Michael Tillmann
"Ein Gänsekiel aus Schwermetall"

Special

„Ein Gänsekiel aus Schwermetall“. Ein seltsames, allerdings sicherlich nicht uninteressantes Bild. Der Gänsekiel, der ja nach allgemeinem Dafürhalten federleicht sein müsste, ist als aus der Mode gekommenes Schreibutensil ein absoluter Anachronismus. Schwermetall hingegen ist zeitlos – und darüber hinaus die wortgetreue Übersetzung des englischen heavy metal.

Michael Tillmann

Damit sind wir auch schon voll im Thema: Als Heavy-Metal-Phantastik versteht sich Micheal Tilmanns Buch nämlich. „Ein Gänsekiel aus Schwermetall“ ist ein Sammelband, in dem sich neun Kurzgeschichten des deutschen Autors finden, die, um in literarischen Genres zu sprechen, zwischen Phantastik und Horror schwanken, dabei noch eine gehörige Portion an Ironie und Zynismus mitbekommen haben.
Unweigerlich taucht da die Frage auf, was dieses Werk von anderen unterscheidet; was ihm, als Sammelsurium von Kurzgeschichten, das Prädikat Heavy-Metal-Phantastik verleiht. Nun: Der Autor, Micheal Tilmann, ist selbst mit Leib und Seele Metaller. Das geht schon einmal in die richtige Richtung, macht das Werk per se aber auch nicht metal. Der Wahre Grund ist der, dass Michael Tilmann, der nun schon mal den richtigen persönlichen Background hat, sich nicht scheut, autobiographische Elemente in seine Werke einfließen zu lassen – und diese dadurch unweigerlich eine Nähe zum Metal bekommen.
Dass der Autor im Ruhrpott lebt – da ist ja schon eine starke Nähe zum Metal(l) gegeben –, reflektiert sich in seinem Werk, zumindest in einer der Kurzgeschichten, recht deutlich. So wird „Stahlarbeit“, eine der Kurzgeschichten, auch noch zu einer schrägen Hommage an die Heimat, wenngleich einer sehr kritischen. Dass Tilmanns Großvater selbst Stahlarbeiter war, mag ihn darüber hinaus zum Schreiben dieser Geschichte inspiriert haben.

Nähern wir uns nun aber den für uns, metal.de, interessanten Kerl: Wie Metal ist der Gänsekiel aus Schwermetall? Die Erzählungen des Autors sind gespickt mit Verweisen auf unsere Lieblingsmusik, diese sind teils direkter, teils subtiler, teils auch sehr platter Natur. Alleine die Aufmachung des Werkes, wir würden vom Artwork sprechen, zeigt deutliche Bezüge, taucht doch immer wieder das Piktogramm einer E-Gitarre auf. Auch die Auflistung des Inhalts orientiert sich an Tracklist, sodass die letzte Geschichte als Bonustrack ausgewiesen ist. Eigentlich ganz witzig, aber tatsächlich über das Ziel hinausgeschossen. Letztlich bleibt das Buch ein Buch, und ist kein Album.

Allen neun Geschichten voran steht ein Zitat, überwiegend Bandzitate, die auf die ein oder andere Weise mit dem Inhalt der folgenden Kurzgeschichte korrelieren. Lediglich die erste Geschichte ist mit einer persönlichen Widmung des Autors versehen. Die Geschichten selbst sind mit Verweisen gespickt, die ein ums andere Mal ein Lächeln auf das Gesicht zaubern können. Sei es, weil der Protagonist sich nach dem Aufstehen mit lauten Power Metal puscht, um danach seine Freundin zu beglücken („Du solltest morgens öfters Power Metal hören! Definitiv!“), sei es, weil die Protagonisten einer Mittelalterphantastik mit dem Schiff RUNNING WILD fahren.
Diese Hommagen an den Metal wirken häufig natürlich und passend – genau so oft allerdings sehr herbeigezwungen, merklich konstruiert. Hier gilt teilweise: weniger wäre mehr gewesen.
Tillmann, der sich in der Tradition alter Geistergeschichten sieht, versteht sich hervorragend darauf, Interesse beim Leser zu schaffen. In ihren kurzen Anfängen – wer will bei Kurzgeschichten schon eine ausführliche Exposition lesen – wirkt jede der Storys interessant; zwar verzichtet der Autor darauf, in medias res zu gehen, aufgrund der markantesten Eigenart von Kurzgeschichten (ihre Kürze) ist man dennoch sehr schnell im Geschehen.

Der beschnittene Umfang der Geschichten ist hierbei Fluch und Segen, oder anders gesagt: Des Schreibers größte Stärke ist gleichzeitig seine größte Schwäche. Natürlich sind die Geschichten allesamt kurzweilig. Das ist auch zu erwarten. In der Kürze der Zeit schafft der Autor es häufig, nicht nur einen Spannungsbogen zu schaffen, sondern gleichsam seine Protagonisten so zu skizzieren, dass der Leser empathisch wird. Ausreichend mitfühlend, um eventuell auch zu schaudern, wenn die Charaktere in die unabwendbare Katastrophe schlittern. Das größte Problem beinah aller Kurzgeschichten ist ihr abruptes Ende. Nachdem die Geschichten mühsam, fast detailverliebt aufgebaut werden, kommt ihr Schluss so rasch, dass ganz unweigerlich die Frage aufkommt: War das alles? Der Autor, der akribisch auf den Wendepunkt hinsteuert, der seine Pointe vorher mühsam einleitet, scheint alles Pulver auf einmal zu verschießen – und selbst nicht mehr weiterzuwissen. Dadurch entsteht ein unangenehmes Gleichgewicht, das einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Dass der Löwenanteil der Pointen im völlig vorhersahbar ist – der Überraschungsmoment also ausbleibt – ist ein weiterer Kritikpunkt.

Dennoch: „Ein Gänsekiel aus Schwermetall“ ist eine Kurzgeschichtensammlung, die zu lesen Spaß macht. Die von mir angeführten Kritikpunkte zeigen zwar, dass noch Raum für Verbesserung besteht, das alles kann aber eines nicht schmälern: Die Freude beim Lesen. Wenn ich mir eine „Heavy-Metal-Phantastik“ durchlese, dann tu ich das mit wenig Anspruch – ich will in erster Linie unterhalten werden. Das gelingt dem Autoren durch die Bank. Die Geschichten sind knackig, kurzweilig und witzig. Teilweise vorhersehbare Wendungen und ein jähes Ende tun diesem Spaß keinen Abbruch. Man merkt, dass Michael Tillmann mit Leib und Seele dabei ist. Man spürt die Liebe zum Metal und zum Horror; der Funke springt über. Die herrlich lockere Erzählung „Warum ich jetzt keine Überstunden mehr mache?“, das, vom leider viel zu raschen Ende abgesehen, durch und durch gelungene „Stahlarbeit“, die „Schneeweiße[n] Vogelspinnen“, mit deren Protagonist sich der ein oder andere sicher identifizieren kann, oder die, von schwülstigen Metaphern einmal abgesehen, hochinteressante „Heimkehr eines Königs“ – das alles sind wirklich gelungene Erzählungen. Das absolute Highlight ist natürlich „Der letzte Mönch mag nicht scheiden“. Diese Zukunftsvision prophezeit nicht nur das Ende des Christentums (da lacht das Herz der Blackmetalfraktion), sie liefert auch die Antwort darauf, wie ein Exorzismus an dem von einem Mönch besessenen Sänger einer Blackmetalband funktionert. Völlig albern, aber herrlich komisch.

Wer kurzweilige, witzige, nicht wirklich gruselige (ich würde von Horror-Komik sprechen) Unterhaltung sucht, die zudem die eigene Liebe zum Metal teilt, der sollte durchaus mal einen Black auf „Ein Gänsekiel aus Schwermetall“ wagen.

„Ein Gänsekiel aus Schwermetall“ ist im Medusenblutverlag erschienen und kostet 13,- Euro.

10.10.2010

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