Heathen
Der "schmale" Diskografie-Check
Special
HEATHEN aus der Bay Area von San Francisco zählen zu den stilprägenden Bands des Thrash Metals, obwohl sie spät dran waren und trotz hervorragender Alben nie den kommerziellen Erfolg wie bspw. METALLICA, SLAYER, MEGADETH oder EXODUS erzielen konnten.
Fans von HEATHEN schwören aber auf den stilistisch sehr breit aufgestellten Sound der Band, die neben aller Härte auch stets auf viel Melodik und Musikalität setzt. Umso schwieriger für die Anhänger, dass es so wenige Alben gibt. Die Thrash-Legende aus der Bay Area veröffentlichte mit „Breaking The Silence“ (1987) und „Victims Of Deception“ (1991) zwei herausragende Alben, um sich anschließend aufzulösen. 2001 die Wiedervereinigung, aber erst 2010 erschien das dritte Album „The Evolution Of Chaos“, wieder auf enorm hohem Standard, dem nun nach zehn Jahren „Empire Of The Blind“ folgt. Das macht schmale vier Alben innerhalb von 33 Jahren! Wir nahmen die vier Alben in unserem Diskografie-Check unter die Lupe! (ME)
Geschrieben von den HEATHEN-Fanboys Alexander Santel (AE), Colin Büttner (CB), Markus Endres (ME) und Philipp Gravenhorst (PG)
Breaking The Silence (1987)
HEATHEN sind 1987 ein wenig spät dran. Als ihr Debütalbum „Breaking The Silence“ herauskommt, sind die meisten legendären Thrashbands an diesem Zeitpunkt doch schon bei Album zwei oder drei in ihrer Karriere.
HEATHEN – Lee Altus‘ goldenes Händchen für Melodien
Der cleane Gesang von David Godfrey und die tollen, von der NWOBHM beeinflussten Leadmelodien von Gitarrist Lee Altus, der später noch zu EXODUS gelangen sollte, hoben HEATHEN ein Stück weit von ihren Kollegen ab. Songs wie „Death By Hanging“, „Goblins Blade“, der Titelsong oder „Open The Grave“ sind auch heute noch häufig auf den Setlists zu finden – aus Gründen.
Etwas weiteres, was HEATHEN auf ihrem Debüt tun: Sie nehmen sich Zeit. Viele Tracks sind im Midtempo gehalten („Open The Grave“), aber selbst die schnelleren Parts wechseln sich oft mit Leadeinlagen, ausgiebigen Solopassagen oder einfach Breakdowns ab. Was schnell zum Ausschlusskriterium für viele andere Thrashbands werden könnte, ist dann aber auch die Stärke von HEATHEN: Die Songs sind so wesentlich vielschichtiger und interessanter als der durchschnittliche kurze Thrash-Banger, den man sonst eher von Debütalben aus der Bay-Area gewohnt war.
“Breaking the Silence” – wenn die Stille brechen, dann so
Auch wenn zu diesem Zeitpunkt natürlich auch schon METALLICA oder TESTAMENT mit längeren Songs und komplexerem Songwriting im Feld waren, muss sich „Breaking The Silence“ nicht unbedingt als Debüt hinter denen der Kollegen verstecken, war es doch schon wesentlich ausgereifter. Die melodischen Elemente verleihen den Songs an der ein oder anderen Stelle wahrlich hymnenhaften Charakter, man vergisst aber auch das Abschädeln nicht. „Worlds End“ hat Halbballaden-Charakter.
Abwechslungsreichtum und starkes Songwriting steht bei HEATHEN also schon zum Debüt 1987 groß geschrieben. Es gibt zusätzlich noch das sehr gelungene SWEET-Cover „Set Me Free“ oben drauf. Natürlich ist man im Vergleich zum eigenen, gefeierten Zweitwerk „Victims Of Deception“ noch ein wenig unrund, hat Ecken und Kanten, aber das ist keine Entschuldigung dafür, dieses Album nicht im Schrank stehen zu haben.
Wenn die Stille brechen, dann bitte so. (AE)
Sammlungswürdig: Ja
Wichtige Songs: Breaking the Silence, Goblins Blade, Open Grave, Death by Hanging
Victims Of Deception (1991)
Wir schreiben das Jahr 1991, und die ganze Metalwelt dreht sich um ein Softrockalbum, das METALLICA veröffentlicht haben. Die ganze Welt des Metals? Nein. Eine kleine Band aus der Bay Area stemmt sich wacker gegen die Überpräsenz jener ehemaligen Kollegen. Die Rede ist von HEATHEN, die mit „Victims Of Deception“ ihr Überalbum veröffentlichen, und nicht nur das. „Victims Of Deception“ ist das beste Metalalbum aller Zeiten. Warum? Das erörtern wir nachfolgend.
Zunächst ist da die Besetzung der Band, die perfekt miteinander harmoniert. Über die beiden Gitarristen Doug Piercy und Lee Altus und Drummer Darren Minter (ein Bass wurde für die Aufnahmen wohl nicht benötigt… ähem…) bis hin zu Sänger David White-Godfrey, der den Songs mit seiner markanten melodischen Stimme seinen Stempel aufdrückt. Hier stimmt einfach alles. Das Gitarrendoppel haut ein göttliches Riff nach dem anderen heraus und kann sich damit locker bis heute im internationalen Thrash behaupten. Dazu kommt das überragende Songwriting. Hier passt jede Note, jedes Break sitzt perfekt, und auch die Coverversion von RAINBOWs „Kill The King“ macht in diesem Kontext absolut Sinn, da der Song brutal gut interpretiert wurde. Ein echt gelungenes Coverartwork rundet das Gesamtpaket standesgemäß ab.
Nun aber das Wichtigste, die Songs. „Victims Of Deception“ startet mit einem langen Intro, das die Ansprache eines TV-Predigers wiedergibt. Es folgen akustische Gitarren, die von Akzenten begleitet werden. Eine kurze Melodiefolge und dann bricht das Inferno über den Hörer herein. HEATHEN riffen in der Champions League und stellt jeden Song des schwarzen Albums in den Schatten. „Hypnotized“, so der Name des Openers, macht seinem Titel dann auch alle Ehre. Er hypnotisiert den Hörer mit einer optimalen Melange aus harten, griffigen Riffs und sehr schönen Gitarrenharmonien, die von Sänger David White-Godfrey mitgetragen werden. Das ist technischer Thrash auf höchstem Niveau und zudem melodisch hoch zehn. Wer da nicht sofort im Takt mit dem Kopf wackelt, hat den Metal verpennt. „Opiate Of The Masses“ macht genau an selber Stelle weiter. Höchst melodisch, knallharte Riffs, technisch perfekt auf den Punkt gespielt und Ohrwurm Melodien en masse. Mit dem folgenden „Heathen’s Song“ gibt es eine Neueinspielung des Bandklassikers vom Debüt „Breaking The Silence“ zu hören. Die hier vorliegende Version ist schlussendlich allein aufgrund des besseren Sounds dem Original vorzuziehen. Die neu arrangierten Gesangsmelodien passen 1991 ebenfalls besser zu HEATHEN als 1987. Auch der akustische Anfang kommt hier wesentlich atmosphärischer rüber, als noch auf dem Debütalbum. Zudem wurde das Lied noch um drei Minuten erweitert, was dem Song eine ganz neue Dynamik gibt. Als Abschluss von LP-Seite A steht mit bereits erwähnten „Kill The King“ ein perfekt gelungenes Cover des RAINBOW-Klassikers. Zwar haben auch schon andere Bands (u.a. PRIMAL FEAR, LIEGE LORD) diese Nummer nachgespielt, aber noch keiner ist es gelungen so nah und lebendig an das Original zu kommen, wie eben HEATHEN. Die A-Seite der LP ist also schon einmal zeitlos genial.
Die Erwartungshaltung ist nach einer solch genialen A-Seite natürlich groß. Können HEATHEN das Niveau der erste LP-Seite halten? Natürlich können sie. „Fear Of The Unknown“ fängt sehr atmosphärisch an, ist aber eine ähnliche Thrash-Granate wie die Songs der ersten Seite. Hart und melodisch zugleich, aber ebenfalls mit einer superben Hookline gesegnet, macht der Song genau da weiter, wo „Heathen’s Song“ aufgehört hat. Mit „Prisoners Of Fate“ folgt eine Power-Ballade, die in den Achtzigern das Zeug zum Stadionhit gehabt hätte. Ein wundervoller Song mit einer schön fragilen Melodie, den David White-Godfrey herzergreifend intoniert. Definitiv ein Highlight und den ganzen Top-Songs. Mit „Guitarmony“ folgt ein Instrumental, das vor allem für (angehende) Gitarristen interessant ist. Nichtsdestotrotz passt das Stück erstklassig an genau die Stelle der Scheibe und läutet den folgenden Brecher „Mercy Is No Virtue“ ein, der völlig konkurrenzlos alles niederbrettert. Auch das abschließende „Timeless Cell Of Prophecy“ geht noch einmal in die Vollen und zeigt dem Hörer, wo der Thrash-Hammer hängt. Hier spielen HEATHEN alle ihre Trümpfe wieder gekonnt aus. Melodie, knackige Riffs, makelloses Songwriting und göttliche Vocals sind die Zutaten, die nicht nur den Song, sondern „Victims Of Deception“ im Allgemeinen auszeichnen.
Ein Fazit? Das zweite HEATHEN-Album ist nicht nur das Magnum Opus der Band, sondern gleichzeitig auch das beste Metalalbum aller Zeiten. Warum das so ist? Weil hier, wie nirgends sonst, Produktion, Songwriting, textliche Tiefe, harte Riffs, eingängige Melodien und ein gelungenes Coverartwork Hand in Hand gehen. Besser kann man Heavy Metal nicht spielen und es ist echt traurig, dass die Band so spät dran war. 1991 war Thrash Metal fast schon wieder auf dem absteigenden Ast. Wenn dieses Album 1986 herausgekommen wäre, würden HEATHEN heute einen ähnlichen Status wie METALLICA innehaben. Da bin ich sicher. (CB)
Sammlungswürdig: Das beste Metalalbum aller Zeiten? Aber sicher.
Wichtige Songs: Alle
The Evolution Of Chaos (2010)
„The Evolution Of Chaos“ war so ein Album, mit dem man nicht gerechnet hatte. Zunächst einmal, dass es überhaupt erscheint. Neun Jahre lang waren die Thrasher aufgelöst und in der restlichen Zeit bis zum Release erfreuten sie sich einfach daran, ihre alten Hits runterzuspielen. Und dann dachte niemand, dass diese Comeback-Scheibe so gut wird. Elf Songs in 68 Minuten versprechen eine deutlich komplexere Platte als der Durchschnitt. Dabei verlaufen Songs wie das elfminütige “No Stone Unturned” zwar nicht besonders überraschend, warten aber mit vielen guten Ideen auf. Verblüffend ist hier die gebotene stilistische Bandbreite von Thrash-Knüppelei bis Lagerfeuer-Folk.
Als Referenz für diese Platte musste oft METALLICA herhalten, und das gar nicht mal so unberechtigt: Der Beginn von „No Stone Unturned“ hat die Monstrosität von „For Whom The Bell Tolls“. Auch sonst haben sie mehr Gewitztheit und Energie als die METALLICA des Jahres 2010. HEATHEN heben sich aber durch den starken NWoBHM-Einschlag von dem übermächtigen Schatten ab. Ein herausstechender Song ist der THIN-LIZZY-Tribut „A Hero’s Welcome“. Gerade dadurch, dass er sich gegen ein Cover entschieden hat, kann man Altus Perspektive auf die Band sehen. Für ihn stehen vor allem die Melodien und der Folk-Einfluss im Vordergrund. Dadurch wird dieses Lied zu einem gelungenen Ausreißer.
Nach 68 Minuten bleibt ein Album, welches nicht nur in der Diskografie der Kalifornier einen herausragenden Platz einnimmt, sondern im Thrash Metal der 2010er allgemein. Hier treffen einzigartige Songs auf eine unbändige Spielfreude. Pflichtkauf! (PG)
Sammlungswürdig: Definitiv!
Wichtige Songs: Dying Season, No Stone Unturned, A Hero’s Welcome
Empire Of The Blind (2020)
Nachdem HEATHEN mit „The Evolution Of Chaos“ ein fantastisches Comebackalbum 2010 veröffentlichten, dauerte es erneut weitere 10 Jahre, ehe das aktuelle Album „Empire Of The Blind“ nun folgt. Gründe für die lange Wartezeit sind darin begründet, dass die Gitarristen Lee Altus und Kragen Lum beide ebenfalls bei den schwer beschäftigten EXODUS aktiv sind, letzterer als zwischenzeitlicher Ersatz für Gary Holt, der bei den inzwischen aufgelösten SLAYER den verstorbenen Jeff Hannemann ersetzte.
„Empire Of The Blind“ – die Rückkehr von HEATHEN
Die Herangehensweise an das neue Album unterscheidet sich insofern, dass der überwiegende Anteil der Musik von Kragen Lum geschrieben wurde. Grundsätzlich sind HEATHEN ihrem aggressivem und gleichermaßen melodischen Thrash Metal treu geblieben. Das geniale „The Evolution Of Chaos“ setzte hohe Maßstäbe, „Empire Of The Blind“ kann das Niveau halten. Das neue Album setzt musikalisch dort an, wo der Vorgänger aufhörte, beide Alben sind sich recht ähnlich. Wobei, ein Breitwand Mammutepos wie das elfminütige „No Stone Unturned“ fehlt auf „Empire Of The Blind“ aber leider gänzlich. Die neuen Songs sind in ihrer Struktur kompakter gehalten, die Riffs ein klein wenig dreckiger, auf die vielen Facetten von HEATHEN muss man aber nicht verzichten. Technisch hochwertige, präzise Thrash Riffs treffen auf ausgefeilte, virtuose Leads und Soli, kraftvoll melodischer Gesang auf aggressives Shouting und auf interessante Rhythmen sowie subtile Prog-Elemente. Was darf es denn sein? Pfeilschneller Premium Vintage Thrash wie „The Gods Divide“, der aber eher die Ausnahme bildet. Oder lieber gefühlvolle Leads wie beim Intro „This Rotting Sphere“? Sensationelle Gitarrenduelle gibt es auch, man höre beispielsweise das progressive Instrumental „A Fine Red Mist“, in welchem auch die Gäste Gary Holt (EXODUS, SLAYER), Doug Piercy (ex-HEATHEN) und Rick Hunolt (ex-EXODUS) zusammen mit Lee Altus und Kragen Lum um die Wette spielen. Eine irre Mischung aus Thrash Metal kombiniert Leads, welche die Rolle des Gesangs übernehmen. Jeder der Gitarristen hat seine eigene Handschrift, was auch ganz gut durchkommt. Auch das gediegen balladeske, sehr melodische und emotionale „Shrine Of Apathy“ mit gefühlvollem Gesang von David White sorgt für weiteren Kontrast und führt musikalisch zurück in die späten Siebziger und frühen Achtziger. Und mit dem zwingenden „The Blight“, das in den härteren Passagen etwas in Richtung EXODUS geht, gibt es wiederum ordentlich treibenden Old School Bay Area Thrash mit scharfen Stakkato-Riffs, gemäßigterem Mittelteil, toller Hookline beim Refrain und großen Harmonien – HEATHEN total in kompakter Form komprimiert. Alles in allem sind die Stücke kompakter und kürzer gehalten und kommen bei aller Verspieltheit auch immer schnell auf den Punkt. Die Songs unterscheiden sich untereinander doch recht stark, ohne aus dem Klangkosmos von HEATHEN auszubrechen. Es gibt viel gepflegtes Midtempo und Uptempo, richtig schnelle Ausbrüche sind eher Mangelware, aber „Empire Of The Blind“ hat dennoch richtig viel Power und Härte.
Erwartungen erfüllt
HEATHEN beschreiten mit dem starken und abwechslungsreichen „Empire Of The Blind“ keine neuen Wege, sondern bieten genau das, was man als Fan der Bay Area Thrasher erwarten darf. Ihren Trademark-Sound haben sie beibehalten, eine Spur weniger Thrash und dafür etwas mehr US Power Metal. Da kann man nur hoffen, dass sich die Abstände zwischen den Alben doch mal etwas verkürzen, jetzt da SLAYER (leider) Geschichte sind! (ME)
Sammlungswürdig: Oh ja!
Wichtige Songs: The Blight, Shrine Of Apathy, The Gods Divide