Lingua Mortis Orchestra
Listening-Session zum Debütalbum des neuen RAGE-Orchester-Projekts
Special
Eine kleine Verschnaufpause kommt da durchaus gelegen. „Lament“ gibt sich als Ballade wesentlich zugänglicher als der Rest des Songmaterials und dürfte als Single-Auskopplung prädestiniert sein. Peavy singt samtweich, die weibliche Gesangsstimme wirkt vielleicht schon eine Spur zu poppig. Nichtsdestotrotz verleiht die Orchester-Unterstützung der bewusst simpel gehaltenen Nummer angenehm viel Tiefgang. Für ganz große Emotionen sorgt gegen Ende der extrem eindringliche zweistimmige Gesang und auch Victors Gitarrensolo erinnert eher an AOR und Stadion-Rock als an frickelige Prog-Eskapaden.
Das kurze Instrumentalstück „Oremus“ bereitet den Zuhörer sanft darauf vor, dass es gleich wieder richtig zur Sache gehen wird. Das Gitarrensolo zu Beginn wird zu Victors David-Gilmour-Moment und erinnert an die Spätphase von PINK FLOYD, das Song-Fundament bilden hingegen sphärische Synthie-Teppiche.
Wie perfekt Band und Orchester harmonieren zeigt sich auch im Aufbau von „Witches‘ Judge“, wo Bass, Gitarre und Schlagzeug einen geradezu klassischen RAGE-Groove als Unterbau legen, während Melodieführung und Spannungsaufbau der verschachtelten Nummer beinahe vollständig dem Orchester obliegen. Dabei übersieht man allzu leicht das brilliante Riffing, das dem gleichermaßen druckvollen wie melodisch eingängigen Stück zugrundeliegt. „Das sind lauter verminderte Akkorde,“ zeigt sich Peavy von der Komposition seines Gitarristen, der ohnehin für einen Großteil des Materials verantwortlich zeichnete, begeistert. „Das ist so ein geile, eingängige Hookline, aber so ungehörig – ich hab noch nie so ein Riff gehört! Das ist irgendwie einfach begnadet.“
Seinen Höhepunkt erreicht der albumübergreifende Spannungsbogen aber erst im Folgestück „Eye For An Eye“. Nirgendwo kommt „LMO“ einem Film-Soundtrack so nahe wie im Intro des auf einem treibenden Groove basierenden Stücks. Die fantastische Refrain-Melodie sorgt auf subtiles Weise für Gänsehaut-Feeling, brennt sich dabei ins Gehör ein und verleitet unweigerlich zum Mitsingen. „Das Stück ist wirklich wie so ein kleines Musical, nicht?“ freut sich auch Peavy. Nach einem ruhigen Bridge-Part als Verschnaufpause leitet die Bombast-Nummer in ein fulminantes Song-Finale über, bei dem Band und Orchester noch einmal ihre Klasse demonstrieren, bevor Orgelklänge in den letzten Song überleiten.
„Afterglow“ ist – nomen est omen – eine Art Coda, die durch den Einsatz wabernder Synthie-Samples einen klaren Bezug zur Gegenwart herstellt. Spannend ist aber vor allem auch die geisterhafte Clean-Gitarre, die im Intro sehr akzentuiert zum Einsatz gebracht wird. Das Stück sorgt für einen ruhigen, nachdenklichen Ausklang, hat seine poppigen Momente und überzeugt mit Gänsehaut-Melodien und einer herrlich unprätentiösen Gitarren-Arbeit im Solo-Part. Das finale Riffing erinnert dabei einmal mehr völlig unverkennbar daran, dass wir im Grunde eben auch ein RAGE-Album vor uns haben. Im Outro werden dann noch einmal die Didgeridoo-Klänge vom Anfang der Scheibe aufgegriffen. Der Kreis schließt sich also und man möchte spontan nach der „Repeat“-Taste suchen, um diese brilliante Orchester-Metal-Scheibe noch einmal in ihrer vollen Pracht genießen zu können.
Als Bonus-Songs für die Special-Editions von „LMO“ hat das LINGUA MORTIS ORCHESTRA zwei Klassiker von RAGEs „Welcome To The Other Side“-Album mit Orchesterunterstützung neu aufgenommen. Und obwohl „Straight To Hell“ und „One More Time“ zweifellos großartige Songs sind, fällt hierbei doch deutlich auf, dass die Orchesterparts sich nicht so harmonisch einfügen, sondern etwas aufgesetzt wirken. Zwei interessante Neuinterpretationen also, über die sich die treuen Fans freuen werden, aber eben nicht so unverzichtbar wie die originären LMO-Stücke.
Alles in allem sind RAGE auch in ihrer neuen Inkarnation als LINGUA MORTIS ORCHESTRA ihrem Ruf als Vorreiter der Metal-meets-Orchester-Bewegung hundertprozentig gerecht geworden. Wo man gerade noch dachte, in diesem Bereich wäre bereits alles gesagt, liefern sie einen wahren Augenöffner ab, der das Zeug zur neuen Referenz im Symphonic-Metal-Bereich hat und an der sich zukünftige Werke vergleichbarer Bandkonzepte nun messen lassen müssen.
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Stile | Symphonic Metal |
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