalige Neuauflage.
Die Story: Worum geht es in „Operation:Mindcrime“
Die deutsche Übersetzung ist recht einfach mit Gedankenverbrechen. Aber worum geht es bei der Geschichte und wie ist die Idee entstanden? Die Inspiration zu dem Konzept kommt vom ehemaligen QUEENSRYCHE-Sänger Geoff Tate und einem Kirchenbesuch in Kombination mit einem Abend in einer Bar mit etwas rauem Charme. In der Bar traf Tate auf einen Menschen, aus dem die fiktive Gestalt Dr. X abgeleitet wurde. „Operation:Mindcrime“ ist eins nicht: eine Geschichte, die aus dem wahren Leben gegriffen ist. Tate erdachte sich die Fiktion von A-Z, auch wenn Politiker wie Ronald Reagan einen Einfluss auf Tate hatten.
Die Hauptfigur spielt Nikki, drogensüchtig und mit sich selbst und der Welt unzufrieden. Für seinen Zustand macht Nikki die gesamte Gesellschaft verantwortlich. So beschließt er, sich in den Untergrund zu begeben und von dort Anschläge auf korrupte Politiker durchzuführen. Der Dialog im Opener „I Remember Now“ lässt Nikki im Krankenhaus erwachen und er fängt an sich zu erinnern und die ersten Erinnerungen sind in „Anarchy-X“ zusammengefasst. Im Hintergrund sind Proteste zu hören, welche Fragen bezüglich Frieden, Gleichheit und die Veränderung der Gesellschaft aufwerfen. Gewisse Themen verlieren anscheinend nie ihre Aktualität. „Revolution Calling“ folgt und so verbindet das Interlude „Anarchy-X“ die Konversation von Nikki und der Krankenschwester mit dem ersten wirklichen Track auf „Operation:Mindcrime“. Im Titeltrack wird Nikki von Dr. X geistig eingenordet, um die Revolution aus dem Untergrund umzusetzen. Das Wort Mindcrime ist der Schlüssel für Dr. X um Nikki als Mordinstrument zu nutzen.
„Speak“ sind die Instruktionen für Nikki
In „Speak“ wird die Mission von Nikki erläutert, welche er von Dr. X erhält. Hier fallen Sätze wie „lass uns die Machtbalance kippen und ihre Krone abreißen, erziehen wir die Massen, wir verbrennen das Weiße Haus“. Die Erinnerung an die Bilder mit Jon Schaffer und dem Sturm auf das Weiße Haus sind noch sehr präsent. Hatte Geoff Tate in den 80ern eine prophetische Eingebung? Allerdings sind bei Tates Geschichte die Antriebe für die mögliche Revolution nicht nationalistisch oder faschistisch, welches mit „Ausrotten der Faschisten, die Revolution wird wachsen“ klar unterstrichen wird.
„Spreading The Disease“ lässt Sister Mary und Priester William auf die Bühne. Es folgt eine Erzählung aus Sicht von Schwester Mary und ihr Dasein als Prostituierte. Die Kluft zwischen Arm und Reich sind genauso Thema wie die Religionen, welche aus Sicht von Mary Machtspiele sind wie S&M Sex, eine Dienstleistung die Mary für den Priester William erbringt. Der Priester, ein Mitarbeiter von Dr. X, eröffnet so auch Nikki die Dienste von Schwester Mary.
„The Mission“ und der Zwiespalt
„The Mission“ kehrt zu Nikki zurück, welcher durch den neuen Kontakt zu Schwester Mary seine Mission in einem anderen Licht sieht. „Sie ist die Dame, die meine Trauer lindern kann, meine Liebe zu ihr wird mir helfen, meinen Weg zu finden“ sind Zeilen aus den Lyrics. Nikki bekommt Zweifel an der Mission, welche er von Dr. X erhalten hat. Nikki erachtet die Instruktionen aber nach wie vor als sehr wichtig. Das unterstreichen die Worte „Rette diese Welt, wir werden alle stolz sein, unsere Mission hat die Welt verändert, wir werden die Welt verändern“. So gerät Nikki in einen Zwiespalt zwischen der aufgetragenen Mission und seiner Liebe zu Schwester Mary.
Dr. X spricht zu Beginn von „Suite Sister Mary“ zu Nikki und befiehlt ihm, Mary zu töten. Nun trifft Nikki auf Mary im strömenden Regen und Mary bittet Nikki zu sich hinein. Als Mary erkennt, was Nikki vorhat, antwortet Mary „Ich schließe die Augen und du schießt“. Das Ende bleibt jedoch offen. Der Song ist wie eine Rockoper aufgebaut und legt mit jeder Umdrehung in der circa zehnminütigen Laufzeit an Dramatik zu. Mit „The Needles Lies“ folgt der Ausbruchsversuch von Nikki, er rechnet mit seiner eigenen Drogensucht ab. Dr. X sieht den Versuch gelassen, wo soll ein Junkie denn hin?
Sister Mary ist tot und “Breaking The Silence”
Das Interlude „Electric Requiem“ klärt den Verbleib von Mary auf. Nikki ist auf der Suche nach Mary und findet sie tot. Nikki ist verzweifelt und fühlt sich verlassen. Das ist alles zu viel für ihn, er läuft verzweifelt durch die Gegend, um die Ruhe der Nacht zu durchbrechen und den Verlust von Mary irgendwie zu verarbeiten. Seine Werte verschieben sich, alles was er für wichtig erachtete, erscheint in einem anderen Licht. „Ich könnte alles Falsche richtig erscheinen lassen, wenn Du an meiner Seite wärst“ zeigt seine vollkommene Zerrissenheit. Was falsch und was richtig ist verschwimmt.
„I Don´t Believe In Love“ versetzt Nikki in die Obhut der Polizei, wo er von Kameras ständig beobachtet wird. Er wird für den Mord an Sister Mary wie auch den weiteren Taten, welche er für Dr. X begangen hat, verhaftet. Seine Gedanken kreisen primär um Sister Mary und er schwört die Liebe zu ihr ab. „Sie sagte, sie liebte mich, ich schätze, ich wusste nie, aber wissen wir es jemals, jemals wirklich?“ Nikki verliert sich immer mehr in seinem Selbstzweifel und sein Erinnerungsvermögen geht mehr und mehr verloren. Er kann sich nicht erinnern, ob er Mary getötet hat oder nicht. Die beiden kurzen Interludes „Waiting For 22“ und „My Empty Room“ verfrachten Nikki in die Psychiatrie. Seine Gedanken kreisen um Sister Mary, er kann sich aber an nichts erinnern. Nikki kann nicht schlafen, er glaubt das seine Träume zu Verbrechen werden. Es sucht nach jemanden, der ihm seine Sünden vergibt.
Die Augen eines Fremden
Nikki begegnet immer wieder Sister Mary in seiner Gedankenwelt. Es scheint so, dass Sister Mary Nikki in seinen Träumen verfolgt mit einem Rosenkranz um den Hals. Wenn Nikki in sein Gesicht blickt, dann zeigt ihm der Spiegel die Augen eines Fremden. Nikki erhält Beruhigungsmittel bis er irgendwann einschläft und sich der Kreis zu „I Remember Now“ schließt. Offen bleibt, wer Sister Mary getötet hat. Wer eine Antwort auf diese Frage möchte, sollte sich mit „Mindcrime At The Moore“ aus dem Jahre 2007 beschäftigen. Hier enthüllen QUEENSRYCHE wie Sister Mary aus dem Leben schied.
„Eyes Of A Stranger“ ist neben dem Titeltrack der Song, welcher auch heute noch zum Standardrepertoire von QUEENSRYCHE zählt, sowohl bei Geoff Tate als Solo-Künstler wie auch bei QUEENSRYCHE mit dem neuen Sänger Todd La Torre.
Das Re-Release von „Operation:Mindcrime“
Fotocredit: Oktober Promotion
Eine Neuauflage von der am 03.05.1988 erschienen Originalfassung ist alles andere als neu. 2006 erschien eine Variante mit einem Konzert vom 15.11.1990, Hammersmith Odeon, London, wo die komplette Scheibe live performt wurde. Diese Auflage wurde neu abgemischt und ist mit dem neu veröffentlichten Material identisch. Das Boxset enthält noch Aufzeichnungen von Konzerten in Wisconsin, welche bereits als „Operation: Livecrime“ veröffentlicht worden sind inklusive der hier erneut veröffentlichten DVD. Wirklich neu sind folglich nur die Promo-Videos sowie die Liner-Notes und weitere Beilagen der Box.
Ob sich die Anschaffung für Fans, welche bereits die gesamte Diskografie im Schrank stehen haben, lohnt, wird der zahlende Kunde am Ende selbst entscheiden müssen. Für Menschen, welche der Meilenstein der metallischen Konzeptalben bisher entgangen ist, bietet die Box ein komplettes Sammelsurium rund um das mittlerweile 33 Jahre alte Werk. Das Re-Release als Doppel-CD ist identisch zu der Neuauflage des 2006er Releases von „Operation:Mindcrime“.
„Empire“: der Nachfolger von „Operation:Mindcrime“
„Empire“ steht am 20.08.1990 in den Läden und ist der Nachfolger von „Operation:Mindcrime“. Die Rezeptur für „Empire“ ist eine völlig andere. QUEENSRYCHE gehen klassisch vor, elf Tracks, mal progressiv, mal rockig und auch mal glamourös poppig. Ob der Vorgänger der Auslöser für den Hype um „Empire“ war, wird sich nicht endgültig klären lassen. Fest steht, dass „Empire“ das erfolgreichste Werk der bisherigen Karriere von QUEENSRYCHE in den USA ist. So steht der dreifache Platinum Status für den Longplayer zu Buche, Platz eins der Rock Mainstream Tracks für „Silent Lucidity“ und den Northwest Area Music Award gibt es ein Jahr nach dem Release.
In Deutschland war Platz 22 die höchste Chartposition und „Empire“ gewann den Vergleich zur „Operation:Mindcrime“. Das Konzeptwerk schaffte es nur auf Platz 40. Der erste Platz bei den Rock Mainstream Tracks sagt schon viel über das Werk aus. QUEENSRYCHE lösen sich vom Ansatz komplexer Konzeptalben, eine gute Prise Progressivität erhält aber auch „Empire“. Die Scheibe wird vielfältiger und mit der Ballade „Silent Lucidity“ befindet sich Material auf dem Longplayer, welches radiotauglich und massenkompatibel ist.
Die Brücke zwischen „Empire“ und „Operation:Mindcrime“
Erinnern die gesprochen Worte bei „Best I Can“ anfänglich an den Vorgänger, endet der Vergleich spätestens mit den einsetzenden elektronischen Elementen. Der Gesang in den hohen Passagen von Tate erinnert in Teilen an Jon Anderson von YES und gibt der Rock-Nummer einen speziellen Touch. Lyrisch greifen QUEENSRYCHE das Thema Gewalt und Veränderungen mit dem Opener auf und liefern ein ähnliches Thema wie bei „Operation:Mindcrime“. „The Thine Line“ wird komplexer und progressiver, Art Rock Passagen sind ebenso zu finden wie intensive Saitenarbeit.
„Jet City Women“ dürfte neben „Silent Lucidity“ der bekannteste Track auf „Empire“ sein. Die Nummer liefert die typischen Trademarks von QUEENSRYCHE und ist nach wie vor auf den Setlisten der Konzerte zu finden. „Della Brown“ als Mid-Tempo Rocker und die bereits erwähnte Ballade „Silent Lucidity“ zielen auf den kommerziellen Markt ab. „Another Rainy Night“ mixt poppige, rockige und progressive Elemente, „Empire” würde sich auch gut auf der „Operation:Mindcrime“ machen mit den gesprochenen Passagen und der progressiv rockigen Attitüde. „Resistance“ bleibt beim progressiven Rock, „Silent Lucidity“ ist die Ballade, welche auf Classic-Rock-Werken der 80er und 90er in der Regel zu finden ist. Der Refrain kommt mit leichten „Comfortably Numb“ Anleihen daher.
QUEENSRYCHE bleiben kritische Geister
„Hand On Heart“ ist für QUEENSRYCHE der frühen 90er Jahre fast ein zu einfach gestrickter Rocker, „Only And Only“ erhöht den progressiven Anteil gegenüber seinem Vorgänger deutlich. Mit etwas mehr als siebeneinhalb Minuten setzt „Anybody Listening?“ den progressiven Schlusspunkt als Fragestellung. Der Refrain liefert lyrisch interessante Ansätze: „Hört jemand zu? Gibt es jemanden, der sieht, was vor sich geht? Zwischen den Zeilen lesen, kritisiere die Worte, die sie verkaufen. Denke für dich selbst und spüre die Wände. Werde Sand unter ihren Füßen“. Ob Tate und Degarmo diese Fragestellungen an sich selbst adressieren bleibt offen. QUEENSRYCHE zeigen ihren kritischen Zeitgeist auch auf „Empire“.
Das Re-Release von „Empire“
Fotocredit: Oktober Promotion
Wie bei dem Re-Release von „Operation:Mindcrime“ muss auch bei „Empire“ nach wirklich neuem Material intensiv gesucht werden. Die Version als Doppel-CD oder LP enthält neben der eigentlichen Scheibe diverse B-Seiten von Singles und ein Radio Edit von „Anybody Listening?“. „Last Time In Paris“, “Scarborough Fair“ und “Dirty Lil Secret” sind bereits auf der 20th Anniversary Edition als Bonustracks zu finden. Die weiteren Nummern sind auf diversen Singles in den 90ern verewigt und dürften als zusammenfassende Sammlung einen gewissen Anreiz für Fans darstellen.
Bei der Version als Box ist das Konzert aus dem Hammersmith Odeon, London 15.11.1990, zu finden. Dieser Konzertmitschnitt wurde ebenfalls auf der 20th Anniversary Edition bereits veröffentlicht. Die DVD „Building Empires“ ist eine Neuauflage des VHS Videos von 1992, welches bereits 2002 als DVD aufgelegt wurde.
Wie für das Re-Release von „Operation:Mindcrime“ gilt auch für „Empire“: ob eine der beiden Versionen der Neuauflage genügend Anreiz für den eingefleischten Fan und Sammler bietet, werden Fan und Sammler selbst beantworten. Für Neueinsteiger, der kein Fan von Livemitschnitten ist, bietet die Doppel-CD / LP einen guten Überblick über das vierte Werk aus dem Hause QUEENSRYCHE.