Isvind
"Daumyra" - Zwei Meinungen: Neunziger-Veteran vs. Nachwuchs-Black-Metaller
Special
Mit ISVIND veröffentlicht demnächst eine Band ihr neues Album, die nicht nur ihre Wurzeln tief in den Neunzigern hat, sondern auch genauso klingt: 15 Jahre lagen zwischen dem Erstling „Dark Waters Stir“ (1996) und dem Zweitwerk „Intet Lever“ (2011), und dennoch hatte sich im Hause ISVIND zwischenzeitlich so gut wie gar nichts verändert. Mit „Daumyra“ kommt nun bald das neue Werk des Duos aus Oslo über Folter Records heraus – und wir haben neben der Review von Florian Dammasch, Black-Metal-Veteran aus den Neunzigern, nochmal geschaut, wie denn das Album aus dem Blickwinkel eines Nachwuchs-Black-Metallers klingt, der ISVIND erst mit „Intet Lever“ kennenlernte.
Sozusagen umgehend nach dem zweiten Album (nämlich nur eineinhalb Jahre, was gemessen an der Zeit zwischen dem Debüt „Dark Waters Stir“ 1996 und „Intet Lever“ von Ende 2011 ein Klacks ist) schieben ISVIND den Drittling „Daumyra“ nach. Und wer da etwa gedacht hat, die Veteranen der DARKTHRONE-Kopiererei würden langsam alt oder des Ersinnens klassisch griffiger Norweger-Riffs müde, der hat sich tüchtig geschnitten. „Kast Loss“ legt mächtig vor mit einem skandalös schlichten Aufbau aus zwei Gitarrenfiguren, ganz in der Tradition von „Transilvanian Hunger“. Aber diese beiden Riffs sitzen, und das ist im Neunziger-inspirierten Black Metal mittlerweile selten geworden.
In demselben Geist geht es nahtlos mit „Burn The Kings“ weiter, das nun allerdings ein wenig melodiöser angelegt ist und beinahe TAAKE-Atmosphäre versprüht. Hier zeigen sich schon die minimalen Veränderungen im ISVIND-Sound, die sich dann so auch durch die restlichen sechs Songs ziehen: „Daumyra“ ist etwas weniger chaotisch und poltrig, vor allem nicht so vulgär, hat ein wenig mehr Bewegung in den Gitarren, dafür allerdings so gut wie keine Abwechslung in den Drums. Wozu auch, aus vier, fünf Drumpatterns lässt sich erwiesenermaßen auch 2013 noch ein gutes Album bauen. Erst recht, wenn man – wie ISVIND – einen ganzen Sack voller Trademark-Hooks in der Hinterhand und dazu eine Produktion aus der Zeitmaschine hat.
Leider tappt „Daumyra“ – fast erwartungsgemäß – in der zweiten Hälfte in eine Falle, die es sich im Grunde selbst gestellt hat: Hier wird’s dann nämlich ab „Djevelens Lende“ etwas generisch, die Riffs sind immer noch wiedererkennbar ISVIND, aber klauen nicht mehr nur bei DARKTHRONE, sondern eben sogar bei sich selbst und zünden mitnichten so, wie es fast die gesamte „Intet Lever“ getan hat. Glanzvoll wird es dann nur noch mit dem abschließenden sechsminütigen „Klabautermann“, das mit elegischen Leads, wanderndem Bass und klarem Gesang an „Bankeånd/Poltergeist“ und „Dommedags Grimmtunge Slegge“ anknüpft.
Bei relativ kurzen 37 Minuten ist „Daumyra“ demnach ein Album, das gut zur Hälfte uneingeschränkt überzeugt, weil es einfach fantastisch urnorwegischen Black Metal in einer einmaligen Authentizät liefert, andererseits aber auch drei, vier nur durchschnittlich gelungene Songs enthält. Ich muss allerdings ganz klar sagen: Scheiß‘ doch drauf, selbst wenn die Jungs vierzig Minuten lang dasselbe spielen würden, wäre das noch tausendmal geiler als dieser ganze seelenlose Mist, mit dem man sich allerorts abgeben muss.
(Florian Dammasch | 7/10 Punkten)
Während Kollege Dammasch Black-Metal-technisch ja ein Kind der Neunziger ist und ISVIND bereits mit ihrem Debütalbum „Dark Waters Stir“ kennenlernte (und auch den Kontext, aus dem sich die alten wie die neuen Alben ISVINDs stilistisch bedienen, praktisch live erlebt hat), bin ich ja nun erst Ende der Neunziger/Anfang 2000er zum Metal gekommen, und bis ich persönlich dann auch noch zum recht speziellen Subgenre des Black Metal gefunden hatte (zumindest über CRADLE OF BORGIR hinausgehend), vergingen nochmal ein paar Jahre. Das heißt also, dass ich mir die Klassiker des Genres retrospektiv erarbeiten muss(te) und auch heute noch immer wieder über norwegische und schwedische Perlen stolpere, die über die Jahre unergründlicherweise vergessen wurden und die für einen Florian Dammasch wahrscheinlich seit etlichen Jahren zum festen Inventar des Plattenregals gehören.
ISVIND sind so ein Fall – den Bandnamen nicht einmal ansatzweise auf dem Schirm habend, las ich Anfang 2012 Florians Review zum Zweitwerk „Intet Lever“, hörte, vom Text angefixt, in das Album rein – und war begeistert. Schnell war das Debüt nachgeholt, und dann ging auch schon das Hoffen los, nicht wieder 15 Jahre auf das nächste Album warten zu müssen.
Und nun: „Daumyra“ – die beiden Herren aus Oslo haben sich also deutlich weniger Zeit für das neue Werk gelassen, und ja, sie haben zum Glück weder ihren Stil großartig geöffnet, noch klingt „Daumyra“ nach einem Schnellschuss. Nein, „Daumyra“ klingt einmal mehr wie eine Zeitreise, wie ein Album, das nicht nur versucht, die Neunziger wieder auferstehen zu lassen, sondern das hörbar von Protagonisten des Neunziger-Jahre-Black-Metals geschaffen wurde und eben nicht nur die Riffs von damals enthält, sondern auch ihren Charme. Wie Florian bereits treffend beschrieben hat, klingt „Daumyra“ etwas weniger chaotisch und minimalistisch, gerade die Gitarrenarbeit ist etwas ausgefeilter, abwechslungsreicher geworden (Betonung beim Lesen bitte auf „etwas“ legen), ohne jedoch zu sehr vom typischen ISVIND-Sound abzuweichen oder gar Fremdeinflüsse zuzulassen.
Wo ich jedoch widersprechen muss (und hier kommt dann der Sinn der Einleitung meines Textes zu tragen, denn dieser Umstand mag sehr gut darauf zurückzuführen sein, dass ich „Dark Waters Stir“ und „Intet Lever“ – und viele andere Neunziger-Platten – eben wahrscheinlich nicht halb so oft gehört habe wie Florian), ist, dass ich keinesfalls behaupten kann, die zweite Hälfte von „Daumyra“ würde an Schwung, Charme oder Qualität einbüßen: „Djevelens Lende“ fräst sich mit zwei unglaublich eingängigen Riffs in die Gehörgänge; in „Myra“ lassen es ISVIND durchgängig langsamer angehen, wodurch alleine der Song auf „Daumyra“ schon heraussticht (ja, auch wenn das Riff vielleicht nicht das Spektakulärste ist, das ISVIND geschrieben haben); „Specculum“ beinhaltet einen großartigen Uffta-uffta-Part und ist insgesamt ein mächtiger Auf-die-Fresse-Song; und über das abschließende „Klabautamann“ mit seinen Leads und dem Klargesang hat Florian alles gesagt – nein, auch die zweite Hälfte von „Daumyra“ hört sich für mich nach einem großartigen Neunziger-Jahre-Album an.
So komme ich nicht umhin, „Daumyra“ in die Reihe der bisher auf metal.de erschienenen Reviews zu ISVIND einzureihen und auch hier eine 9/10 zu verteilen – ganz einfach, weil ISVIND gerade genug Variation in ihr Drittwerk eingearbeitet haben, um nicht auf der Stelle stehenzubleiben, aber ihren typischen Sound auch nicht mehr als minimal zu verändern – und dabei mal eben noch ein durchgängig hochklassiges Album aufgenommen haben.
(Stephan Möller | 9/10 Punkte)