Lords Of Chaos
Filmkritik zur Buchverfilmung
Special
„Lords Of Chaos“ befasst sich mit einer Geschichte, die in der Metalszene wahrscheinlich jeder kennt. Der 10. August 1993 in Oslo. Øystein Aarseth, besser bekannt als Euronymous und seines Zeichens MAYHEM-Gründer, liegt tot in seinem Treppenhaus. Kristian „Varg“ Vikernes hat ihn mit insgesamt 23 Messerstichen getötet. Im Vorfeld dessen: Kirchenbrände, Selbstmord und ein weiterer Mord. Die Ereignisse, die sich Anfang der Neunziger in der norwegischen Black-Metal-Szene abgespielt haben, sind seither legendär geworden. Das bereits 1998 von Michael Moynihan und Didrik Søderlind veröffentlichte Buch „Lords Of Chaos“, das sich mit dem Thema befasst, wurde nun von Regisseur und Ex-BATHORY-Drummer Jonas Åkerlund verfilmt.
Update zur Veröffentlichung: Im Rahmen des Fantasy Filmfests wird „Lords Of Chaos“ bereits ab diesem Wochenende in Deutschland (mit Originalton) vorgeführt:
Hamburg: 12.01. um 20:00 Uhr
München: 13.01. um 18:30 Uhr
Berlin: 19.01. um 20:15 Uhr
Nürnberg: 19.01. um 20:15 Uhr
Stuttgart: 19.01. um 20:00 Uhr
Frankfurt: 20.01. um 19:15 Uhr
Köln: 20.01. um 19:15 Uhr
In einem Interview mit Rolling Stone spricht Jonas Åkerlund über seine Motivation und Herangehensweise bei der Produktion.
Plot
„Lords Of Chaos“ beginnt am Anfang. Genauer gesagt bei den Anfängen von MAYHEM. Der Film zeigt einen jungen Euronymous (gespielt von Rory Culkin) auf seinem Weg zum Black-Metal-Mitbegründer. Die Entwicklung von MAYHEM nimmt so wirklich Fahrt auf, als Sänger Dead (gespielt von Jack Kilmer) zur Band stößt. Nach einiger Zeit erscheint Varg (gespielt von Emory Cohen) als Fan auf der Bildfläche. Er hat selbst eine Band – ihr könnt es euch denken – BURZUM. Etwa zur gleichen Zeit begeht Sänger Dead Selbstmord, indem er sich zuerst Pulsadern und Kehle aufschlitzt und sich anschließend mit einem Gewehr in den Kopf schießt. Varg wird von der Gruppe zuerst als Poser wahrgenommen. Er gewinnt jedoch die Anerkennung von Euronymous und den anderen; nicht zuletzt deshalb, weil er beginnt, Kirchen anzuzünden.
Nach und nach verschiebt sich das Machtverhältnis zwischen Euronymous und Varg. Letzterer erhält in der Szene immer mehr Anerkennung, was bei Euronymous zu Neid führt. Mittlerweile sind mehrere Mitglieder der Gruppe in illegale Aktivitäten verstrickt. EMPEROR-Drummer Faust (gespielt von Valter Skarsgård) hat einen Mann erstochen und Euronymous hat zusammen mit Varg eine Kirche angezündet. Varg gibt einem Reporter ein vermeintlich anonymes Interview, um die Publicity für seine Zwecke zu nutzen. Es gibt auch Streit um Erlöse aus BURZUM-Verkäufen. Beides führt zu weiterer Animosität. Euromymous schickt Varg schließlich einen Vertrag zu, der ihr geschäftliches Verhältnis beenden soll. Statt ihn zurückzuschicken, bringt dieser ihn persönlich vorbei. Dazu fährt er mehrere Hundert Kilometer von Bergen nach Oslo. Es ist der 10. August 1993 und der Rest ist Geschichte.
„Lords Of Chaos“ bleibt so weit bei den Fakten
Wie man der obigen Wiedergabe des Plots entnehmen kann, sind die Eckdaten insgesamt vorhanden. Eine der Fragen, die sich stellen, ist, ob „Lords Of Chaos“ den Anspruch hat, die tatsächlichen Ereignisse wahrheitsgemäß darzustellen. Eine wirkliche Antwort darauf gibt es wahrscheinlich nicht, es ist aber zu bezweifeln, denn schon eine Einblendung zu Beginn besagt „based on truth, lies, and what actually happened.” Im oben verlinkten Interview sagt Åkerlund allerdings, dass er – zumindest bei den polizeilich relevanten Geschehnissen – so weit wie möglich bei der Realität geblieben ist. Die zwischenmenschlichen Aspekte stehen aber wohl auf einem anderen Blatt.
Was in diesem Bereich eigentlich wirklich passiert ist, lässt sich sowieso nicht bis ins letzte Detail nachvollziehen. Die grundlegenden Fakten sind aber dokumentiert und bis auf einige wahrscheinlich der Dramaturgie geschuldeten Abweichungen auch entsprechend umgesetzt. Ein Beispiel für eine Abweichung ist der Tathergang des Euronymous-Mordes. So scheint Blackthorn (gespielt von Wilson Gonzalez Ochsenknecht), der als Fahrer und Komplize mit vor Ort ist, in „Lord Of Chaos“ nicht zu wissen, weshalb er und Varg nach Oslo fahren. Dass der reale Blackthorn von dem geplanten Mord wusste, steht aber wohl fest.
Der Film ist nicht als Doku zu verstehen
Die Art und Weise, wie man „Lords Of Chaos“ schaut und wahrnimmt, hängt stark davon ab, wie genau man mit der Geschichte vertraut ist. Der unbedarfte Zuschauer wird sich sicher weniger mit Fragen zur Authentizität quälen und auch mehr Überraschungsmomente haben. Genießen kann man den Film aber auch, wenn man das Ende schon kennt. Man weiß zwar genau, was passieren wird, ist aber trotzdem gespannt auf die Umsetzung. Die ist insofern authentisch, dass sie viele kleine Details beinhaltet, die so auch überliefert sind.
So fertigt Euronymous nach Deads Selbstmord Halsketten aus dessen Schädelfragmenten an, von denen eines erst kürzlich zum Verkauf stand. Er macht auch die Fotos, von denen eines später ein Bootleg-Cover werden wird. Im Keller des Plattenladens Helvete befindet sich ein „Black Metal“-Graffiti, das es auch im tatsächlichen Helvete-Keller gab. Auch das Corpsepaint, dass Dead und Euronymous auf einer Party zusammen auflegen, ist einem Originalfoto nachempfunden, das im Film schließlich nachgestellt wird.
Eines lässt sich jedoch nicht vermeiden. Um die Ereignisse darstellen zu können, muss zwangsläufig eine „Wahrheit“ ausgewählt werden. Hat man das Buch „Lords Of Chaos“ und die Interviews darin gelesen, kommt man zu dem Schluss, dass der Film sich jeweils die wahrscheinlichste Variante rausgepickt hat. Sicher keine schlechte Herangehensweise. Letztendlich sollte man auch nicht aus den Augen verlieren, dass es sich eben nicht um eine Doku, sondern einen Spielfilm handelt.
Insgesamt empfehlenswert
„Lords Of Chaos“ überzeugt also bei der ästhetischen Umsetzung. Auch bei der Musik kann der Film punkten. Was allerdings ein wenig gezwungen wirkt, ist die „Quotenfrau“ Ann-Marit (gespielt von Sky Ferreira), die als Anhängsel der Gruppe und später als Freundin von Euronymous eigentlich nicht wirklich einen Zweck erfüllt, außer den Jungs zu gefallen und sich auch mal nackig zu machen. Auch der zeitliche Ablauf wird nicht wirklich deutlich. So könnte es einem so vorkommen, als decke der Film etwa ein Jahr ab und nicht die eigentliche Dauer von rund fünf Jahren. Einmal MAYHEM im Schnelldurchlauf hatten wir eigentlich nicht bestellt.
Mit nicht ganz unbekannten Schauspielern, die ihr Werk wirklich gut verstehen, sind die Charaktere dafür gut besetzt. Einzig bei Varg kommen einem möglicherweise ein paar Zweifel. Das liegt allerdings nicht an der schauspielerischen Leistung von Emory Cohen, sondern allein an der Optik. Wenn man sich ein Bild des jungen Varg ins Gedächtnis ruft, ist es meist das berühmte Foto mit dem verschmitzten Lächeln, das im Gerichtssaal aufgenommen wurde. Irgendwie kommen das Gesicht im Film und das Konzept „Varg“ nicht so recht zusammen, aber das kann auch Ansichtssache sein. Insgesamt ist „Lords Of Chaos“ jedenfalls – mit kleineren Abstrichen – so unterhaltsam geworden, wie ein Film über eine so düstere Thematik eben werden kann.
Wertung: 8/10.
Disclaimer: Einiges wurde aus dem Gedächtnis wiedergegeben, es können sich also Ungenauigkeiten eingeschlichen haben.
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Stile | Black Metal |
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Ich bin jedenfalls gespannt, wie der Film letztendlich ist. Fenris hat ihn im Vorfeld ja als „die dümmste Idee seit ungeschnittenem Brot“ bezeichnet.
Das Buch ist natürlich Sondermüll vom feinsten und wird seinem Kultstatus in keinster Weise gerecht. Die einzig relevanten Kapitel sind die, die wirklich Deads Selbstmord, die Brandstiftungen und den Mord an Euronymous thematisieren. Diese ganze Knast-Schwadronierung über Blut und Boden von Varg danach, die Spackos von Absurd und diesen unfassbaren Mist über Reichsscheiben und Nazi-UFOs kann man sich getrost schenken.
Dayal Patterson hat mit seinen Cult Never Dies Büchern weitaus bessere Standardwerke zum Thema Black Metal geschaffen, als es Lords of Chaos jemals war.
Als Kind fand ich dieses ganze BM-Drumherum ja mal echt cool, so wie Marvel Superhelden, aber mittlerweile kann ich da an guten Tagen höchstens drüber schmunzeln..
Die BlackMetal Szene der frühen/mitte 90er war sehr darauf bedacht, im nahezu Verborgenen oder aber lediglich in Kennerkreisen zu wirken. Extreme Musik, extremes Handeln, gepflegtes Schattendasien. Fans von damals als auch heute verschlingen jede noch so karge Info über Bands, Personen, Handlungen, alles hat oder bekommt Bedeutung. Etliche Dokus kursieren durch die Medienlandschaft die sich dieser Epoche annehmen.
Der Film nun will keine Doku sein, er will Spielfilm basiert auf Fakten sein, und nur Szenekenner werden uU erfahren, welcher Teil exakt wiedergegeben wird, und welcher nicht. Das dient mMn niemandem. Im Gegenteil, es verschleiert Tatsächliches und schafft neue Räume, die sich mit Mutmassungen füllen.
Will man das, also Fakten verbiegen und/oder durch neue ersetzen, ist der Film eine gute Idee. Will man jedoch Ereignisse getreu der tatsächlich geschehenen wiedergeben, ist es eine Totgeburt.
Will sagen: Fans werden sich ärgern, Nicht-Fans werden sich fragen, was der Film soll. Letztere sehe ich jedoch nicht im Zuschauerraum, warum auch?
Komische Idee das.
Da interpretieren alle IMO zu viel hinein. Das waren einfach ’n paar kaputte Kids, die ihrer bedeutungslosen Existenz durch elitäres Gehabe Bedeutung verleihen wollten und dazu musikalisch noch untalentiert waren. Das hat dann halt ’ne Eigendynamik bekommen. Black Metal wurde erst später eine ernstzunehmende Musikform.
Naja, die Zivilisation ist ja auch aus stinkendem Urschlamm entstanden. Das ist wohl der Lauf aller Dinge..