Jimi Hendrix
"The sexiest man that ever walked the earth."
Special
Für viele Metalheads ist das gar nicht so recht vorstellbar, aber Heavy Metal hat musikalisch und historisch eine Vorgeschichte. Eine faszinierende dazu. Und eine, die tatsächlich nicht damit begann, dass BLACK SABBATH 1970 ihr erstes Album veröffentlichten – genau genommen endet sie im Jahr 1970, am 18. September.
Das ist der Tag, an dem James Marshall Hendrix, berühmt und berüchtigt geworden als Jimi Hendrix, nach einer kometenhaften, nur vier Jahre währenden Karriere tot im Londoner Hotel Samarkand aufgefunden wird. Die offizielle Todesursache lautet „Tod durch Ersticken“: Hendrix ist nach einer Nacht voller Alkohol und Schlaftabletten an Erbrochenem erstickt (um SPINAL-TAP-Experten vorzugreifen: ja, vermutlich an seinem eigenen). Wie bei allen großen Musikern ranken sich auch um Hendrix‘ Tod Legenden, die in Frage stellen wollen, dass dieser große, visionäre Mann einen so vergleichsweise profanen Tod gestorben sein soll. Hendrix‘ ehemaliger Manager Chas Chandler bringt allerdings treffend auf den Punkt, wie die Realität ausgesehen haben wird: „Eigentlich war ich nicht überrascht. Es war, als ob er uns die letzten zwei Jahre darauf vorbereitet hätte. Es war eigentlich eine Nachricht, auf die ich gewartet hatte.“
Das legt nahe, dass Hendrix von seinem eigenen Erfolg überrollt wurde. Das wäre nicht überraschend: mit 15 bringt sich Hendrix selbst das Gitarrespielen bei, tritt in den folgenden Jahren mit verschiedenen Bands auf und mit 19 nach einem Gefängnisaufenthalt in die Armee ein, wird dort wieder entlassen und verdingt sich leidlich als Berufsmusiker. Erst mit 24, im Herbst 1966, gründet er auf Anraten Chas Chandlers die Band, die ihn zum unsterblichen Helden gleich mehrerer Musikergenerationen machen wird: THE JIMI HENDRIX EXPERIENCE.
Die drei Musiker (Bassist Noel Redding, Drummer Mitch Mitchell und Hendrix an Gitarre und Gesang) verlieren keine Zeit: im Mai 1967 erscheint das erste Album „Are You Experienced?„.
Zur selben Zeit, sechs Wochen nach Abschluss der Studioarbeiten für das erste Album, finden sich die drei Musiker für die Aufnahmen der nächsten Platte wieder im Studio ein. Aus heutiger Sicht klingt das grotesk schnell und evoziert den Eindruck, dabei könne nichts Gescheites herauskommen. Chas Chandler sagt dazu, Hendrix habe ohne seine Gitarre nicht leben können, habe den ganzen Tag nichts Anderes getan als zu spielen und schon vor dem Frühstück gejammt. Kein Wunder, dass auf der zweiten EXPERIENCE-Veröffentlichung „Axis: Bold As Love“ ganze dreizehn neue Stücke zu finden sind. Und nicht die schlechtesten.
THE JIMI HENDRIX EXPERIENCE sind nach dem Erfolg der beiden ersten Alben innerhalb eines Jahres eine der wichtigsten Rockbands des Planeten geworden: hohe Chartplatzierungen mit Album und Singles, große Festivalauftritte (die wohl vor allem auf Chas Chandlers fantastisches Verhandlungsgeschick zurückzuführen sind) und eine unübersehbare Fangemeinde heben den gerade 25-Jährigen Hendrix mit schwindelerregender Geschwindigkeit in den Rockhimmel. Das bleibt nicht ohne Folgen: Hendrix setzt zunehmend seinen eigenen Kopf durch, nimmt sich mehr Zeit für seine musikalischen Visionen, die er noch lange nicht ausgereizt sieht, experimentiert endlos und sagt sich Stück für Stück von Chas Chandler und damit von einer bis dahin disziplinierten und zielgerichteten Arbeitsweise los.
Hendrix siedelt 1968 mit Band und Engineer von London zurück nach New York um und ist mächtig inspiriert: er sieht diese Stadt als seine spirituelle Heimat an, lädt hochkarätige Musiker als Gäste in das Record Plant Studio (u.a. Buddy Miles, Stevie Winwood, Jack Casady oder Al Kooper – allesamt Weltstars des Blues und Rock der damaligen Zeit) und beginnt die Arbeit an neuen Stücken. Was dort im Jahr 1968 entsteht, ist nicht nur das mit einer Platz-1-Chartplatzierung erfolgreichste Album der JIMI HENDRIX EXPERIENCE, sondern zugleich deren und Hendrix‘ letztes reguläres Studioalbum: „Electric Ladyland“ kommt im Oktober 1968 als Doppel-LP und gilt heute als das beste der drei EXPERIENCE-Alben.
Nach den Aufnahmen zum dritten Album der Band bricht THE JIMI HENDRIX EXPERIENCE Anfang 1969 langsam auseinander – nur Hendrix‘ Zusammenarbeit mit Drummer Mitch Mitchell bleibt bestehen. Getrieben von einem Strom nicht enden wollender Ideen beginnt Hendrix, sich in den folgenden eineinhalb Jahren in Greenwich Village sein eigenes Studio, das Electric Lady Studio, aufzubauen. Er will sich selbst und seiner Garnison von Gastmusikern zu jeder Zeit die Gelegenheit verschaffen, Ideen und Fragmente auszuarbeiten und aufzunehmen.
Hendrix produziert eine nicht überschaubare Zahl an Demos, die nach seinem Tod auf einer fast genauso unüberschaubaren Zahl von posthumen Veröffentlichungen landen, die heute alle nicht mehr erhältlich sind. Eddie Kramer, der auch im Electric Lady Studio mit Hendrix arbeitete, überarbeitete in den 90er-Jahren die mitunter nicht vollständigen Aufnahmen und erstellte daraus Albumversionen, wie sie Hendrix möglicherweise autorisiert hätte. Eines dieser Ergebnisse ist das 1997 erstmals erschienene „First Rays Of The New Rising Sun„, das auch unter diesem Titel hätte veröffentlicht werden sollen.
In den Jahren nach Jimi Hendrix‘ Tod haben seine Nachlassverwalter aus Archiven diverser Studios und nicht zuletzt aus Hendrix‘ eigenem Fundus unablässig unveröffentlichtes Material ausgegraben, das nach und nach veröffentlicht wurde. Dabei sind auf der einen Seite so bizarre Releases wie „Midnight Lightning“ oder „Crash Landing“ entstanden, auf denen mitunter originale Gitarrenspuren mit Overdubs von Sessionmusikern kombiniert wurden, die den Komponisten dieser Stücke nie getroffen hatte. Zurecht sind diese Veröffentlichungen lange vom Markt verschwunden und – das ist die andere Seite – einer Nachlasspolitik gewichen, die nur Material der Öffentlichkeit zugänglich machen möchte, das schon zu Hendrix‘ Lebzeiten zum größten Teil fertiggestellt war. Die bisher letzte Frucht dieser Veröffentlichungspolitik ist das 2010 veröffentlichte „Valleys Of Neptune„.
Selbst eine Karriere wie die eines Jahrhundertkünstlers wie Jimi Hendrix hat Höhepunkte, wenigstens in der Retrospektive. Eine dieser Höhepunkte ist der Auftritt einer Band namens GYPSY SUN & RAINBOWS auf dem Woodstock Festival im August 1969, das aus unterschiedlichen Gründen legendär geworden ist. Nicht nur wegen der chaotischen Organisation, der schätzungsweise über 400.000 Besucher, des Matsches, der friedlichen Atmosphäre oder des exzellenten Billings – auch, weil Jimi Hendrix und seine neuformierte Band dieses Festival, morgens um 9 Uhr, mit einem spektakulären und unvergleichlichen Auftritt beschlossen.
Wer anhand von Audioaufnahmen nicht glauben mag, wie charismatisch dieser Mann gewesen ist, der muss sich „Jimi Hendrix Live At Woodstock“ anschauen. Ein schöneres Vermächtnis kann auch ein mit einem Jahrhunderttalent gesegneter Gitarrist wie Hendrix nicht hinterlassen.