Lay Siege
"hopeisnowhere" unter die Lupe genommen
Special
Clowns, BBC und Versicherungen für Fahrräder
LAY SIEGE mögen kalte und ernste Musik spielen, aber die Fahne des Humors halten die Engländer tapfer hoch. Gitarrist Jamie beschreibt uns seinen Bandkollegen Dave als Clown und preiswerte Version von Ricky Wilson (KAISER CHIEFS). Schlagzeuger Lewis würde sich selbst sehr ernst nehmen – hört man – und beschreibt sich deshalb als die Metal-Version des britischen TV-Star Richard Osman von BBC. Der Einzige, der bei LAY SIEGE die optischen Voraussetzungen einer Metal-Band erfüllt, sei Sänger Carl. Der verkauft allerdings tagsüber Fahrradversicherung und dies macht in den Augen seiner Bandmitglieder leider zum unsympathischsten Part der Band. Tja, irgendwas ist immer.
Irgendwie fand das Quartett dann doch zusammen, denn sie steuerten alle auf das gleiche Ziel zu. Alle fühlten sich ihren kleinen, lokalen Bands entwachsen und träumten von harter Musik, die weitab von Klischees agiert und umgeben ist von einer dunklen Atmosphäre. Wer „hopeisnowhere“ gehört hat, wird beides als gelungen bestätigen. Wenn alle Bandmitglieder auf dem gleichen Kurs sind, lässt sich natürlich auch vieles gemeinschaftlich entscheiden, die Frage nach dem Cover-Optik zum Beispiel: Das Albumcover wurde von Tom Carlton gestaltet, der sich auch für die Videos und Band-Promos verantwortlich zeichnet. „Es hat nicht wirklich eine Bedeutung, es ist eher eine Stimmung, die es einfängt. Diese auffällige und sofort ins Auge springende Hand, die aus einer schmierigen Flüssigkeit auftaucht, so etwas in der Art schwebt uns die ganze Zeit vor.“ erzählt uns Gitarrist Jamie.
„hopeisnowhere“ heißt die Platte, gibt es jetzt Hoffnung oder nicht? So for me, hope is nowhere. Enjoy your day!
Der Albumtitel kann mindestens zweifach gedeutet werden, ist aber hauptsächlich auf die stetige Kontrolle gemünzt. „Die meisten Leute merken nicht mal, dass sie ständig kontrolliert werden und fühlen sich sicher in dieser Welt.“ Jamie selbst bevorzugt definitiv die dunklere Variante: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es keine Hoffnung mehr gibt und wir uns absolut auf Kollisionskurs befinden, keine Möglichkeit mehr umzukehren. Ich will hier nicht die Apokalypse ausrufen oder so, aber es ist schlicht unmöglich wieder die Kontrolle über die Mächtigen zu gewinnen. Auch die Weltbevölkerung ist außer Kontrolle geraten, und daraus resultieren wiederum eine ganze Reihe weiterer unlösbarer Probleme. Also meiner Meinung nach gibt es keine Hoffnung mehr. Genieße deinen Tag!“ Offene Worte von LAY SIEGE, die man leider eigentlich genauso stehen lassen kann.
Die Kraft der Musik
„Hollow Hands“ ist der erste Videoclip und um die Weltuntergangsstimmung von „hopeisnowhere“ einzufangen, haben LAY SIEGE die perfekte Umgebung und den perfekten Darsteller gefunden. Das Video wurde nachts in der Werkshalle gedreht, in der Jamie eigentlich arbeitet. Aufgrund der Tageszeit mussten die Engländer sich möglichst leise verhalten und noch dazu darauf achten, alles abzudecken und nichts zu verschmutzen oder gar zu beschädigen. „Außerdem dazu war es verdammt kalt in der Halle. Der alte Mann im Video ist ein religiöser Mensch, der seinen Glauben in Frage stellt. Diese Zweifel traumatisieren ihn ganz offensichtlich, noch dazu hasst er dreckigen Gitarrensound und Geschreie und als Resultat verliert er letztendlich seinen Glauben.“ beschreibt Jamie die Handlung des Videos. Dass Musik eine große Macht hat, ist nichts Neues, allerdings stellt sich die Frage, für was Jamie die Musik sich zunutze macht: „Harte Musik bringt mein Gehirn in Schwung und gleichzeitig entspannt es mich auch. Mein Nachbar feierte vor kurzem bis vier Uhr morgens eine Party und letztendlich war es „Wormwood“ von THE ACACIA STRAIN, die mich in den Schlaf brachte!“ Schon von Kindesbeinen an, war er fasziniert von trauriger und dunkler Musik, gerade diese Emotionen kommen bei ihm besonders echt an. „Es ist einfach lustige Musik zu schreiben, wenn du innerlich traurig bist. Aber nur so zu tun, als ob du angepisst bist, das funktioniert nicht. Das hört man sofort und letztendlich zehre ich von der echten Qualität der Musik, die ich höre.“
„Supergroups enttäuschen meistens“
Momentan lauscht Jamie eher den eklektischen Sound, hört KENDRICK LAMAR, FLYING LOTUS und das Album „Truth Seeker“ der Band ACODA, eine Band aus der Gegend, mit der LAY SIEGE auch befreundet sind. Ganz oben rangiert aber „Juggernaut“ von PERIPHERY: „Die eingeschlagen Richtung hat mich erst verwirrt, aber jetzt verstehe ich die Geschichte und das Konzept dahinter. Für mich eine absolute 10 von 10! Es klingt unglaublich und besticht durch eine beeindruckende Tiefe. Meiner Meinung nach, haben die damit wirklich einige Grenzen des Metal gesprengt.“ Deshalb dürften PERIPHERY auch nicht fehlen, wenn sich Jamie eine Wunschband mit aktiven, inaktiven und verstorbenen Musikern zusammenstellen dürfte, wobei ihm die Antwort darauf nicht gerade leicht fällt: „Schwierige Frage, Supergroups enttäuschen ja eh meistens. Ich mag Bands mit nur einem Gitarristen, von daher wäre es schon mal eine vierköpfige Band und Steve Carpenter von DEFTONES muss auf jeden Fall dabei sein. Außerdem könnte er auch noch produzieren, das wäre ein großer Bonus. Am Schlagzeug hätte ich gerne Thomas Noonan, der früher bei 36CRAZYFISTS gespielt hat, seinen Stil mochte ich schon immer und auch live hat er mich 2006 komplett überzeugt. Am Mikro wäre Nate Carcalow von FINCH, er kann singen und schreien und klingt immer anklagend, eine gute Sache. Ja, das könnte eine ganz passable Band sein“ ist sich Jamie sicher.
„hopeisnowhere“ von LAY SIEGE spricht in erster Linie Hörer an, die Geduld haben und mit harter Kost in Form von dunklen Klängen zurechtkommen. Also nichts für diejenigen die sich eine Menge Musik auf den iPod packen und im Shuffle-Modus auf schnelle, leichte Befriedung hoffen. „Ich will nicht soweit gehen zu sagen, dass wir die nächsten TOOL seien. Aber wir haben nicht viele offensichtliche Hooks und so muss man dem Album schon einige Durchläufe gönnen, bevor manches wirklich beginnt Sinn zu ergeben.“ Einigen Hörern wird sich der Sinn wohl trotzdem nie erschließen und dazu gehört sicher die Frau mittleren Alters, die dem Sänger während eines Konzertes ins Gesicht schrie, dass alles was LAY SIEGE tun widerwärtig sei und die Band dazu noch ein Haufen rassistischer ‚faggots‘. „Seltsamer war eigentlich nur unser Auftritt um 12:30 Uhr in einem Raum vollgepackt mit Club-Gänger, zwischen zwei DJ-Sets geschoben…“ erinnert sich Jamie. Bleibt abzuwarten, wie das deutsche Publikum LAY SIEGE empfangen wird. Das deutsche Label arbeitet daran, die Band herzuschaffen und plant einige Auftritte in der nächsten Zeit.
Nachfolgend nimmt James jeden Song der aktuellen Platte „hopeisnowhere“ für euch – natürlich aus der Sicht eines Gitarristen!- auseinander:
Irebot
Diesen Song haben wir ganz gezielt für die Eröffnung des Albums geschrieben, denn wir wollten auf einem Intro aufbauen können. Der Gesang von Carl setzt erst am Ende der zweiten Strophe ein, und über dem ganzen Song schwebt eine Art dröhnendes Summen. Das alles ummantelt von einem hypnotischen 5/4, der am Ende gebrochen wird und mit 4/4-Takt ausläuft.
Glass Veil
Carl hat ständig darauf gedrängt, einen schnellen Song zu schreiben. Wir spielen nicht oft Up-Tempo-Songs, aber das Album brauchte letztendlich einen, also war es soweit. „Glass Veil“ klingt aber wohl auch am ehesten so wie unsere alten Sachen, die wir gemacht haben bevor Carl in die Band kam. Am Ende habe ich versucht diesen gewissen LAY SIEGE-Dreh hereinzubringen, mit den geradlinigen Akkorden.
Hollow Hands
Das Lied hat etwas von allem in sich, orientiert sich sehr an den Gitarren-Riffs und dem Schlagzeug. Das Tempo verändert sich häufig, verschieden Riff-Arten fließen mit ein und auch eine Auswahl unterschiedlicher Akkorde.
The Illusion of Choice
Mein Favorit, es hat Spitzen und Tiefen und ich wollte ein Post-Metal-Song auf dem Album, der sich richtig festbeißt. Ich bin stolz auf das Ende, es gibt einen klaren Part mit Akustik-Gitarre und trotzdem wird es noch richtig hart.
Souldrinker
Der letzte Song, den wir für das Album geschrieben haben. Irgendwann stagnierten unsere Ideen und so tat ich das, was immer zu helfen scheint, wenn man in einer kreativen Sackgasse ist. Ich klaute mir das, was MASTODON tun und stimmte meine oberste Gitarrensaite so tief, als ob es ein 7-Saiter wäre. Ich wollte schnelle Riffs mit interessanten Akkorden mischen und dann eine ganz einfache aber effektive Atmosphäre darüberlegen, indem ich einfach einen offenen G-Akkord spiele – denn ich liebe den Sound, wenn man einfach so richtig heftig reinhauen kann!
hopeisnowhere
Wir hatten uns bereits für den Albumtitel entschieden, als wir dieses Interlude schrieben. Ich wollte mit diesem Track die Doppelbedeutung reflektieren, also startet er erst schön und gemächlich, um dann relativ rasch in einen düsteren Ton umzuschlagen. Eigentlich habe ich meine Akustik-Gitarre an diesem Tag versehentlich mit ins Studio gebracht, denn ich schnappte mir den falschen Koffer. Unser Produzent Jonny fuhr mich netterweise nach Hause, sodass ich mir meine Ibanez holen konnte, um den Song fertigzustellen. Außerdem programmierte er die Percussion und ich glaube mich zu erinnern, dass der Samples von dem ELIJAH-Album nahm, das er ebenfalls produziert hat.
The Afflicted
Dieses Stück ist etwas mehr Metal, als das was wir sonst so schreiben. In den Strophen haben wir versucht fast komplett mechanisch zu klingen und mir gefällt der progressive Anstrich vor dem ersten Akkord ganz gut.
Normalerweise spielen wir in B-Dur, aber dieser Song wird im C# Standard gespielt. Wir haben uns mal daran versucht, etwas orthodoxere Strukturen zu verwenden. Es gibt akustische Dubs in den Strophen und wir überdecken die unterschiedlichens Sounds mit verschiedenen Riff-Arten und einem echt abgefahrenen Teil, in dem man sich komplett verlieren kann. „Black Cloud“ ist eines unserer Lieblinge.
Blue Pill
Wenn ich mich richtig erinnere, dann haben wir „Blue Pill“ in einer einzigen Jam-Session geschrieben. Ich wollte einen Song mit einer durchgehenden Konstante haben, normalerweise spiele ich lange Riffs, aber es reizte mich, einer Melodie das Ruder zu übergeben. Es klingt etwas doomig, wie eine Art ‚Untergang‘ ziemlich am Ende kurz bevor wir die Brigde wieder aufnehmen, aber es klingt superfett! Außerdem läuft der Song mit dem Sound eines Eier-Bechers aus, was Lewis absolut fertig gemacht hat – sowas ist aber schwerer, als man denkt! Ganz zum Schluß gibt es noch einen Sound-Effekt aus dem Blockbuster „Inception“.
March the Flock
Ein richtiger Headbanger! Ein Großteil von „March The Flock“ besteht eigentlich nur aus 2 Akkorden, gespielt in einem super-groovigen 6/4 Rhythmus. Es gibt einen verrückten Schlagzeug-Part, bevor es übergeht in Stop-Start-Aktion. Das Ende ist fast meine ganze eigene Interpretation eines Gitarren-Solo und ich liebe den Text, den Carl singt.
A Fictional Sound
Alles dreht sich um ein groovendes Riffs, gespielt mit einem offenen B und einer Menge Hall. Mit dem Crescendo am Ende macht es total Spaß den Song live zu spielen. Außerdem ist „A Fictional Sound“ das erste Lied, das wir gemeinsam als Band geschrieben haben. Wir dachten immer, dass das Lied ganz sicher am Anfang des Albums stehen würde, aber letztendlich hat er sich aufgrund seiner Dringlichkeit ans Ende katapultiert, sodass „hopeisnowhere“ mit einem großen Knall enden kann.