Insomnium
ein Liebesbrief an die Diskografie
Special
Heute, am 24.02.2023, veröffentlichen die finnischen Melodeath-Größen INSOMNIUM ihr neuntes Studioalbum „Anno 1696“. Auch wenn sie damit die 10 noch nicht ganz vollmachen, haben wir uns den Release zum Anlass genommen, uns die bisherigen Veröffentlichungen aus über 20 Jahren Bandgeschichte noch mal zur Brust zu nehmen. Hierbei handelt es sich ausdrücklich nicht um Rezensionen, denn die haben wir natürlich längst im Programm.
Auf den folgenden Seiten findet ihr also mehr oder weniger persönliche Texte unserer Autor:innen, die die jeweiligen Alben relativ zum Gesamtwerk von INSOMNIUM begutachten, Anekdoten berichten oder allgemein einem Lieblingsalbum huldigen. Auch die Band selbst hat sich zu einem kleinen Trip down memory lane hinreißen lassen. Fronter Niilo Sevänen sowie die Gitarristen Ville Friman und Markus Vanhala berichten von den Aufnahmen und denkwürdigen Geschichten von Körperhygiene bis zu zerstörten Autos.
Die Alben findet ihr in chronologischer Reihenfolge:
1. In The Halls of Awaiting (2002, Candlelight Records)
2. Since The Day It All Came Down (2004, Candlelight Records)
3. Above The Weeping World (2006, Candlelight Records)
4. Across The Dark (2009, Candlelight Records)
5. One For Sorrow (2011, Century Media Records)
6. Shadows Of The Dying Sun (2014, Century Media Records)
7. Winter’s Gate (2016, Century Media Records)
8. Heart Like A Grave (2019, Century Media Records)
9. Anno 1696 (2023, Century Media Records)
In The Halls Of Awaiting (2002)
Tracklist (55:36):
1. Ill-Starred Son (04:46)
2. Song Of The Storm (04:22)
3. Medeia (04:21)
4. Dying Chant (04:13)
5. The Elder (04:46)
6. Black Waters (05:00)
7. Shades Of Deep Green (07:33)
8. The Bitter End (05:08)
9. Journey Unknown (04:32)
10. In The Halls Of Awaiting (10:55)
Auch wenn man INSOMNIUM nicht verfolgt, kann man sich nicht entziehen, dass sie irgendwie Everybody’s Darling sind – und das schon seitdem sie ihre ersten Demos vor über 20 Jahren veröffentlicht haben. So sollte es nicht weiter überraschen, dass das Debüt „In The Halls Of Awaiting“ direkt bei Candlelight Records erschienen ist. Und obwohl es sich bei den Finnen um eine Band handelte, die immer ihr eigenes Ding gemacht hat, wirkt diese Scheibe wie die Rückschau in eine bessere Zeit für den Melodeath. IN FLAMES webten zu der Zeit die ersten Rock-Elemente in ihren Sound ein und DARK TRANQUILLITY brachten mit „Damage Done“ ihr bestes Album heraus.
Natürlich sind die Experimente auf INSOMNIUMS Erstwerk überschaubar: Die Geschwindigkeit bewegt sich in einem Rahmen, mit dem man 1983 niemanden mehr schockiert hätte. Die ganze Zeit zieht sich eine Melodie durchs Album, wenn man nur genau hinhört. Growling wie Double Bass sorgen für die Kanten im Sound. Und doch finden sich einige Schmankerl. Etwa „Song Of The Storm“, welches durch seine vielen Breaks Schwindel erregt oder das stimmungsvolle „The Elder“, übrigens der einzige Song, der sporadisch noch den Weg in die Setlist schafft. „In The Halls Of Awaiting“ ist definitiv ein hörenswertes Debüt, wenn auch nicht das ideale Einsteigeralbum für Fans der Band. (Philipp Gravenhorst)
Wir waren sehr jung und unerfahren, als wir ins Studio gegangen sind. Es war sozusagen eine ständige Lernerfahrung, wie alles funktioniert – und wie man es nicht machen sollte. Am Ende haben wir das meiste Demomaterial mit ein paar neuen Songs verwendet und alles vor Ort mit Jone Väänänen aufgenommen. Aufregende Zeiten. Das Album wurde von Anssi Kippo gemischt, der schon viel mit CHILDREN OF BODOM gemacht hatte. Das World Trade Center stürzte während der Mixing-Sessions ein, was sich sehr unwirklich angefühlt hat. Es war Frühlingsanfang, feucht und regnerisch, und an den meisten Tagen sind wir mit einem Kater aufgewacht. (Ville Friman, INSOMNIUM)
Since The Day It All Came Down (2004)
Tracklist (53:45):
1. Nocturne (01:57)
2. The Day It All Came Down (04:57)
3. Daughter Of The Moon (06:09)
4. The Moment Of Reckoning (05:47)
5. Bereavement (04:16)
6. Under The Plaintive Sky (04:10)
7. Resonance (02:29)
8. Death Walked The Earth (05:10)
9. Disengagement (08:39)
10. Closing Words (04:26)
11. Song Of The Forlorn Son (05:45)
Für viele dürfte dieses Album – wie für mich – eine nachträgliche Entdeckung sein, denn den Großteil ihrer Anhänger:innen haben INSOMNIUM natürlich mit späteren Alben gewonnen. 2004, vor fast 20 Jahren (!), beendete der rezensierende Kollege seine Review von „Since The Day It All Came Down“ wie folgt: „Angesichts der Tatsache, dass es sich hier erst um das Zweitwerk der Buben handelt, darf man sicher gespannt sein, was die Zukunft noch alles bringen mag. Für den jetzigen Zeitpunkt haben sie die Grenzen des Genres schön ausgelotet und die Regeln zu ihrem Vorteil ausgelegt. Bleibt zu hoffen, dass ihnen für die Zukunft nicht die Ideen ausgehen!“ So oder so ähnlich habe ich selbst schon einige Reviews beendet, diese sinnierende Abschlussbemerkung hat also nichts von ihrer Aktualität verloren. Bei INSOMNIUM stehen wir jetzt aber glücklicherweise auf der anderen Seite und können auf eine reiche, und noch keinesfalls komplette, Diskografie zurückblicken.
Das düstere Piano im Intro, gefolgt von dramatischem Riffing zu Beginn des Openers sind in der Tat vielversprechend und dürften zu ihrer Zeit den Erwartungen, die Hörer:innen nach dem damals zwei Jahre alten Debüt gehabt haben, gerecht geworden sein, sofern sie diese nicht sogar übertroffen haben. Im Nachhinein kann man sagen, dass „Since The Day It All Came Down“ die Handschrift trägt, die INSOMNIUM trotz neuerer Einflüsse bis heute beibehalten haben. Nach Findungsphase klingt das Album auch im Rückspiegel nicht. Noch recht roh in der Produktion und mit ein paar Ecken und Kanten mehr als spätere Werke, bietet es auch heute noch ein Hörerlebnis, dem man sich öfter hingeben sollte. Die unverkennbaren Refrains, die mehrstimmigen Leads – z. B. bei „Bereavement“ – und vor allem die mitreißenden Melodien haben hier noch etwas Ursprüngliches. Auch für später Dazugekommene lohnt sich ein Abstecher in die ‚graue Vorzeit‘ allemal. (Angela)
Wir hatten einige neue Tricks gelernt, aber nicht viele. Wir haben Monate damit verbracht, alles aufzunehmen und haben alles wieder mit Jone in Joensuu gemacht. Es war ein super warmer Sommer und es war erträglich, lange im Studio zu arbeiten. Wir hatten auch viel Material aufzunehmen, darunter viele akustische Gitarrenpassagen. Es hat sich oft so angefühlt, als würden wir das Album nie fertig bekommen, aber schließlich haben wir es geschafft. Irgendwie. Wir haben ein echtes Cello auf dem Album und Aleksi Munter hat ein paar Keyboards hinzugefügt, nachdem ich ihn kennengelernt hatte, als ich nach Jyväskylä gezogen bin. Wir waren aufgeregt und ehrgeizig und haben während der Sessions eine Menge Selbstgebrannten getrunken. (Ville Friman, INSOMNIUM)
Above The Weeping World (2006)
Tracklist (53:00)
1. The Gale (02:41)
2. Mortal Share (04:00)
3. Drawn To Black (06:00)
4. Change Of Heart (04:31)
5. At the Gates Of Sleep (07:05)
6. The Killjoy (05:23)
7. Last Statement (07:32)
8. Devoid Of Caring (05:40)
9. In The Groves of Death (10:08)
Eigentlich eine Urban Myth, ist es auch bei INSOMNIUM mal wieder das dritte Album, das wichtige Weichen für die Zukunft der Band stellt, wenn es auch noch nicht den absoluten Durchbruch markiert. Während auf den ersten beiden Scheiben, trotz aller bereits vorhandenen Qualität, noch die Suche nach sich selbst im Mittelpunkt steht, klingt „Above The Weeping World“ erstmals richtig rund. Außerdem wurde mit dem traumhaften „The Gale“ die Serie der fantastischen Intro-Songs gestartet, die auf den folgenden Alben immer zwingender wurde – „Nocturne“ auf dem Vorgänger „Since The Day It All Came Down“ beschränkt sich ja als klassisches Intro noch auf ein wenig Piano-Geklimper.
Ansonsten setzen INSOMNIUM noch deutlich mehr auf Atmosphäre, aber eben auch auf fesselndes Songwriting. Wie auch Kollege Endres in seiner damaligen Review bereits feststellte, klingt die Band hier auch, trotz durchaus vorhandenen Folk-Anteilen, deutlich eigenständiger – die ohnehin schon immer völlig absurden AMORPHIS-Vergleiche waren also spätestens hier völliger Mumpitz. Natürlich enthält „Above The Weeping World“ auch eine Menge Hits: „The Killjoy“, „Mortal Share“ und sogar das bereits angesprochene „The Gale“ finden sich bis heute in den Live-Setlists der Finnen wieder. Aber auch die übrigen Songs müssen sich selbst im heutigen Vergleich keinesfalls verstecken: Die Melodielinien von „Change Of Heart“ sind Gänsehaut pur und auch der Zehnminüter „In The Groves Of Death“ ist in sich schlüssig und lässt zu keiner Zeit Langeweile aufkommen. Spätestens mit diesem Album sollte klar gewesen sein, wie hoch das Potenzial dieser Band tatsächlich ist. Auch wenn danach noch wesentlich stärkeres folgte, „Above The Weeping World“ gehört qualitativ nach wie vor in die obere Hälfte des Band-Katalogs. (Mirko Pidde)
Das erste Album, das wir mit Samu Oittinen im Fantom Studio in Tampere aufgenommen haben. Wir mochten den Sound der finnischen Band DIABLO sehr (hört euch die mal an). Das Studio befand sich in einem Keller und wir haben dort mehrere Wochen ohne Sonnenlicht verbracht. Wir haben dort auch in einem angrenzenden Luftschutzkeller auf Sofas in unseren Schlafsäcken geschlafen. Natürlich gab es keine Dusche, also könnt ihr euch den Geruch vorstellen.
Oft sind wir am frühen Sonntagmorgen aufgewacht, wenn die Jungs von DIABLO von ihren Wochenendauftritten zurückgekommen sind und ihre Sachen zu ihrem Proberaum neben dem Luftschutzbunker getragen haben. Wir haben Vännis [Ville Vänni, bis 2011 Gitarrist bei INSOMNIUM – Anm. d. Red.] Framus-Verstärker auf dem Album benutzt, der kurz davor war, den Geist aufzugeben. Irgendwann tat er das, und der Ersatzverstärker, den wir in die Finger bekamen, klang überhaupt nicht vergleichbar. Der Gitarrensound ist daher sehr einzigartig und wurde mit einem fast kaputten Framus Cobra erzeugt. (Ville Friman, INSOMNIUM)
Across The Dark (2009)
Tracklist (45:40):
1. Equivalence (03:18)
2. Down With The Sun (04:22)
3. Where The Last Wave Broke (05:03)
4. The Harrowing Years (06:39)
5. Against The Stream (06:11)
6. Lay Of The Autumn (09:08)
7. Into The Woods (05:08)
8. Weighed Down With Sorrow (05:51)
Obwohl bereits Album Nummer vier, war „Across The Dark“ mein erster Kontakt mit dem Werk von INSOMNIUM – und einer, der mich vom Fleck weg mitnahm. Das hatte seinen Grund: Die Finnen ließen sich für das Album drei Jahre Zeit und konnten diese Zeit offenbar gut nutzen, um wirklich jedem der acht Tracks den nötigen Feinschliff zu verpassen. Jeder der Songs hat Hooks, Melodien, Klasse. Und es dauert nicht lange, bis sie zupacken.
Schon der getragene Opener „Equivalence“ bietet nach einem Intro aus gezupften Gitarren ein Crescendo, das in „Down With The Sun“ mündet, ein Melodic-Death-Metal-Vorzeigesong: Hakelige Gitarren wechseln sich mit kreisenden Leads ab, der garstige, tonlose Grunzgesang kontrastiert mit dieser zwischen bedrückend und wunderschön pendelnden finnischen Melancholie … zwischen den grauen Wolken zeigt sich ein lichter Streif am Horizont.
„Where The Last Wave Broke“ zeigt sich in seinem Hauptriff im traditionellen Sinn metallischer, ohne jedoch seine feine Melancholie aufzugeben. Das langsamere „The Harrowing Years“ startet mit einem dieser zirkelnden Gitarrenleads, das gleichzeitig Schwermut als auch Anmut vermittelt. Einen Abstecher nach Göteborg machen die vier Musiker aus Joensuu mit den beiden flott und melodisch gerifften Stücken „Against The Stream“ und „Into The Woods“: Bei ersterem Song weisen die Moog-Sounds später doch wieder in Richtung Tausend Seen, letzterer bietet auch ein wenig Dramatik.
Höhepunkt des Albums ist das neunminütige „The Lay Of Autumn“, dessen Melodien und Melancholie Gänsehaut hervorrufen: Und natürlich ist der Herbst die schönste Jahreszeit, auch wenn – oder: weil – die Üppigkeit des Frühlings und die Leichtigkeit des Sommers langsam wieder zugrunde gehen. Nicht nur hier zeigt sich, dass die Melodien auf „Across The Dark“ eigentlich eine Überfülle sind, die gar nicht recht verarbeitet werden kann. Es ist ein Album zum Dahinschmelzen, zum Einswerden mit der Melancholie, der Schönheit, dem Schmerz. Und lediglich der recht grob gegrunzte Gesang von Niilo Sevänen bietet die nötige Erdung.
Dass INSOMNIUM mit solch einem starken Album im Rücken nicht nur zahlreiche Touren mitnahmen, sondern auch Begehrlichkeiten bei größeren Plattenfirmen weckten, lag in der Natur der Sache. Die Finnen gingen jedenfalls einen Schritt vorwärts und unterschrieben bei Century Media Records. Wie heißt es so schön: Sie waren ihrem alten Plattenlabel entwachsen. (Eckart Maronde)
Ich erinnere mich, dass wir in Jyväskylä geprobt haben, im selben Gebäude wie das fantastische Rocklokal Lutakko, also haben wir dort ziemlich viel Zeit verbracht. Wir hatten mit dem vorherigen Album angefangen, lange Touren zu machen, und jeder war auch mit seinem Privatleben beschäftigt, sodass es eine Weile gedauert hat, bis wir das Album fertig hatten. Ich denke, es hat den Sound und die Atmosphäre, die wir mit „Above The Weeping World“ aufgebaut hatten, gut fortgesetzt, und Aleksi Munter hat eine stärkere Rolle bei den Synth-Arrangements übernommen. Es wurden neue Touren geplant, und die denkwürdigste war der ‚triple-Finnish-onslaught‘ mit SWALLOW THE SUN und OMNIUM GATHERUM durch das herbstliche Europa. (Niilo Sevänen, INSOMNIUM)
One For Sorrow (2011)
Tracklist (53:07):
1. Inertia (03:43)
2. Through The Shadows (04:31)
3. Song Of The Blackest Bird (07:29)
4. Only One Who Waits (05:17)
5. Unsung (05:04)
6. Every Hour Wounds (05:25)
7. Decoherence (03:18)
8. Lay The Ghost to Rest (07:46)
9. Regain The Fire (04:27)
10. One For Sorrow (06:07)
An dieser Stelle muss ich mit als Zuspätkommerin outen, denn für mich entdeckt habe ich INSOMNIUM erst 2015 mit „Shadows Of The Dying Sun“. Es war im kalten, dunklen kanadischen Winter, als das Album vor allem während langer Pendelwege durch das weitläufige Stadtgebiet von Toronto wochenlang, wenn nicht gar monatelang, in Dauerschleife lief. Und wie das so ist, reicht ein einziges Album einer neu entdeckten Band natürlich schnell nicht mehr aus und es geht an den Backkatalog, und zwar umgekehrt chronologisch. So konkurrierte bald „One For Sorrow“ mit dem Endgegner aller INSOMNIUM-Alben. Die Pointe dieser Anekdote ist, dass „One For Sorrow“ das uneingeschränkt konnte.
Auch wenn das Album heute – zu Unrecht – von seinem Nachfolger überschattet wird, zeigen vor allem die lange in der Setlist verbliebenen Stücke wie „Through The Shadows“, „Only One Who Waits“ und natürlich „One For Sorrow“, wie viele Hits sich auf der Platte befinden. Alle genannten Stücke wurden bis 2019/2020 regelmäßig live gespielt, wie die sehr praktischen Statistiken auf setlist.fm verraten. Es befinden sich aber auch ein paar wirklich unterschätzte Stücke auf dem Album, wie beispielsweise „Regain The Fire“.
Musikalisch zeichnet sich „One For Sorrow“ vor allem durch das sehr stringente Songwriting aus, und auf dem Album befinden sich – je nach Gusto – einige der mitreißendsten Melodien, die INSOMNIUM in ihrem Repertoire verbuchen können. Auch inhaltlich finden sich einige Perlen auf „One For Sorrow“. „Every Hour Wounds“ hat mit den Textzeilen „Every moment delivers pain, if you choose so“ und „There is nothing but suffering, if you decide so“ einen Plottwist hin zum Selbstbestimmten, wie ihn INSOMNIUM später auch bei „Ephemeral“ einsetzen werden. „One For Sorrow“ ist daher ein Album, das man wahrscheinlich deutlich öfter hören sollte. (Angela)
Die Sterne standen richtig und wir wurden von Century Media unter Vertrag genommen, was im Nachhinein betrachtet einer der entscheidenden Momente unserer Karriere war. Wir haben die Single „Weather The Storm“ mit unserem Helden Mikael Stanne aufgenommen und sind anschließend mit DARK TRANQUILLITY auf große Tour gegangen. Danach haben wir das Album aufgenommen, was uns noch bekannter gemacht hat, und wir haben unsere ersten Headline-Touren in Europa gespielt. Zu diesem Zeitpunkt hat Ville Vänni die Band verlassen, da es unmöglich wurde, das Touren mit seinem Beruf als Chirurg zu verbinden. Aber zum Glück hatten wir schon einen Gitarristen im Sinn… (Niilo Sevänen, INSOMNIUM)
Shadows Of The Dying Sun (2014)
Tracklist (56:43):
1. The Primeval Dark (03:17)
2. While We Sleep (06:20)
3. Revelation (05:15)
4. Black Heart Rebellion (07:03)
5. Lose To Night (04:59)
6. Collapsing Words (04:38)
7. The River (07:57)
8. Ephemeral (04:01)
9. The Promethean Song (06:41)
10. Shadows Of The Dying Sun (06:32)
Der Labelwechsel zu Century Media auf „One For Sorrow“ und Hits wie „Through The Shadows“ ließen zwar schon vermuten, dass es für INSOMNIUM noch weiter nach oben gehen würde und doch waren wohl die wenigsten darauf vorbereitet, was für ein Monster die Finnen mit „Shadows Of The Dying Sun“ auf die Welt loslassen würden. Ob es nun am Einstieg von Markus Vanhala oder den feucht-fröhlichen „Sauna Sessions“ tief in den finnischen Wäldern zum Einstudieren des Materials lag, INSOMNIUM machten noch einmal einen Quantensprung nach vorne. Bis hin zum minimalistischen aber absolut gelungenen Cover Artwork stimmt hier einfach alles.
Spätestens live zeigt sich die unfassbare Magie des Opener-Duos „The Primeval Dark“ und DEM Überhit „While We Sleep“, der wohl nicht nur dem Verfasser dieser Zeilen damals im November 2014 im altehrwürdigen Gruenspan zu Hamburg gleich mehrere Gänsehäute bescherte. Vielleicht befürchtete der ein oder andere, dass sich mit dem Einstieg von Vanhala auch der Sound von INSOMNIUM hin zum energetischeren Stil von OMNIUM GATHERUM verschieben würde – eher das Gegenteil ist der Fall. „Shadows Of The Dying Sun“ setzt insgesamt stärker auf Epik, Melancholie und Atmosphäre und reichert den vorherrschenden Melodic Death in den düstereren Songs um einige Doom-Einflüsse an. Im harten aber dennoch hochmelodischen „Black Heart Rebellion“ ist sogar der Name Programm und ein paar Black-Metal-Anleihen kommen zum Zug.
Dann wäre da natürlich mit „Lose To Night“ noch dieser eine Song, den die üblichen Verdächtigen direkt als Sellout, Anbiederung gegenüber dem großen Label oder wenigstens als „ja, ist halt der Song für die Freundin“ verspotten. Das sind vermutlich aber genau die gleichen Leute, die bei Liebeskummer die ein oder andere Träne zu genau diesem Song verdrücken – heimlich versteht sich.
Bis heute hat „Shadows Of The Dying Sun“ die höchste Hitdichte aller INSOMNIUM-Alben, schafft es aber trotzdem auf Albumlänge als absolute Einheit ohne jeglichen Ausfall zu funktionieren und steht darum bislang Zu Recht unangefochten an der Spitze der Diskographie. (Mirko Pidde)
Das Album ist für mich etwas Besonderes, da dies der erste INSOMNIUM-Release war, bei dem ich ein Teil der Band war, nach einigen Auftritten als Live-Gitarrist. Es war eine gute Zeit und das Album hat sich klar und einfach geschrieben, da die Stimmung in der Band gut und frisch war. Das Album hat viele INSOMNIUM-Hits hervorgebracht, die immer noch Teil des Live-Sets sind und zu den Lieblingsstücken der Fans gehören. Während der weltweiten Touren nach diesem Album ist unser Status weiter gewachsen und alles fing an, nach einer ‚richtigen Band‘ auszusehen, heh.
Geprobt haben wir für dieses Album in der Hütte meiner Familie im tiefsten Wald, und mein geliebter Jeep Cherokee wurde dabei bei einer nächtlichen rasanten Fahrt über die Waldwege zum Kauf von mehr Saunabier zerstört. Das eigentliche Album wurde in Kotka mit Teemu Aalto aufgenommen, und sein Studio befand sich damals in einem alten, verlassenen Industriegebäude, in dem man definitiv viele Gifte und Toxine in der Luft abbekommen konnte. Vielleicht ist das der Grund, warum unsere Gehirne geschmolzen sind, damit das Album so perfekt werden konnte? (Markus Vanhala, INSOMNIUM)
Winter’s Gate (2016)
Tracklist (39:54):
1. Winter’s Gate (39:54)
Als jemand, der schon immer eine Faszination für sehr lange Songs hatte, war „Winter’s Gate“ tatsächlich die erste Berührung mit dem Werk INSOMNIUMS für mich. Und dies auch erst einmal auf ungewöhnliche Art und Weise. Mein Vater und ich sind beide passionierte Sammler des Earbook-Formates und jenes war von „Winter’s Gate“ so schnell vergriffen, dass wir beide jahrelang danach auf der Suche waren. Ich habe übrigens zuerst eines bekommen, obwohl ich letzten Endes erst durch ihn auf die Band aufmerksam wurde.
Zum Album an sich lohnt es sich auch wirklich, dieses besondere Format im Regal stehen zu haben, denn die vertonte Kurzgeschichte von Fronter Niilo Sevänen ist dort dreisprachig (Finnisch, Englisch, Deutsch) abgedruckt und durchaus einen Blick wert. Dazu gibt es schicke Illustrationen obendrauf.
Kollege Eckart Maronde meinte damals in der Review, dass sich auf der Oberfläche des Albums viel getan hätte in Sachen Optik und Thematik, aber er hat ebenfalls Recht damit, dass „Winter’s Gate“ musikalisch im Kern ein klassisches, aber wirklich starkes INSOMNIUM-Album ist, welches alle Trademarks der Band vereint. Auf Spotify ist das Album übrigens in sieben Songs aufgeteilt, was meiner bescheidenen Meinung nach ziemlich unnötig ist, es muss ohnehin in voller Länge genossen werden.
Es ist streitbar, ob „Winter’s Gate“ ein guter Einstieg in die Diskografie von INSOMNIUM ist, aber warum eigentlich nicht? Wenn du von anderen, teils nicht minder guten Alben der Band einen Song empfohlen bekommen hast, wirst du selten die komplette Fähigkeiten-Bandbreite der Finnen aufs Ohr bekommen. Bei „Winter’s Gate“ braucht es zwar etwas Sitzfleisch, dafür ist es ein in sich geschlossenes, vielseitiges Werk, das alle Facetten der Band beleuchtet. (Jannik Kleemann)
Ein besonderes Album in vielerlei Hinsicht. Als wir Century Media die Idee vorgeschlagen haben, ein Album mit einem einzigen 40-Minuten-Track und einer Kurzgeschichte im Booklet zu machen, haben sie es überraschend gut aufgenommen. Letztendlich war es kein kommerzieller Selbstmord und wir haben erstmals mit einem Album in Finnland Platz 1 der Charts und auch in Deutschland eine Top-20-Platzierung erreicht. Das ganze 40-minütige Stück auf den folgenden Touren zu spielen, war etwas Besonderes, und das Sahnehäubchen war, als wir es beim Ilosaarirock Festival mit einem kompletten Symphonieorchester gespielt haben. (Niilo Sevänen, INSOMNIUM)
Heart Like A Grave (2019)
Tracklist (60:53):
1. Wail Of The North (03:05)
2. Valediction (05:05)
3. Neverlast (04:46)
4. Pale Morning Star (08:57)
5. And Bells They Toll (06:01)
6. The Offering (04:59)
7. Mute Is My Sorrow (06:02)
8. Twilight Trails (07:05)
9. Heart Like A Grave (07:04)
10. Karelia (07:49)
Dass INSOMNIUM nach ihrem Monumentalwerk „Winter’s Gate“ nicht versucht haben, noch einen drauf zu setzen, sondern stattdessen wieder zum regulären Albumformat zurückkehren, tut „Heart Like A Grave“ spürbar gut. Zwar ist die Intensität der musikalischen Reise hier zwangsläufig etwas geringer, jedoch finden sich mit jedem Hördurchlauf immer wieder neue, kleine Highlights.
Musikalisch wird die Raserei ein Stück weit zurückgefahren und der wolkenverhangenen Tristesse noch etwas mehr Platz eingeräumt. Eine Entwicklung, die ihren Höhepunkt zwei Jahre später in der „Argent Moon“-EP finden sollte und die finnische Schwermut in den Songs auf ein neues Niveau hebt.
„Heart Like A Grave“ habe ich als erstes Album der Band gekauft, da die Jagd auf das vergriffene „Winter’s Gate“-Earbook noch andauerte. Da auch diese Scheibe als solches erscheint, kann man beim Hören ebendieser durch die einzelnen Seiten blättern, welche mit den Lyrics versehen sind und ansonsten einige wunderschöne Landschaftsaufnahmen enthalten, welche die durch die Musik entstehende Melancholie noch verstärken. Schön sind auch die einzelnen Liner Notes unter den Lyrics, die das Thema des Songs kurz erklären.
Strategisch günstig setzen INSOMNIUM den Titelsong fast an das Ende des Albums, zählt er doch zu einem der besten Songs, den die Band komponiert hat. Wer im Besitz einer der Earbook-Versionen ist, sollte aber auch die beiden Bonus-Tracks auf der zweiten CD noch anchecken, diese verdienen es nämlich nicht, in der Versenkung zu verschwinden. (Jannik Kleemann)
Es war ein heißer Sommermorgen in Dallas, auf der „Winter’s Gate“-Tour, als Niilo und ich einen Morgenkaffee getrunken haben und anfingen zu diskutieren und Ideen für das nächste Albumthema zu entwickeln. Irgendwie kamen wir auf die Idee, mithilfe alter finnischer Lieder tief in die alte finnische Folklore-Mentalität der finnischen Melancholie einzudringen und unsere eigenen Geschichten dadurch auszudrücken; dort im heißen Texas, weit weg von der üblichen finnischen Melancholie. Damals haben wir getourt wie die Hölle, aber irgendwie haben wir es geschafft, dieses Album zu verwirklichen.
Und es wurde ein richtig gutes und unser bisher größter Erfolg. In den finnischen Albumcharts auf Platz 1 und sogar in den deutschen Charts in den Top 10! Ville [Friman] hatte sich vom Touren zurückgezogen, und wir brauchten etwas Neues, Beständiges. Also haben wir beschlossen, Jani Liimatainen als dritten Gitarristen in die Band aufzunehmen, was die Chemie und den Sound perfektioniert hat. Danach hat Jens Bogren den Sound des Albums noch weiter perfektioniert, während Vesa Ranta großartige und passende Musikvideos für „Heart Like A Grave“ und „Valediction“ gemacht hat. Dann ging die Welt nach der ersten Tour zu diesem Release in den Lockdown… (Markus Vanhala, INSOMNIUM)
Anno 1696 (2023)
Tracklist (50:26):
1. 1696 (06:18)
2. White Christ (06:03)
3. Godforsaken (08:35)
4. Lilian (04:29)
5. Starless Paths (07:48)
6. The Witch Hunter (05:43)
7. The Unrest (03:52)
8. The Rapids (07:38)
„Anno 1696“ ist noch zu frisch, um damit schon viele Erinnerungen zu verbinden, und die meisten werden das Album erst mit Veröffentlichung dieses Artikels in voller Länge hören können. Wie vor jedem INSOMNIUM-Release dürften gerade die Fans der Band aber schon gespannt die Singles begutachtet haben und dabei – wenn sie ähnlich denken wie ich – zu dem Schluss gekommen sein, dass die neuen Songs zwar definitiv nach INSOMNIUM klingen, aber irgendwie trotzdem unerwartet. Das mag zumindest für die Kollaboration mit Sakis Tolis von ROTTING CHRIST zwar teilweise an Einflüssen von außen liegen, doch betrachtet man das Album als Ganzes, lässt sich der frische Wind nicht alleine darauf zurückführen.
Was „Anno 1696“ von anderen INSOMNIUM-Alben unterscheidet, ist, dass es zwar im gleichen Maße wie seine Vorgänger aus einem Guss erscheint, es dabei aber schafft, die sehr verschiedenen Stile und Stimmungen, gerade die der beiden letzten Alben „Winter’s Gate“ und „Heart Like A Grave“, unter einen Hut zu bringen. Diese beiden Alben unterscheiden sich stark voneinander, während sie in sich sehr homogen sind. Mit „Anno 1696“ hat die Band es geschafft, beide Linien zu einem neuen roten Faden zu verweben, der obendrein auch noch an „Shadows Of The Dying Sun“ sowie die Alben davor, die zusammen noch eine geradlinigere Entwicklung darstellen, anknüpft. Nicht nur retrospektiv war „Winter’s Gate“ im nicht wertenden Sinne eine Zäsur in dieser Entwicklung. „Anno 1696“ ist nun gekommen, um den Kreis zu schließen.
Das Album führt zudem neue Elemente ein, die die Hörer:innen für sich selbst bewerten müssen und bei denen sich noch zeigen muss, ob sie ‚here to stay‘ sind. Auch mit Blick auf nun folgende Konzerte wird es spannend werden, welche Schwerpunkte INSOMNIUM künftig setzen wollen. (Angela)
Den Ansatz der Geschichte und des Konzepts für das Album hatten wir kurz vor Beginn der Pandemie. Es gab die Idee, eine Art Fortsetzung zu unserem besonderen Album „Winter’s Gate“ zu machen und es um die Musik und einen Roman zu erweitern, aber eine weltweite zweijährige Pandemie war nötig, um das durchzuziehen und zu verwirklichen. Eine Geschichte über Hexenprozesse und Hungersnot und so weiter. Nach all dem inneren und äußeren Druck und den Höhen, aber vor allem den Tiefen, haben wir das Album fertiggestellt, und ich kann sagen, dass wir unsere Herzen und Seelen reinsteckt haben.
Ich könnte nebenbei behaupten, dass es der vielseitigste Release von uns ist. Es ist definitiv das bisher ruppigste und aggressivste INSOMNIUM-Album, auf eine sehr anspruchsvolle Art und Weise. Es war großartig, während der heißen finnischen Sommertage mit Jaime Gomez Arellano zusammenzuarbeiten, um diese kalte finnische Klanglandschaft voller Extreme auf Band zu bekommen. Während der Album-Sessions wurde nicht viel Bier getrunken; ich schätze, die Zeit tut das Ihrige und wir sind reifer geworden… (Markus Vanhala, INSOMNIUM)