Metallica
Volltreffer oder Schlag ins Leere? Rückbesinnung auf alte Tugenden oder Vormarsch ins Rentenalter?
Special
Was sollte man über Metallica noch sagen, was nicht schon jeder weiss? Einst die Sperrspitze der 80er-Thrash-Metals haben sich Metallica schnell zur populärsten Metalband aller Zeiten gemausert. In den 90er näherten sie sich mehr und mehr dem Mainstream-Rock an, was letztendlich in den beiden umstrittenen Releases „Load“ und „Reload“ gipfelte und sie einige Fans gekostet haben dürfte. Nun setzen Metallica zum Befreiungsschlag an, und zwar in Form von „St. Anger“. Volltreffer oder ein Schlag ins Leere? Diese Frage dürfte sicherlich dieser Tage viele Gemüter beschäftigen. So auch die der Redaktionsmitglieder Metalgreg und Rob, die im folgenden versuchen, etwas Licht in die Dunkelheit zu bringen. Metalgreg macht den Anfang.
Wie habe ich dieses Album herbei gesehnt und die Tage gezählt, bis „St. Anger“ endlich käuflich zu erwerben war! Im Vorfeld gab es viel zu lesen. Bandnamen wie Meshuggah oder Entombed machten als Vergleiche die Runde. Eine Rückbesinnung auf alte Tugenden wurde propagiert. Doch was ist letztendlich dabei herausgekommen? Wie sahen meine Erwartungen aus? War es nur pure Freude, endlich wieder neues Material seiner Helden in den Händen zu halten? War es die Erwartung der möglichen Gewissheit, dass die einstmals größte Metalband endgültig absolut mausetot ist? Oder sollte sich hier wirklich der bestimmt nicht nur von mir gehegte Funken Hoffnung erfüllen, dass Hetfield und Co. wieder an alten Glanz anknüpfen können? Fangen wir doch bei der Beantwortung dieser Fragen mal ganz von vorne an, nämlich beim ersten Song. „Frantic“ startet mit schönem Geschrammel, das in ein markantes und deswegen sofort hängenbleibendes Gitarrenthema übergeht. Sehr cool! Aber was hat sich Lars Ulrich nur bei diesem Drumsound gedacht? Gerüchte um einen absolut blechernen Snare-Sound bewahrheiten sich sofort schmerzlich. Gott, ist das grausam! Hetfields Gesang ist auch nicht das Gelbe vom Ei und macht einen erzwungenen Eindruck. So nach dem Motto „Hauptsache den Rhythmus halten, egal wie es klingt“. Ernüchterung macht sich breit. Doch diese währt bei „Frantic“ zum Glück nur kurz, denn nach ein paar Durchläufen hat man sich zumindest in die Vocals hineingehört und es eröffnet sich einem ein wilder, roher und ursprünglicher Song, der zudem noch mit „My lifestyle determines my deathstyle“ eine Textzeile vorweisen kann, die fast schon als allgemeingültige Weisheit durchgeht. Ein durchweg gelungener Einstand in dieses Album. ?
Neben dem miesen Drumsound sind auch die Gitarren keine Auszeichnung, klingen sie doch schief gestimmt und unsauber gespielt. Gelungener Einstand?! Zumindest haben sie gleich zu Beginn allen, die „Re-Re-Load“ erwartet haben, einen kleinen Schrecken eingejagt. Doch auch wenn „Frantic“ tatsächlich heavier als „Load“ und „Reload“ zusammen rockt, es bleibt ein unausgegorener Opener. Der Song baut Spannung auf, die sich aber in keinerlei nennenswertem Höhepunkt entlädt. Zumindest konnte ich weder einen gelungenen Refrain, noch ein Hammerriff entdecken, das diesen Song als Opener rechtfertigt. Erst drücken sie in der Strophe alles nach vorne, nehmen dann aber sämtliche Härte für einen holprigen „keep searching“-Melodiepart heraus. Und plötzlich fängt unser trockengestellter Hetfield an, das Wort „Frantic“ daherzustottern und steigert sich vom Schreipotential auf das Level eines beim Einkauf zu kurz gekommenen Minderjährigen im Supermarkt. Am Ende ist man nur überrascht, wie wenig in diesem Song musikalisch drinsteckt. Für Metallica-Verhältnisse jedenfalls sehr dürftig, wenn auch „Frantic“ weniger nervt als der Titeltrack, der darauf folgt.
Hmm…nerviger Titeltrack? Ich würde eher sagen, nerviger Trommelwirbel im Titeltrack, der einmal wieder ohne Rücksicht jeglichen Druck des zugegebenermaßen recht neu-metallischen und runtergestimmten Riffings zuscheppert.
Ich habe das Gefühl, der Drumsound im Song „St. Anger“ klingt noch schlimmer als auf dem Rest des Albums. Da hat wohl Herr Ulrich ein Kindesheitstrauma vom früheren Töpfchenschlagen aufgearbeitet. Man höre nur mal die Pappkartons (Toms?) und den blechernen Mülleimer (Snare?) am Anfang. Ganz schlimm, wenn er dann mit Doublebass einsetzt und alles im untransparenten Soundmatsch versinkt. Aber selbst wenn man es mal schafft die Gitarrenriffs herauszuhören, mehr als unspektakuläres Saitengekratze ist nicht ausfindig zu machen. Ist dir auch aufgefallen wie repetitiv der Song vom Aufbau her ist? Eigentlich passiert nach 2:30 (!) nichts Neues mehr, aber durch vielfache Wiederholungen wurde der Track auf die Mammutlänge von 7 Minuten gestreckt. Das zu diesem Zwecke ganze Songparts komplett (!) gesampelt, kopiert und mehrfach verwendet wurden (ich habe das überprüft), macht keinen guten Eindruck auf mich. Demnächst spielen Metallica nur noch 2 Riffs im Studio ein und Bob Rock loopt den Mist dann auf Songlänge. Vielleicht auf dem nächsten Album… 😉
Ok, die Gitarrenarbeit ist nicht gerade als filigran oder anspruchsvoll zu bezeichnen, aber durchaus als gefällig. Dass Metallica bei den Klampfen etwas mehr auf Rohheit gesetzt und auch mal einige schräge Töne und kleine Spielfehler drin gelassen haben, finde ich gar nicht so übel. Dies kommt irgendwie einem Schlag in die Fresse derer gleich, die ein absolut plastikartiges Hochglanzkommerzprodukt erwartet haben. Ausrechenbar und repetitiv war diese Band nämlich nur in ihrer besten Phase Mitte/Ende der 80er, als die Alben „Ride The Lightning“, „Master Of Puppets“ und „…And Justice For All“ grob gesehen alle dasselbe Schema aufwiesen: Schneller Opener, epischer Titeltrack, schleppendes drittes Stück, Halbballade, und am Ende ein Instrumental im Wechsel mit einem heftig abgehenden Thrash-Hammer. „St. Anger“ ist jetzt zwar auch als zweiter Song der Titeltrack, aber er ist weder episch, noch knackt er die Überlänge. Stattdessen lebt er von einer Laut/Leise-Dynamik, die zwar nicht neu, aber dennoch wirkungsvoll ist. Und Hetfields Gesang gefällt mir ausgesprochen gut in diesem Song.
Ich würde sagen, dass das einstige Schema Teil des ureigenen Metallica-Stils war. Die Strukturen der Alben wie auch der einzelnen Songs mögen früher berechenbar gewesen sein, aber immerhin hatte alles Sinn und Zweck. Anno 2003 fehlt jegliches Stil-Fundament: die Band rauscht orientierungslos und mit zweitklassigen Songideen bestückt durch 70 Minuten unproduzierten Rocklärm und meint damit einen Stil gefunden zu haben. Ich würde sogar deine Definition des alten „Metallica-Schemas“ umkehren: Früher gab es Stimmungshöhen und -tiefen innerhalb der Alben, Epik und Härte im steten Wechsel. Auf „St. Anger“ klingt alles höhepunktfrei und durchgehend gewollt rastlos und bemüht heavy. So auch der Song „Some Kind Of Monster“, der eine nicht verwendete Demoaufnahme aus den Load-Sessions gewesen sein könnte, wenn nicht bei 1:45 völlig unpassend das Tempo angezogen würde. Nach 10 Sekunden überflüssigem High-Speed-Gepolter macht man sich das billigste New-Metal-Riff aller Zeiten zu nutze und baut darauf einen ganzen Song auf. Man kann, nein… man muß hier mehr erwarten.
Was diesen Song angeht, muss ich dir zustimmen. Denn „Some Kind Of Monster“ fällt im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Tracks etwas ab. Nicht nur, weil es mehr in die Richtung der beiden Vorgängeralben geht, sondern auch weil Lars Ulrich mal wieder gandenlos auf seiner Kochtopfsammlung rumhämmert. Gitarrentechnisch bewegt sich dieser Song auch nur auf durchschnittlicher Ebene. Die erste Stelle, an der meinereiner etwas hellhörig wurde, ist erst der gelungene „Ominous I’m in us“-Teil gegen Ende. Dafür steht danach mit „Dirty Window“ eines der Glanzstücke, wenn nicht sogar DAS Highlight der CD an. Erst schön rockig-treibendes Riffing, dann das coole Break mit der zweitbesten Textzeile auf „St. Anger“ („I’m jugde and I’m jury and I’m executioner too“), bevor es dann endlich mal richtig brachial wird und sich Hetfield fast wieder in Höchstform präsentiert. So muss das sein, oder?
Nunja, „Dirty Window“ rockt überwiegend, ist aber vom Stil her auch mehr an „Reload“ angelehnt. Jedenfalls mehr Rock als Metal. Hetfields Stimme klingt auf „Dirty Window“ überraschend unverkrampft. Hier wurde sein Gesang besser in die Musik eingebunden und nicht einfach draufgepappt wie es sonst auf dem Album der Fall ist. Wenn doch nur dieses „Ei… Ei… Ei…“-Gejaule nicht wäre, hätte ich „Dirty Window“ auch als Highlight akzeptiert.
Dieses Phänomen, dass kaum ein Song durch die Bank weg erstklassig oder durch die Bank weg grottig ist, zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Album. Nehmen wir mal die nun folgenden Stücke „Invisible Kid“, „My World“ und „Shoot Me Again“. „Invisible Kid“: vom Grundgerüst her ein netter, simpler Rocksong, der auf diesem Album am meisten in die „Load“-Kerbe schlägt und dort einer der besseren Songs gewesen wäre, weist mittendrin diese unsäglich jammerhaften „Serj Tankian für Arme“-Vocals auf. „My World“: während der Strophen eigentlich mit einem ansehnlichen Drive gesegnet, nimmt der absolut belanglose Refrain diesem Song jeglichen Wind aus den Segeln, nur um danach in New-Metal-Manier heftig zu grooven. Das Songwriting ist hier nichts Halbes und nichts Ganzes, was „My World“ zum zweitschwächsten Song des Albums macht. „Shoot Me Again“: beginnt mit Machine Head-artigem Klampfengequietsche, um dann in ein einfaches, aber effektives, weil in die Beine gehendes Riff zu münden. Als Metal kann man diesen Track zwar auch nicht bezeichnen, der aber von einem gelungenen, von Hetfield gut rübergebrachten Spannungsbogen lebt.
Spannungsbogen? Ich vernehme nur Langeweile. Und bei einigen von Hetfields Weicheiergesang-Entgleisungen (wie auf „Invisible Kid“, 5:06) klappen sich mir die Zehennägel hoch! Aber du hast recht, komplett grottig sind die einzelnen Nummern eigentlich nicht. Mir sind ein paar durchaus gute Ansätze und Ideen nicht entgangen. Aber daraus einen kompletten Song zu formen, dazu sind die Herren von Metallica wohl nicht mehr in der Lage. Je öfter ich das Album höre, umso mehr kristallisiert sich heraus, das vieles auf „St. Anger“ nicht zusammen passt. Hier wurden häufig Riffs lieblos aneinandergereiht, ohne jegliches kompositorische Geschick, das sie selbst noch auf Load/Reload zu nutzen verstanden. Aber immerhin haben wir mit „Sweet Amber“ und „The Unnamed Feeling“ wieder mal 2 Tracks, die ich auch als ‚halbe Highlights‘ durchgehen lassen würde. Was meinst du?
„Sweet Amber“ geht für mich sogar als volles Highlight durch. Einmal mehr gut abgehendes Rock-Riffing, eigentlich fast schon Stoner + ein wenig Southern Rock auf heavy-heftig getrimmt.
Insofern fällt „Sweet Amber“ wieder mal unter die Kategorie Heavy-Rock, wie man ihn von den letzten Alben kannte. Da werden klassische Rockriffs gewollt heavy interpretiert. In diesem Falle mit hörbarem Ergebnis, aber sowas haben Bands wie Down und C.O.C. schon vor einigen Jahren gemacht und die kamen ohne allzu abgedroschene Riffs aus. „Sweet Amber“ ist trotzdem in Ordnung, hält ungefähr das Level von „Dirty Window“.
„The Unnamed Feeling“ kommt da zwar nicht ganz heran, ist aber dennoch eines der besseren Stücke auf „St. Anger“, weil es ein vielschichtiges, abwechslungsreiches Songwriting aufweist, das aber zu keiner Zeit unlogisch oder erzwungen wirkt.
Vor allem verfügt dieser Song als einziger auf „St. Anger“ über eine musikalische Tugend, die bei allen Bemühungen, heavy zu sein, scheinbar in Vergessenheit geriet: eine prägnante Melodie! Der einzige Track, der sich auf Anhieb festsetzt und nicht so zusammengewürfelt klingt wie der Rest.
Sicher gibt es ein paar Stellen auf dieser CD, die sich zueinander sperrig verhalten und wenig Sinn ergeben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Metallica diese aus Verlegenheit und aus Mangel an Ideen ohne Rücksicht auf Verluste aneinandergepappt haben. Im Prinzip muss diese Band doch niemandem außer sich selbst mehr etwas beweisen, weswegen sie einfach das machen, worauf sie Bock haben.
Das mag sein. Nur gut finden muß ich es deswegen noch nicht.
Wenn man es mal nüchtern von der musikalischen Seite aus betrachtet, ist doch „St. Anger“ eigentlich sogar kommerzieller Selbstmord, da hier auf sämtliche Standards, die momentan in der Metal/Rock- und vor allem in der Produktionswelt gelten, gepflegt geschissen wird. Hetfield und Co. haben also ein wenig ihres alten Rebellentums, das man auf dem aalglatten „Load/Reload“-Duo vermisst hat, wieder zurückerlangt. Dass sie dies aber über 20 Jahre nach Karrierestart nicht mehr durch ein „Fight Fire With Fire“ Part 2 zeigen, ist doch nur ein ganz normaler Gang der Dinge.
Sowas war natürlich nicht zu erwarten. Aber die Glaubwürdigkeit, die sie in den 90ern verloren haben, werden sie nicht mit so einem zweitklassigem Album wie „St. Anger“ zurückgewinnen. Nur weil Metallica sich wenig Mühe beim Songschreiben gegeben haben und der gutbezahlte Produzent Bob Rock weit hinter seinen Möglichkeiten agiert, soll dem Hörer das als Rebellion wider den Radiostandards verkauft werden?! Während sich Bob Rock und die Band damit rühmt den technischen Aufwand auf ein Minimum reduziert zu haben, sind weltweit zig tausende Bands gezwungen unter weitaus schlechteren Aufnahmebedingungen und Zeitdruck zu arbeiten. Nur wird solchen Bands nie die Beachtung geschenkt, die Metallica zukommt, unabhängig von der Qualität der Werke. Dafür sorgt dann natürlich auch die millionenschwere, alles verdrängende Promokampagne für „St. Anger“, die nahezu peinlich große Ausmaße annimmt. Alles nur damit sich keiner der Marketingstrategie entziehen kann… soviel zu „kommerziellem Selbstmord“. Klar, Metallica ist nicht irgendeine Band, sie geniessen Sonderstatus. Aber auch deswegen sollten sich Metallica qualitativ daran messen lassen. Das muß nicht heißen, das an alte Heaviness angeknüpft werden muß, ein paar gute Songs hätten schon gereicht.
Eigentlich ist es sogar gut, dass nicht an alte Heavyness angeknüpft wird, denn der einzige Versuch auf „St. Anger“, den sie in Richtung schonungslose Brachialität unternehmen, geht absolut daneben. „Purify“ kann sich nämlich getrost auf die Fahnen schreiben, der schlechteste Metallica-Song aller Zeiten zu sein. Das liegt eigentlich gar nicht mal an der musikalischen Leistung, sondern vielmehr daran, dass selten eine solche Dissonanz zwischen Hetfields Organ und dem Rest der Band geherrscht hat. Er hat sich nunmal vom ehemals besten Metal-Shouter zu einem guten Rocksänger entwickelt. Das muss man akzeptieren. Wenn man das nicht tut, sieht man ja, was in Form von „Purify“ dabei herauskommt. Furchtbar!
Da stimme ich 90% zu. „Purify“ ist der beste Beweis, dass Metallica und vor allem Hetfield nicht die Uhr zurückdrehen können. Sie wollen besonders aggressiv rüberkommen und verkrampfen sich dabei hart. Der Rausschmeisser „All Within My Hands“ verspricht keine Besserung. Ein völlig unhomogener Flickenteppich ohne jeden Fluss. Wieder mit dabei, sind die eben angesprochenen Versuche, das Härtelevel hochzuhieven (man höre nur das behämmerte Ende des Tracks).
Da darf ich Dir gegen Ende dieses Clashes noch einmal beherzt widersprechen. „All Within My Hands“ zeigt nochmals, dass Metallica auch im Jahre 2003 immer noch ein Songwriting beherrschen, das sowohl abwechslungsreich, als auch dramaturgisch gut durchdacht ist. Dieser Song baut sich immer wieder schön auf, um kurz vor dem Höhepunkt vom Gas zu gehen, bevor sich am Schluss die gesamte aufgestaute Aggression (vielleicht auf eine zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftige Art und Weise) entlädt.
„Gewöhnungsbedürftig“ ist nett gesagt. Der ruhige Part des Songs ist ja ganz ordentlich, aber wie man so stumpfes Gekloppe dahintersetzen kann, ist mir ein Rätsel. Damit ersticken sie doch jeglichen Spannungsaufbau im Keim.
Das einzige, was mir nicht ganz so schmeckt, sind die nicht zu überhörenden System Of A Down-Anleihen. Metallica waren immer eigenständig, sind das immer noch und sollten es auch bleiben. Zeit für das Fazit, Kollege!
„St. Anger“ ist ein konsequenter Schlag ins Leere. Das ‚mehr‘ an Aggression artet in meinen Ohren in stumpfes Chaos aus. Die Band ist willig, doch die Musik ist schwach. Daher liegen die starken Momente dieses Albums (und diese muss man aus diesem Brei heraussuchen) in den weniger harten und kontrollierteren Rocknummern. „Load“ und „Reload“ waren zwar auch schon reine Rockalben, aber zumindest vollzog die Band damals eine nachvollziehbare Entwicklung. Metallica verlassen mit ihrem neuen Schiff „St. Anger“ (bis auf ein paar Ausnahmen) diese Mitte der 90er eingeschlagene Richtung nicht, sondern werfen auf der bekannten Route einfach sämtliche Kontrolle über Produktion und Komposition über Bord und stranden deswegen auf einer langweiligen Insel, wo weder Fisch noch Fleisch gedeiht. Wo soll das hinführen? Fakt ist auch: Ich bin nicht enttäuscht worden, ich habe NICHTS erwartet. Und genau das ist eingetreten. Metallica haben mit „St. Anger“ NICHTS abgeliefert, das in irgendeiner Weise ihre ‚Vormachtstellung‘ behauptet oder gar eine Relation zu ihren frühen Werken setzt. Selbst wenn es der Band egal sein kann, dieser ’scheiß-auf-alles-und-jeden‘-Charakter ist keine sinnvolle Rechtfertigung für einen derartigen Qualitätsabsturz. Seien wir ehrlich: würde nicht auf der Scheibe „Metallica“ prangen, keinen hätte es interessiert und wir würden uns auf 3 Sätze beschränken. Viel mehr brauche ich hierzu auch nicht mehr zu sagen…
Erwartet hatte ich schon ein paar Dinge, zumal vornherein ja einige Gerüchte gestreut worden waren, die so unglaubliche Namen wie Meshuggah oder Entombed enthielten und besagten, dass z.B. keine einzige Ballade und kein einziges Gitarrensolo auf „St. Anger“ gelandet sein soll. Ok, Meshuggah und Entombed kann man getrost wieder aus den Köpfen streichen und auch eine Rückbesinnung auf alte Tage hat (vielleicht zum Glück) nicht stattgefunden. Die Balladen- und Solilosigkeit hat sich bewahrheitet, was Metallica in meinen Augen gut zu Gesicht steht. Denn seien wir mal ehrlich, die letzte gute Ballade war „Nothing Else Matters“ und die letzten guten Soli waren ebenfalls auf dem schwarzen Album. Chaotisch fand ich „St. Anger“ nur am Anfang, jetzt sieht das anders aus. Es ist ein klassisches Album zum Reinhören geworden, das einen die ersten Male vor den Kopf stößt und auf dem man sich erstmal durch die grausige Produktion wühlen muss. Diese ist auch der größte Kritikpunkt, den ich hier anbringe. Songtechnisch konnten sich Hetfield und Co. aber auf jeden Fall steigern. Ich habe die letzten Tage immer wieder „Load/Reload“ und danach „St. Anger“ gehört und muss sagen, dass diese 75 Minuten hier in der Gesamtheit gesehen stärker sind als diese beiden Alben. Sie sind vielleicht roher und primitiver und technisch nicht ganz so ausgefeilt, aber sie treten ohne Zweifel mehr Arsch. Ganz egal, ob Metallica dabei New Metal-mässig daherkommen oder rockige Parts durch den Heavy-Wolf drehen, es geht einfach großteils gut ab, ohne dass das Songwriting banal wird. Deswegen halte ich gute 7 Punkte für gerechtfertigt. Für mehr reicht es nicht, denn dafür ist ein Meisterwerk wie „Ride The Lightning“ einfach zu weit entfernt. Allerdings machen alle Leute, die Metallica nach „St. Anger“ abschreiben, einen großen Fehler. Hier kommt noch etwas, da bin ich mir sicher. Diese Band ist nicht tot! Sie fängt gerade wieder an zu leben!
Ich wollte anfangs sogar mit 5 Punkten hantieren, aber dank einiger guter Ansätze ist mir „St. Anger“ knappe 6 Punkte wert, was meines Erachtens aber dieses Album nicht davor verschont bei mir als Metallica’s schlechtester Output durchzugehen. Kann man Metallica abschreiben? „St. Anger“ gibt in meinen Augen keine klare Antwort, sondern wirft nur die Frage auf, wohin die Reise gehen soll. Wahrscheinlich wird erst das nächste Album verraten, ob „St. Anger“ ein Anlauf zu neuen Ufern oder ein letztes Aufbäumeln gegen das Rockstar-Rentnertum war.