Lordi
Wir sind Finnland! - Alles zum Grandprix Erfolg der finnischen Hard Rocker
Special
Lordi war bislang eine Band, die zwar dank umfangreicher Labelpromotion jeder irgendwie kannte, aber von vielen nur sehr skeptisch aufgenommen wurde. Mr. Lordi himself, seines Amtes Führer des finnischen Kiss-Fanclubs, gründete die Band vor 15 Jahren und suchte die ersten beiden Drittel dieser Zeit vergeblich nach irgendeinem Label, bis er schließlich sein Glück bei Drakkar/BMG fand. Fünf Jahre später sollte ihn das finnische Eurovisionskomitee während den Arbeiten am aktuellen Rundling „The Arockalypse“ kontaktieren und ihn zu einer Teilnahme am finnischen Vorausscheid animieren. Und nachdem die Kiss-verliebte Truppe mit dem gut gelaunten 80er Jahre Rocker „Hard Rock Hallelujah“ souverän gewonnen haben, steht eines fest: Es wäre schade wenn jetzt nicht immer noch ein großer Teil der Metal-Bevölkerung den nicht ganz ernst gemeinten Hard-Rock-Finnen skeptisch gegenüber stehen würde.
Denn hier geht es weder um eine Glorifizierung der Band, noch versuchen wir anmaßend einen objektiven Bericht über die neue Gesellschaftstauglichkeit von Rockmusik zu schreiben. Stattdessen tun wir das, was wir Metalfans sowieso schon immer am liebsten getan haben: Wir halten fest und amüsieren uns über Medien, die ihrerseits anmaßend versuchen etwas objektives über Lordi zu schreiben.
Oder aber versuchen bewusst unobjektiv zu bleiben – womit wir bei der Bild-Zeitung wären.
Wo anfänglich Berichte vor dem Grandprix noch verhältnisgemäß neutral wirkten („Legendär sind seine Bühnenshows, bei denen er das Publikum mit Feuer-Fontänen, lärmenden Gitarrensounds und einer blutspritzenden Kettensäge schockt“), ging die Zeitung nur kurze Zeit später mit Überschriften wie „Er ist wirklich so fies wie er aussieht“ und dementsprechenden Artikeln in den direkten Krieg für den Konservativismus – viele lokale Zeitungen und Boulevardmagazine im Fernsehen zogen nach. Diverse griechischen Gruppierungen erkannten ihre Chance und versuchten mit aller Macht der finnischen Truppe, aufgrund dem Musikvideo von „Hard Rock Hallelujah“, wo ein rockliebendes Mädel ansehen muss wie eine Cheerleadergruppe schreiend zusammenbricht, als Zombies wieder aufersteht, und erstere mit ihnen die Schule unsicher macht, Satanismusverherrlichung anzudichten (viele Musikportale entkräftigten diesen Vorwurf später amüsiert mit dem „Get Heavy“ Song „Devil Is A Loser“). Zugegeben war das auch die perfekte Publicity: Die Einschaltquoten des Grandprix’s waren weitaus höher als in den letzten Jahren.
Fans kümmerte dies allerdings wenig: Nachdem Lordi schon den finnischen Vorentscheid souverän gewonnen haben (wobei sie wie die beiden Konkurrenten mit zwei Liedern angetreten sind: Neben „Hard Rock Hallelujah“ noch mit „Bringing Back The Balls To The Rock“) und zahlreiche Musiker wie Tuomas Holopainen von Nightwish lebhaft daran beteiligt waren (Holopainen: „Ich habe bestimmt fünfmal für Lordi gestimmt!“ – laut.de), reichte es auch im Halbfinale des Grandprixs zu einem klaren Sieg vor der Konkurrenz. Allerdings nicht mehr so verschlossen wie noch im Vorentscheid, sondern unter dem Einfluss von Metal Fans in ganz Europa.
So kümmerte sich nämlich auch in Deutschland eine erfahrene Promotion Agentur um das Organisieren der zahlreichen Grandprix Partys, die am Donnerstag vor dem Contest, Lordi ins Finale katapultieren (und nebenbei mit Disko und Lordi-Gewinnen ne Menge gute Laune verbreiten) wollten. Beides sehr erfolgreich, wie uns Gerd Drenkow, der die Party in Saarlouis leitete, versicherte. Zwar waren nur um die 20 Fans gekommen (verständlich, wenn man bedenkt dass der Termin an einem Werktag war), doch „jeder Gast etwa 2 mal für Lordi gevotet hatte, manche wie zb. unser Geschäftsführer auch 3-4 mal“. Fazit: „Also locker 40-50 SMS.“
Am Tag des Grandprix’s dann die Überraschung, die eigentlich keine hätte werden sollen: Unter vielen zweitklassigen Songs und nur wenig Überraschungen, wie dem lustigen Stadionrocker „We are the Winners“ von LT United (der bei den Kollegen Imperium und Thomas allerdings wenig euphorisch angenommen wurde) oder einem Acapella-Auftritts aus Lettland, setzte sich Lordi unter den Augen verdutzter Moderatoren schnell auf die Pole Position, die sie im kommenden Verlauf auch nicht mehr verlassen sollten. Allein aus Monaco und Armenien gab es keine Punkte für die Finnen, die Deutschen gaben immerhin 10, was eigentlich auch das optimalste Ergebnis war, wenn man bedenkt dass das (diesmal eher durchwachsene) türkische Lied die 12 Punkte bekam, wie es schon seit Jahren der Fall ist. Nichtsdestotrotz: Für einen Augenblick dachten wir bei der Siegerdarbietung Lordis, die Band würde provokativ in die Blumen beißen, oder die Fotografen im Fotograben einen Moshpulk veranstalten. Kurz: Seit dem legendären „Alive in Athen“ von Iced Earth hatten wir die griechische Hauptstadt nicht mehr so fest unter Kontrolle.
Die mediale Ausschlachtung die im folgenden über Rock, Finnland und Lordi hereinbrach, wurde von Spiegelautor Markus Becker schließlich in einem überraschend aufgeklärten Bericht am besten charakterisiert: „Die größte Überraschung des Abends aber war, dass auch volle 30 Jahre nach den ersten Auftritten von Kiss und Alice Cooper eine Rockband eine solche Entrüstung auslösen kann, nur weil sie in Grusel-Kostümen auftritt […].“ Andere Magazine traten dann auch genau in jenes Fettnäpfchen hinein, sprachen wie der Focus von einem „Horrorszenario“ oder wie die Bildzeitung von „fünf Ekel-Rockern“ die mit ihrem „waschechten Metal-Hammer abräumten“. Jenes Blatt mit der größten Auflage Deutschlands hatte sich nach dem Sieg sowieso schnell an den heiligen Krieg gegen Lordi gewöhnt und kritisierte die Band bei jeder erdenklichen Gelegenheit, und häufig auch wider jedem Wahrheitsgehalt. So wurde aus der Aussage Lordis „Wir haben doch schon längst gewonnen! Soviel Aufmerksamkeit hat eine finnische Gruppe beim Contest noch nie bekommen“, deutlich sinnentfremdend: „‚Wir können ja nur gewinnen‘, meinte Sänger Lordi selbstbewußt vor der Show – und er behielt recht“, und nur Zeilen später unwahr behauptet, das Musikvideo wäre in Griechenland verboten worden. Jene Zeitung waren auch die erste, die Lordi auf frühen Fotos ohne Maske darstellten, und unter Lordi-Fans dabei eine Welle der Entrüstung provozierten. Sei’s drum, um der Zeitung endgültig jede Glaubwürdigkeit zu nehmen, hieß es nur wenige Tage später in einem kooperativen Werbebericht für das Earthshaker Festival: „Jetzt rockt Deutschland! Nach dem sensationellen Sieg der Grusel-Monster-Band Lordi beim Eurovision Song Contest kennt fast jeder in Europa ihren Song „Hard Rock Halleluja“. Im Juli kommt Lordi nach Deutschland.“ Der Link zum Ticketkauf war einige Absätze tiefer zu finden.
Und während Finnland Lordi (in allerhöchsten Ehren) feiert, feiert der Rest Europas Finnland. Denn ob man in der Band nun einen lächerlichen Abklatsch oder eine funktionierende Gute-Laune Truppe sieht: Die Idee Lordi zum diesjährigen Grand Prix zu schicken, war wohl eine der sympathischsten Aktionen, die das skandinavische Land in den letzten Jahren durchgezogen hat. Das erzielte Ergebnis war unter diesem Gesichtspunkt nur fair und recht. Und was Lordi selber angehen: Das undankbarste was wir tun könnten, wäre sie ausgerechnet jetzt ernst zu nehmen.
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