Neaera
Der große Diskografie-Check

Special

Als NEAERA sich 2015 auf Grund veränderter Lebensumstände der Bandmitglieder auflösten, war das Leid der Fangemeinde groß. Doch wie es sich für waschechte Überzeugungstäter gehört, war der Drang nach geiler Musik eben doch größer als alles andere. So standen die Münsteraner nur drei Jahre später wieder für einzelne Shows auf den Bühnen. Dieses Jahr kam zu aller Überraschung eine neue Platte oben drauf. Der perfekte Zeitpunkt also, um einmal die gesamte Diskografie der Truppe unter die Lupe zu nehmen.

The Rising Tide Of Oblivion (2005)

Wir schreiben das Jahr 2005. HEAVEN SHALL BURN haben ein Jahr zuvor „Antigone“ rausgehauen und sich so langsam in mittelgroßen Clubs und im Frühnachmittagsprogramm großer Festivals festgespielt. Nur, um es zeitlich einzuordnen. Ein Teil unserer Belegschaft spielt derweil wahlweise im Sandkasten, Flaschendrehen auf Parties oder frönt den ersten Biereskapaden … die älteren Semester klammern wir an dieser Stelle mal aus. Irgendwo in Münster hat es zuvor ziemlich gescheppert, denn eine Band namens NEAERA startet ihre Karriere und trifft den Geist der Zeit oder der stilaffinen Jugend. Denn das Gemisch aus Melodic Death Metal und Metalcore ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht totgenudelt, vor allem nicht in der hiesigen Szene. Entsprechend gewaltig ist die Überraschung, die „The Rising Tide Of Oblivion“ offeriert: Einflüsse von BOLT THROWER, unverkennbar, einen leichten Black-Metal-Touch, selbstverständlich, und eben gewisse HSB-Vibes, die sie später abschütteln sollten. Alles komprimiert in leidenschaftlichen, aber irgendwie auch rohen Songs, die rasant, zeitweise gar atmosphärisch-finster aus den Boxen/Kopfhörern ballern. „The Rising Tide Of Oblivion“ ist ein fulminanter Auftakt, der mit „Walls Instead Of Bridges“ mindestens einen denkwürdigen Klassiker enthält.
(Jan Wischkowski)

Sammlungswürdig: Sir, yes, sir!

Let The Tempest Come (2006)

Bei Erscheinen ihres Debütalbums mussten sich NEAERA noch an allen Ecken und Enden Vergleiche mit HEAVEN SHALL BURN anhören. Mit dem Release von „Let The Tempest Come“ findet das aber schlagartig ein Ende – und die Münsteraner ihren Stil. Die Metalcore-Querverweise nehmen auf der Platte nur noch einen kleinen Platz ein. Dafür setzt die Band vermehrt auf Melodic Death Metal. So kurz nach der Jahrtausendwende kann das Genre neue Impulse gut gebrauchen. Die liefern NEAERA in Massen. Davon zeugt der knackige Titelsong ebenso wie das von Doublebassattacken durchzogene „Mechanisms Of Standstill“. In „The Crimson Void“ begibt sich die Band wiederum in wahrlich finstere Abgründe und „Plagueheritage“ offenbart ihr einmaliges Gespür für coole Melodien. Frontmann Benny Hilleke klingt zudem wesentlich kraftvoller als auf dem Debüt. „Let The Tempest Come“ stellt eine Sternstunde in der Karriere der Band dar.
(Dominik Rothe)

Sammlungswürdig: Absolutes Muss!

Hier geht’s zur Review von „Let The Tempest Come“

Armamentarium (2007)

Nachdem NEAERA auf „Let The Tempest Come“ ihre eigene Stimme fanden, entwickeln sie diese auf „Armamentarium“ konsequent weiter. Die Combo erweitert ihren Melodic Death um einige BOLT THROWER-Anleihen („Spearheading The Spawn“), macht vor Black Metal keinen Halt („Liberation“) und vergisst dabei nie ihre ureigenen Melodiebögen („Synergy“). Den Hitfaktor schraubt das Quintett noch einen Tacken höher als auf dem Vorgänger. „In Loss“, „Harbinger“ oder „The Need For Pain“ brennen sich schon nach nur einem Durchgang für immer in die Gehörgänge. Letzteres wartet zudem mit dem wohl ersten klassischen Gitarrensolo der Bandhistorie auf. Dazu kommt ein brachialer Sound. „Armamentarium“ hat definitiv die bis dato rotzigste Produktion aller NEAERA-Platten. Trotzdem tönt das Klangbild von Jacob Hansen stets differenziert und aufgeräumt aus den Boxen. Das runde Gesamtpaket macht die Scheibe absolut unverzichtbar.
(Dominik Rothe)

Sammlungswürdig: Absolutes Muss!

Hier geht’s zur Review von „Armamentarium“

Omnicide – Creation Unleashed (2009)

Rückblickend betrachtet ist „Omnicide – Creation Unleashed“ so etwas wie das schwarze Schaf in der NEAERA-Diskografie. Zumindest, wenn man unseren Lesern glauben darf. Klar ist, die Münsteraner haben auf Album Nummer vier den Death-Metal-Anteil massiv erhöht und feuern an dieser Stelle aus allen Rohren. Das machen sie, auch im Langzeittest, sehr souverän. Dennoch geht ein, wenn auch nur kleiner, Stilbruch immer mit Missmut einher. Verglichen mit dem Rest der Diskografie bleibt „Omnicide – Creation Unleashed“ vielleicht ein bisschen was schuldig, ist als Abrissbirne aber eben dennoch gut zu gebrauchen – und mit „I Loathe“ ist zumindest ein Hit dabei, der auch nach elf Jahren noch Spaß macht.
(Jan Wischkowski)

Sammlungswürdig: Es gibt definitiv wichtigere NEAERA-Platten, aber auch diese Scheibe ist kein Fehlkauf.

Forging The Eclipse (2010)

Von ihrem Debüt bis hin zu „Omnicide – Creation Unleashed“ verfolgten NEAERA einen klaren roten Faden. Jede Platte war ein Stück weit extremer, als die davor. „Omnicide“ setzte dem ganzen die Krone auf. Hier verband die Truppe Death spielend leicht mit Black Metal und kam mit einer rohen Produktion daher, die im starken Kontrast zum Bombast der Vorgängerscheiben stand. Auf „Forging The Eclipse“ gehen NEAERA dahingehend ein paar Schritte zurück. Der Sound ist wieder deutlich fetter und das Songwriting nicht mehr ganz so fies. Das soll aber mitnichten heißen, dass die Band plötzlich zahm geworden ist. „Heaven’s Descent“ und „In Defiance“ erinnern zum Einstieg an die Zeiten von „Let The Tempest Come“. „Eight Thousand Sorrows Deep“ würde manch einer als Studenten-Black-Metal abtun, trotzdem ballert der Song ohne Ende. Benny Hilleke steigert seine gesanglichen Qualitäten ein weiteres Mal. Nur der Hitfaktor ist nicht ganz so groß wie auf früheren Platten.
(Dominik Rothe)

Sammlungswürdig: Kein muss, aber auch kein Fehlkauf

Hier geht’s zur Review von „Forging The Eclipse“

Ours Is The Storm (2013)

„Ours Is The Storm“ ist 2013 erst einmal der Abschied. Das war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht abzusehen, doch wäre Album Nummer sechs als annehmbares Ende durchgegangen. Es ist düster und gespickt mit einigen Überraschungen. Dazu zählt unter anderem der Gastbeitrag von BOYSETSFIRE-Frontmann Nathan Gray in „Slaying The Wolf Within“. Aber auch die Vorliebe für Black Metal wird im Hause NEAERA wieder deutlich und mit „My Night Is Starless“ gibt es auch etwas für Liebhaber von atmosphärischen Songs. Ein runder Abschluss, der aber zwingend an die Frühwerke herankommt. Die Nostalgie lässt eben doch grüßen.
(Jan Wischkowski)

Sammlungswürdig: Ja, aber erst, wenn die ersten drei Alben schon im Schrank stehen.

Neaera (2020)

Die meisten Comebacks scheitern in künstlerischer Hinsicht an mangelnden Ideen seitens der Protagonisten. Im Falle von NEAERA sieht das aber ganz anders aus. Der zwischenzeitliche Split hat den Münsteranern spürbar gut getan. Auf „Neaera“ vereinen sie alle ihr bekannten Trademarks und verzichten auf großartige Experimente. Trotzdem klingt das Songmaterial zu jeder Sekunde frisch und unverbraucht. Die Lyrics sind zudem noch deutlicher als bisher. In „Rid The Earth Of The Human Virus“ und „False Shepherds“ lassen NEAERA keinen Zweifel daran, dass Klimaleugner ihnen genauso gestohlen bleiben können wie rechte Spinner. Texte und Musik gehen in ihrer Härte und Direktheit eine perfekte Symbiose ein. Die Münsteraner bündeln all ihre Stärken zu einem Gesamtkunstwerk, das von vorne bis hinten überzeugt.
Dominik Rothe

Sammlungswürdig: Zweifellos

Hier geht’s zur Review von „Neaera“

28.04.2020

"Irgendeiner wartet immer."

Exit mobile version