Last Christmas...I Gave You The Axe
Last Christmas...I Gave You The Axe!

Special

Last Christmas...I Gave You The Axe

Auch beinharte Metaller kommen gegen Ende eines jeden Jahres nicht umhin, von allen Seiten mit Weihnachtskommerz konfrontiert zu werden. Im Prinzip hat man sich damit zähneknirschend im Laufe der Zeit abgefunden, aber dass man schon Mitte November in der Bankfiliale seines Vertrauens von den unsäglichen WHAM! und deren Weihnachtsschmonzette “Last Christmas” niedergestreckt wird, ist dann doch zu viel des Guten. Allerdings gebe ich gerne zu Protokoll, dass dieses verstörende Erlebnis die Inspiration zu diesem Special war.

Traditionell geht das Weihnachtsgeschäft auch an der Metalszene nicht spurlos vorüber, und es wurden im Laufe der Jahre unzählige Alben veröffentlicht, die bis ans Spielzeitmaximum mit Weihnachtsliedern in rockigem oder metallischem Gewand gefüllt sind. Um alle diese Scheiben aufzulisten und zu hören, bräuchte es Wochen. Da der Dezember aber nur vier davon hat und ich mir gerne meine Zurechnungsfähigkeit erhalten möchte, findet ihr an dieser Stelle nur einen kleinen Einblick in die bunte Welt der rockigen Weihnachtsalben (Themen wie TRANS SIBERIAN ORCHESTRA sind bewusst ausgelassen worden). Unnötig zu erwähnen, dass es dabei im Metal/Rock ebenso viele Stilblüten und Rohrkrepierer wie in anderen Szenen auch gibt und manch ein Künstler sich mittlerweile fragen dürfte, warum zur Hölle er genau dieses Material damals aufgenommen hat. Auf der anderen Seite fallen aber einige wirklich gelungene Interpretationen weihnachtlichen Liedguts auf. Dazu aber später mehr. In diesem Sinne: Last Christmas…I Gave You The Axe!


Tauchen wir in diese, dem Metaller eher fremde Welt mit einem aktuellen Release ein, den man ohne Übertreibung als kontrovers bezeichnen kann. BAD RELIGION haben mit “Christmas Songs” zweifellos den entscheidenden Schritt in die falsche Richtung gemacht und sich vollends dem Kommerz und Kitsch ergeben. Punk as Punk can be, sozusagen. Die “Christmas Songs” sind dem Spirit von Alben wie “Suffer” oder “Generator” so fern, wie Angela Merkel davon, Wahlversprechen zu halten. Musikalisch haben die Amerikaner den Stücken ihren allseits bekannten und beliebten Stempel aufgedrückt, was natürlich löblich ist, aber eine weitere Schwäche der Platte offenbart: Trotz des soundtechnisch ähnlichen Gewands können Nummern wie “White Christmas” oder “Little Drummer Boy” in den dargebotenen Versionen qualitativ nicht annähernd mit dem eigenen Material mithalten. Katherine K. Davies hat damals beim Komponieren des Titels offensichtlich nicht an Punk Rock gedacht. Nachlässig, aber nicht zu ändern. Dass das Album in unter zwanzig Minuten über die Ziellinie geht, rechne ich ihm hingegen sehr hoch an. Irgendwie sind die “Christmas Songs” wie schlechter Sex. Ein Ärgernis, das sich aber zum Glück nicht wiederholen muss.

Selbst Sir CHRISTOPHER LEE, der auf seine alten Tage noch zur wahren Lehre gefunden und zwei Metalalben veröffentlicht hat, gibt sich die Blöße einer metallischen Weihnachtssingle. Wobei sich die Frage nach dem Warum aufdrängt. Hat der Mann denn aus der Misere mit den christlichen Symbolen nichts gelernt? Anyway. “A Heavy Metal Christmas” ist vom musikalischen Unterbau zwar eindeutig Metal, kann aber keinen Hobbit hinter dem Herd hervorlocken. Auch wenn Herr Lee keinen Kollateralschaden erleidet, tönt “A Heavy Metal Christmas” eher befremdlich. So als würde der Graf aus Siebenbürgen Van Helsing mit ‘ner goldenen Knarre um den Tannebaum scheuchen. Musikalisch ähnlich könnte es klingen, wenn HEINO bei JUDAS PRIEST einsteigt und man zusammen “The Last Unicorn” covert: Zutiefst unsinnig, aber irgendwie faszinierend.

Apropos JUDAS PRIEST. Deren Frontmann Rob HALFORD hat 2009 ebenfalls ein schweres Geschütz auf die Metalwelt losgelassen und dabei nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Wenn es Anfang der Neunziger nicht Sachen wie TWO oder FIGHT gegeben hätte, wäre der Mann sicherlich ein aktiver Teil eines Exorzismus geworden. Abertausende Metalheads hätten in ihrer Pein geschrien, wäre “Winter Songs” ohne einschlägige Werbu,…äh…Warnung veröffentlicht worden. Eine Handvoll eigener Songs, sowie die Neuinterpretationen diverser bekannter englischer Weihnachtslieder machen halt noch keinen ausgewiesenen Experten in Sachen Weihnachtsmucke aus einem, nicht einmal wenn man gemeinhin als Oberpriester unterwegs ist. Mit Metal hat die Chose dann auch recht wenig zu tun, eher mit gefälligem Rock. Der wiederum bringt jeden Schneemann zum Schmelzen. Allerdings nicht, weil hier viel heißes “British Steel” im Spiel ist, sondern aufgrund des hohen Fremdschämfaktors.


Der ist ebenfalls ziemlich hoch, wenn sich eine der eigenen Lieblingsbands auf derart dünnem Eis tanzt. Die Liveinterpretation ihres ohnehin schon nicht glorreichen “A Twisted Christmas”-Albums werden zwar von einigen Klassikern aufgewertet, doch die können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch TWISTED SISTER an der Herkulesaufgabe Weihnachtsalbum kläglich scheitern. Dee Snider kommt als manischer Santa Claus durchaus cool rüber, aber mit Metal hat das Ganze auch nicht so viel gemein. TWISTED SISTER bringen es mit ihrer “A Twisted Christmas”-DVD unfreiwillig auf den Punkt: Wenn es um die Ankunft des Heiland geht, ist jedwede metallische Integrität wie weggeblasen, und jeder sieht zu, dass er möglichst viele Taler aufs eigene Bankkonto lotst. In dem Kontext wirkt ‘ne Nummer wie “We’re Not Gonna Take It” natürlich doppelt geil…

Man merkt schon, wohin die Reise geht. Wobei es ja nicht immer nur Einzelkünstler sind, die sich für besonders begabt und fähig halten, weihnachtliches Liedgut zu vertonen und auf den Gabentisch zu legen. Das Salz in der Suppe bilden natürlich die unzähligen Sampler, auf denen sich mutige Musiker zusammengetan haben, um den Weihnachtsbaum mal so richtig zu rocken. Das geht manchmal gut, oftmals aber auch in die Hose, wie das folgende Beispiel zeigt.


Unter dem Titel “Annoy Your Parents At Christmas – Metal Christmas” haben sich so illustre NWoBHM-Größen wie Paul Di’Anno, der immer noch das Kreuz der Eisernen Jungfrau mit sich herumträgt, oder Kim McAuliffe (GIRLSCHOOL) zusammengetan, um ein dem Titel entsprechendes Album aufzunehmen. Die Intention der Kollaborateure war es wohl tatsächlich, ein Metalalbum einzuspielen, mit welchem Teenies ihre verdutzten Eltern schocken können. Herausgekommen sind Songs, die ob ihrer Zahnlosigkeit aber wunderbar in die Weihnachtsausgabe des Musikantenstadl passen würden. Zwar suggeriert auch das Cover (ein fetter, böser Biker, der sich betont cool auf seinem Mopped räkelt) die pure Jugendgefährdung, doch bietet “Annoy Your Parents At Christmas – Metal Christmas” mit den schon tausendmal gehörten Stücken ausschließlich Unterhaltung für die gelangweilte Kukidentfraktion. Fehlt eigentlich nur noch, dass Johnny Rotten im Home Shopping Kanal Christstollen anpreist.


Ganz anders klingt es, wenn Musiker hörbar Spaß bei einem Projekt haben. Der musikalisch wohl wertigste, weil von der Besetzung her unschlagbare Sampler ist wohl “We Wish You A Metal Christmas” aus dem Jahr 2008. Nicht nur, dass hier wirklich gerockt werden kann, bis alle Kronkorken aus dem Weihnachtsbaum gefallen sind, die – wie immer – bekannten Songs bekommen auf dieser Zusammenstellung teilweise ein originelles eigenes Gewand, was sie alleine deshalb schon von 99,8% aller anderer Veröffentlichungen abhebt. Wenn beispielsweise der Ronnie mit dem Tony “God Rest Ye Merry Gentlemen” interpretiert, hat man das Gefühl, einen verlorenen Sohn aus den “Mob Rules”-Sessions zu hören. Tonnenschwere Riffs und der unglaublich erhabene Gesang zeigen, wie besinnlich metallische Weihnachten sein können, sollen, müssen. Das sehen auch Lemmy, Billy Gibbons (ZZ TOP) und Dave Grohl (FOO FIGHTERS) so und verorten “Run Rudolph Run” in die Fünfziger, wo die Nummer Bill Haley And The Comets, Little Richard oder Chuck Berry durchaus zur Ehre gereicht hätte. Fuck George Michael, this is Rock ‘n’ Roll! ALICE COOPER versucht erst gar nicht seinem Image zu entfliehen und legt mit “Santa Claws Is Coming To Town” den perfekten Soundtrack für den Horrorfilm nach der Bescherung vor, während GIRLSCHOOL mit “Auld Lang Syne” allen genervten Vätern aus der Seele sprechen und dazu einladen die heimische Bar zu plündern. Sláinte! Die Kollaboration von Chuck Billy und Scott Ian (“Silent Night”) ist so gar nicht still und eignet sich hervorragend dafür, herumstreunende, zwielichtige Spendensammler aus der Stadt zu jagen. Sicherlich gibt es auch auf “We Wish You A Metal Christmas” ein, zwei Beispiele dafür, wie man es tunlichst nicht machen sollte (u.a. DORO). Allerdings ist das Restmaterial so stark, dass dieser Sampler wirklich empfehlenswert ist.


Außer Konkurrenz, weil er der erste veröffentlichte, der kultigste und der versoffenste Sampler in diesem Special ist, geht das “X-Mas Project” (auch unter dem Titel “Banging ‘round The Christmas Tree” bekannt) über die Ziellinie. Ende der Achtziger von Musikern von RAGE, LIVING DEATH, STEELER, MEKONG DELTA (!) und HOLY MOSES eingespielt, zeigt das “X-Mas Project” allen anderen, wie es geht. Spaß bei der Sache muss man haben, keine kommerziellen Hintergedanken und vermutlich ein bis zehn Kisten Bier im Studio. Dann und nur dann kann man Evergreens wie “O Tannebaum” oder “Alle Jahre wieder” (ganz, ganz großer Sport) adäquat vertonen. “Mary’s Little Boy Child” und “Jingle Bells” werden von Jörg Michael (damals RAGE) handwerklich perfekt in Grund und Boden geknüppelt, während sich Peavy (RAGE), Sabina Classen (HOLY MOSES) oder Toto (LIVING DEATH) wenig besinnlich, aber doch hochmotiviert geben. Kurzum, ein wunderbare Angelegenheit, wenn man die unliebsame Verwandtschaft aus dem Haus und selbst ein paar Bier intus haben möchte. Das “X-Mas Project” (veröffentlicht übrigens über das kultige Label Shark Records) gehört in jede halbwegs anständige Sammlung, da hier wirklich mit viel Charme und Spaß agiert wird.

Ihr seht, es ist ganz und gar nicht einfach, sich durch den eigentlich undurchdringlichen Dschungel von Weihnachtsplatten mit Metal-Schlagseite zu kämpfen. Wer sich für die Festtage noch mit musikalischem Konfekt eindecken oder ungeliebte Nachbarn vergraulen möchte, findet hier vielleicht ein paar Anregungen, um die Feiertage etwas angenehmer zu gestalten. In diesem Sinne: Schöne Feiertage!

19.12.2013
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