Liturgy
"The Ark Work" auf dem Seziertisch

Special

Liturgy

Sternstunden und Tiefpunkte von „The Ark Work“

„Fanfare“ heißt das erste Biest von „The Ark Work“. Das Motto lautet: Und bist du nicht willig, gebrauch‘ ich Gewalt. Und wenn die Herren von LITURGY Fanfaren sagen, dann meinen sie auch Fanfaren. Im Stile der Achtzigerjahre Hörspiel-Hochzeit penetrieren LITURGY den Hörer über 2:21 mit einer aufdringlichen, einem Midi-Keyboard entsprungenen Melodie, die einerseits nervt und andererseits nie mehr aus des Hörers Kopf verschwindet. NIE mehr!

Hier muss man sich schon die Frage stellen, ob das eine Persiflage auf heroische Black-Metal-Intros oder ein erster Versuch der Hypnose darstellen soll. Für zweites braucht man – Blitzhypnose ausgenommen – entsprechend des in Deutschland gültigen Rechts, eine schriftliche Einwilligung des mündigen Patienten. Zum Schluss hin überschlagen sich die Instrumente, ein bisschen wie beim Intro von „The Simpsons“, wenn Lisa den Musikunterricht verlässt und alle etwas aus dem Takt geraten.

An alle Morsefreunde: 1x lang, 3x kurz, 4x kurz, 3x kurz – das heißt sicherlich „Gott ist doof“, oder? Over and out. Amen.

Bei „Kel Valhaal“ zeigt die Fanfaren-Folter schon Wirkung und bisschen wie beim Baustellen-Lärm, hat man sich daran gewöhnt. Etwas schräg sind die ständigen Stopps und das Gestotterere, merkwürdige Stilmittel, die LITURGY einbauen. Nach knappen drei Minuten platzt der Knoten, was nicht bedeutet, dass es irgendwie normal werden würde. Hunt stellt den flutenden Midi-Sounds abgehackten Sprechgesang entgegen, der im ersten Moment alles zu zerstören scheint. Nach und nach findet man aber Gefallen, an den sich gegenseitig aufreibenden Rhythmus-Fraktionen, die alle mit hochroten Gesichtern erbarmungslos gegeneinander arbeiten.

„Follow II“ und „Haelegen“ sind sowas, wie die sogenannten Schüttelphasen beim Sport, wenn der Vorturner in die Halle brüllt: „So, nun alle mal ordentlich ausschütteln“. Während sich die Farfisa durch das dünnste Nadelöhr schlängelt und sich lediglich von feinsten Triangel-Sounds flankieren lässt, hat der Hörer Gelegenheit ins Hier und Jetzt zurückzufinden. „Follow II“ bringt noch eine Prise Area 51, gepaart mit skandieren Klängen, ins Spiel. LITURGY feuern ein herzergreifendes Klangspektakel ab, das irgendwie Jazz ist, aber in erster Linie einfach nicht von dieser Welt.

„Quetzalcoatl“ ist schräg, sehr schräg. Aber auch stark, sehr stark. Der Miese-Hunt-Peter nölt sich durch das den Track, während seine Kumpanen hinten etwas Mächtiges auftürmen, dass gleichzeitig den Ball klaustrophobisch flach hält und tatsächlich nach irgendwas mit Post-Black-Metal klingt. Die künstlichen Streicher unterstreichen die Dramatik und LITURGY verpassen dem Song somit ein Finale, das einem Sci-Fi-Blockbuster würdig wäre und auch ebenso gut für die Einmarschmusik einer leuchtenden Schwanzfederschlange herhalten könnte.

In Kombination mit dreschender FALKENBACH-Melancholie, entfaltet sich der Gesang bei „Father Vorizen“ wieder ganz gut. Die Verschmelzung von unterschiedlichen Genres ist hier mehr als gelungen. Sicher hat dieser Moment noch am ehesten das Prädikat „irgendwas mit Metal“ verdient und dient, besonders im Vergleich zur Achterbahn vorher, zur Entspannung. Betrachtet man sich den Text dazu, dann machen LITURGY hier alles richtig und vertonen ihre Botschaft absolut schlüssig, wenn auch ungewöhnlich.

Spätestens bei „Reign Away“ ist der Moment gekommen, an dem man ernsthaft in Betracht ziehen muss, einen Gehirntumor zu haben. Irgendetwas drückt vehement auf den Nervus cochlearis (acusticus), die Töne werden garantiert nicht in richtiger Reihenfolge in Richtung Gehirn transportiert. IGORRR kommt einem am ehesten noch in den Sinn, spätestens dann, wenn sich das wilde Beat-Geblaste beruhigt hat und eine trügerische Ruhe – auch Rhythmus genannt – einkehrt. Ganz ehrlich, wer dieses Lied mit den Glöckchen, der mit Absicht aufgepumpten Epik, dem schiefen (Stotter-)Gesang (Julian Casablancas, wir wissen, dass du das bist…) versteht, der versteht LITURGY. Und plötzlich ergibt das Gefasel von wegen Transcendental Black Metal erschreckenderweise Sinn. Der altbekannte Fanfarensound taucht hier auf und mittlerweile bin ich mir sicher, dass der Hörer bewusst auf diese Tonfolge konditioniert werden soll. Wenn die Ufos tatsächlich mal landen sollten, achtet auf diesen Sound… folgt ihm!

„Vitriol“ ist nicht weniger, als ein richtig starkes Mashup. DAVID GUETTA und Kollegas können den Plattenkoffer einpacken und die Disse mit eingezogenem Schwanz verlassen, wenn bei „Vitriol“ die Bässe auf voller Lautstärke aus der Anlage droppen, dass es nur so eine Freude ist. Es ist LITURGY ebenfalls hoch anzurechnen, ein eigenes Lied so zu überfrachten, die einzelnen Elemente so quer mit Gewalt zusammenzudrücken, dass sie sich anhören wie ein waschechter mies bei Anderen gemopster Bastard. Mindestens an diesem Punkt, sind LITURGY von Black Metal so weit entfernt, wie AfD und NPD von Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes.

Was denn nun? „The Ark Work“ von LITURGY hören oder besser nicht?

LITURGY selbst sagen: „Wir sind wirklich gewillt, es zu erdulden, dafür gehasst zu werden, was sich ästhetisch richtig anfühlt.“ Eine gute Freundin konstatierte vor einigen Jahren, begleitet von einem tiefen sich selbst bemitleidenden Seufzer, zu später Stunde: „Ich würde so gerne Jazz hören, aber es gefällt mir einfach nicht“. Lange Rede, kurzer Sinn – quält euch nicht durch, wenn es euch nicht gefällt. Hört euch „The Ark Work“ aber unbedingt an, wenn ihr euch selbst gerne fordert und für fortschrittliche Musik interessiert, die komplett anders ist als alles, was ihr kennt. Dann aber komplett, am Stück und mit wirklich offenen Ohren und dem aufrichtigen Wunsch zu erfahren, was der Künstler uns wohl damit sagen möchte. Testet dann auch die vorherigen Alben der Amis an, die zwar nicht ganz so schräg, aber nicht weniger interessant sind.

Weder LITURGY noch metal.de übernehmen allerdings Haftung für etwaige Schäden, die beim Genuss von „The Ark Work“ im Speziellen und LITURGY generell entstehen.

Für Fanfaren-Fans und solche, die es werden wollen

Im folgenden Konzertmitschnitt von 2015 spielen LITURGY in der St. Vitus Bar in New York. Eine gute Gelegenheit, um sich selbst ein aktuelles Bild zu machen.

Wer sich am sehr speziellen Gesang von „The Ark Work“ stört, die Truppe aber zumindest musikalisch interessant findet, der sollte sich diese 2011-er Instrumental-Session, zur Veröffentlichung von „Aesthethica“, gönnen.

„Veins Of God“

„Generation“

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29.02.2016

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9 Kommentare zu Liturgy - "The Ark Work" auf dem Seziertisch

  1. membran sagt:

    Ausführliches Review für ein großes Stück Musik.
    Danke – gut gemacht!

  2. metal-fan sagt:

    Da kann man so viel rum schwadronieren wie man will, Black Metal ist das sicher nicht. Das sagt natürlich noch nichts über die Qualität der Musik aus aber es ist sehr albern wie immer versucht wird dieses Gerne hinein zu interpretieren. Mir ist es ein Rätsel warum die Band das überhaupt so propagiert, eigentlich sollten ihnen Genre-Schubladen egal sein. Um den Coolness-Faktor der Musik zu erhöhen oder um bewusst anzuecken? So wirkt die Band auf mich eher albern und braucht sich nicht darüber wundern mit Hipster-Vorwürfen auseinandersetzen zu müssen.
    Und nein, ich bin kein elitärer Black Metal-Fan, ich mag auch Sachen wie z.B. WITTR, Panopticon usw. die sicher auch keinen Preis in Sachen Trveness gewinnen.

    1. Yuggoth sagt:

      Das Problem Ist, der falsche Anspruch immer alles weiterentwickeln zu wollen. Sicher, Entwicklung ist an den richtigen Stellen gut. Aber an manchen Stellen kommt nur Mist raus und man sollte es beim alten lassen. Ich habe bei lithurgy und auch Bands wie Ghost Bath zuerst mehr gehört als eigentlich drin ist. Man bekommt auch das Gefühl, das sich solche Bands nur gründen, weil Leute aus dem Linken (?) Milieu sich von dem elitären Image angegriffen fühlen. Ich gebe zu, das ich nur Bands dieser Kategorie höre, aber nicht um mich als Mensch mit dem trven Image zu versehen (Da scheiß ich drauf!), sondern weil Black Metal ästhetisch nur Sinn ergibt wenn er roh, finster, eingängig, aggressiv und schroff klingt mit dem gewissen Händchen für das Songwriting. Man denke da an Mortifera aus Frankreich. Das sogenannte hypno Ding ergibt als Abgrenzung auch keine Sinn, da ja BM generell schon hypnotisch klingt: Burzum, besagte Mortifera, Strid, Sortsind usw.. Diese ganze gaze und post Sache und slowcore Dinge mögen einzeln cool sein. Ich mag auch Bands, wie Low, Codeine oder Cowboy Junkies. Aber im bm sind besagte Elemente fehl am Platz. Manche Richtungen sollte man einfach nicht miteinander vermischen, da Abgrenzungen logisch und ästhetisch Sinn ergeben.

    2. Yuggoth sagt:

      Fazit: beim Black Metal bin ich nicht der Meinung, das es sinnvoll Ist, mit der Herangehensweise Das Rad neu erfinden zu wollen, ran gehen zu gehen.

  3. Buddy sagt:

    Also rein zufällig hab ich die Band im Februar schon für mich entdeckt gehabt. Ihre alten Sachen sind definitiv mehr Black Metal orientiert, das stimmt schon, bedeutet aber auch, dass die Band sicher noch einen Rest Black Metal beinhaltet, vielleicht mehr als der Teaser es erahnen lässt. Da ich selber auch ein Fan von experimentiellen / extremen Metal bin, kam ich nicht umhin mal reinzuhören. Ich selbst würde es jetzt nicht auf den „Rockolymp“ erheben, da selbst mir die Songs teilweise echt gut zum Kauen und Verdauen gelassen haben, denke mal aber so auf Anhieb hätte die Scheibe 7 von 10 Punkten von mir gekriegt.

  4. Arndt sagt:

    Ich finde Buddy sollte hier in Zukunft Reviews schreiben.

  5. Buddy sagt:

    @ Arndt, danke das ist zu viel der Güte 🙂
    Ich glaube als Autor auf einer solchen Seite reicht es nicht einen fünf- im Bestfall Sechszeiler zu schreiben, ich habe also auch Heidenrespekt davor wenn hier jemand ein 3 seitiges Special schreibt. Als ich das gestern schrieb, hab ich außerdem auch noch nicht mal angefangen gehabt zu lesen. Man hätte hier sicher noch auf zwei Seiten runterkürzen können, aber die dritte Seite war schon gut zu lesen, gerade weil jeder einzelne Song genauer unter die Lupe genommen wurde, allerdings hab ich jetzt nicht auf die Lyrics großartig geachtet, dass hier und da Sprechgesang aufkommt und dieses Experiment – wie bereits erwähnt – auch erstmal im Großhirn ankommen muss.
    Wenn es irgendwann noch mal einen Slot zum Bewerben gibt, könnte ich es mal versuchen, weiß aber nicht wie groß hier der Bedarf ist, da ja jeder des Teams schon einen festen Bereich bearbeitet.

  6. Anton Kostudis sagt:

    @Buddy: Gute Leute werden immer gebraucht. Melde dich doch mal beim Kollegen Möller (stephan.moeller@metal.de). Dann könnt ihr alle Eventualitäten erörtern. 🙂

  7. Yuggoth sagt:

    Ich halte nicht viel von ‚Kunst‘