Monsters Of Rock 1991
metal.de schwelgt in Erinnerungen

Special

Das metal.de-Logbuch schreibt das Jahr 1991 n. Chr. und wir blicken noch einmal zurück in einen Sommer, in dem die Konzert-Tour „Monsters Of Rock“ noch in einwandfreier Form existierte. Damals bildete die deutschlandweite Entourage ein Sammelsurium an Southernrock, Thrash Metal, Prog-Metal, Glam- und Hardrock und galt allein deshalb für alle Headbanger als Pflichttermin, weil es eine Überschwemmung an großangelegten Stadionkonzerten aus dem Genre schlichtweg (noch) nicht gab.

Unsere Redakteure Jürgen Fenske und Oliver Di Iorio waren damals an jeweils verschiedenen Stationen vor Ort und erinnern sich an teilweise unterschiedliche Eindrücke und berichten noch einmal aus ihren Perspektiven.

München, 24.08.1991

Zum Familienausflug geht es zusammen mit der Mama und dem großen Bruder nach München Riem auf die einstige Start- und Landebahn des dekonstruierten Flughafens. Die Verkehrsanbindung ist beileibe nicht optimal und entsprechend durchgeschwitzt verlassen wir mit zigtausend anderen, langhaarigen, in Kutten gehüllten Menschen die S-Bahn. Der Fußweg zur Location ist kurzweilig, es wird gegrölt, herzlich gelacht und das ein oder andere Erfrischungsgetränk gereicht. Man selbst stapft ein wenig griesgrämig aufs Infield, denn immerhin steckt man mitten im Flegelalter und ist stets bedacht, die gerade wachsenden Locken gekonnt in das picklige Gesicht zu streichen. Außerdem haben die einstigen Idole um James Hetfield und Lars Ulrich unlängst einen sträflichen Verrat am Heavy Metal begangen und als Vorabsingle für das in Kürze erscheinende „Black Album“ einen Popsong namens „Enter Sandman“ veröffentlicht.

Androgyne Performance von den BLACK CROWES

Als wenn das noch nicht reichen würde, starten doch tatsächlich irgendwelche Southern-Rock-Hippies in den Nachmittag, die mit blues-geschwängerten Les-Paul-Licks und einem mageren, herumkreischenden Sänger die zarte Seele eines pubertierenden Metal-Revoluzzers nur bedingt berühren. Leider haben auch die Anhänger*innen der härteren Fraktion, die Schuluniform-Träger*innen und Glam-Rocker*innen keinen Sinn für Chris Robinson und die restlichen BLACK CROWES, die mit ihrem Debüt „Shake Your Money Maker“ auf Tour sind und mittlerweile nicht mehr wegzudenkende Perlen wie „She Talks To Angels“ und das Cover „Hard To Handle“ präsentieren. Heute gehört die Diskografie der BLACK CROWES zum festen Inventar der heimischen Plattensammlung und man würde der gleichen Band in diesem Line-Up womöglich zugestehen, die besten Musiker auf der Bühne zu vereinen. Sagte nicht einmal jemand, dass sich über Geschmack nicht streiten ließe?

QUEENSRŸCHE: Eine großartige Stimme und ausgeklügeltes Songwriting

Die zweite Band des Tages stammt aus Seattle und zeigt eine ähnliche Wirkung wie die BLACK CROWES, wenngleich sich die Musik mitnichten vergleichen lässt. Aber der Überfluss an Audio-Informationen lässt sich bei hellem Tageslicht und mit noch nicht annähernd ausgereiftem, musikalischem Verständnis nicht ordentlich verarbeiten. Stattdessen nervt die ritterliche Stimme des Ausnahmesängers Goeff Tate schon bald und das verwinkelte Gefrickel an den Gitarren ist einfach zu viel des guten (im wahrsten Sinne des Wortes). Alleine, „Silent Lucidity“ schwingt sich machtvoll in die Magengrube und veranlasst den blassen Teenager dazu, ein paar Tage später, seine Ersparnisse in „Operation Mindcrime“ zu investieren.

Das Haarspray gezückt und die Spandex-Hose zurechtgezupft – hier kommen MÖTLEY CRÜE

Noch während der Umbaupause lugt ein gewisser Vince Neil hinter den aufgestapelten Marshall-Türmen links vom Drumriser hervor und ein gigantisches Backdrop wird ausgerollt. Darauf zu sehen ist eine überdimensionale Mona Lisa, die grinsend ihren Stinkefinger präsentiert. Kurze Zeit danach legen die LA-Skandalisten los, wobei die Band sicherlich in erster Linie von ihrem Image lebt. Natürlich haben die Männer um Nikki Sixx auch ein paar gute Songs im Repertoire („Shout At The Devil“, „Smokin´ In The Boys Room“, „Girls Girls Girls“, “ Same Ol´ Situation“), das alleine reicht aber nicht aus. Irgendwie – und man muss der Band zumindest eine gewisse Authentizität zugute halten – scheint der Suff und Rausch ein immens wichtiger Bestandteil der Gruppe zu sein, der sich leider auf die Live-Qualitäten der Musiker auswirkt. Den Abschluss machen MÖTLEY CRÜE mit „Anarchy In The UK“, dem ollen SEX-PISTOLS-Evergreen. Der Song findet sich übrigens auch auf dem kurze Zeit später erscheinenden 10-Jahres-Rückblick „Decade Of Decadence“ und bringt der Band veritables Airplay und ein Wiedersehen auf MTV ein.

 METALLICA gehen auf Schmusekurs

Was hatte man dieser Band nicht alles zu verdanken… Durch Dick und Dünn hat man sein METALLICA-Shirt, über die vor Stolz geschwellte Brust gestreift, getragen. Keine Mittagspause auf dem Schulhof ohne „Master Of Puppets“ aus den Kopfhörern, kein Lernen für die nächste Extemporale ohne „Harvester Of Sorrow“ aus den Lautsprechern. Und nun kommt mit einem schwarzen Album und einer, man kann diese Worte kaum aussprechen, Ballade der große Verrat an den Fans. Natürlich feiert man bis zu jenem 24.08.1991 auch einen Song wie „Fade To Black“, nur um sich jetzt über „The Unforgiven“ zu echauffieren. Warum? Nun, ein gewisses Pseudo-Elitisten-Gehabe scheint es auch Anfang der 90er schon zu geben. Abgesehen davon, spielt heute die eigene Lieblingsband und während man das Haupthaar schüttelt und die Pommesgabel gen Himmel streckt, sieht man aus dem Augenwinkel, wie die eigene Mutter einen amüsiert mustert. Das ist also aus ihrem kleinen Buben geworden… In jedem Fall sind heute die besten METALLICA aller Zeiten zu sehen und die nächsten zwei, drei Jahre wird es noch einige dieser überragenden Live-Shows geben, für die speziell eine 360-Grad-Bühne entwickelt werden wird – ein Novum anno 1991.

Bei AC/DC regiert nicht allein Geld die Welt

Die Generation-Music-Television wird sich erinnern: In der Dauerberieselung läuft tagein, tagaus das Videomaterial zu „Thunderstruck“ und „Moneytalks“ in der Heavy Rotation, was dafür sorgt, dass die vierköpfige Familie plus Wellensittich, während dem gemeinsamen Abendessen wie aus einem Munde „Aaaaaah – Thun-der“ zum gerade laufenden Song auf MTV mitsingt. Gewaltig ist auch die heutige Performance um Angus Young und Brian Johnson zu bezeichnen, die vor allem durch den glasklaren und fetten Sound in Erinnerung bleiben wird. Natürlich gibt es die üblichen Spielereien wie herumfliegende Dollarnoten zu „Moneytalks“, eine gigantische Glocke bei „Hells Bells“, die überlebensgroße Aufblaspuppe während „Whole Lotta Rosie“ und Kanonenschläge am Ende von „For Those About To Rock“. Ein kluger Mann beschreibt das so: Wer AC/DC live bucht, der bekommt AC/DC.

Um 23 Uhr ist Zapfenstreich und man hält glücklich sein allererstes Tour-Shirt in den Händen und fährt zusammen mit der Mama und dem großen Bruder in einer völlig überfüllten S-Bahn, nach dem allerersten Open-Air-Festival nach Hause.

Oliver Di Iorio

Hannover, 31.08.1991

Im Frühjahr 1991 wird ein interessantes musikalisches Paket geschnürt, das Ende August in Oldenburg spielen soll. AC/DC ist als Headliner des Monsters Of Rock 1991 mit der neuen Scheibe „The Razor’s Edge“ im Gepäck angekündigt. Dazu gesellen sich METALLICA, welche kurz vor der Tour mit dem schwarzen Album auf den Markt gekommen sind. Die Ankündigung der Glam-Rocker MÖTLEY CRÜE sorgt nicht wirklich für Begeisterung. Die Hoffnungen liegen eher auf QUEENSRŸCHE und den Werken „Operation:Mindcrime“ sowie „Empire“. THE BLACK CROWES wurde die Rolle des Openers zugeteilt.

Einige Wochen vor dem Konzert werden die Örtlichkeiten gewechselt. Anstatt nach Oldenburg geht es nach Hannover. Grund dafür war die hohe Nachfrage und das ausverkaufte Haus in Oldenburg. Gegen 15 Uhr soll die erste Band auf der Bühne stehen, wobei das niemand so genau weiß. Als Orientierung dient die Einlasszeit, die mit 13 Uhr angegeben ist.

Am frühen Nachmittag eröffnen THE BLACK CROWES das Monsters Of Rock 1991 in Hannover

Das riesengroße Stadion in Hannover füllt sich nur sehr langsam am frühen Nachmittag. Als THE BLACK CROWES auf der Bühne stehen sind circa 25% der später 40.000 Menschen im weiten Rund. Der Blues Rock des Sextetts ist aus der Ferne beim Bier als Hintergrundmusik nett, so richtig mitreißen will die Truppe aber nicht. Im Innenraum des Stadions wird mehr gesessen als gestanden und nach einer knappen Stunde endet der erste Gig, welcher von vielen Festival-Besuchern ignoriert wird.

QUEENSRŸCHE auf dem frühen Höhepunkt ihrer Karriere

Das Bild ändert sich als QUEENSRŸCHE mit Geoff Tate auf der Bühne stehen. „Anarchy-X“ als Opener von der „Operation:Mindcrime“ tut sein Übriges. Vor der Bühne wird mitgesungen und die Haare fliegen im Wind. Der Auftakt des Quintetts ist komplett von der „Operation:Mindcrime“: „Revolution Calling“, der Titeltrack und „Speak“ folgen. Tate tigert über die Bühne und animiert die Menschen immer wieder zum Mitmachen. Die Gitarren mit Chris DeGarmo und Michael Wilton kommen bestens rüber und immer mehr Festivalbesucher:in schauen auf das, was sich auf der Bühne tut.

Der Fokus des zweiten Teils der Show  liegt auf „Empire“ mit „Best I Can“, „Jet City Woman“ und dem Titeltrack. In Richtung Ende des Gigs holt Tate mit „Eyes Of A Stranger“ den Kracher von der „Operation:Mindcrime“ heraus. „Silent Lucidity“ als Abschluss inklusive Mitsingfaktor könnte besser kaum performt werden. QUEENSRŸCHE erspielen sich auf dem Monster Of Rock 1991 einige neue Fans und werden völlig zurecht von der zu einem Drittel gefüllten Arena abgefeiert.

MÖTLEY CRÜE haben einen schweren Stand

Nach dem musikalisch großartigen Auftritt von QUEENSRŸCHE folgen die Glam-Rocker MÖTLEY CRÜE, die eher einfach gestrickte Songs, dafür aber weit mehr Show, anbieten. Gerüchteweise soll Sänger Vince Neil während der Tour den ein oder anderen sehr uninspirierten Gig auf die Bühne gebracht haben. Am heutigen Tag wirkt die Combo eher wie ein Haufen Einzelmusiker, wo jeder sich ins Rampenlicht spielen möchte. Das Highlight liefern die Glam-Rocker zum Ende des Auftritts: „Anarchy In The U.K.“ , ein Cover von den SEX PISTOLS, sorgt für Stimmung auch in den hinteren Reihen.

METALLICA und das schwarze Album passen zum Monstes Of Rock 1991

Wer METALLICA von Werken wir „Ride The Lightning“ oder „Kill ’Em All“ kennt, der wir sich fragen, was die Truppe in einem Billing mit AC/DC und MÖTLEY CRÜE zu suchen hat. Die Antwort hat die Band selbst in Form des schwarzen Albums gegeben. Angekündigt als die lauteste Band der Welt zeigen sich James Hetfield und seine Mitstreiter weit weniger hart. Der Auftakt ist eine Art „Einschmeicheln“ bei den Rockfans. „Enter Sandman“ kommt bei der Masse der Menschen in der circa zur Hälfte gefüllten Arena gut an. Aber METALLICA kann auch anders: „Creeping Death“ verschreckt die Rockfans und die Metaller bevölkern die vorderen Reihen. Es wird nun amtlich geballert und Lars Ulrich sorgt für den entsprechenden Rhythmus. „Harvester Of Sorrow“ und „Fade To Black“ lassen die Köpfe vor der Bühne kreiseln.

Die Herren mischen ihr Set quer über die bisherige Diskografie, dazu gesellen sich mit „Am I Evil“, das eigentlich DIAMOND HEAD geschrieben haben, und „Last Carcess“ von den MISFITS zwei Cover-Songs. Highlights sind Nummern wie „Whiplash“ oder „Battery“, welche die Arena in ihren Grundfesten erschüttern. Nach mäßigem Auftakt liefern METALLICA standesgemäß ab.

AC/DC und die Kanonen sorgen für einen würdigen Abschluss

Im September 1990 veröffentlicht die australische Rock-Band mit „The Razors Edge“ ein Album, welches zum Mega-Seller wird. Mehr als 7 Millionen Exemplare gehen weltweit über den Ladentisch. Davon können alle anderen Bands auf dem Monsters Of Rock 1991 träumen. Die Kanonen auf dem Dach der Bühne kündigen an, was gegen kurz nach 21 Uhr auf der Bühne steht. Angus Young mit seiner bekannten Schuluniform eröffnet das Set mit „Thunderstruck“, ein Song vom aktuellen Release, welcher mehr als nur Mitsingqualitäten hat. War das Publikum bei METALLICA eher zurückhaltend, springt der Funke vom ersten Riff von der Bühne auf die Tribünen. „Shoot To Thrill“ und „Back In Black“ folgen. Brian Johnson hat das Publikum fest im Griff und AC/DC zeigen ihre Live-Qualitäten.

Die Highlights sind zwischen alten Tracks und Nummern von „The Razors Edge“ bunt gemischt. „The Jack“ geht mächtig ab, ebenso das eingängige „Moneytalks“. Mit „Hells Bells“ und „High Voltage“ folgen zwei Must-Play-Tracks. „Highway To Hell“, der Song vom viel zu früh verstorbenen Bon Scott, läutet das Ende des Konzerts ein. Nach „Let There Be Rock“ verlässt die Band die Bühne um wenige Minuten später mit „T.N.T.“ die Hütte endgültig abzureißen. Die Kanonen beim Refrain zu „For Those About The Rock (We Salute You)” beenden den Auftritt des Quintetts.

Es gibt wenig zu meckern, wer AC/DC live bucht, der bekommt AC/DC. Keine große Glamour-Show, gradlinig performen die Hard-Rocker ihre Songs. Dabei erweist sich Angus Young als der Irrwisch, der nahezu das komplette Konzert auf der Bühne unterwegs ist und mächtig Meter abreißt.

Ein halber Tag Musik mit fünf Bands endet gegen 23 Uhr und die Menschen strömen zufrieden in Richtung der Ausgänge. Leider findet eine Art Tour mit sieben Slots in Deutschland nicht mehr statt. 1992 spielt IRON MAIDEN unter anderem mit BLACK SABBATH und SLAYER in Mannheim, der Titel des Festivals ändert sich zudem in Superrock.

Jürgen Fenske

16.01.2023

Ein Leben ohne Musik ist möglich, jedoch sinnlos

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