hims Kolumne
Das Open Air

Special

Bock aufs W:O:A dies‘ Jahr? – Nee, lass ma‘, ich nehm dies Jahr eher das S:O:A mit, und vielleicht nochs G:O:A. – Hey, komm doch lieber mit auf’s U:B:O:A, dann auf’s T:O:A und im Herbst nochmal aufs B:S:U:O:A! – Nee, dann lieber noch kommenden Monat auf’s O:M:O:A. – Aha, denkt sich das mitgeschleifte Popper-Anhängsel beim Verfolgen dieses Gesprächs seiner drei neuen, orthodox gekutteten Metal-Vorbilder; wohl ein philosophischer Dialog über einzelne Zyklen eines usbekisch-nihilistischen Lebensentwurfes.

Wenn der wüsste, dass es sich nur um eine von „Insider“-Allüren geprägte Organisation des allsommerlich verpflichtenden Campingurlaubs handelt. Als erster wichtiger Schritt gilt hierbei die Beherrschung des Alphabeths, mit dessen Hilfe man schon einmal mit der Kenntnis von mindestens 26 Festivals glänzen kann: A:O:A, B:O:A, C:O:A … Kritische Nachfragen sind selten, und wenn man sich doch einmal mit „Wo findet das denn statt?“ konfrontiert sieht, dann hilft es, immer ein paar Ortsnamen-Brüller auf Tasche zu haben – da ein realistisches Festival stets Dörfer heimsucht, deren Name nur dank der touristisch attraktiven Aral-Tanke im ADAC-Wildnisführer erwähnt wird. So heißen Festivals wie Chinaböller: S:O:A steht für Sackmühle Open Air, das N:O:A gedeiht in Niedergottsau, ebenso wie die verdammt kultigen Varianten in Pöttmes, Knapsack und Leckerbölken.

Nun ist es Sommer und die Festivals gedeihen allerorten, ganz ähnlich der Pilze in den nass eingetüteten Zwölfmann-Zelten vom letzten Jahr. Steht so ein Festival also vor der Tür, wird zunächst eine halbe Woche vor Aufbruch die „Vorhut“ an die Festival-Front dirigiert – ein Würstchen aus dem erweiterten Bekanntenkreis, das die tagelange Verteidigung einer auftragsgemäß abgezäunten 50x50m-Siedlungsfläche traurigerweise als prestigeträchtige Aufgabe verkennt. Während dieses verkommene Subjekt auf dem Gelände bereits erste Feindschaften schließt mit den etwas weniger spießigen Nachbarn, die ein zweitägiges Open Air zum einwöchigen Instant-Campingurlaub strecken, reorganisiert man daheim noch Mitfahrgelegeheiten, Garderobe und Bierbestände.

Denn Bier – merke! – ist gleich Spaß. Analog zur Quantität der süffigen Ballersuppe steigen Gemütslage und gesellschaftliche Autorität des Inhabers. Der Unterschied zur Sangria-Vernichtung auf Malle? Spanien hat kein Dosenpfand. Und noch etwas unterscheidet die promillegierigen Misthaken auf den Balearen von dem Trinker-Kollektiv um den mittigen Müllberg: Die Hintergrundmusik. Während die Vorhut-Typen meist eher Hammerfall- und Gamma Gay-Klischees zu bedienen suchen, zeichnet sich der durchschnittliche Donnerstags-Ankommer durch tunlichst primatennahes Geprügel aus, das aus der autoeigenen Anlage drei Tage lang Boxen und Alkoholgeschwächte bei Laune hält – und am Abfahrtstag die kleinlaute Suche nach dem Überbrückungskabel bedingt.

But who cares? Schließlich ist dies hier ein Open Air, ein Wochenende blanke Anarchie. Deshalb auch die allerorten gebleckten Kimmen, die dümpelnden Alkoholkadaver, die Paarungsbereitschaft signalisierenden Dekolteés der Damen – und die Zeter und Mordio keifenden Anarchie-Begeisterten, denen gerade ein zugekifftes Ekel auf den Discman gekotzt hat.

Irgendwann, nachdem der erste obligatorische Rauschmittel-Totalexzess verarztet, beginnen dann die ersten Bands. Aber wen interessiert das? Ein Blick auf’s Billing verspricht wildfremde Opener, ruhmlose Lückenbüßer und man überlegt sich, dass man bei der Sonne / bei dem Regen eigentlich sowieso kein Bock auf die Bands hat, mit Hilfe derer man im Vorfeld vor sich und vor anderen die sündhaft teure Anfahrt durch die halbe Republik legitimiert hat: „Ey, Mann, Gnykskjildsthor spielen auf’m X:Y:Z:O:A, da muss ich hin, mann!“ Aber in der banalen Realität von im Morast entsohlten Springerstiefeln oder aber der Ganzkörper-Brandwunde durch nicht ausreichend dichte Körperbehaarung bei 80°C in der Sonne geraten musikalische Aktivitäten auf den 12 Bühnen schon mal in den Hintergrund. Und außerdem – so beruhigt man sich – die Musik hört man ja auch vom Campingplatz. Bei Südwind sogar mal ein Gitarrensolo.

Und so wird man später zuhause mal wieder zum musikalischen Großereignis verklären, was vor Ort ein bierverwaschenes Vegetieren zwischen den gefürchteten, aber nunmal biologisch zwingenden Toilettengängen darstellte. Hat man schon das seltene Glück, mal nicht Opfer eines jener höllisch lustigen wie motorisch unsicheren „Klowackler“ geworden zu sein, so hat man hinterher dank beißenden Duftgemisch aus allerlei Körperexkreten, Meister Proper Dixi-Beize und schwelendem Körperdunst den draußen Wartenden doch stets von Nahtod-Erfahrungen zu berichten – und wehmütig wünscht man sich den gierig grinsenden Kloteufel von der Autobahn-Raste herbei, deren Blick jedem Geizpenis bei unter 2 Euro Bakschisch den Sack abzureißen drohte.

Aus dieser allgemeinen Begeisterung werden Open Airs auch weiterhin Anlass geben, den Familien-Urlaub zu verschieben, das Privatleben aufs Spiel zu setzen („…dann flieg doch alleine nach Fuerteventura, Du brackige Pottsau!“) oder berufliche Disharmonien in Kauf zu nehmen („…na und? Dann lass ich mich halt krankschreiben, Sie verhurter Sklaventreiber!“). Einem Metal-Fan sein Festival zu entmystifizieren entspräche schließlich der Katastrophe, als wenn man seiner vereinsamten Omi die erbärmliche Wirklichkeit über die alljährliche Weihnachtsfeier im Familienkreise vor Augen hielte. Nein nein, so etwas tut niemand! – See you next year at the M:U:R:U:R:O:A in Mönkehöfen!

15.09.2003
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