Malmsturm
"Malmsturm"-Rollenspiel - Systemvorstellung
Special
Euer schwarzes Metal-Herz sehnt sich danach, mit IMMORTAL, DARKTHRONE und Konsorten in Kriegsbemalung durch die eisigen Wälder des winterlichen Norwegens zu ziehen, stets auf der Suche nach brennbaren Gotteshäusern? Oder möchtet ihr lieber Seite an Seite mit euren Brüdern von MANOWAR durch weites Steppenland reiten und mit kaltem Stahl gegen alle Wimps und Poser dieser Erde zu Felde ziehen, bis ihr knietief im Blut eurer Feinde watet? Vielleicht gelüstet es euch aber auch einfach nur danach, mit AMON AMARTH, ENSIFERUM und TÝR zusammen in Valhalla wilde Parties zu feiern und dabei fässerweise Met aus den Schädeln der von euch erschlagenen Christen zu saufen? Euch kann geholfen werden!
Was im wahren Leben natürlich gleichermaßen unrealistisch wie politisch inkorrekt sein dürfte, kann – ein gesundes Maß an Fantasie vorausgesetzt – im heimischen Wohnzimmer spielerisch erlebt werden. Im Grunde braucht es dafür nur eine Handvoll Freunde, ein paar Würfel, Stifte und Papier, sowie das Regelbuch zum „Malmsturm“-Pen&Paper-Rollenspiel. Wo sich mancher nun sicher fragen wird, was so ein Rollenspiel überhaupt sein soll, denken andere bereits an einen Haufen ungewaschener Nerds, die in dunklen Kellern herumsitzend Chips mampfen, um die Wette würfeln und dabei unverständliches Zeug von sich geben, während wahre Kenner einwerfen mögen, dass auch ein beliebiges anderes Rollenspiel die oben angepriesenen Erlebnisse bieten kann. In diesem Artikel soll daher zunächst versucht werden, die Fragezeichen auf der Stirn der ersten Gruppe verschwinden zu lassen, bevor für die dritte Gruppe darauf eingegangen wird, warum gerade „Malmsturm“ das ideale Rollenspiel-System für alle trven Metalheads ist, während sich die zweite Gruppe quasi nebenbei in ihren breitgefächerten Vorurteilen gleichermaßen bestätigt wie eines besseren belehrt fühlen darf.
Übrigens könnt ihr auf Metal.de auch ein Interview mit den „Malmsturm“-Machern finden. Darüber hinaus habt ihr bis zum 28.08.2011 die Chance, bei unserem Gewinnspiel einmal die edle Print-Ausgabe des Malmsturm-Regelwerks inklusive einem fetten CD-Paket abzuräumen.
Was ist eigentlich ein Rollenspiel?
Rollenspiele dürften den meisten in erster Linie als Computerspiel-Genre ein Begriff sein, wobei es insbesondere Online-Varianten wie „World Of Warcraft“ zu einer gewissen popkulturellen Relevanz gebracht haben. Im Zentrum eines jeden Rollenspiels steht ein Held, der – oft gemeinsam mit mehreren Begleitcharakteren – durch eine atmosphärisch gestaltete Spielwelt zieht, um unterschiedliche Questen (also mehr oder weniger umfangreiche Aufgaben, die ihm von Bewohnern der Spielwelt gestellt werden) zu lösen, Monster zu erschlagen und dabei ganz nebenbei die Welt zu retten. Für jede gelöste Aufgabe und jedes bestandene Abenteuer bekommt der Held eine Belohnung in Form von Geld und/oder besseren Ausrüstungsgegenständen. Viel wichtiger ist jedoch die gesammelte Erfahrung, mit der er seine Spielwerte und Fähigkeiten verbessern darf, um sich von einem anfänglichen Durchschnittstypen zu einem immer mächtigeren Superhelden zu entwickeln. Als Hintergrundwelt finden dabei manchmal Science-Fiction-Szenarien oder leicht modifizierte Versionen unseres eigenen Planeten, in der Regel jedoch klassische Fantasy-Welten Verwendung.
Im Grunde trifft diese allgemeine Beschreibung auch auf Pen&Paper-Spiele zu, welche gewissermaßen die Urväter aller Computer-Rollenspiele darstellen. Da jeder Spieler einen eigenen Helden führt, der als gleichberechtigte Hauptfigur fungiert, ergeben sich vielschichtige Interaktionsmöglichkeiten und ein extrem dynamischer Spielfluss. Um die Abenteuerhandlung zu präsentieren und die Spielwelt zu simulieren, wird hier auch kein Computerprogramm benötigt. Stattdessen schlüpft einer der Beteiligten in die Rolle des Spielleiters, der keinen eigenen Helden steuert. Vielmehr ist er der Erzähler, der die Spieler durch die Geschichte leitet und zugleich alle Nichtspielercharaktere (NSCs), die die Spielwelt bevölkern und lebendig erscheinen lassen, steuert. Folgerichtig übernimmt er auch die Kontrolle über Monster und andere Feinde, die den Helden das Leben schwer machen, weswegen er von unerfahrenen Rollenspielern fälschlicherweise oft als Gegner der Spielergruppe gesehen wird. Dabei sollten im Idealfall Spieler und Spielleiter gemeinsam an einem Strang ziehen, um für alle den größtmöglichen Spielspaß zu erreichen. Die Aufgabe des Spielleiters besteht lediglich darin, für spannende, aber faire Herausforderungen zu sorgen und angemessen auf die Aktionen der Spieler zu reagieren.
Theater ohne Bühne, Gesellschaftsspiel ohne Spielbrett
Doch wie läuft so ein Pen&Paper-Spiel nun eigentlich ab? Prinzipiell liegen Vergleiche mit Gesellschaftsspielen (nur ohne das zugehörige Spielbrett) oder dem Improvisationstheater (nur ohne die zugehörige Bühne) nahe, die wirkliche Faszination des Rollenspiels lässt sich dabei hingegen nur schwer vermitteln. Im Kern handelt es handelt sich um ein reines Erzählspiel. Obwohl vereinzelt mit Karten, Skizzen oder Bodenplänen und Spielfiguren gearbeitet wird, sind es stets die Beschreibungen der Spieler, durch die ihre Helden handeln und lebendig werden. Der Spielleiter geht auf die Beschreibungen seiner Spieler ein, bewertet sie und legt fest, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Damit das Spiel nicht aus rein willkürlichen Entscheidungen des Spielleiters besteht, wird durch die Verwendung von teils abenteuerlich geformten Würfeln (mehr als die üblichen sechs Seiten sind bei Rollenspielen eher die Regel als die Ausnahme) ein gewisses Zufallselement eingeführt. Dass einige wenige Regelsysteme alternative Zufalls-Elemente wie Spielkarten verwenden, soll an dieser Stelle zwar nicht verschwiegen, dafür aber der Einfachheit halber im Folgenden ignoriert werden.
Wie genau solche Würfelwürfe gehandhabt werden, darüber geben mehr oder weniger umfangreiche und komplizierte Regelwerke Auskunft. Allgemein wird jedoch das Ergebnis des Wurfes mit den Charakterwerten einer Spielfigur verglichen und auf eine festgelegte Weise interpretiert. Jene Charakterwerte sind es folglich, die einen Helden und dessen Fähigkeiten beschreiben und sich je nach gewählter Charakterklasse unterscheiden. Wo Wissenschaftler oder Magier über einen höheren Intelligenz-Wert verfügen als Krieger und Soldaten, sind diese dafür im Hinblick auf Kraft und Zähigkeit deutlich überlegen. So verfügt jeder Held über Stärken und Schwächen, die dem Teamwork eine besondere Bedeutung verleihen. Und wie beim Computerspiel-Pendant werden Helden für bestandene Abenteuer mit hinzugewonnenen Erfahrungspunkten belohnt, die der Verbesserung ihrer Charakterwerte dienen. Im Laufe vieler Abenteuer entwickeln sich die Spielfiguren dadurch immer weiter und ein großer Reiz liegt darin, einen immer mächtigeren Charakter zu erschaffen.
Der Weg ist das Ziel
Nach einem festen Spielziel sucht man bei Pen&Paper-Spielen vergeblich. Zwar stellen die vom Spielleiter präsentierten Geschichten in sich abgeschlossene Episoden dar, mit dem Ende eines Abenteuers ist jedoch die Heldenlaufbahn noch lange nicht beendet. Vielmehr sucht man freudig nach der nächsten Herausforderung und hat Spaß dabei, die Entwicklung der eigenen Spielfigur zu verfolgen, mit der man sich von Spielsitzung zu Spielsitzung immer stärker identifiziert. Wenn es dabei auch noch einen roten Faden gibt, der aufeinanderfolgende Abenteuer miteinander verbindet, findet man sich schnell in einer großen Kampagne wieder, die eine Spielgruppe über mehrere Jahre hinweg bestens unterhalten kann. Einem außenstehenden Beobachter zu erklären, warum man so viel Zeit auf dieses Hobby verwendet und was den eigentlichen Reiz des Pen&Paper-Spiels ausmacht, gelingt jedoch nur selten. Im Grunde muss man selbst einmal einen eigenen Helden durch eine fantastische, abenteuerliche Welt geführt haben, bevor man die Faszination dieses Spielegenres wirklich begreift.
Ein großer Vorteil von Pen&Paper-Rollenspielen liegt in der schier grenzenlosen Freiheit, die sie ermöglichen. Prinzipiell kann hier jedes denkbare Szenario nacherlebt und von kreativen Spielern auf ihre ganz eigene Weise gelöst werden. Lediglich die eigene Fantasie bestimmt die Grenzen des Spielerlebnisses. Allem technischen Fortschritt zum Trotz kann eine solche Freiheit bis heute kein Computerspiel bieten. Da ein Spieler beim Pen&Paper-Spiel nicht im eigentlichen Sinne „gewinnen“ oder „verlieren“ kann, entwickelt sich auch schnell ein konstruktives Miteinander der Spieler, in dem man die eigene Kreativität voll und ganz ausleben kann. Rollenspiele bieten eine hervorragende Möglichkeit, den Kopf vom grauen Alltag frei zu bekommen und der Realität wenigstens für ein paar Stunden zu entfliehen. Und letztlich bedeutet ein Pen&Paper-Spiel immer auch, sich Zeit zu nehmen, um mit guten Freunden zusammensitzen und sich im besten Wortsinne zu unterhalten. Die Gründe, warum Menschen zu Stift, Papier und Würfeln greifen, sind also recht vielfältig, unter dem Strich steht aber schlicht der Spaß am gemeinsamen Spielen im Mittelpunkt.
Parallelen zur Metal-Szene
Bei genauerer Betrachtung lassen sich einige Parallelen zwischen der Metal- und der Rollenspiel-Szene erkennen. So sind – trotz weltweiter Chart-Erfolge von NIGHTWISH und prominent besetzten TV-Werbespots für „World Of Warcraft“ – beide Szenen tief im Underground verwurzelt. Wenngleich PC-Spiele wie „Fallout“ oder „Dragon Age“ Umsätze in Millionenhöhe bringen und man AC/DC- oder IRON MAIDEN-Shirts heutzutage bei „H&M“ kaufen kann, umfasst der eigentliche Szene-Kern jeweils einen relativ überschaubaren Prozentsatz der Gesamtbevölkerung. Seit der Erstveröffentlichung im Jahre 1974 wird die internationale Rollenspiel-Szene vom Platzhirsch „Dungeons & Dragons“ (D&D) beherrscht, während im deutschen Sprachraum das ähnlich gelagerte, aber zehn Jahre jüngere „Das Schwarze Auge“ (DSA) inzwischen den größten Marktanteil für sich beansprucht – und beide Spiele sehen sich in Szene-Kreisen ähnlichen Ausverkaufs-Vorwürfen ausgesetzt wie DIMMU BORGIR oder HAMMERFALL. Dafür sind echte Headbanger ständig auf der Jagd nach unbekannten Band-Geheimtipps, so wie auch die meisten Die-Hard-Rollenspieler gerne reichlich obskure Spielsysteme für sich entdecken, von denen kaum ein anderer jemals etwas gehört hat. Und wo der Metaller selbst zu Gitarre, Bass oder Schlagzeug greift, um irgendwann einmal auf einem Kleinst-Label eine CD veröffentlichen zu können, findet man im Internet unzählige inoffizielle Regel-Erweiterungen oder ganze Spielsystem-Eigenentwicklungen, die gelegentlich über Kleinst-Verlage auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden.
Die zahlreichen Parallelen setzen sich auch thematisch fort. Vom Ritter, der in strahlend weißer Rüstung gegen Drachen und anderes Monstergezücht zu Felde zieht, singen nicht nur Mittelalter-Bands wie SUBWAY TO SALLY oder SCHANDMAUL. Auch in der Power-Metal-Szene und im Hard-Rock gehört diese klassische Rollenspiel-Helden-Figur zum lyrischen Standard-Repertoire. Und wenn AMON AMARTH über heidnische Wikinger oder ALESTORM über trinkfeste Piraten singen, dann erwacht im Rollenspieler die Sehnsucht nach einer zünftigen Kaperfahrt am heimischen Spieltisch. Ähnlich naheliegend ist der Schritt von HIM, SENTENCED oder MOONSPELL zum theatralisch-gothischen „Vampire“-Rollenspiel. Dass H. P. Lovecrafts „Cthulhu“-Mythos nicht nur Bands wie METALLICA und RAGE zu Songs inspiriert hat, sondern auch als Basis für ein subtiles Horror-Rollenspiel herhalten durfte, versteht sich fast von selbst. Und auch zahlreiche der von Arjen A. Lucassen in seinem STAR ONE-Projekt vertonten Science-Fiction-Filme und -Bücher haben längst einen eigenen Rollenspiel-Ableger bekommen. Kein Wunder also, dass angesichts dieser breiten gemeinsamen Basis die Schnittmenge aus Metalheads und Rollenspielern auffällig groß ist und viele Rollenspieler sich musikalisch für harte Rock- und Metal-Mucke begeistern können. Eine gezielte und konsequente Umsetzung von Atmosphäre und typischer Klischees der Metal-Szene in ein Fantasy-Rollenspiel leistet aber erst das vor kurzem erschienene „Malmsturm“, das im Folgenden näher beleuchtet werden soll.
„Malmsturm“ – ein Rollenspiel von Metal-Fans für Metal-Fans
Im Grunde genügt ein kurzer Blick auf das Buch-Cover, um zu erkennen, dass hier waschechte Metal-Fans am Werk waren. Der „Malmsturm“-Schriftzug aus der Feder von Christophe Szpajdel könnte problemlos als Logo einer Black- oder Death-Metal-Band Verwendung finden. Und auch die martialischen Innenillustrationen würden nicht nur im Booklet einer MANOWAR-CD eine gute Figur machen. Bereits hier wird also die anvisierte Grundstimmung hervorragend eingefangen und wer kein Problem mit klassischen Metal-Klischees hat, dürfte sich sofort heimisch fühlen. Klischees gibt es in der Tat zuhauf und die „Malmsturm“-Macher pflegen einen angenehm offenen Umgang mit ihnen. Anstatt krampfhaft zu versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen, werden sie nach Kräften zum Vorteil des Spiels ausgeschlachtet. Denn wie ließen sich schneller mit nur wenigen Worten starke und aussagekräftige Bilder im Kopfkino der Leser und Spieler erzeugen, als durch das Zurückgreifen auf ein zünftiges und weithin bekanntes Klischee?
Im Hinblick auf die Spielregeln erfindet „Malmsturm“ das Rad nicht neu. Man greift hier mit dem erstmals im Jahr 2003 veröffentlichten „FATE“-System sogar auf eine Fremdschöpfung zurück, die nur leicht an die eigene Hintergrundwelt angepasst wurde. Da „Malmsturm“ damit aber immerhin das erste deutsche Rollenspiel ist, das auf diesem universell einsetzbaren System aufbaut, handelt es sich doch um ein echtes Alleinstellungsmerkmal des Spiels. Und schnell wird klar, dass die Entscheidung für „FATE“ eine gute Wahl war, denn die Regeln sind extrem eingängig und leicht verständlich. Die grundlegende Spielmechanik fußt auf einem Wurf mit vier speziellen Würfeln, die auf jeweils zwei Seiten ein Plus, ein Minus und eine Null zeigen. Da nicht jeder Haushalt über diese sogenannten „Fudge-Würfel“ verfügen dürfte, bietet das Spiel darüber hinaus zwei Varianten an, um diese durch gewöhnliche Sechsseiter zu ersetzen. Das Ergebnis des Würfelwurfes wird zum jeweils passenden Fertigkeitswert des Charakters addiert, um den Ausgang einer erwürfelten Aktion zu bestimmen. Dieser an sich simple Mechanismus genügt dennoch, um vom Knacken eines Schlosses über einen wissenschaftlichen Disput bis hin zum bewaffneten Nahkampf jede gängige Spielsituation zu behandeln.
Schicksalshaftes Spiel mit Aspekten
Der Fokus liegt bei „Malmsturm“ weniger auf einer detaillierten Simulation jeder denkbaren Aktion, als vielmehr auf einem schnellen und dynamischen Spiel. Die Konzentration aufs Wesentliche erleichtert nicht nur Rollenspiel-Anfängern den Einstieg, sondern erfreut auch jene Veteranen, denen komplexe Regelungetüme wie bei „Dungeons & Dragons“ oder „Das Schwarze Auge“ längst zu umständlich und kleinteilig geworden sind. Statt sich in endlosen Würfelorgien zu ergehen, soll das Augenmerk der Spieler offensichtlich stärker auf eine plastische Beschreibung ihrer Handlungen gelenkt werden, wozu sich im Regelwerk auch angenehm viele Anregungen finden lassen. Wo das eine oder andere Detail nicht auf Anhieb einleuchtet, sorgen zahlreiche Beispiele für Klarheit. Nur selten bleiben Regelfragen offen, im Zweifelsfall muss dann – wie in jedem anderen Rollenspiel auch – der Spielleiter eine Entscheidung über die Regelauslegung treffen.
Eines der spannendsten Kernelemente bei „Malmsturm“ sind die Aspekte. Diese Schlagwörter stellen eine Art Kurzbeschreibung der Spielfiguren dar, die als Vor- und Nachteile den Charakter eines Helden viel plastischer beschreiben, als es die zahlenbasierten Fertigkeiten alleine könnten. Wann immer eine Spielsituation passend erscheint, können sich die Spieler auf einen ihrer Aspekte berufen, sogenannte Schicksalspunkte investieren und damit erheblichen Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen. Um das eigene Schicksalspunktekonto wieder aufzufüllen, müssen die Spieler negative Auswirkungen ihrer Aspekte hinnehmen. Dies schafft einen Anreiz, keinen fehlerfreien Superhelden zu spielen, sondern sich auch auf die menschlichen Schwächen des eigenen Helden einzulassen. Die große Bedeutung, die den Aspekten und Schicksalspunkten im Regelbuch zugewiesen wird, macht deutlich, dass bei „Malmsturm“ nicht das Jonglieren mit Charakterwerten, sondern das erzählerische Element und die Persönlichkeiten der Spielercharaktere im Mittelpunkt stehen sollen.
Bodenständig, gewürzt mit feinem Humor
Nicht nur erfahrenen Rollenspielern dürften sich die „FATE“-Regelmechanik mühelos einverleiben können, auch Rollenspiel-Neulinge sollten schnell begreifen, wo der Hase lang läuft. Daher ist es schade, dass der „Malmsturm“-Regelband letzteren nicht weiter entgegenkommt und sie schrittweise an die Materie heranführt. Für das bei Konkurrenzprodukten quasi obligatorische „Was ist ein Rollenspiel?“-Kapitel fehlt hier der Platz. Wer jedoch die erste Hälfte dieses Artikels aufmerksam verfolgt hat, dürfte darauf bereits eine hoffentlich zufriedenstellende Antwort bekommen haben und sich ohne größere Verständnisschwierigkeiten in die Lektüre des Buches stürzen können. Der Schreibstil ist angenehm bodenständig und verliert sich nicht in einem Übermaß von Fachbegriffen. Dazu blitzt immer wieder der feine Humor der Autoren durch, der besonders bei den erklärenden Beispielen für ein Schmunzeln sorgt. Da kann man auch über die vereinzelten Schreib- und Satzfehler hinwegsehen. Gelegentlich werden Würfelsymbole im Text nicht korrekt dargestellt und manche missverständliche Regelformulierung erschließt sich erst aus dem Kontext. Das sind aber nur Details, die spätestens beim Textabschnitt zum „Aufmotzen“ von Aspekten wieder vergessen sind, wo deren Qualität in die drei Kategorien „Farblos“, „Ganz nett“ und „True Metal!“ eingeordnet wird. Kult!
Auch das Kapitel für den Spielleiter weiß zu gefallen. Hier wird gezielt auf die Besonderheiten des „FATE“-Systems eingegangen und für gleichermaßen verständliche wie hilfreiche Anregungen zur Gestaltung eigener Szenarien gesorgt. Dazu gibt es ein Beispiel-Abenteuer für Einsteiger, dessen Ende bewusst offen gelassen ist. Die einzelnen Szenen werden recht allgemein und ohne fertige Vorlesetexte präsentiert, wodurch keine Entscheidungen vorweggenommen und die Spieler nicht in eine vorgegebene Richtung gedrängt werden. Dem Spielleiter wird von vorne herein klargemacht, dass es die Aufgabe der Spielerhelden als Hauptfiguren des Abenteuers ist, dessen Ausgang zu bestimmen. So große Freiheiten und Mitbestimmungsrechte gestehen andere Rollenspiele insbesondere Einsteigern häufig nicht zu und übersehen dabei leicht, dass auch unerfahrene Spieler eine Geschichte nicht nur erzählt bekommen, sondern selbst mitgestalten wollen. Hier zeigt sich, dass „Malmsturm“ auf der Höhe der Zeit ist und nicht an längst überholten Traditionen festhält.
Met-Saufen mit Conan dem Barbaren?
Die Informationen zur Hintergrundwelt des „Malmsturm“-Settings sind leider im vorliegenden Regelband recht knapp gehalten. Dies hat jedoch gute Gründe, denn ein erklärtes Ziel der Macher war es, ein Regelwerk zu präsentieren, dass man prinzipiell für das Spiel in jeder beliebigen Fantasy-Welt einsetzen kann. Deshalb finden sich auch immer wieder Hinweise, wie man die Regeln leicht variieren kann, um dadurch eher düstere „Grim & Gritty“-Szenarien oder aber „epische“ Welten mit nahezu gottgleichen Helden zu ermöglichen. Die Welt von „Malmsturm“ mutet dabei eher archaisch und schmutzig an. Hier ziehen barbarische Krieger von „Conan“-Format durch die Schneewüsten des Nordens, mit dem von Verfall und dem Schwinden seiner einstigen Macht geprägten Imperium bietet sich jedoch auch die Chance, Abenteuer in südlicheren Gefilden mit warmem Klima, filigranerer Architektur und hoch entwickelter Technik anzusiedeln. Die knapp dreißigseitige Kurzbeschreibung des Settings ist treffend mit „Malmsturm – eine Vorschau“ überschrieben. Eine vollständige Weltbeschreibung soll im September in Form eines eigenen Bandes erscheinen, an dem die Autoren derzeit eifrig werkeln. Bereits der grobe Überblick, den der Regelband liefert, überzeugt jedoch mit seinen gelebten Metal-Klischees, seien es nun die eingangs erwähnten Raub- und Kriegszüge mit IMMORTAL und MANOWAR oder die Met-schwangeren Wikinger-Feste in den kalten Nordlanden. Man darf auf die detaillierteren Einblicke des „Malmsturm – Die Welt“-Bandes also gespannt sein.
Von herausragender Bedeutung für die besondere Atmosphäre von „Malmsturm“ sind die zahlreichen Illustrationen von Björn Lensig, die alleine schon ein Kaufargument für das Buch wären. Obwohl – oder gerade weil? – sie ausschließlich in echtem Schwarzweiß ohne jede Grauschattierung gehalten sind, strotzen sie geradezu vor spannenden Details. Eine derart stimmige Bebilderung würde vielen Metal-CDs gut zu Gesicht stehen. Hier wurde zwar manchmal besonders tief in der Klischee-Kiste gewühlt, ohne dabei aber in den Kitsch klassischer MANOWAR- oder HAMMERFALL-Cover zu verfallen. Kein Wunder, dass man das epische Schlachtgemälde der inneren Umschlagsseiten auch als Hintergrundbild für den Blanko-Charakterbogen im Anhang verwenden wollte. Dumm nur, dass dieser dadurch für seinen eigentlichen Verwendungszweck als Kopiervorlage praktisch unbrauchbar wird. Das lässt sich allerdings leicht verschmerzen, denn auf der Homepage bieten die Macher den Charakterbogen auch zum Download an – und zwar wahlweise mit oder ohne den schicken Hintergrund.
Digitales Geschenk vs. edles Print-Exemplar
Doch nicht nur Blanko-Charakterbögen findet man auf der „Malmsturm“-Homepage. Die Autoren haben sich dazu entschlossen, hier das gesamte Regelwerk als .pdf-Datei zum kostenfreien Download anzubieten. Dadurch kann jeder Interessierte selbst einen genauen Blick auf dieses tolle Rollenspiel werfen und muss nicht die Katze im Sack kaufen. Denn obwohl die kommerzielle Vermarktung des Systems bei der Entwicklung eine untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte, hat sich mit dem „Uhrwerk-Verlag“ ein äußerst sympathischer Geschäftspartner gefunden, der „Malmsturm“ auch in einer schicken Print-Version in den Fachhandel bringt. Und „schick“ meint in diesem Fall „extrem edel“. Zwischen den zwei dicken, schwarzen Buchdeckeln mit dem erwähnten Black-Metal-kompatiblen Schriftzug wurden die 240 Buchseiten auf ein ungewohnt dickes und raues Papier gedruckt, das den archaischen Look des Spiels trefflich unterstreicht. So richtig schick ist aber vor allem der Goldschnitt der Seitenränder, der das Buch im geschlossenen Zustand so herrlich glänzen lässt, wie man es sonst nur von wertvollen historischen Schinken kennt. Angesichts dieser feinen Aufmachung und der kleinen Auflage ist der Preis von 30 Euro für das „Malmsturm“-Regelwerk fair bemessen und dürfte viele zum Kauf verleiten, obwohl sie bereits die kostenlose Digital-Version besitzen. Das Geschäftsmodell der „Malmsturm“-Macher könnte also aufgehen, zumal die meisten Rollenspieler ihre Bücher gerne zum Anfassen haben. Auch darin kann man wieder eine Gemeinsamkeit zur Metal-Szene sehen, die auch im Internet-Zeitalter noch gerne zu CDs und LPs greift.
Und wie wird es mit „Malmsturm“ weitergehen? Derzeit verpassen die Autoren dem für September angekündigten „Welt-Band“ noch den letzten Schliff. Und eigentlich wollten sie es dabei auch belassen. Die Aufbereitung des – wie so viele Rollenspiele – ursprünglich als Eigenschöpfung in der heimischen Spielrunde entstandenen Systems für eine größere Veröffentlichung dürfte viel Zeit und Kraft gekostet haben, so dass sich die Macher erst einmal eine Auszeit verdient haben. Falls sich aber eine ausreichend breite Fanbasis bilden wird, dürfte im Internet bald eine breite Auswahl an inoffiziellem Material zur Verfügung stehen, um weitere spannende Abenteuer in der Welt von „Malmsturm“ zu ermöglichen. Gerüchten zufolge wurde bereits ein alternatives Science-Fiction-Setting angeregt, für das Elemente von Arjen A. Lucassens STAR-ONE-Projekt oder VOIVOD als Inspirationsquelle dienen könnten. In jedem Fall wird „Malmsturm“ aber seine Inspiration weiterhin im Metal finden und damit die einzig wahre Rollenspiel-Alternative für überzeugte Headbanger darstellen.
Fazit:
Auf 240 Seiten bietet „Malmsturm – Die Regeln“ genau das, was der Titel verspricht. Zwar wird erst der „Die Welt“-Band das Hintergrund-Setting genauer beschreiben, schon jetzt kann man aber sagen, dass die Autoren das klassische Metal-Feeling geschickt in ihre Spielwelt transportiert und damit ein Muss für alle rollenspielenden Metalheads geschaffen haben. Dass man das ganze Spiel allen Interessierten zudem kostenlos auf der Homepage zur Verfügung stellt, sollte jedem Interessierten Anlass genug sein, sich das Ganze einmal anzuschauen. Innerhalb der Rollenspiel-Szene ist die Resonanz auf „Malmsturm“ bislang hervorragend. Ob sich langfristig genügend Spieler gewinnen lassen, wird sich allerdings noch zeigen müssen. Hoffentlich wird sich um „Malmsturm“ jedoch eine eigene Fan-Szene scharen, die im Internet für einen Nachschub an Abenteuer-Ideen sorgt und das Spiel lange am Leben erhält. Die Voraussetzungen sind jedenfalls gegeben, dass sich „Malmsturm“ zu einem echten Szene-Klassiker entwickeln kann. Dieses wunderbare Spiel schafft es einfach hervorragend, meine beiden liebsten Hobbies in sich zu vereinen. Und insbesondere für die edle Print-Version des Regelwerks kann es am Ende nur ein Fazit geben: „True Metal!“
Malmsturm © 2008 by Dominik Dießlin, Björn Lensig, Stefan Frink, Werner H. Hartmann