Malmsturm
"Malmsturm - Die Welt" - Spielweltvorstellung

Special

Malmsturm

Vor einem halben Jahr haben wir euch auf unserer Seite das „Malmsturm“-Rollenspiel vorgestellt und uns im Interview mit den Autoren über ihre Inspirationsquellen unterhalten. Inzwischen ist nach dem Regelband endlich auch die Spielwelt-Beschreibung erschienen – Grund genug für uns, auch diesen genauer unter die Lupe zu nehmen und in eine Welt einzutauchen, die maßgeblich von den liebgewonnenen Klischees und der Ästhetik des Heavy Metal lebt.

Rein optisch schon ein wahres Schmuckstück

Kaum halte ich das Rezensionsexemplar des „Malmsturm“-Weltenbandes in Händen, wird mir klar, was für eine schwere Lektüre vor mir liegt – und das im wahrsten Wortsinne. Mit rund 530 Seiten ist das Buch mehr als doppelt so dick geworden wie der Regelband und kann einen so – je nach persönlicher Lesegewohnheit – vor größere logistische Probleme stellen. Dafür macht der Band mit seinem schicken Goldschnitt, Lesebändchen und angenehm griffigen Papier im heimischen Bücherregal wieder enorm viel her. Das schlichte Buchcover mit dem stylischen Logo von Christophe Szpajdel dürfte auch in der Black-Metal-Sektion der heimischen Plattensammlung eine gute Figur machen.

Hat man schließlich genug vom ehrfürchtigen Bestaunen des äußeren Erscheinungsbildes und öffnet das Buch, so verstärkt sich der positive Eindruck bereits beim oberflächlichen Durchblättern. Das Layout erweist sich als ausgesprochen lesefreundlich, mit dem zur Verfügung stehenden Platz wird angenehm großzügig, aber niemals verschwenderisch umgegangen. Auch die grandiosen Schwarzweiß-Illustrationen von Björn Lensig sind wieder ausgesprochen zahlreich vertreten und obwohl manche davon bereits vom Regelband bekannt sind, so hat man doch den Eindruck, dass man sich die besten Bilder bewusst für „Malmsturm – Die Welt“ aufgespart hat. Die Stimmung der düster-erwachsenen Sword&Sorcery-Welt von „Malmsturm“ wird perfekt eingefangen und dabei auch mit Gewalt und Sex nicht gegeizt. Dadurch erhält dann auch der (eigentlich wohl eher als Marketing-Gag gedachte) „Parental Advisory – Explicit Gaming“-Hinweis auf dem Frontcover seine Berechtigung.

Keine Regeln, dafür viel Inspiration

Regeltexte sucht man in „Malmsturm – Die Welt“ vergeblich, die strikte Zweiteilung in einen Regel- und einen Setting-Band wurde konsequent durchgezogen. Auf eine erneute Beschreibung der Regeln und des generellen Spielablaufs eines Pen&Paper-Rollenspiels soll daher auch an dieser Stelle verzichtet werden (Interessenten finden diese weiterhin in unserer Vorstellung des Regelbandes). Die entscheidende Brücke zwischen Spielwelt, Geschichte und Regeln bilden bei den für „Malmsturm“ verwendeten „FATE“-Regeln jedoch die schlagwortartigen Aspekte, die in wenigen Worten ein Bild von Personen, Schauplätzen und Ereignissen vermitteln können. Anregungen und Beispiele für mögliche Aspekte finden sich in der Spielwelt-Beschreibung an allen Ecken und Enden, sodass Regel- und Weltenband hier hervorragend ineinander greifen. Die bereits aus dem Regelband bekannten Textboxen mit „Stimmen“ und „Sprichwörtern“ der jeweiligen Region tauchen hier in noch stärkerem Maße wieder auf und prägen das Bild im Kopf des Lesers mindestens genauso sehr wie die eigentlichen Beschreibungstexte.

Prinzipiell eignet sich die Weltbeschreibung natürlich auch für eine Verwendung mit anderen Regelsystemen. Da man dabei aber üblicherwiese auf die Aspekte verzichten muss, die eine wechselseitige Beeinflussung von Regeln und Spielwelt ermöglichen, geht hierbei ein Teil dessen, was den Reiz von „Malmsturm“ ausmacht, verloren. Trotzdem kann die Lektüre des Weltenbandes auch systemübergreifend jedem Spieler und Spielleiter wärmstens ans Herz gelegt werden, denn die atmosphärisch dichten Texte sind eine tolle Inspirationsquelle. An allen Ecken und Enden werden kleine Geschichten und mögliche Abenteuerplots angerissen, die sich auch für die Verwendung in anderen Spielwelten ausarbeiten lassen. Zusammengenommen ergibt sich aus den vielen unterschiedlichen Einblicken in die Spielwelt das Bild einer düsteren Fantasy-Welt, in der tapfere Helden an allen Ecken und Enden spannende Abenteuer erleben können. Hier erfüllt der Band alle Ansprüche an eine nachvollziehbare und stimmige Weltenbeschreibung, ohne sich in kleinteiligen Details zu verlieren, wie man es von den klassischen Pen&Paper-Größen „Das Schwarze Auge“ (DSA) und „Dungeons & Dragons“ (D&D) kennt.

Erfreulich viele Freiheiten für erfahrene Rollenspieler

Doch was steckt nun inhaltlich eigentlich alles in dem Weltenband drin? Los geht es mit einer kurzen Einführung in die Grundstruktur der Welt, die auch einen Überblick über verschiedene Zeit-, Maß- und Währungseinheiten beinhaltet. Insbesondere wird darauf eingegangen, was die beschriebene Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Und endlich gibt es auch Einblicke in die Natur der namensgebenden „Malmstürme“. Wer allerdings auf einfache und klare Antworten hofft, wird enttäuscht. Die Macher lassen viele mythologische Aspekte ihrer Schöpfung bewusst offen und setzen darauf, dass jede Spielrunde ihre eigenen Interpretationen finden und ausleben kann. Hier zeigt sich auch, dass sich „Malmsturm“ weniger an Rollenspiel-Anfänger als an erfahrene Spieler richtet, die einen eher story- als würfellastigen Spielstil bevorzugen. Ihnen dürfte die gewaltige Freiheit, die das System bietet, entgegenkommen, während Neulinge davon leicht überfordert werden und gleichermaßen hilf- wie orientierungslos auf der Strecke bleiben könnten.

Den größten Teil des Buches nehmen detaillierte Beschreibungen der drei wichtigsten Regionen der „Malmsturm“-Welt ein. Den Anfang machen die eisigen Weiten des hohen Nordens, daran schließt sich die klassisch-mittelalterlich anmutende Waismark an, bevor die im Verfall begriffene Hochkultur des Imperiums eine etwas exotischere Note einbringt. Der Aufbau jedes dieser drei Kapitel folgt demselben Muster. Ein kurzer Einführungstext vermittelt schlaglichtartig die Grundstimmung der jeweiligen Region, bevor jeweils fünfzehn archetypische Beispiel-Charaktere Anregungen für Helden aus der jeweiligen Region liefern. Neben kurzen Erklär- und Stimmungstexten findet sich jeweils eine Charakter-Illustration und drei beispielhafte Aspekte. Die Archetypen sind nicht zum sofortigen Losspielen gedacht, lassen sich aber umso leichter nach den eigenen Vorstellungen verändern und zu einem fertigen Spielerhelden formen. Auf die Archetypen folgt ein Überblick über die Völker und/oder sozialen Schichten der jeweiligen Region, inklusive einer Auflistung der von ihnen verwendeten Sprachen.

Nach den Menschen wendet sich die Beschreibung der Geographie zu und präsentiert Landschaften, Städte und besonders abenteuertaugliche Orte. Hier wird in wenigen Sätzen ein Gesamtbild vermittelt, eine detailliertere Ausarbeitung obliegt jeweils dem Spielleiter, der hierbei wiederum größtmögliche Freiheiten genießt. Es folgen kurze Erläuterungen zu besonderen Rohstoffen und verschiedenen Glaubensformen, bevor ein Abschnitt zu Gerüchten und Legenden vergleichsweise konkrete Anregungen für die Ausarbeitung eigener Abenteuer liefert und einige weitere Seiten der Magie und ihren regionalen Erscheinungsformen gewidmet werden. Unter dem Stichwort „Im Verborgenen…“ existieren darüber hinaus für jede Region fremdartige Völker, die in unterirdischen Höhlen, Kanalisationstunneln oder tiefen Wäldern hausen und nur selten in Kontakt mit der Oberwelt kommen. Ein schönes Konzept, bei dem ein gemeinsames Thema auf drei völlig unterschiedliche Arten interpretiert und eine Menge abenteuertaugliches Material geschaffen wird. Den Abschluss der jeweiligen Regionalkapitel bildet ein geschichtlicher Abriss in Form einer knappen tabellarischen Auflistung wichtiger Ereignisse. Ist man es von anderen Rollenspielen eher gewohnt, so etwas am Anfang einer Regionalbeschreibung zu finden, macht die endständige Anordnung hier doch Sinn, da man so mit den verwendeten Begriffen und Namen eher etwas anzufangen weiß.

Viel Raum für Entdeckungsreisen und Monsterjagden

Im Gegensatz zu den drei Hauptregionen nimmt der Rest der Spielwelt nur einen Bruchteil des Platzes im Weltenband ein. Auf rund zwanzig Seiten werden hier das unerforschte Tiefland Okolnir, die feurige Vulkanhölle Narakaná, das gigantische Inselarchipel Dhelyrien und der Dschungel- und Steppenkontinent Gomgarka angerissen. In diese Gegenden kann der Spielleiter leicht alles hineinpacken, wonach ihm gerade der Sinn steht, von gewaltigen Barbarenkönigreichen mannstoller Amazonen bis hin zu feuchten Sumpflandschaften, in der eine Herde semi-intelligenter Matratzen ihr eintöniges Dasein fristet. Erlaubt ist, was gefällt auf diesen Spielplätzen für Forschungsexpeditionen und Neuland-süchtige Heldengruppen. Ähnlich kurz ist das Kapitel über „Wahrheiten & Geschichten“, wo in Form von spielweltinterner Quellentexte Erkenntnisse und Forschungsergebnisse wiedergegeben werden, die mögliche Wahrheiten zur Entstehung und Gestalt der „Malmsturm“-Welt beinhalten. Dass sich hier die nach den drei Hauptregionen sortierten Texte teilweise widersprechen, ist durchaus beabsichtigt, denn auch hier ist es die jeweilige Spielgruppe, die ihre eigenen Wahrheiten definieren soll.

Die letzten hundert Seiten nimmt ein umfangreiches Bestiarium ein, das jedoch nur Tiere und Monster beschreibt, die man nicht bereits aus unserer Welt kennt. Dies reicht von leichten Variationen realer Geschöpfe (Wollnashörner, Mammuts, Riesenratten, Killerbären) über kuriose Mischwesen (Eiswale, Salzwasser-Krokodile, Bullenpanther) bis hin zu gruseligen Humanoiden (Untote, Tollgreiser, Wolfsmenschen). Einige von diesen Kreaturen hätten sicherlich auch hier einen Platz verdient und die Chuck-Norris-Parodie Ischuck Nôrr wird auch nicht jeder als lustiges Easter-Egg ansehen, im großen und ganzen passen die überwiegend recht groben und urtümlich erscheinenden Kreaturen aber hervorragend in die Spielwelt und runden das Bild der jeweiligen Region schön ab. Und natürlich gibt es im Anhang auch eine als Kopiervorlage geeignete Karte der Spielwelt, die hier auf zwei Doppelseiten aufgeteilt wurde.

Wie „metal“ ist „Malmsturm“?

Als Rollenspiel-Quellenband funktioniert „Malmsturm – Die Welt“ also schonmal hervorragend. Aber inwiefern macht sich dabei überhaupt der schwermetallische Hintergrund der Autoren bemerkbar, der das Spielsystem überhaupt erst für uns interessant gemacht hat? Natürlich werden Metal-Fans, die prinzipiell kein Interesse an Pen&Paper-Rollenspielen haben, auch mit „Malmsturm“ nichts anfangen können. Und auch für Rollenspiel-Neulinge ist dieses System nur bedingt zu empfehlen, ungeachtet ihrer musikalischen Interessen. Die Zielgruppe findet sich also in der (gar nicht mal so kleinen) Schnittmenge zwischen Spielern und Metallern. Dabei bedient sich „Malmsturm“ bei all den klassischen Klischees der Hartwurst-Szene, die man entweder lieben oder hassen kann. Wer über die Jungs von MANOWAR nicht wenigstens ein bisschen grinsen kann, wenn sie mit Ledertangas und überdimensionierten „Conan“-Gedächtnis-Schwertern um die Wette posen, der ist hier vermutlich eher fehl am Platz.

Dabei sind die Autoren keineswegs so plump zu Werke gegangen, dass sie Motive von Plattencovern oder Liedtexten eins zu eins in eine Fantasy-Welt übernommen haben. Es geht eher um Stimmung, archetypische Bilder und Klischees, die hier eingegangen sind und als Inspirationsquelle gedient haben. Herausgekommen ist eine düstere, archaische Welt, in der muskelbepackte Männer gegen die Tücken einer feindseligen Umwelt ankämpfen müssen und Frauen niemals mehr anhaben, als unbedingt notwendig ist. Wenn hier gekämpft wird, müssen Blut und Innereien auf die selbe Weise in der Gegend herumspritzen, wie es CANNIBAL CORPSE in ihrer kunstvollen Lyrik schon immer dem Massenpublikum schmackhaft zu machen versucht haben. Das mag man eklig und oberflächlich, stellenweise auch sexistisch und primitiv finden, letztlich sind das aber auch genau jene Urbilder der Metal-Szene, zu denen sich die meisten Headbanger auch heute noch augenzwinkernd bekennen, ohne sie jemals wirklich ernst genommen zu haben.

Insofern ist dieses Rollenspiel tatsächlich sehr eng mit der Metal-Szene verbunden, wenngleich sich nur wenige Bilder so leicht wiederfinden lassen wie die klirrende atmosphärische Kälte skandinavischer Black-Metal-Größen in den eisigen Weiten des „Malmsturm“-Nordens. Das strahlende Heldenpathos vieler Power-Metal-Bands findet man praktisch gar nicht wieder und ähnlich wie in der Death- und Thrash-Szene findet man gesellschaftskritische Strömungen eher unterschwellig in der Struktur des dekadenten Imperiums. Hinzu gesellt sich eine Faszination für das Hässliche, die in der Welt von „Malmsturm“ auf vielfältige Weise vertreten ist und dabei Spielfiguren wie Spieler gleichermaßen in ihren Bann zieht.

Fazit:

Alles in allem hält der „Malmsturm“-Weltenband genau das, was der Regelband bereits versprochen hatte. Von der Aufmachung über Layout und Gliederung bis zum Inhalt wurde hier seitens der Autoren und des Verlags mit viel Liebe zum Detail gearbeitet und ein fantastisches Produkt gemacht, das seinen stolzen Preis von knapp 50 Euro tatsächlich wert ist. Größere Schwachpunkte gibt es hier nicht, lediglich die Positionierung einiger „Stimmen“- und „Sprichwörter“-Kästen scheint mir nicht ganz optimal, da diese teilweise wenige Seiten vor oder nach einem Abschnitt auftauchen, in dem das behandelte Thema noch etwas vertieft wird. Vermutlich handelt es sich hierbei um kleinere Zugeständnisse an das Layout, die auch absolut zu verkraften sind und das positive Gesamtbild keinesfalls trüben. Alle rollenspielbegeisterten Metal-Fans sollten diesem fantastischen System unbedingt eine Chance geben!

Malmsturm © 2008 by Dominik Dießlin, Björn Lensig, Stefan Frink, Werner H. Hartmann

12.02.2012
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