Psychotic Waltz
The Definitive Re-Issues 2024

Special

Prog Metal ist nicht gleich Prog Metal. Zum Beispiel gibt es die technischen Bands, für die man oft genug als Hörer einen Doktor-Titel benötigt um durchzusteigen. Andere bevorzugen eine theatralischere Variante dieser Musik. Wieder andere kleistern alles, was nicht mit Gitarren gefüllt ist, mit dem schlimmsten was die Keyboards zu offerieren haben zu und erstaunlicherweise hat ihnen dafür noch niemand feste genug auf die Finger gehauen. Und dann gibt es wiederum diejenigen, die eher auf der atmosphärischen Seite des Spektrums sitzen. Zu letzteren gehören PSYCHOTIC WALTZ.

Die US-Amerikaner um Devon Graves (bzw. damals unter dem Künstlernamen Buddy Lackey firmierend) haben in den Neunzigern vier Alben veröffentlicht, die auf die Namen „A Social Grace“, „Into The Everflow“, „Mosquito“ und „Bleeding“ hören und einiges für die Entwicklung des Prog Metal beigetragen haben. Speziell die ersten beiden Platten sollten ihnen einen gewissen Kultstatus verleihen, da sie exzellenten Prog Metal im Spannungsfeld zwischen Technik und Atmosphäre enthielten. In den frühen 2000ern hatten Metalblade damals diesem vier Alben in zwei schicken Packages á zwei Alben wiederveröffentlicht.

Die „Definitive Re-Issues 2024“ der klassischen PSYCHOTIC WALTZ-Alben!

Im Mai und Juli diesen Jahres sind nun Insideout mit dem erneuten Mastering und der Wiederveröffentlichung dieser Werke betraut worden. Die in limitierte Auflage angebotenen Vinyl-Varianten kommen in verschiedenen Farben daher.

Bei den CD-Digipacks unterdessen erfolgen die Re-Issues unter Dreingabe einer ganzen Reihe von zum Teil bislang unveröffentlichten Demo- und Rehearsal-Aufnahmen und interessanten Snippets, die sich auf den Bonus-Silberlingen tummeln. Vinyl-Liebhaber finden eine kleinere, hauptsächlich in der Prä-„A Social Grace“-Ära entstandenen Auswahl dieser Demos und Rehearsal-Aufnahmen auf der Kompilation „To Chase The Stars – Demos 1987 – 1989“, die aus der „Psychotic Waltz Demo“ von 1989, der „Aslan Demo“ von 1987 und einer Auswahl der „A Social Grace Rehearsals“ besteht. Grund genug, das Wirken dieser Band einmal anhand dieser Re-Releases unter die Lupe zu nehmen und dabei zu schauen, was hinter den „Definitive Re-issues 2024“ steckt.

Kommt also einfach mal mit. Wir beginnen mit einer kleinen Retrospektive – einem kleinen Disko-Check wenn man möchte – der vier gegenständlichen Hauptwerke mit anschließendem Kommentar zu „To Chase The Stars“ und dem Bonusmaterial. Schließlich gibt es noch ein Fazit zu den Wiederveröffentlichungen. Hier geht es direkt zu den Alben, ihr seid aber auch wie immer herzlich eingeladen, frei Schnauze unten weiter zu blättern.

A Social Grace
Into The Everflow
Mosquito
Bleeding
To Chase The Stars – Demos 1987 – 1989
Ein Kommentar zum Bonusmaterial
Ein Nachwort zu den Re-Issues

A Social Grace (1990)

Man sollte nicht unterschätzen, welche Klassiker des Metal 1990 das Licht der Welt erblickten, als da wären Alben wie „Painkiller“ von JUDAS PRIEST, „Rust In Peace“ von MEGADETH oder „Spiritual Healing“ von DEATH. Welch besseres Jahr hätten sich PSYCHOTIC WALTZ für ihre legendäres Debüt „A Social Grace“ aussuchen können, um sich in die Reihen solcher Klassiker hinein zu fügen. Nun, rückblickend kann man diesen Umstand natürlich bis zum Umfallen romantisieren, aber vermutlich war es nur ein reiner Zufall, der jedoch wunderbar in das hiesige Narrativ passt.

„A Social Grace“ – das legendäre Debüt

Aber es hat seine Gründe, warum „A Social Grace“ als eines der besten Debüt-Alben der Metal-Geschichte angesehen wird. Die als ASLAN gegründete Band verdiente sich mit lokalen Live-Shows und Merchandise genug Geld, um ihre selbstbetitelte Demo aufnehmen zu können, was bereits erste mediale Aufmerksamkeit u. a. auch in der Bundesrepublik erfuhr. Nachdem man sich aus namensrechtlichen Gründen in PSYCHOTIC WALTZ umbenannte, tüteten die Kalifornier ihr Debütalben „A Social Grace“ ein, das in ihrer Heimat über ihr eigenes Label Sub Sonic Records erschien und praktisch kaum Aufmerksamkeit erfuhr.

Das war auf der anderen Seite des Teiches anders, hier wurde die Platte über Rising Sun vertrieben und schlug in Europa große Wellen. Das Debüt hatte noch starke FATES WARNING-Einflüsse inne, was die Gitarren und damit einhergehend auch Graves‘ relativ hoher Gesang angeht, der jedoch ausgesprochen expressiv ausgefallen ist. Auch zahlreiche, durchaus epische Heavy-Metal-Einflüsse fanden ihren Weg hier hinein, erkennbar an vielen Licks wie solchen in „Successor“. Doch das Alleinstellungsmerkmal, mit dem sich die Kalifornier emporheben sollten, bleibt die Atmosphäre, die schon damals einmalig gewesen ist und eine perfekte Symbiose mit den relativ straffen Metal-Anteilen eingegangen ist.

Eine beispielhafte Zusammenkunft aus Härte und Atmosphäre

Diese Zusammenkunft von Stimmung und Härte gipfelte in der Ballade „I Remember“ (lt. ursprünglicher Liner Notes eine Widmung Graves‘ an Ian Anderson), vielleicht nicht der progressivste Song der Platte, aber wohl derjenige, der am ehesten unter die Haut geht. Akustische Gitarre, Graves‘ Querflötenspiel und gerade dick genug auftragende E-Gitarren, die zwischenzeitlich sogar mal die NWoBHM zitieren, machen diesen Track zu einem der zugänglichsten, zugleich aber auch großartigsten Tracks der Frühphase. Das Instrumental „Sleeping Dogs“, das im Grunde nur aus Synthesizern besteht, spielte mit Samples, die man so oder so ähnlich später bei Bands wie THRESHOLD wiederfinden sollte.

Auf der anderen Seite enthält „A Social Grace“ aber auch einige der härteren Stücke der Diskografie. Das eröffnende „… And The Devil Cried“ beispielsweise verschwendet keine Zeit mit höflichem Anklopfen und bollerte vergleichsweise forsch drauf los. Ebenfalls ziemlich heftig schlugen „In This Place“ und das geradezu hysterischem Gesang versehene „Spiral Tower“ zu, während die Epik in „A Psychotic Waltz“ auf 11 hochgeschraubt worden ist. „A Social Grace“ bleibt einfach ein großartiges Debütalbum und die Neuauflage ist eine willkommene Gelegenheit, dieses Werk wieder zu entdecken. Und wer’s nicht kennt, hat nun ebenfalls die Möglichkeit, dies nachzuholen.

Trackliste:

A Social Grace – Album (CD1):
1. … And The Devil Cried
2. Halo Of Thorns
3. Another Prophet Song
4. Successor
5. In This Place
6. I Remember
7. Sleeping Dogs
8. I Of The Storm
9. A Psychotic Waltz
10. Only In A Dream
11. Spiral Tower
12. Strange
13. Nothing

A Social Grace – Bonusmaterial (CD2):
1. … And The Devil Cried (Demo 1989)
2. Successor (Demo 1989)
3. Halo Of Thorns (Demo 1989)
4. I Of The Storm (Demo 1989)
5. Burn The Night (Rehearsal 1988)
6. I Of The Storm (Rehearsal 1988)
7. Halo Of Thorns (Rehearsal 1988)
8. Another Prophet Song (Rehearsal 1988)
9. Successor (Rehearsal 1988)
10. The Keeper (Rehearsal 1988)
11. Hanging On A String (Rehearsal 1988)
12. Back Again (Rehearsal 1988)
13. … And The Devil Cried (Instrumental Rehearsal 1988)
14. Only In A Dream (Instrumental Rehearsal 1988)
15. I Remember (Rehearsal 1988)

Into The Everflow (1992)

Nach dem Debüt tourten PSYCHOTIC WALTZ erst einmal eine Runde. Dass man jenseits des Atlantiks ursprünglich mehr Erfolg hatte als diesseitig, schlug sich auch auf die Aufnahmen des Zweitlings nieder, die in Deutschland in den Phoenix Studios in Herne stattfanden unter der Aufsicht eines gewissen Ralph Hubert (MEKONG DELTA). Bis auf die Neuverortung des Aufnahmeortes ins Ausland hatte sich am Modus Operandi der Band augenscheinlich nicht viel geändert … und doch sollte hier etwas ganz besonderes entstehen. „Into The Everflow“ beerbte das Debüt und war so ganz nebenbei das große Meisterwerk der Kalifornier.

„Into The Everflow“ – das vielschichtige Meisterwerk

Dabei nahm man, was auf dem Vorgänger so wunderbar funktionierte – Härte und Technik auf der einen, Atmosphäre und Feingefühl auf der anderen Seite – und trieb diese Aspekte noch weiter in Richtung Gipfel. Diese beiden Pole sprangen dem Hörer auch direkt auf den beiden eröffnenden Songs „Ashes“ und „Out Of Mind“ entgegen. So folgte der ungelenk schroffe Cut „Out Of Mind“, der Erinnerungen an den FATES WARNING-Drittling „Awaken The Guardian“ wach werden lässt, auf das eröffnende „Ashes“, das fast wie das Eintauchen in eine andersartige, fantasievolle Welt klingt mit lauter eleganten Gitarrenarabesken und dem mehrfach gelayerten Gesang Graves‘.

Weitere Facetten eröffneten sich nach und nach. „Tiny Streams“ atmete in seinen metallischeren Anteilen ein bisschen die frühen BLACK SABBATH (die Demo-Aufnahmen, speziell die ASLAN-Demo, geben Aufschluss auf die Proto-Wurzeln der Band), etwas was PSYCHOTIC WALTZ im abschließenden, gelungenen Cover „Disturbing The Priest“ sogar noch wörtlicher nehmen würden. Tremolo-Leads fügten sich natürlich in die Gitarrenarbeit hinein, was irgendwie ganz gut in die düstere Atmosphäre des Tracks hinein passt. „Little People“ und „Freakshow“ gehörten ebenfalls zu den heavieren Cuts, wobei Erstgenanntes mit epischeren Licks in unregelmäßigen Takten daherkommt. Nicht zu verkopft, sondern angenehm technisch und jederzeit wunderbar anzuhören.

Ein zentraler Titeltrack zum Niederknien

Wiederum fand man eine relativ konventionelle, aber deshalb nicht minder stimmungsvolle Ballade in „Hanging On A String“, die durch den mehrstimmigen Gesang Graves‘ angeleitet wurde, aber ebenfalls von den samtig aufgetragenen Moll-Harmonien lebte. Definitiv eines der gediegeneren Stücke, aber auch ein wunderbarer Einstiegspunkt für Neugierige, die Mühe haben, anderweitig in die Trackliste hinein zu finden. Auf dem anderen Ende des Spektrums hatte man dann ein „Butterfly“ mit seiner Mehraktstruktur. Wieder balladesk beginnend (wenn auch kraftvoller als „Hanging On A String“) wandelte sich das Stück dann in einen deutlich düsteren, abwechslungsreichen Rocker um, der fast wie eine Werkschau oder ein songschreiberisches Muskelflexing der Musiker wirkte.

Doch das Sahnehäubchen dieser Platte bleibt der epochale Titeltrack, im schleppenden Midtempo gehalten und vielleicht nur ein kleiner Tritt aufs Bremspedal vom Doom entfernt. Doch hier drehten PSYCHOTIC WALTZ die Regler für Atmosphäre voll auf, sodass man sich als Hörer förmlich in die Wogen dieses Tracks hinein fallen lassen konnte. Und wieder setzten epische Licks im Solo-Part genau die richtigen Akzente, um den Track über sich hinaus wachsen zu lassen. Was für ein Titeltrack, was für ein Album. Nach so einer massiven Veröffentlichung fragte man sich, wie es für die Kalifornier weitergehen sollte. Mächtiger, tiefer, weiter? Die überraschende Antwort lieferten die Kalifornier wiederum zwei Jahre später …

Trackliste:

Into The Everflow – Album (CD1):
1. Ashes
2. Out Of Mind
3. Tiny Streams
4. Into The Everflow
5. Little People
6. Hanging On A String
7. Freakshow
8. Butterfly
9. Disturbing The Priest

Into The Everflow – Bonusmaterial (CD2):
1. Into The Everflow (Demo 1991)
2. Tiny Streams (Demo 1991)
3. Little People (Demo 1991)
4. Hanging On A String (Demo 1991)
5. Freakshow (Demo 1991)
6. Butterfly (Demo 1991)
7. To Chase The Stars (Aslan Demo 1987)
8. No Glory (Aslan Demo 1987)
9. Spiral Tower (Aslan Demo 1987)
10. The Fry Tape (Aslan Demo 1987)
11. Halo Of Thorns (8-Track Demo 1989)
12. … And The Devil Cried (8-Track Demo 1989)
13. Successor (8-Track Demo 1989)
14. I Of the Storm (8-Track Demo 1989)

Mosquito (1994)

War die Entwicklung von „A Social Grace“ zu „Into The Everflow“ nachvollziehbar gewesen, so markierte „Mosquito“ den vielleicht drastischsten, stilistischen Cut zwischen zwei Alben, den die Kalifornier im Laufe ihrer Diskografie vorgenommen haben – drastischer gar als das Verhältnis von „Bleeding“ zum über zwei Jahrzehnte später folgenden, zum Zeitpunkt des Verfassens aktuellsten Album „The God-Shaped Void“, das sich gleichermaßen anfühlte wie die natürliche Fortsetzung von „Bleeding“, aber in gewisser Weise auch den Kreis schloss und zu den wenn auch deutlich modernisierten Heavy Metal-Sounds des Debüts anknüpfte.

„Mosquito“ – das ungeliebte Kind?

Gemeinhin schienen sich die zeitgenössischen Stimmen – ob Für oder Wider – darin einig zu sein, dass die Kalifornier ihren Sound auf „Mosquito“ stark vereinfacht haben. Trackspielzeiten, welche die Fünf-Minuten-Marke überschreiten, waren die Ausnahme. Es gab prägnantere, kürzere Stücke auf die Ohren, die direkter auf den Punkt kamen und weder technisch noch atmosphärisch wirklich ausschweiften. Das fing beim eröffnenden Titeltrack an, der fast schon ein bisschen peppig wirkte; wenn man es nicht besser wusste, konnte man dem folgenden „Lovestone Blind“ oder später „Only Time“ sogar so etwas wie Alternative- oder Grunge-Anbiederung unterstellen. Und das sollte ein Problem sein, wenn zwar die Atmosphäre, nicht aber die Hooks stimmen.

Wo sich die Geister also schieden, ist, ob die Vereinfachung eine gute Idee gewesen sein mag – unsereins gehört hier wie angedeutet mehr zu den Kritikern. Während Devon Graves‘ Stimme nach wie vor durch das Geschehen leitete und vor dem neuen Backdrop eine unverändert gute Figur machte, fühlte sich das neue Songwriting noch nicht ganz ausgereift und hier und da sogar ein bisschen erzwungen an. Ganz besonders merkte man das bei „Only Time“, das wie aus zwei simplen Ideen zusammen gesetzt schien, über die man Graves stimmlich flexen ließ. Nur durch eine epochale Bridge und dem folgenden Solo wird der Track gerade so vor der Skip-Taste gerettet.

PSYCHOTIC WALTZ waren trotz aller Makel etwas großem auf der Spur …

Weitere fragwürdige Entscheidungen inkludierten die grässlichen Synths von „All The Voices“ und „Darkness“ sowie der generelle Hang zu mehr geradlinigen Grooves im Midtempo, wodurch „Mosquito“ den angesprochenen Alternative-Beigeschmack nie ganz abschütteln konnte. Der Sinn hierhinter ist offensichtlich, PSYCHOTIC WALTZ haben zwei große Kunstwerke geschaffen und machten sich nun daran, Musik einzuspielen, die sich verkaufen sollte. Das führte über weite Strecken zu stark vereinfachter Kost, welche die Klasse der Vorgänger wenn überhaupt dann nur vage erahnen ließ. Ein „Cold“ rauschte zum Beispiel eher lau am Ohr vorbei, während „Locked Down“ nur mal kurz mit eingeschobenen Gitarrengeschrubbe aufhorchen ließ.

Und dennoch sind die Kalifornier hier eine großen Sache auf der Spur gewesen, der sie aber wohl erst mit dem folgenden „Bleeding“ wirklich habhaft werden sollten. Die Songs zu verknappen sollte sich weiter verselbstständigen, dafür sollten sie ihren ausgeprägten Sinn für Atmosphäre wieder deutlicher in ihre Musik einarbeiten. Ansätze dessen fand man in „Haze One“, das wie ein uncharakteristisch spaciges Leuchtfeuer aus der ansonsten eher durch Mittelmaß geprägten Trackliste hervorstach. Und dann war da noch „Mindsong“, der einzige Track, der die Fünf-Minuten-Marke durchbrach und sich als Zweiteiler von einem stimmungsvollen Ska-Kopfnicker in einen waschechten Sleaze-Rocker wandelte.

Sie konnten es also nach wie vor, lieferten drumherum jedoch, was man böszüngig als „PSYCHOTIC WALTZ lite“ bezeichnen konnte. Zum Glück sollte es hiernach wieder aufwärts gehen …

Trackliste:

Mosquito – Album (CD1):
1. Mosquito
2. Lovestone Blind
3. Haze One
4. Shattered Sky
5. Cold
6. All The Voices
7. Dancing In The Ashes
8. Only Time
9. Locked Down
10. Mindsong
11. Darkness

Mosquito – Bonusmaterial (CD2):
1. Mosquito (Jam Room Demo 1993)
2. Love Stone Blind (Jam Room Demo 1993)
3. Locked Down (Jam Room Demo 1993)
4. Dancing In The Ashes (Jam Room Demo 1993)
5. Haze One (Jam Room Demo 1993)
6. Only Time (Jam Room Demo 1993)
7. All The Voices (Jam Room Demo 1993)
8. Cold (Jam Room Demo 1993)
9. Shattered Sky (Jam Room Demo 1993)
10. Mindsong (Jam Room Demo 1993)
11. Haze One (Instrumental Outtake 1994)
12. Mindsong (Instrumental Outtake 1994)
13. Mosquito (Instrumental Outtake 1994)
14. Locked Down (Instrumental Outtake 1994)
15. All The Voices (Demo 1993)
16. The Fallen (Demo 1993)
17. Mindsong (Demo 1993)
18. Watching (Demo 1993)
19. Acoustic 91 (Outtake 1992)
21. Brian Acoustic (Outtake 1992)
21. Dark Idea (Outtake 1992)

Bleeding (1996)

Vom Zankapfel, der „Mosquito“ nun mal war (und sicher heute noch ist) ausgehend ging es wieder zwei Jahre später weiter mit „Bleeding“. Dass man nicht zur alten Tugend zurückkehrte, sondern auf „Mosquito“ aufzubauen suchte, zeugte wenigstens davon, dass PSYCHOTIC WALTZ konsequent waren und hinter ihrer Entwicklung standen. Wieder standen kurze, prägnante Songs im Vordergrund, die im Gegensatz zu den komplexen Kompositionen der ersten beiden Platten deutlich verdaulicher gerieten. Mit „Skeletons“ verharren die Kalifornier sogar kurzzeitig beim „Mosquito“-Sound, aber machen alles einen Ticken interessanter.

„Bleeding“ – die vollendete Metamorphose

Doch die atmosphärischen Brotkrumen, die „Mosquito“ zu streuen vermochte, wurden auf „Bleeding“ nun deutlich intensiver erkundet. Immer noch mit klarer Produktion versehen bewegte man sich im Schnitt eher im gemächlichen Midtempo, was den in den einzelnen Tracks aufgespannten Klangtexturen umso mehr Fußraum zur vollen Entfaltung bot. Und den hatten Graves und Co. diesmal auch genutzt und ein Album aufgenommen, das so klingt wie die logische Folgerung auf „Mosquito“, auf der jedoch die meisten Kritikpunkte besagter Scheibe ausgemerzt worden sind, ohne deren Entwicklungsschritt zu verleugnen. Solche Klöten muss man erst einmal zeigen.

Dabei begann „Bleeding“ täuschend aggressiv mit dem forschen Opener „Faded“ und geslapptem Bass, gefolgt von einem beherzten Aufjauchzen Graves‘, das befürchten ließ die Band würde sich noch weiter in kommerzielles Territorium hervorarbeiten. Recht schmissig ratterte der Song dann einem Zug ähnlich los mit relativ zünftigen Hard-Rock-Vibes. Für die Strophen und den Instrumental-Part schraubte man dann das Tempo herunter und ließ bereits ein wenig von der Klasse durchsickern, die man im Laufe der Spielzeit zeigen sollte, wobei vorerst noch weniger durch beispielhafte Atmosphäre und mehr durch intuitive Riffarbeit, die für den Rhythmus einfach wie gemacht schien.

Doch dann zeigte „Bleeding“ seine Muskeln mit einem theatralischen Ansatz, der sich bei der Hook des folgenden „Locust“ bemerkbar machte, zuzüglich des gedrosselten Midtempos. Die Keyboards, die hier feinsinnig um die Musik herum scharwenzelten und schließlich die Hook in Form von Synth-Streichern untermalten, machten ihren Job extrem gut, selbst wenn besagte Streicher nicht wie das Hochwertigste klangen, das Dan Rock aus den Keyboards hätte kitzeln können. Doch das Songwriting steuerte eben genau auf diesen Moment zu, der durch diesen Spannungsaufbau seine Wirkung nicht verfehlte.

PSYCHOTIC WALTZ zeigten Mut und standen zur eigenen Entwicklung

Und diese Stimmungsmache kam im weiteren Verlauf weiterhin regelmäßig zum Einsatz, beispielsweise in der romantischen Klavier-Ornamentik von „Morbid“, der schlicht ansprechenden Licks, die sich gegen Ende von „Need“ um die Harmonien herum schlängelten, dem andersweltlichen Charme von „Drift“, der besonders in der Hook einen geradezu hypnotischen Sog auf den Hörer auswirkte, oder das von seinen fantastischen Gesangsharmonien und dem lebhaften Flötensolo lebende „My Grave“. Wer es peppiger mochte, fand dies in „Northern Lights“ beispielsweise mit seinem treibenden Grooves, die jedoch wiederum für eine eindringliche Hook aufgebrochen wurden. Dem schloss sich direkt „Sleep“ an, dessen Kern herrlich oszillierende Gitarrenlicks waren.

Für PSYCHOTIC WALTZ sollte dies jedoch das vorerst letzte Album bleiben. Hiernach wurde die Formation lange Zeit auf Eis gelegt, ehe man sie für Live-Aktivitäten um 2010 herum wieder aktivierte. Es sollte noch zehn weitere Jahre dauern, bis mit „The God Shaped Void“ endlich ein neues Album erscheinen sollte, doch die gesundheitlichen Probleme, die Gitarrist Brian McAlpin durch seine 1984 durch einen Autounfall erlittene Querschnittslähmung zunehmend zu schaffen machten, zwang die Band schließlich, 2023 das Ende ihrer Touraktivitäten zu verkünden, wobei auf die mögliche Veröffentlichung eines neuen Albums hingewiesen wurde.

Trackliste:

Bleeding – Album (CD1):
1. Faded
2. Locust
3. Morbid
4. Bleeding
5. Need
6. Drift
7. Northern Lights
8. Sleep
9. My Grave
10. Skeletons
11. Freedom?

Bleeding – Bonusmaterial (CD2):
1. Drift (Demo 1995)
2. Locust (Demo 1995)
3. Need (Demo 1995)
4. Christ Figure (Demo 1995)
5. Sleep (Demo 1995)
6. Faded (Demo 1995)
7. My Grave (Demo 1995)
8. Fly (Demo 1995)
9. Northern Lights (Demo 1995)
10. Bleeding (Demo 1995)
11. Skeleton (Demo 1995)
12. Morbid (Demo 1995)
13. Strange (Live at Katwijk 1991)
14. Diary Of A Madman (OZZY OSBOURNE-Cover) (Live at Katwijk 1991)
15. I Am The Walrus (THE BEATLES-Cover) (Live at Katwijk 1991)

To Chase The Stars – Demos 1987 – 1989

Auf „To Chase The Stars“ findet man die beiden Demos „Psychotic Waltz“ von 1989 sowie die wahrscheinlich bereits relativ bekannte „Aslan Demo“ von 1987 aus der Zeit vor der Umbenennung wieder. Die „Aslan“-Demo findet man auf der LP auf der B-Seite sowie auf der Bonus-CD zu „Into The Everflow“ und zeigt die Ursprünge der Band ein Stück weit auf, die interessanterweise relativ nah am Proto-Metal verortet zu sein schienen, bevor sie sich dem Prog zunehmend öffnen sollte. Das merkt man speziell auf dem Song „No Glory“, der schon einschlägige Doom-Vibes aufzeigt.

„To Chase The Stars“ – Eine interessante Auswahl an Demo- und Rehearsal-Material

Die Rehearsal-Aufnahmen entsprechen dem, was auf dem Bonusmaterial zu „A Social Grace“ zu hören ist und zeigen die eigentlichen Songs in einer zu erwartenden, roheren Variante teilweise mit Clicktrack, was die Tracks in einem anderen Licht erscheinen lässt. Dadurch wird „Halo Of Thorns“ beispielsweise, ohnehin schon ein heftiger Nackenbrecher, noch einmal mit einer Note Dreck unterfüttert, wobei hier andererseits die Atmosphäre vielleicht ein bisschen auf der Strecke bleibt. Es enthält auch die Aufnahme „The Keeper“, die später in Form von „Ashes“ der Opener zu „Into The Everflow“, werden sollte, sowie „Back Again“, das wie ein epischer Hard Rocker klingt und vermutlich, weil es einfach nicht gepasst hätte (deshalb aber nicht minder hörenswert ist!), nicht auf der finalen Trackliste gelandet ist.

Der Sound wurde ziemlich gut aufpoliert, wobei gewisse Macken immer mal wieder zu hören sind – das gehört irgendwie dazu. Es gibt im Beiblatt sogar einen kurzen Kommentar zu den Rehearsals, welcher deren Beschaffenheit ein bisschen erklärt. Demnach wurde das Metronom, das auf den Songs mit Clicktrack zu hören ist, am Mikrofonständer angebracht und durch das PA-System abgespielt. Die Befestigung am Mikrofon hatte den praktischen Nutzen, dass alle das blinkende Licht sehen konnten, und machte den Anschluss an die Lautsprecher offenbar leichter. Interessant ist auch, dass es sich um Analog-Aufnahmen auf vier Spuren handelt. Die Notes geben dazu Aufschluss, dass Graves aufgrund dessen seine Vocals offenbar im Nachhinein eingesungen und overdubbed hat.

Zu guter Letzt geht es auf der A-Seite mit der „Psychotic Waltz“-Demo los, die ebenfalls auf der zweiten CD zu „A Social Grace“ zu finden ist und die Demo-Versionen einiger der Albumtracks enthält. Von der Demo zum fertigen Album hin schien es, als hätte man vor allem den Nutzen von Gitarreneffekten einreduziert. Ein bisschen vom Phaser-Pedal hört man noch auf der fertigen Version von „Successor“ auf dem eigentlichen Album, doch auf der entsprechenden Demo-Variante ist der Effekt deutlich stärker ausgeprägt.

Dass hier nur eine Auswahl des früheren Materials vertreten ist und sich bis auf die „Aslan“-Demo um die Songs von „A Social Grace“ dreht, ist ein bisschen schade, macht die Veröffentlichung andererseits aber auch etwas konsistenter. Die Strukturierung ergibt Sinn und wer sich die Digipacks nicht aufgrund des zusätzlichen Materials anschaffen möchte bzw. sich auf die Vinyl-Re-Issues konzentrieren möchte, findet hier auf jeden Fall eine interessante Alternative.

Trackliste:

A-Seite – Psychotic Waltz Demo (1989):
1. … And The Devil Cried
2. Successor
3. Halo Of Thorns
4. I Of The Storm

B-Seite – Aslan Demo (1987):
1. To Chase The Stars
2. No Glory
3. Spiral Tower
4. The Fry Tape

C-Seite – Social Grace Rehearsals (1989):
1. Burn The Night
2. I Of The Storm (Click)
3. Halo Of Storms (Click)
4. Another Prophet Song
5. Successor (Click)

D-Seite – Social Grace Rehearsals (1989):
1. The Keeper
2. Hanging On A String (Click)
3. Back Again
4. I Remember (early Demo – Click)

Ein Kommentar zum Bonusmaterial der CD-Digipacks

Das meiste, was den Alben dreingegeben worden ist, sind Demos aus der Zeit vor der Produktion des jeweilig eigentlichen Albums. In den meisten Fällen sind es typische Demoaufnahmen, bei denen die Songs strukturell größtenteils dem fertigen Produkt entsprechen aber mit deutlich unsauberer Produktion, teilweise mit leichten Schrammen im Sound wie Rückkoppelungen und dergleichen. Diese scheinen ebenfalls aufpoliert worden zu sein, klingen aber insgesamt doch roher wie z. B. im Falle der Demos im Vorfeld zu „Bleeding“, die ungefähr erahnen lassen wie das Album hätte klingen können, wenn man sich gegen die letztlich zum Einsatz gekommene, klare und moderne Produktion entschieden hätte. „Locust“ beispielsweise klingt wie einmal komplett durchs Phaser-Pedal gejagt.

Interessant ist hier vielleicht auch, nachzuvollziehen, wie sich die Tracklisten entwickelt haben mögen. Um mal bei „Bleeding“ zu bleiben, so scheint „Freedom“ hier zu fehlen. Tatsächlich ist es da, firmierte aber vor den Aufnahmen zum finalen Album offenbar unter dem Namen „Christ Figure“ mit einigen Änderungen. Die Vocals um die 2:55-Marke wurden im finalen Cut ausgelassen – fast ein bisschen schade, da sich Devon Graves durchaus zu hysterischen Höhen aufschwingen konnte, wie man hier hört. Die gesungenen Zeilen passten aber vermutlich deutlich besser, als der Track noch seinen alten Namen hatte.

Weitere interessante Entdeckungen kann man auch an anderer Stelle machen. Neben Jam-Outtakes zu „Mosquito“, die teilweise richtig wild klingen („Dancing In The Ashes“ hat fast Punk-Attitüde) und Snippets zu „Mindsong“, die im wesentlichen den Ska-Part demonstrierten, nebst weiteren mit Arbeitstiteln wie „Anoustic 91“ oder „Brian Acoustic“ benannten Outtakes, ist hier auch ein Track namens „The Fallen“ zu hören, den man Jahrzehnte später als fertiges Stück auf „The God-Shaped Void“ wiederfinden sollte. Ob es allerdings die gleiche Idee ist, bleibt schwer zu sagen. Die hier zu findende Version ist ein Klavier-Thema mit leicht abweichender Harmonieführung. Möglicherweise hat der später entstandene Track darauf aufgebaut, möglicherweise ist das alles aber auch wieder nur Zufall gewesen.

Ein Nachwort zu den Re-Issues

Als Fan kann man vor allem mit den CD-Digipacks richtig auf Trüffelsuche gehen. Die Neuanschaffung lohnt sich somit allemal, während Neueinsteiger die Gelegenheit sowieso nutzen sollten, um die klassischen Alben der Kalifornier nachzuholen. Der Sound der Hauptalben ist jedenfalls knackig wie eh und je, wobei die Coverartworks weitestgehend ihren 2000er-Iterationen entsprechen. Ich glaube allein das Cover zu „Mosquito“ wurde komplett überarbeitet, während der Rest mehr oder weniger den Re-Releases von Metalblade entspricht. Mit den zur Rezension vorliegenden Vinyl-Ausgaben entpuppt sich speziell bei „Bleeding“ jedoch eine etwas hässliche Verpixelung an manchen Stellen (speziell den Blutflecken) – etwas hätte man vielleicht hier nachkonturieren können.

Was ich mir vielleicht zudem noch gewünscht hätte, wären ausführlichere Liner-Notes zu den einzelnen Platten gewesen, um das Gesamtpaket, speziell aber eben die Vinyl-Varianten noch weiter aufzuwerten. Den einzigen Kommentar, den man finden kann, liegt der LP „To Chase The Stars“ bei und wurde bereits zu dessen Besprechung etwas angerissen. Das wundert in mehrerlei Hinsicht, da die Metalblade-Re-Releases anno dazumal die entsprechende Vorarbeit eigentlich geleistet hatten.

Daran soll es letztlich aber nicht scheitern, denn man bekommt mit den Wiederveröffentlichung einfach so viel Material zu den Digipack-CDs geliefert (das den Schallplatten leider nicht beiliegt; die „To Chase The Stars“-Kompilation gibt es als Ersatz, die jedoch „nur“ einen Bruchteil des Materials enthält), dass man lange hiermit sein Vergnügen haben sollte, selbst als Kenner, wobei sich für diese die CD-Variante empfiehlt. Ansonsten macht man als Sammler wie Neuling wie üblich wenig mit den limitierten Vinyl-Ausgaben falsch.

Quelle: Alex Jusseit (Bandfoto)
11.07.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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