Nightwish
Nightwish "Imaginaerum" - Meinungen der Redaktion

Special

Spätestens seit dem Wechsel der Frontfrau scheiden sich in Bezug auf die finnische Band NIGHTWISH die Geister. Wenn eine Band dann auch noch so ein Großprojekt, wie „Imaginaerum“ angeht, gehen die Meinungen natürlich noch weiter auseinander. Zusätzlich zu unserer Review haben sich noch zwei Redakteure mit dem Album auseinandergesetzt. Ihre recht unterschiedlichen Meinungen zu „Imaginaerum“ könnt Ihr hier lesen.

 

Das neue NIGHTWISH-Album ist so ehrgeizig wie lang und komplex. Deshalb ist es auch ein anspruchsvolles Unterfangen, dazu innerhalb von zwei kurzen Tagen etwas Fundiertes zu schreiben. Das liegt auch daran, dass sich mir bis jetzt das ganze Konzept der Platte nicht erschlossen hat. Ganz „Imaginaerum“ klingt wie ein Sammelsurium aus unzusammenhängenden Filmszenen, das es ja auch in der Tat sein könnte.

Da sind NIGHTWISH-typische Tracks, zugedonnert mit symphonischen Trademarks, wie der poppige Opener „Storytime“ (wow, mit Gitarren!) oder das stilistisch fast 1:1 von „Once“ übernommene „Last Ride Of The Day“, dann aber auch eine laszive Bluesballade („Slow, Love, Slow“), ein folkiges Melancholiestück mit verwirrendem Westernvibe, das auch von BLACKMORE’S NIGHT stammen könnte („Turn Loose The Mermaids“) oder mit „Rest Calm“ oder „Ghost River“ von ultraplakativen Kinderchören getragene Langweiler. Überhaupt ist der Anteil an wirklich ruhigen, folkigen und deutlich von Moviescores beeinflussten Songs höher denn je (siehe auch „The Crow, the Owl and the Dove“). Das wird vor allem in dem wirklich wunderschönen instrumentalen Titelsong deutlich, der die Mainthemes der besten Stücke in einem Orchestermedley aufgreift und den Hörer nach über siebzig Minuten emotional versöhnt zurücklässt. Wobei da auch die Frage aufkommt, wie gut ein Album ist, dessen berührendsten sechs Minuten weder Band noch Sängerin mit einbeziehen.

Leider kann zumindest ich mich auch auf Album 2 nach Tarja nicht an Anette Olzons weiterhin blasse und überaus charakterschwache Stimme gewöhnen. Das machen auch tonnenweise Chöre, riesige Orchesterwände und Tuomas Holopainens zugegeben fantastisches Gespür für Tränendrüsenkompositionen kaum wett. Hier fehlt, so bitter das klingt, das Feuer unterm Hintern, das vor allem die ersten drei Alben ausgezeichnet hat.

Mich beschleicht das Gefühl, dass NIGHTWISH im schlimmsten Künstlerdilemma angekommen sind, das man sich denken kann: Machen sie das, womit sie groß geworden sind (also eine „Wishmaster“-Kopie mit einer Sängerin, die das gar nicht leisten könnte), würde man sie bezichtigen, nur noch bei sich selbst zu klauen. Machen sie, wie größtenteils auf „Imaginaerum“, das, wozu sie Lust haben, hätte man das Gefühl, nicht mehr NIGHTWISH zu hören. Da ist es vielleicht wirklich das Beste, sich ganz in seine eigene zirkushafte Märchenwelt zu vergraben, von Fantasiewesen, Clowns, Träumen und großen Bestimmungen zu singen und die Welt draußen die Welt sein zu lassen. Nur dumm, dass die Welt da draußen immer so unbequeme Meinungen parat hat.

6/10 Punkten
Florian Dammasch

 

Seit „Century Child“ beginnt jedes NIGHTWISH-Album für mich auf dieselbe Weise: Obwohl mich die Band weniger interessiert als andere Menschen, bin ich ab der ersten Minute begeistert. Und frage mich verwirrt, wie ein Quintett mit einer Musik immer wieder aufs Neue überraschen kann, die sich seit zehn Jahren eigentlich kaum verändert hat. Trotz des düsteren Jahrmarktcharmes bleibt auch im Jahr 2011 alles beim Alten. Wer auf eine starke Umsetzung der Thematik gehofft hat, wird zwar nicht vollends enttäuscht, ist mit der kürzlich erschienenden EDEN WEINT IM GRAB aber besser bedient. Im Wesentlichen beschränkt sie sich darauf, dass die Orchesterzwischenspiele, die es immer schon gab, diesmal etwas mehr nach Danny Elfman klingen.

„Imaginaerum“ klingt im Kern also wie gehabt. Und das Album protzt mit einem NIGHTWISH-Trademark, das die Band auf 75 Minuten zur Perfektion geführt hat: Eingängigkeit. So wie alle dreizehn Songs zündet der Opener „Storytime“ bereits beim ersten Durchlauf und erfordert keinerlei Einarbeitungsprozess. Gleichzeitig ist die Abwechslung sehr groß. Während „Slow Love Slow“ stark mit jazzigem Blues kokettiert, klingen andere Nummern wie Herzstücke aus Filmsoundtracks. Zurecht ergießen sich momentan alle Metalredaktionen und Fans in Lobhymnen auf das Album, denn ich habe noch nie fast 80 Minuten zusammenhängende Musik am Stück gehört, ohne auch nur eine Sekunde erschlagen oder gelangweilt zu werden. Wer NIGHTWISH schon immer mochte, könnte mit „Imaginaerum“ eines seiner neuen Lieblingsscheiben serviert bekommen.

Meine einzige Kritik kann daher nur eine recht subjektive sein, die Fans bereitwillig überhören können: Die Band hat es immer noch nicht geschafft, vernünftig mit epischen Strukturen klar zu kommen. Klar gibt es auch diesmal wieder längere Stücke, wie „Scaretale“, „Rest Calm“ oder „Song Of Myself“. Aber diese funktionieren eher, weil sie aus auschließlich super-ohrwurmigen und stimmigen Riffs bestehen, als das sie einen cleveren roten Faden hätten. Diese Kritik schließt auch ein, dass das Orchester abseits von Interludien wie „Arabesque“ in erster Linie für Orchestra-Hits, düstere Hörner und Durchschnitts-Gerumpel verantwortlich ist, ohne den Nummern wirklich Tiefe zu geben. Im Vergleich zum übrigen symphonischen Metal gehört die Truppe von Tuomas Holopainen zwar immer noch zu den anspruchsvollsten ihrer Zunft, aber gerade die letzten Alben von RHAPSODY OF FIRE haben orchestrierten Metal auf ein neues Niveau gehoben, mit dem das NIGHTWISH-Formula einfach nicht mehr mithalten kann. Wer sich also auf eine Mischung aus Metal und Klassik mit Langzeitwirkung freut, ist bei den Italienern besser aufgehoben.

Wer aber stimmigen, eingängigen Rock, oder einfach eines der besten Alben dieses Jahren hören will, muss sich die „Imaginaerum“ unbedingt zulegen. Wieder habe ich versucht, mich einem NIGHTWISH-Album nüchtern zu nähern und bin kläglich dabei gescheitert. Das, was die Finnen schon immer komponiert und gespielt haben, beherrschen sie mittlerweile so gut, dass es einem vor Ehrfurcht die Kinnlade auf den Schreibtisch haut.

9/10 Punkten
Frederik Pankalla

04.12.2011

Ressortleitung Fotografen, Galerien | Akkreditierungen, Präsentationen

Exit mobile version