Meshuggah
"Wenn ich die ganzen Drumlinien selbst eingespielt hätte, wäre ich wohl noch heute mit den Aufnahmen beschäftigt."

Special

Meshuggah


MESHUGGAH gehören zu den Bands, die mit nur ganz geringen Formschwankungen die letzten Jahre überdauert haben und sich mit ihrem durchdringenden Mix aus brachialen Gitarren und aberwitzigen Arrangements von einem Wahnsinn zum nächsten gehievt haben. Um diesen Wahnsinn der treuen Anhängerschaft ein weiteres Mal näher zu bringen, hatten die Schweden zu einer Sitzung in den sterilen Gemäuern eines ehemaligen US-Militärhospital geladen. Als hätte man es schon geahnt, dass das neue Material bei unsachgemäßem Gebrauch zu nervösen Leibeszuckungen führen könnte, wurden die anwesenden Patienten kurzerhand in eigens dafür angefertigte Zwangjacken mit MESUGGAH Emblem gesteckt, die den Gebrauch jeglicher Genussmittel auf ein Minimum beschränkten. Auch der sonst so essenzielle Stift zur Niederschrift der persönlichen Sinneserweiterungen, lag nur wenige Zentimeter, aber dennoch unerreichbar, neben dem Behandlungsstuhl. Somit war sicher gestellt, dass die Therapie der Ärzte in den weißen Kitteln direkt empfangen werden konnte.

Von Drummer Tomas Haake als „einmaliges Experiment“ vorgestellt, war es an der Zeit die erste Sitzung einer knapp 50 Minuten dauernden Therapie einzuleiten. Eins sei gleich vorweggeschickt, „Catch 33“ ist ein Medikament, das erst nach mehrmaliger Anwendung seine volle Wirkung entfalten kann. Der Einstieg in „Catch 33“ ist ähnlich der 20 minütigen one Track Single „I“ geartet und treibt ein repetitives Riff vor sich her, das trotz der Wucht einen fast psychedelischen Charakter entwickelt. Die Scheibe gewinnt immer mehr an Fahrt und ergießt sich in aberwitzigen Passagen, die dem Auge eines Tornados gleichen und ständig drohen einen zu zerquetschen. „Catch 33“ bekommt durch die vielen kleinen Ecken und Kanten, die einen nicht geringen Wiedererkennungsfaktor bieten, gar einen fraktalen Wesenzug, der einen in eine Welt der Selbstähnlichkeit abtauchen lässt und trotzdem stets vor neue Herausforderungen stellt. Wuchtige, wirbelnde Soundwellen drohen den Hörer in die Tiefe zu zerren, um im nächsten Moment in fragile Melodien abzuebben, die an neuzeitliche ULVER Klangorgien erinnern. Der Vergleich mag zwar in Verbindung mit MESHUGGAH sehr befremdlich klingen, trifft auf „Catch 33“ aber gänzlich ins Mark und repräsentiert die ungeheure Vielfalt, die auf dem Album stattfindet. „Catch 33“ besteht zwar aus mehreren Tracks, die sich per Index anwählen lassen, wirklich trennen lässt sich dieser spröde Klumpen der experimentellen Frickelkunde auf acht Ebenen allerdings nicht. MESHUGGAH bewegen sich abseits aller konventionellen Marschruten der gepflegten Gitarrenmusik und scheren sich wenig um gängige Strukturen. Neben den walzenden Riffattacken stehen filigrane Melodiebögen, die von gesprochenen Passagen flankiert werden um wenig später übergangslos zu kollabieren und daraufhin erneut in abstrusen Riffansammlungen enden. MESHUGGAH waren schon immer die Meister des organisierten Chaos, treiben dies auf „Catch 33“ allerdings zu einem fast unheimlich anmutenden ohrgastischen Höhepunkt, was wohl nicht zuletzt an der eigenwilligen Arbeitsweise liegt, die man auf dem neuen Album erstmals angewendet hat. Jedes der Instrumente wurde dabei nur für kurze Bruchteile bedient, was dazu geführt hat, dass die längsten Takes eine Minute nicht überschritten haben, lässt mich Drummer Thomas Haake wissen. Somit ist aus einem Ersatzteillager mit immensem Ausmaß, wie es Haake beschreibt, ein nahezu unerschöpflicher Fundus geworden, der als Quelle für das Album dienlich war. Ein weiteres Novum sind die Drumlinien auf „Catch 33“, die fast ausschließlich aus der Retorte stammen, aber selbst dem geübten Ohr nicht als solche negative auffallen. „Wenn ich die ganzen Drumlinien selbst eingespielt hätte, wäre ich wohl noch heute mit den Aufnahmen beschäftigt.“ So kommentiert Dr.ummer Haake diese ungewöhnliche Vorgehensweise, mit der Sicherheit eines Drumkünstlers, der sich nichts mehr zu beweisen hat. Trotz dieser ungewöhnlichen Technik wirkt das Album wie aus einem Guss und verdaut selbst die exotischen stimmlichen Experimente bei denen Drummer Haake mitgewirkt hat. MESHUGGAH definieren sich trotz der Ähnlichkeiten zu frühem eher thrashigerem Material und der wiedergewonnenen Rifforientierung neu und schaffen eine musikalische Klangwelt, die an Extremen und Intensität kaum überboten werden kann. An jeder Ecke lauert eine kleine Eruption, die das Album zu jeder Zeit fesselnd hält. Es ist unheimlich schwierig ein solch, ja ich würde beinahe sagen monumentales Werk beim ersten Aufeinandertreffen zu erfassen. MESHUGGAH haben in ihrem kleinen Labor in Schweden ein kleines musikalischen Paralleluniversum geschaffen, das gehört und verstanden werden will und nicht zuletzt den täglichen Wahnsinn in Töne gießt.

Nach dieser musikalischen Offenbahrung war in den Augen der noch immer in weißen Leibchen gefangenen Patientenschaft schiere Verzückung zu entdecken, was eindeutig darauf schließen ließ, dass die Therapie der Weiskittel zum Erfolg geführt hat. MESHUGGAH liefern mit „Catch 33“ einen weitern Meilenstein Ihrer Kariere ab und dürften wohl auch die Stimmen jener Kritiker pulverisieren, die beim zugegebenermaßen schwächeren Vorgänger „Nothing“ die Zeigefinger hoch erhoben hatten.

MESHUGAH sind auch 2005 das Maß aller Dinge im Bereich der vertonten Chaostheorie.

Einen Ausklang fand dieser unterhaltsame Abend mit den lasziven Bewegungen einer leicht bekleideten Dame, die es allerdings auch nicht mehr schaffte einen völlig übermüdeten und leicht betrunkenen Fredrik Thordendal von der kurzerhand als Kopfkissen umfunktionierten Bierbank zu locken. Ein Abend voller musikalischer Leckerbissen!

26.03.2005
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