Metallica
Der lange Weg zum "Black Album"
Special
Zu kaum einer Band pflegt die Metal-Szene eine solche Hassliebe wie zu METALLICA. Das thrashige Frühwerk dürfte wohl kaum jemand ernsthaft kritisieren. Doch spätestens in den 90ern entwickelt sich das Quartett musikalisch in eine Richtung, der nicht alle Fans folgen. Manche springen früher ab, andere später und wieder andere stoßen durch diese Entwicklung erst dazu.
Doch egal, ab welchem Punkt jemand der Band nicht mehr folgt oder zu folgen beginnt, eins ist klar: Der Startschuss für diese Hassliebe fällt am 12. August 1991. An diesem Tag erscheint die fünfte Platte „Metallica“, auch bekannt als „Black Album“.
Von der Straße in die Arena
Zu diesem Zeitpunkt sind METALLICA schon längst Superstars. Zumindest innerhalb der Metal-Szene. Als Jungs von der Straße liefern sie auf ihrem stürmischen Debüt „Kill ‘Em All“ die volle Power ab. Auf den darauffolgenden Platten werden die Songs immer länger, komplexer, anspruchsvoller. „…And Justice For All“ geht 1988 streckenweise locker als Progressive Metal durch.
Insbesondere der Titelsong ist durch seine stetigen Rhythmuswechsel alles andere als zugänglich. Noch dazu enthält das Album mit dem Instrumentalstück „To Live Is To Die“ den letzten kreativen Input von Bassist Cliff Burton, der zwei Jahre zuvor bei einem Tourbusunglück verstirbt. Als Nachfolger kommt Jason Newsted. In der Band hat er einen schweren Stand, wird von den anderen regelrecht gemobbt und darf für „Justice“ kaum etwas zum Songwriting beitragen.
Die internen Schwierigkeiten und die nicht-verarbeitete Trauer über Burtons Tod ändern aber nichts an dem Aufwärtskurs der Band. „Justice“ erreicht Platz sechs in den US-Billboard 200 und verkauft sich millionenfach. METALLICA sehen kurz davor, den Mainstream endgültig zu knacken. Und dafür entwickeln sie einen Plan.
Bedingungslos auf Erfolgskurs
Natürlich lässt sich ein Erfolg wie der des „Black Album“ nicht erzwingen. Aber die Attitüde, mit der die Band die Arbeiten an der Platte angeht, ist dafür gemacht, Erfolg einzufahren. Denn um das bestmögliche Album zu kreieren, hinterfragen sich METALLICA auf allen Ebenen.
Dazu gehört als aller erstes die Reflexion des Songwritings auf „…And Justice For All“. Die langen Songs müssen aufhören. Insbesondere im Rahmen der „Damaged Justice“-Tour merkt die Band zunehmend, dass ihre energiegeladene Bühnenperformance unter den überkomplexen Songs leidet. Anstatt Vollgas zu geben, denken die Bandmitglieder viel zu oft darüber nach, welcher Part als nächstes kommt.
METALLICA wollen Veränderungen
Deswegen fassen METALLICA einen Entschluss. Die Songs für das nächste Album sollen knackiger, kompakter und direkter werden. Schluss mit ständigen Breaks, her mit eingängigen Refrains. Doch dabei bleibt es nicht.
Während der 80er Jahre versuchen alle Bands sich gegenseitig in Sachen Geschwindigkeit und Härte zu übertrumpfen. METALLICA wollen da nicht länger mitmachen. Irgendjemand setzt sowieso immer noch einen drauf. Also entflieht die Band dem Hamsterrad der musikalischen Gewalt. Stattdessen setzen sie auf deutlich langsamere Songs, die eine andere Art von Heavyness heraufbeschwören sollen.
Auftritt: Bob Rock
Doch ein entscheidender Punkt fehlt noch, bevor die Arbeiten beginnen können: der richtige Produzent. „…And Justice For All“ mag ein Verkaufserfolg sein und viele Fans begeistern. Aber die Kritik am Sound, den die Gitarren mitsamt dem Schlagzeug dominieren, während der Bass vollkommen untergeht, bleibt bei der Band hängen. Die Masterminds James Hetfield und Lars Ulrich erkennen rückwirkend, wie sie sich bei der „Justice“-Produktion von ihren Egos haben treiben lassen.
Um einen weiteren Ausrutscher dieser Art zu verhindern, muss ein selbstbewusster Partner ran, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Auftritt Bob Rock. 1989 verhilft er MÖTLEY CRÜE mit „Dr. Feelgood“ zu ihrem ersten Nummer-Eins-Album in den Billboard-Charts. Der ebenso präzise wie fette Sound der Platte ist genau das, was sich METALLICA für ihr nächstes Album vorstellen. Vorsichtig fragen sie bei Rock an, ob er den Mix übernehmen möchte. Dieser macht Kurzerhand Nägel mit Köpfen und bietet sich als Produzent an.
Harte Kritik an METALLICA
Beim ersten Treffen mit der Band hält sich Rock nicht zurück. Er macht sich zahlreiche Notizen zu den vorhandenen Demos, nur um der Band um die Ohren zu hauen, was daran alles Mist ist. Unverblümt stellt er klar, dass METALLICA es seiner Meinung nach bislang nie geschafft haben, die Energie ihrer Shows auf eine ihrer Platten zu übertragen. Dafür klängen die Aufnahmen stets zu steif. Das will er mit einer neuen Arbeitsweise ändern.
Anstatt wie zuvor alle Instrumente einzeln einzuspielen, schlägt Rock vor, METALLICA sollten die Songs für ihr fünftes Album gemeinsam in einem Raum einspielen. Overdubs folgen erst auf Basis dieses Grundgerüsts. Anstatt nur darauf fokussiert zu sein, die Songs technisch möglichst perfekt zu spielen, sollen die Bandmitglieder die Musik fühlen.
Dieser Ansatz harmoniert perfekt mit den deutlich langsameren Stücken, die METALLICA zu diesem Zeitpunkt in petto haben. Eine der Schlüsselideen liefert Lead-Gitarrist Kirk Hammett. Ein schlichtes Riff, das aus zwei Teilen besteht, erregt Ulrichs Aufmerksamkeit. Er schlägt Hammett vor, den ersten Abschnitt des Riffs dreimal zu wiederholen, bevor der Endpart kommt. Kurz darauf steht „Enter Sandman“.
Die Suche nach dem richtigen Song
Rock und ein Großteil der Band lassen dem Song anfänglich kaum Aufmerksamkeit zukommen. Für sie steht fest, dass „Holier Than Thou“ mit seinem treibenden Rhythmus die perfekte erste Single wäre, um der Welt die neuen METALLICA vorzustellen. Ulrich sieht das entschieden anders. Mit tiefster Überzeugung kämpft er lange und hart darum, dass „Enter Sandman“ nicht nur die erste Single, sondern auch der Eröffnungstrack der Platte werden soll. Wie Recht er damit hat, stellt die Band erst Monate später fest, als der Song sich zu ihrem bis dato größtem Hit entwickelt. Als einziger im Studio betrachtet er das Album nicht nur als Ansammlung von fantastischen Songs, sondern mit dem Blick auf ein großes Gesamtwerk.
Derweil legt Rock der Band nahe, „Sad But True“ langsamer als ursprünglich gedacht zu spielen, um das Maximum an härte aus Hetfields Killerriff herauszuholen. Für „The Unforgiven“ wiederum muss Hammett leiden. In mühsamer Arbeit bereitet er ein komplexes, technisches Gitarrensolo für die Ballade vor – und Rock lehnt es knallhart ab. Er zwingt den Gitarristen dazu, seinen gesamten Stil zu überdenken. Das Ergebnis ist ein emotionsgetriebenes Solo, das dem METALLICA-Saitenhexer zuvor wohl niemand zugetraut hätte.
Grenzgänger
So treibt Rock jedes Bandmitglied an seine Grenzen. Ganz nebenbei rehabilitiert er damit den bislang an der Seitenlinie stehenden Newsted. Statt immer nur den Gitarrenspuren zu folgen, arbeitet Rock mit der Band Arrangements für den Bass aus, die dem Instrument eine deutlich größere Prominenz in den Songs verpassen. Am stärksten kommt das in „My Friend Of Misery“ zum Zuge, bei dem Newsted kompositorisch beteiligt ist.
Aber nicht nur musikalisch wagen METALLICA Neues. Hetfield gewinnt durch die Zusammenarbeit mit Rock nicht nur als Sänger, sondern auch als Texter einiges an Selbstbewusstsein. Anstatt weiter über soziale Missstände und Kriegstraumata zu schreiben, erhalten seine Texte auf dem „Black Album“ einen persönlicheren Anstrich.
METALLICA brechen mit allen Erwartungen
„Never opened myself this way“ heißt es am Anfang von „Nothing Else Matters“ und genauso verhält es sich mit den Lyrics auf der Platte durchgehend. Der wohl umstrittenste, weil radiotauglichste Song steht exemplarisch dafür. Die Idee dazu kommt Hetfield, als er während eines Telefonats auf der Gitarre rum zupft. Eigentlich hat er das Gefühl, dieser Song würde niemals zu METALLICA passen. Doch als Ulrich die eröffnenden Töne des späteren Charthits durch einen Zufall mitbekommt, überzeugt er seinen langjährigen Songwriting-Partner vom Gegenteil.
Und als wäre eine Ballade über einen Musiker, der seine Freundin während einer Tour vermisst nicht schon Stilbruch genug, geht die Band noch einen Schritt weiter. Auf Rocks anraten soll „Nothing Else Matters“ von einem Orchester untermalt werden. Für die Partitur kontaktiert die Band niemand geringeren als Hollywood-Komponist Michael Kamen. Der ist durch seine Arbeit für unter anderem „Lethal Weapon“, „Stirb Langsam“ und „Highlander“ weltbekannt – und der Zusammenarbeit mit einer Metal-Band nicht abgeneigt.
Schlussendlich landet das Orchester so weit hinten im Mix, dass Kamen etwas irritiert zurückbleibt. Doch seinen Kommentar, METALLICA sollten ein Konzert mit Orchester in Erwägung ziehen, vergisst die Band nicht. Acht Jahre später lassen sie diese Idee auf „S&M“ gemeinsam mit Kamen Realität werden.
Konsequenzen
Dass Rock die Band an ihre Grenzen und darüber hinaustreibt, hat allerdings auch negative Konsequenzen. So gerät die ohnehin sündhafte teure Produktion des Albums ins Stocken, weil Hetfields Stimmbänder so sehr leiden, dass er zwischenzeitlich nicht mehr singen kann. Daraufhin sucht der Frontmann einen Chorleiter auf. Zum ersten Mal lernt Hetfield, was es heißt, wirklich zu singen. Bei den finalen Verfeinerungen der Platte kommt das den Songs zugute.
Aber nicht nur die Stimmbänder leiden. Da Hetfield am liebsten tagsüber arbeitet, Ulrich aber oft erst spät abends im Studio erscheint und bis mitten in die Nacht an Details tüftelt, geraten die METALLICA-Masterminds zunehmend aneinander. Dazu wird der Zeitdruck bis zum geplanten Abgabetermin immer größer, je länger die Band an den Details ihrer Songs tüftelt. Der Aufnahmeprozess zum „Black Album“ entwickelt sich in jeglicher Hinsicht zu einer Zerreißprobe.
METALLICA besinnen sich auf das Wesentliche
All die Selbstqual zahlt sich aus. In die Händlerregale kommt die Platte mit einem schlichten, beinahe vollständig schwarzen Cover. Die Musik soll für sich selbst sprechen, kein optischer Firlefanz soll davon ablenken, worauf es wirklich ankommt. Die Rechnung geht auf.
Vom ersten Tag an entwickelt sich das „Black Album“ zum absoluten Mega-Hit. Einen Monat lang steht die Platte unangefochten auf dem ersten Platz der US-Billboard-Charts und hält sich insgesamt 550 Wochen in der Top-200. In diesem Zeitraum verkauft es sich weltweit millionenfach. METALLICA gehen anschließend auf ihre größte, längste und kräftezehrendste Tour überhaupt. Mancher in der Band bezeichnet sie auch als die niemals endende Tour.
Legendenbildung
Mit jeder weiteren Show treibt die Combo die Verkaufszahlen ihres fünften Albums weiter in die Höhe. Mit jeder verkauften Einheit tragen sie auch zur eigenen Legendenbildung bei. Das „Black Album“ katapultiert die Band in die Rockstarsphären von Bands wie AC/DC und LED ZEPPELIN. Bis heute geht es über die Ladentheke wie geschnitten Brot. Mit mehr als 30 Millionen abgesetzten Einheiten ist es eines der 25 meistverkauften Alben in der Musikgeschichte – da lässt sich das bisschen Hassliebe wohl verschmerzen.