Nirvana
Der Aufstieg
Special
„Ich glaube nicht, dass wir wirklich groß rauskommen. Unsere Musik ist nicht kommerziell genug. Keine Chance, dass wir so groß werden wie Guns N‘ Roses.“ Kurt Cobain, 1991
Der gute Kurt hat sich, wie wir alle wissen, gewaltig geirrt. Mit dem Überhit „Smells Like Teen Spirit“ und dem dazugehörigen „Nevermind“-Album sind die Grunger aus Seattle in die Musikgeschichte eingegangen. Dies ist sogar denjenigen bekannt, die Grunge und NIRVANA stellvertretend für die ganze Musikbewegung als „Die Band, die Metal in den 90er Jahren das Genick brach“ verabscheuen. Ob diese dürftige Erklärung für das Abklingen der Popularität von Heavy Metal in jener Zeitspanne zutreffend ist, sei mal dahingestellt. Fakt ist aber, dass die Welt der gitarrenlastigen Musik kaum an Cobain & Co. vorbei konnte, ohne sich irgendwie mit ihnen auseinandersetzen zu müssen – und sei es nur des „hatens“ wegen.
Im vorliegenden Buch von Gillian G. Gaar (wow!) blendet die Autorin den Wirbel um das tragische Ende von NIRVANA samt Cobains Soap mit Kurtney Love und der üblichen Lobpreisung der Erfolgsphase weitestgehend aus. In „Der Aufstieg“ (im Englischen „Entertain Us – The Rise of Nirvana“) geht die Autorin auf die Gründung und die Frühphase der Band ein und geht mit akribischer Genauigkeit vor. In unzähligen Interviews kommen ehemalige Bandmitglieder (Basser Krist Novoselic, Drummer Chad Channing und natürlich auch Dave Grohl in der Spätphase) genau so zu Wort wie die Produzenten Jack Endino und Butch Vig. Man bekommt haufenweise Storys über Proberaumaufenthalte, die ersten Gigs in Wohnzimmern, Jamsessions und Seattles damalige Musikszene. Die MELVINS, ALICE IN CHAINS, SOUNDGARDEN – alles hat sich auf dem damals noch völlig unbeschriebenen Stückchen Erde getummelt, bevor der Hype eruptionsartig ausbrach und der ‚Seattle Sound‘ die Welt im Sturm eroberte. Besonders umfassend beschreibt die Autorin die einzelnen Songs der Frühwerke, ihre Unterschiede von Aufnahme zu Aufnahme und den jeweiligen Entstehungsprozess. Für Sammler und Bootleg-Fanatiker ist das Buch eine wahre Goldgrube, denn dort scheint jedes auch noch so kleine Detail über die Diskographie samt Demos und Videos dokumentiert zu sein. Für jemanden, der kein Die-Hard-Fan ist, wirkt diese Gründlichkeit bald ermüdend – zusammen mit den subjektiv analysierten und interpretierten Texten fühlt man sich ein wenig wie im Deutschunterricht. Außerdem fehlen hier größtenteils die Anekdoten, die so ein Werk wirklich lesenswert und kurzweilig machen. Zwar bekommt man mit, dass die frühe NIRVANA-Besetzung CELTIC FROST-Platten in ihrem schäbigen Van gehört hat und eines ihrer Backdrops ein Elvis mit Alice Cooper-Schminke (‚Elvis Cooper‘) war, doch diese Momente sind selten. Die meiste Zeit über erzählen Fans oder sonst irgendwie Beteiligte, wie sie den späteren Erfolg der Band vorausgeahnt haben (oder eben nicht) oder wie wann ein Foto von ihnen entstanden ist. Wirklich spannend ist das nicht.
Interessanter dagegen ist der Einblick in Cobains Streben nach Erfolg. Ganz im Gegensatz zu der gängigen Anti-Haltung, die man ihm stets zuschreibt, zeichnet Gaar ein anderes Bild. Nämlich das eines Frontmanns, der sich ganz bewusst des Pops bedient, um eingängige Songs für eine große Zuhörerschaft zu schreiben, gerne für Fotos posiert und Videos dreht. Erst nach dem Hype zieht er sich mehr und mehr zurück und lässt die „Fuck the Industry“-Attitüde stärker in den Vordergrund treten. Interessant ist auch der offenbar grauenhafte Alltag auf den Roadtrips der Band, die gezeichnet sind von Heimweh, Müdigkeit und Depression. Ab und an fragt man sich, was NIRVANA überhaupt dazu bewegt hat zu touren.
Alles in allem kann das Buch nur für eingefleischte Fans empfohlen werden, die ihr Wissen gerne um zahlreiche Details aus den Anfängen der Band ergänzen wollen und gewillt sind, einen eher zähen Text anzugehen. Doch auch diesen muss dringend die englische Originalversion empfohlen werden. Denn der Verlag Nicole Schmenk, der für die deutsche Version zuständig ist, hat bei der Übersetzung und Korrektur komplett versagt. Tippfehler finden sich auf jeder zweiten (!) Seite, und holprige Übersetzungen verderben den Lesespaß. Was will man auch sagen, wenn sogar der Waschzettel den falschen Buchnamen anpreist (nämlich das englische Original, anstatt des vorne abgedruckten deutschen) – und sich in diesem Satz auch noch ein Grammatikfehler einschleicht. Grüß dich, Lektorat!
Gebundene Ausgabe / 288 Seiten / 16 farbige Seiten
VK: 19.90 €
ISBN: 978-3-943022-25-4