Pink Floyd
Der Diskografie-Check
Special
Schon ein lustiger Zeitvertreib: Als zweitjüngstes Redaktionsküken mal bei den (natürlich nur minimal) älteren Herrschaften anklopfen, wie’s denn pünktlich zum 50. Jubiläum mit einer ausführlichen Diskografie-Besprechung zu PINK FLOYD aussähe. Und mit den Kollegen Maronde, Eschenbach, Brinker und Wehmeier nimmt das Ding dann tatsächlich Form an. Herzallerliebst, dass an der Band, die heute als unantastbare Wegbereiter zahlreicher moderner und experimenteller Musikstile (laut einiger dubioser Quellen sogar für den frühen Heavy Metal) gilt, tatsächlich noch so viele Kollegen interessiert sind. (Man munkelt, die Beteiligung war sogar größer als bei gewissen australischen Haudrauf-Truppen.)
Natürlich möchte ich keinem meiner hochgeschätzten Kollegen unterstellen, dass sie sich schon in den Anfangstagen FLOYDs zu deren aktiver Hörerschaft zählen konnten, doch vielleicht hat ja gerade das im vergangenen Jahr völlig überraschend erschienene „The Endless River“ die ein oder andere Erinnerung wach gerufen.
Wer sich also noch mal psychedelische Jugendträume ins Gedächtnis rufen will, wer es als Fan zahlreicher „Post“-Stile begehrt, zu den Wurzeln seiner Lieblingsgenres vorzudringen oder wer sich einfach nur für die kommende David-Gilmour-Solotournee einstimmen möchte, der dürfte sich auf den folgenden Seiten bestens beraten fühlen. Denn auch wenn uns die Gründungsmitglieder Barrett und Wright schon vor einigen Jahren verlassen haben, so sind sich Fans, Kritiker und zahlreiche von PINK FLOYD inspirierte Bands einig: Die Musik von Syd, Rick, Roger, Nick und David wird uns noch jahrelang begleiten. Von mir aus gerne auch Jahrhunderte.
Every year is getting shorter never seem to find the time.
Plans that either come to naught or half a page of scribbled lines
Hanging on in quiet desperation is the English way
The time is gone, the song is over,
Thought I’d something more to say.
(Time, The Dark Side Of The Moon, 1973)
The Piper At The Gates Of Dawn (1967)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? „Interstellar Overdrive“ sowie „Astronomy Domine“, das Generationen von deutschen Fernsehzuschauern als Erkennungsmelodie des ARD-Brennpunkts kennen und später von VOIVOD gecovert wurde. Außer der Reihe: Die Singles „See Emily Play“ und „Arnold Layne“, die es nicht auf das Album geschafft haben.
Welche sind die vergessenen Perlen? „Lucifer Sam“ – ein insgesamt klar aufgebauter Song, der aufgrund seiner Gitarrenlinie wie eine durchgeknallte Version der James-Bond-Titelmelodie klingt.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Die vorklassische und legendäre Erstbesetzung mit dem zugedrogten Frontmann Syd Barrett (Gitarre, Gesang), der wenig später die Band verlassen musste. Außerdem mit dabei sind Nick Mason (Schlagzeug, Percussion), Roger Waters (Bass, Gesang) und Richard Wright (Orgel, Piano, Gesang).
Generelle Einschätzung zum Album: Wer PINK FLOYD nur wegen ihrer Mittsiebziger-Alben kennt: „The Piper At The Gates Of Dawn“ ist das Werk einer anderen Band – nicht nur, weil Syd Barrett fast alle Songs im Alleingang geschrieben hat. Es ist psychedelisch, drogengeschwängert und liebenswert schrullig.
Wer sollte diese Platte haben? Musikliebhaber mit einem Hang zu psychedelischen Klängen. Außerdem natürlich all jene, die denken, dass PINK FLOYD ausschließlich einen Haufen überkandidelten Mist produziert haben. Wer also mit den späteren PINK FLOYD nichts anfangen kann, sollte „The Piper At The Gates Of Dawn“ eine Chance geben.
Eckart Maronde
A Saucerful Of Secrets (1968)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Das hypnotische „Set The Controls For The Heart Of The Sun“, welches – häufig als einziges Stück der Frühphase – auch später noch regelmäßig Einzug in Livesets der Band erhielt. Auch heute findet es noch regelmäßig den Weg in ROGER-WATERS- oder Tributeband-Setlists. Einen weiteren Klassiker stellt das zwölfminütige Titelstück dar, welches in der Liveversion auf „Ummagumma“ jedoch noch wesentlich intensiver daherkommt. Für echte Nostalgiker darf auch der „Jugband Blues“ als letzte Barrett-Komposition nicht unerwähnt bleiben.
Welche sind die vergessenen Perlen? Ganz klar „Let There Be More Light“. Hier beweist Waters, dass nicht nur Barrett die psychedelische Kunst im Alleingang beherrscht.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? „A Saucerful Of Secrets“ wurde als einziges Studioalbum von allen fünf Mitgliedern gemeinsam eingespielt, ergo von Roger Waters, Richard Wright, Nick Mason, dem frisch hinzugestoßenen David Gilmour und dem von Bord gehenden Syd Barrett, welcher jedoch lediglich an drei Songs beteiligt war.
Generelle Einschätzung zum Album: Wenngleich „A Saucerful Of Secrets“ besetzungstechnisch einen Umbruch signalisiert, so werden sich noch immer viele „The Dark Side Of The Moon“-Liebhaber mit der Platte schwertun. Hier liegt eines der vielen FLOYD-Alben vor, das sich einem ohne nähere Beschäftigung mit Musik und Zeitgeist nicht gleich erschließen mag. Allenfalls nach dem fünften Hördurchgang.
Wer sollte diese Platte besitzen? Eigentlich jeder. Zumindest jeder, der auf halbwegs alternative Rockmusik steht, und sowieso jeder, der gerne mit Begriffen wie „Avantgarde“ oder „Experimental“ um sich wirft. Diese hätten ohne das Titelstück nämlich nicht so leicht Einzug in den Mainstream erhalten.
Wem das als Argument nicht genügt: Nick Mason bezeichnet „A Saucerful Of Secrets“ offiziell als sein Lieblingsalbum der Gruppe.
Alex Klug
More (1969)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? „The Nile Song“ und das kompositorisch ähnliche „Ibiza Bar“. Scheiße, für das Jahr 1969 rocken die schon wirklich hart. Und sind laut Wikipedia sogar Vorläufer für den Heavy Metal. Darüber kann man sich wohl streiten, aber klar, wenn man bedenkt, dass BLACK SABBATH erst im selben Jahr gegründet wurden… Chapeau! Auch das folk-rockige „Cymbaline“ konnte sich zurecht für über zwei Jahre im Liveset der Band manifestieren. More than a soundtrack!
Welche sind die vergessenen Perlen? Das gesamte Album. Wirklich. Wird viel zu oft vergessen.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Nick Mason an den Drums. Rick Wright an jedem erdenklichen Tasteninstrument. David Gilmour an Akustik-, E- und Slide- und Flamenco-Gitarren(!). Roger Waters am Bass und zum ersten und einzigen Mal NICHT am Gesang.
Generelle Einschätzung zum Album: Kaum eine Platte geht in der starken FLOYD-Diskografie so unter wie diese. Dabei ist „More“ so viel mehr als reine Filmmusik: Noch immer psychedelisch, zugleich aber bekömmlicher als die Vorgänger und vor allem die erste richtige Integration David Gilmours in den aktiven Gestaltungsprozess, was man insbesondere den Instrumentals der B-Seite anmerkt.
Wer sollte diese Platte besitzen? Jeder, der hören möchte, wie stark Rockmusik schon im Jahre 1969 zwischen heavy und soft schwanken konnte. Und alle, die die 70er Alben inzwischen auswendig können.
Alex Klug
Ummagumma (1969)
Generelle Einschätzung zum Album: Mit „Ummagumma“ legten PINK FLOYD nur vier Monate nach „More“ das endgültige Resultat des Freischwimm-Prozesses nach dem Ende der Syd-Barrett-Vorherrschaft vor. So erklärt sich auch das Doppel-LP-Prinzip: Auf der A- und B-Seite befinden sich jeweils Liveaufnahmen zu „Astronomy Domine“, „Careful With That Axe, Eugene“, „Set The Controls For The Heart Of The Sun“ und „A Saucerful Of Secrets“. Die vier beträchtlichen Longtracks lassen sich getrost als die bis hierhin wohl besten FLOYD-Songs bezeichnen und bildeten zur damaligen Zeit die Herzstücke der Konzerte, welche dank dem Ausscheiden des immer weiter im Drogenexzess versinkenden Barretts nun wieder en masse gegeben werden konnten.
Zur zweiten LP trug jedes Bandmitglied je eine halbe Seite ohne Beteiligung der Kollegen bei, wobei sich insbesondere den Kompositionen Wrights, Masons und Waters‘ (außer „Grantchester Meadows „) stark avantgardistische Züge attestieren lassen. Gilmours „The Narrow Way“ hingegen atmet noch immer den Geist der psychedelischen Vergangenheit.
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Neben schon zuvor veröffentlichten Stücken der ersten Hälfte, die den idealen Überblick über die frühe Schaffensphase der Band gibt, hat kein Song je größere Bekanntheit erlangt.
Welche sind die vergessenen Perlen? Wenngleich „The Narrow Way“ für viele Fans der gefälligste Song der zweiten Hälfte bleiben mag, so darf man doch Rick Wrights Spiel mit der Dissonanz auf „Sysyphus“ als ziemlichen Geheimtipp bezeichnen.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Wright / Waters / Gilmour / Mason
Wer sollte diese Platte besitzen? Erste Hälfte = alle, die nicht den Nerv haben, sich durch die teils schwülstigen Erzeugnisse der ersten beiden Alben zu kämpfen. Zweite Hälfte = alle, die auf frühe Avantgarde stehen, welche sich nicht immer guten Gewissens als Musik bezeichnen lässt. Number nine. Number nine. Number nine. Number nine. Number nine.
Alex Klug
Atom Heart Mother (1970)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Der Titelsong ist ein sehr frühes Zeugnis instrumentalen Art Rocks und gehört ganz klar zu den Klassikern nicht nur der Band, sondern auch der frühen 70er Jahre.
Welche sind die vergessenen Perlen? Sozusagen die gesamte B-Seite minus „Alan’s Psychedelic Breakfast“ ist eine Schatztruhe aus psychedelischen Wundersongs, komponiert jeweils von einem Bandmitglied im Alleingang.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Die Klassische: Roger Waters (Bass, Gesang), David Gilmour (Gitarre, Gesang), Richard Wright (Keyboards, Piano, Gesang), Nick Mason (Drums). Plus Ron Geesin, der erheblichen Einfluss auf den Titelsong hatte
Generelle Einschätzung zum Album: Bei „Atom Heart Mother“ integrieren PINK FLOYD die beim Vorgänger erlernten Experimente in greifbare Songs und schaffen somit ein Album, bei dem sie zum ersten Mal andeuten, welch innovative und einzigartige Kunst sie in den späteren Jahren noch kreieren würden. Für mich gehört die Scheibe seit einiger Zeit zu den ganz großen Werken der Band, gerade weil sie zunächst etwas unscheinbar wirkt. Die Kombination aus abgefahrenen, neuklassischen Einflüssen und Rockmusik ist der Band selten auf höherem Niveau gelungen.
Wer sollte diese Platte besitzen? Jeder, der die großen Alben der Diskografie schon kennt und liebt, denn von den Frühwerken ist dieses Album womöglich das spannendste und gehaltvollste.
Heiko Eschenbach
Meddle (1971)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Natürlich das über zwanzigminütige „Echoes“, bis heute einer der besten Songs, den die Band jemals produziert hat. Ein ganz großes Stück Musikgeschichte.
Welche sind die vergessenen Perlen? Sowohl „A Pillow Of Winds“ wie auch „Fearless“ sind sehr gute Songs, die völlig zu Unrecht häufig im Schatten von „Echoes“ stehen.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen?
Roger Waters – Bass, Gitarre, Mundharmonika, Gesang
David Gilmour – Gitarre, Bass, Gesang
Nick Mason – Schlagzeug, Sprachsample auf „One Of These Days“
Richard Wright – Keyboards, Piano, Gesang
Generelle Einschätzung zum Album: „Meddle“ ist der erste Überklassiker der Band, der kaum gegen anderen Jahrhundertperlen wie „The Dark Side Of The Moon“ oder „Wish You Were Here“ abfällt. „Echoes“ gehört, auch das kann man ohne Übertreibung zugeben, sicherlich zu den wichtigsten Kompositionen einer Band überhaupt, vor allem, wenn man den zeitlichen Kontext und die Komplexität und den Ideenreichtum betrachtet: Die Musik von Bands wie TOOL und zahlreicher anderer basiert im Grunde auf genau den Ideen, die PINK FLOYD 1971 im kreativen Wahn aufgegriffen haben.
Wer sollte diese Platte besitzen? Das Album ist Pflicht für alle Musikfans, die Wert auf Innovation und Anspruch legen und auch für diejenigen Fans zahlreicher „Post“-Stile, die zu den Wurzeln ihrer Lieblingsgenres vordringen wollen.
Heiko Eschenbach
Obscured By Clouds (1972)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Da es sich bei „Obscured By Clouds“ um ein weiteres gerne vergessenes Soundtrack-Album handelt, konnten sich auch hier wieder keine Hits herauskristallisieren.
Welche sind die vergessenen Perlen? Hervorzuheben wäre hier das Titelstück, welches den Spielereien mit dem legendären EMS-VCS3-Synthesizer entsprang und somit den ersten elektronischeren FLOYD-Song überhaupt darstellt. „Mudmen“ bietet einen frühen („Echoes“ mal ausgenommen) Einblick in Gilmours fantastische, später nochmals weiter ausgebaute Solikünste. VCS3 und Orgel drüber und schon machen sich erste Anzeichen späterer Überhits wie „Shine On You Crazy Diamond“ bemerkbar.
Im Zuge seiner 2006er Tour kramte Gilmour völlig überraschend das zu FLOYD-Zeiten niemals live gespielte „Wot’s… Uh the Deal?“ wieder aus.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Wie gehabt: Mason / Gilmour / Waters / Wright. Letztere drei zusätzlich nun alle am VCS3.
Generelle Einschätzung zum Album: Auf „Obscured By Clouds“ erlebt die Karriere PINK FLOYDs einen ihrer zahlreichen Umbrüche. Die stimmigen Verknüpfungen von Synthesizern und Gitarren nehmen langsam Form an, doch dass man zur selben Zeit schon am alles übertrumpfenden „The Dark Side Of The Moon“ werkelte, scheint angesichts der hier stellenweise herrschenden Rohheit beinahe unvorstellbar. In diesen Tagen überschlug sich die Kreativität der Gruppe und die Muse wird die Free Four wahrlich abgeschleckt haben, denn während man „Obscured By Clouds“ in Livesets anfänglich komplett überging, brachte man den gefeierten Nachfolger bereits am Stück auf die Bühne.
Wer sollte diese Platte besitzen? Die-Hard-Fans und Retro-Synth-Fummler.
Alex Klug
The Dark Side Of The Moon (1973)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? „Breathe“, „Time“, „Money“. Dennoch war „The Dark Side Of The Moon“ von der Band stets als Gesamtwerk intendiert und dementsprechend möchte ich an dieser Stelle auch niemandem nahelegen, sich ein einzelnes, aus dem Konzept gerissenes Stück anzuhören.
Welche sind die vergessenen Perlen? „Us And Them“. Für mich persönlich DER unübertroffene PINK-FLOYD-Song. Ist aber eigentlich gar nicht so vergessen. Trotzdem. „Us And Them“.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Gilmour / Waters / Wright / Mason. Nicht unerwähnt bleiben sollte Clare Torrys improvisierter Vokalpart in „The Great Gig In The Sky“, für dessen Rechte sie satte 33 Jahre später vor Gericht zog. Heute gilt sie neben Wright als offizielle Co-Autorin des Songs, obwohl sie zum Zeitpunkt der Aufnahme nur schlappe 30 Pfund erhielt. Ebenfalls auf „Dark Side“ begann die Zusammenarbeit mit Saxofonist Dick Parry („Money“, „Us And Them“), welche bis heute (bzw. bis zur 2006er-Gilmour-Tour) andauert.
Generelle Einschätzung zum Album: Was könnte man nicht alles über „The Dark Side Of The Moon“ schreiben, wie viele Lobeshymnen sind wohl noch nötig, um diesem unverwüstlichen Stück Musikgeschichte ein für alle Mal gerecht zu werden. Zunächst mal dürften aber die Fakten reichen: In der Liste der meistverkauften Alben aller Zeiten rangiert das 1973er-Werk derzeit lediglich noch hinter Jackos „Thriller“. Kein Wunder, denn das Prädikat „zeitlos“ passt auf beide Alben so perfekt wie die Faust aufs Auge. Die homogene Mixtur aus bestechender Eingängigkeit, gutem, aber nicht gnadenlos überproduziertem Sound und hervorragenden Instrumentalleistungen funktionierte vermutlich nie wieder so gut wie auf diesem Album. Dagegen wirkt ein „Momentary Lapse“ (1987) schon heute eingerostet.
Wer sollte diese Platte besitzen? Jeder Mensch auf Erden. Jeder.
Alex Klug
Wish You Were Here (1975)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Das übermächtige, zweiteilige „Shine On You Crazy Diamond“ hat aufgrund seiner Intensität natürlich Klassikerstatus. Alle wichtigen Trademarks der Band werden hier gebündelt in den Song gepackt. Für zusätzlichen Gänsehautfaktor sorgt die Tatsache, dass die Nummer eine Hommage an den früheren Bandleader Syd Barrett ist. Manch ein Fan ist der Meinung, PINK FLOYD hätten sich mit „The Dark Side Of The Moon“ selbst übertroffen. Sicher, in gewisser Weise stimmt das auch. Doch darf man sich nicht täuschen lassen. Zumindest “Wish You Were Here” hält locker mit seinem Vorgänger mit. Der Titelsong selbst ist ebenfalls ein Klassiker, nicht nur von PINK FLOYD, sondern auch der Rockgeschichte.
Welche sind die vergessenen Perlen? Da die Scheibe nur fünf Songs enthält, von denen beiden Teile von „Shine On You Crazy Diamond“ und der Titeltrack zu den Klassikern zu zählen sind, bleiben als „vergessene Perlen“ nur „Welcome To The Machine“ und „Have A Cigar“, die beide im Schatten der genannten Songs stehen. Ein wenig zu Unrecht, denn qualitativ erfüllen beide Nummern das hohe Niveau des Albums.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Die Besetzung von „Wish You Were Here“ ist identisch mit der, die auch „The Dark Side Of The Moon“ eingespielt hat, also das für viele Fans beste Line-Up.
Generelle Einschätzung zum Album: Alleine durch die Syd-Barrett-Hommage „Shine On You Crazy Diamond“ liegt „Wish You Were Here“ auf einem Level mit dem Vorgänger. PINK FLOYD waren nie eine Band, der man Stagnation vorwerfen kann. Aber genau aus diesem Grund – und weil das Songwriting-Niveau ebenfalls göttlich ist – muss “Wish You Were Here” in einem Atemzug mit seinem Vorgänger genannt werden. Die Platte klingt anders als „The Dark Side Of The Moon“, aber sie vermag den Hörer auf die gleiche Weise packen wie das 1973er-Album.
Wer sollte diese Platte besitzen? Alle Leute, die mit progressiver Rockmusik etwas anfangen können.
Colin Brinker
Animals (1977)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Leider höchstens „Dogs“.
Welche sind die vergessenen Perlen? Das gesamte Album. Mit „Animals“ liegt das unterschätzteste FLOYD-Album der 70er, wenn nicht sogar der gesamten Diskografie vor.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Gilmour / Waters / Wright / Mason. Außerdem enthält die 8-Spur-Kassettenversion von „Pigs On The Wing“ ein Gitarrensolo von Snowy White (späteres Tourmitglied, bis heute Livemusiker für Roger Waters).
Generelle Einschätzung zum Album: Zwischen den drei großen Klassikern „The Dark Side Of The Moon“, „Wish You Were Here“ und „The Wall“ angesiedelt, wird „Animals“ einfach schmerzhaft oft übergangen. Dabei dreht die Band hier auf wie nie zuvor: Nach den introvertierteren Vorgängern zeigt uns Gilmour auf Albumlänge das volle Programm der guten, alten Rockgitarre. Songwriting-technisch (wieder) etwas flotter, dennoch progressiv wie eh und je. Doch gerade auch Waters dreht hier – nun ja, zwar noch nicht vollends am Rad – aber immerhin erstmals den Chef-Modus auf. Als beinahe alleiniger Sänger des Albums stammen vier von fünf Stücken aus seiner Feder, lediglich „Dogs“ schrieb er gemeinsam mit Gilmour. Im Nachhinein stellt die sich hier anbahnende, in „The Final Cut“ gipfelnde Weltschmerz-Egoshow für einige FLOYD-Jünger zwar den Anfang vom Ende dar, andererseits wird der Wandel hin zur dramaturgischen Konzeptband bis heute von vielen Fans und Kritikern gelobt.
Und auch wenn „Animals“ niemals seine verdiente Aufmerksamkeit erhalten wird: Am Ende stehen drei der fantastischsten Longtracks, die der klassische Progressive Rock bis heute je hervorgebracht hat.
Wer sollte diese Platte besitzen? Jeder, dem PINK FLOYD sonst „immer ein bisschen zu lahm“ waren. Zudem Pflichtprogramm für alle, die mindestens ein FLOYD-Album abfeiern.
Alex Klug
(ja, das ist das wirklich richtige Cover!)
The Wall (1979)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? „Another Brick In The Wall (Part 2)“, sowie sein Quasi-Intro „The Happiest Days Of Our Lives “ kennt sicherlich jeder, der sich irgendwann einmal ernsthaft mit Rockmusik auseinander gesetzt hat. Aber auch „Hey You“ und „Comfortably Numb“ dürfen sich die Auszeichnung „Klassiker“ ans Revers heften.
Welche sind die vergessenen Perlen? „Mother“ vielleicht, oder auch „Nobody Home“. Wesentlich interessanter ist aber, dass PINK FLOYD das Thema von „Another Brick In The Wall (Part 2)“ in unterschiedlichen Variationen immer wieder auf dem gesamten Album verarbeitet. Eine Tatsache, die man eben gerne vergisst, wenn man die Platte lange nicht gehört hat.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? David Gilmour, Roger Waters, Nick Mason, Rick Wright
Generelle Einschätzung zum Album: „The Wall“ zeigt eine extrem kreative Band und doch war nicht alles eitel Sonnenschein. Roger Waters und David Gilmour harmonierten auf menschlicher Ebene längst nicht mehr so gut wie in der Vergangenheit. Waters drückte seine Vision vom Album letztlich durch, während Gilmour nur beteiligter Songwriting-Partner war. Das wiederum macht „The Wall“ zu einer Art Roger-Waters-Soloalbum, was man der Platte auch deutlich anhört. Vom „klassischen“ Sound FLOYDs ist „The Wall“ ein gutes Stück entfernt und trotzdem ist die Scheibe keine schlechte.
Wer sollte diese Platte besitzen? Außer pseudointellektuellen Studenten, die gerne mal bei einem Jasmin-Tee vor ihren Kommilitonen angeben wollen, was für coole Mucke sie haben? Der Fan der Briten natürlich. Denn auch wenn „The Wall“ im Laufe der Jahre viel Schelte einstecken musste, kann man sich das Album ohne Bedenken in den Schrank stellen.
Colin Brinker
The Final Cut (1983)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Vermutlich keiner, was dem Album als Gesamtwerk leider nicht gerecht wird.
Welche sind die vergessenen Perlen? Die Emotionsausbrüche „The Fletcher Memorial Home“ und der Titelsong sind schon großes Kino, am besten wirkt die Scheibe aber tatsächlich im Gesamtkontext.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Waters, Gilmour und Mason, plus einige Gäste, von denen Orchesterchef Michael Kamen (u.a. METALLICA – „S&M“) sicherlich die auffälligste Rolle spielt.
Generelle Einschätzung zum Album: Noch mehr als „The Wall“ ist „The Final Cut“ ein Egoprojekt von Roger Waters, bei dem er basierend auf einem sehr düsteren Konzept den Tod seines Vaters im Zweiten Weltkrieg verarbeitet. Vom Status her ist die Scheibe eher ein Soloalbum, das aber dennoch den Aufwand belohnt, sich damit zu beschäftigen – düsterer, eindringlicher und reduzierter klangen FLOYD in ihrer Karriere vermutlich nie.
Wer sollte diese Platte besitzen? All jene, denen das Element Waters am FLOYD-Sound wichtiger ist als das Element Gilmour, sowie Fans von düsteren, depressiven Rock-Epen.
Heiko Eschenbach
A Momentary Lapse Of Reason (1987)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? „Sorrow“. Und auch wenn es sich nicht leicht tippt, vermutlich auch „Learning To Fly“.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? Nachdem die von Waters geführte Band Rick Wright 1979 vor die Tür setzte und sogleich wieder als bezahltes „Tourmitglied“ einstellte, in den folgenden zwei Jahren das „Wall“-Album auf die Bühne brachte und Waters im Zuge zahlreicher juristischer Auseinandersetzungen um den Bandnamen anschließend endgültig seinen Hut nahm, verblieben 1987 lediglich David Gilmour und Nick Mason als offizielle Mitglieder. Um den enormen Erwartungen gerecht zu werden, engagierte Gilmour ganze Busladungen an Studiomusikern, darunter Patrick Leonard (MADONNA), Bob Ezrin (LOU REED) und Jon Carin, die genau wie Anthony Moore und Phil Manzanera auch am Songwriting beteiligt waren. Letzten Endes holte man auch Richard Wright selbst wieder mit ins Boot, auf die Entstehung der Songs hatte er jedoch keinen Einfluss. Den Bass spielte Tony Levin (KING CRIMSON) ein.
Generelle Einschätzung zum Album: Überproduziert, mit kleineren Schwächen im Songwriting. Von Waters‘ großer, theatralischer Dramaturgie ist auf „A Momentary Lapse Of Reason“ nichts mehr zu vernehmen, stattdessen versuchte man sich wieder vermehrt an sphärischeren Klängen, nun jedoch eher im knackigen Vier-Minuten-Popsong-Gewand. Ich bin mir nicht sicher, ob „Learning To Fly“ auf irgendwelchen „Best of 80s“-Samplern auftaucht, aber mit dieser Produktion und diesem Mitklatsch und -summ-Refrain gehört es eigentlich genau dort hin. (Bei diesem Snareklang wünsche ich mir jedenfalls fast schon den verpönten METALLICA-„St. Anger“-Sound herbei.)
Dank Gilmours unerreichtem Sechssaiter-Feingefühl haben sich natürlich auch einige Glanzlichter wie „On The Turning Away“ oder „Sorrow“ eingeschlichen. Einige andere Belanglosigkeiten („One Slip“) können aber auch von der krampfhaften Überproduktion nicht mehr gerettet werden.
Wer sollte diese Platte besitzen? Wer alle anderen Scheiben totgehört hat und nicht davor zurückschreckt, sich sein Bild von PINK FLOYD womöglich zerstören zu lassen. Oder wer „dieses eine Lied mit dem Fliegenlernen“ damals im Radio doch so schön fand.
Alex Klug
The Division Bell (1994)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Ich schätze, die einzigen beiden Stücke, die Klassiker-Status erreicht haben, sind „A Great Day For Freedom“ und „High Hopes“; Ersteres ist in meinen Ohren ein übles Schunkelstück, das mit anderem Text auch dem deutschen Schlager entsprungen sein könnte – letzteres dagegen eins der Highlights der gesamten PINK FLOYD-Diskografie.
Welche sind die vergessenen Perlen? Alle, außer „A Great Day For Freedom“.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen?
David Gilmour: Gesang, Gitarren, Bass, Talkbox
Nick Mason: Schlagzeug und Percussion
Richard Wright: Keyboards, Klavier, Gesang
Gastmusiker:
Jon Carin: Programming, Klavier, Keyboards
Guy Pratt: Bass
Gary Wallis: Percussion
Tim Renwick: Gitarren
Dick Parry: Tenor-Saxophon
Bob Ezrin: Keyboards, Percussion
Sam Brown: Backing Vocals
Durga McBroom: Backing Vocals
Carol Kenyon: Backing Vocals
Jackie Sheridan: Backing Vocals
Rebecca Leigh-White: Backing Vocals
Generelle Einschätzung zum Album: Ein würdiges „Ende“ (ich zähle „The Endless River“ mal nicht zur Diskografie), das PINK FLOYD mit „The Division Bell“ gefunden haben – auch wenn ex-PINK-FLOYD-Mitglied Roger Waters das anders sieht und wie folgt zitiert wird: „Just rubbish… from beginning to end.“ PINK FLOYD gehen auf „The Division Bell“ einer sehr melancholischen Facette ihrer Kreativität nach – diese wird zwar mit psychedelischen Elementen verknüpft, das Album klingt dennoch vergleichsweise bodenständig, erdig.
Der Albumtitel geht auf einen Vorschlag von Science-Fiction-Autor Douglas Adams zurück, der großer PINK-FLOYD-Fan war und durch den Text zu „High Hopes“ inspiriert wurde. „The Division Bell“ ist die Glocke im Palace of Westminster, der die Abgeordneten zur Stimmabgabe aufruft.
Richard Wright ist das erste Mal seit 1979 als „vollwertiges“ Mitglied dabei und beteiligt sich seit erstmals seit „Wish You Were Here“ auch wieder am Songwriting. Einen Gastauftritt hat auch Stephen Hawking, dessen Sprachcomputer in „Keep Talking“ zu hören ist (dazu inspiriert wurden PINK FLOYD übrigens durch einen TV-Werbespot).
Am Ende des Albums ist Gilmours Stiefsohn Charlie zu hören, wie er den Telefonhörer auflegt, nachdem er mit PINK FLOYD-Manager Steve O’Rourke gesprochen hat – der hatte nämlich darum gebettelt, auf einem PINK-FLOYD-Album zu erscheinen. Humor hatten PINK FLOYD schon immer, auch wenn man das „The Division Bell“ nicht wirklich anhört.
Wer sollte diese Platte besitzen? Das 14. Studioalbum PINK FLOYDs ist etwas für diejenigen, die sich für die melancholischere Seite PINK FLOYDs begeistern können und Wert auf schlüssige, homogene Songs legen. Ein fantastisches Album für lange Auto-Fahrten – aber es ist eben nur teilweise ein „typisches“ PINK-FLOYD-Album: Dafür ist es zu geradlinig, zu zielstrebig und auch ein bisschen zu „schwer“.
Falk Wehmeier
The Endless River (2014)
Welche Songs besitzen Klassikerstatus? Keiner.
Welche sind die vergessenen Perlen? Eine komische Frage, wenn man sich vor Augen hält, dass das Material zu wesentlichen Teilen aus Ideen besteht, die der verstorbene Keyboarder Rick Wright im Laufe der Jahre aufgenommen hat, bzw. aus Überresten der „The Division Bell“-Sessions.
In welcher Besetzung wurde das Album aufgenommen? David Gilmour, Nick Mason, Rick Wright, sowie diverse Gastmusiker.
Generelle Einschätzung zum Album: Wenn es das wirklich gewesen sein soll mit PINK FLOYD, haben sie sich einen schönen, ruhigen Abschied gegönnt. Mit den Klassikern ist dieses Album nicht zu vergleichen, aber Hand aufs Herz, wer hat schon ein zweites „Shine On You Crazy Diamond“ erwartet? Eben. Sicherlich hat David Gilmour das Gitarrespielen nicht verlernt und auch Songs können er und Nick Mason noch schreiben. Dass „The Endless River“ aber nicht die gleiche Magie wie die Klassiker entfaltet, ist einzig der Tatsache geschuldet, dass hier keine richtige Band zusammen spielt und die typische Gruppendynamik somit gar nicht entstehen kann (wie auch?). So ist „The Endless River“ „lediglich“ ein standesgemäßer Abschied einer wirklich großen Band.
Wer sollte diese Platte besitzen? Schwer zu sagen. Sicherlich alle Fans der Band, die jede Veröffentlichung im Schrank stehen haben müssen. Aber auch diejenigen, die sich noch ein letztes Mal mit PINK FLOYD auf eine Reise begeben wollen. Wer aber die Magie von PINK FLOYD erfahren möchte, greift besser zu den hier im Special genannten Klassikern.
Colin Brinker