Hatred
Nie habe ich so viele Leute gehört, die uns nur aufgrund unserer Existenz, unseres Daseins auf der Bühne, komplett in den Himmel brüllen. Nur weil wir Metal spielen!
Special
Ein Typ im Wacken-Pullover geht durch das Zugabteil in dem wir sitzen. Mustert uns eines kurzen Blickes und stampft vorbei. In Deutschland sind wir totaler Underground, das wurde uns so auf der Heimreise wieder klar. In Dubai durften wir dagegen Rockstars sein. Ein aberwitziger Trip liegt hinter mir und meiner Band HATRED – in die Wüste, auf ein Festival, das als Kult unter den Metallern Asiens gilt. Wir teilten mit Motörhead die Bühne und die Fans feierten uns ab, als gehörten wir selbst plötzlich zur Liga jener Metal-Supergroups.
In Wahrheit ist meine Metal-Band eine unter vielen, die das Glück hatte aus einer der am besten organisierten Metalszenen Deutschlands zu stammen – aus Franken. Die langhaarigen Bombenleger, wie sie dort von den Älteren gerne bezeichnet werden, standen allesamt hinter uns und bescherten HATRED ein verspätetes Weihnachtsgeschenk. Im Online-Voting-Contest „United We Rock“ gewannen wir mit tausenden Stimmen auf unserer Seite den so prestigeträchtigen Slot fürs Dubai Desert Rock Festival.
Und nun stehen wir hier, zwei Monate später. Am Bahnhof in Schweinfurt treffen sich Sänger Matze, Schlagzeuger Daniel, Bassist Hudson und die Gitarristen Martin sowie ich, nicht mal mit einer Idee von dem, was uns in den nächsten drei Tagen, tausende Kilometer weiter weg erwarten wird.
Unsere Frauen und Freundinnen, ein paar unserer Freunde begleiten uns. Die Reise führt uns per Zug zum Frankfurter Flughafen, von dort per Flugzeug sechs Stunden lang quer durch die Welt direkt nach Dubai. In eine Stadt, die aussieht, als wären die Spielzeugkonstrukteure von Lego die Architekten gewesen. Nichts ist unmöglich. Während unseres Aufenthalts dort sehe ich eine Ski-Halle und ein Eisstadion, die wie selbstverständlich in eine Shopping Mall verbaut wurden, stehe ich direkt unter dem größten Turm der Welt, der alle Gebäude um sich herum dreifach überragt. Oder ich sitze in einem Café, trinke eine Pepsi und sehe zu wie arabische Gondeln durch den Canale Grande fahren. Im Hintergrund ragt das einzige Sieben-Sterne-Hotel der Welt blau leuchtend wie aus einem Science-Fiction-Film in die Höhe und der an der Spitze angebrachte Hubschrauber-Landeplatz erinnert nicht von ungefähr an das Raumschiff Enterprise. Dubai ist den Städten dieser Welt architektonisch um hundert Jahre voraus. Alles wirkt wie eine lebendige Vision, wie eine riesige Spielwiese.
Wir landen um 0:15 Uhr nachts. Für uns steht ein Shuttle-Bus bereit, der unsere Reisegruppe, zu der sich inzwischen auch laut.de Autor Eddy gesellt hat, ins Hotel bringt. Die lange Reise zieht jedem einzelnen Falten in sein Gesicht, die nur von einem langen Schlaf wieder geglättet werden könnten. Die Nacht wird allerdings kurz. Bereits um 7:30 Uhr stehen unsere Busfahrer wieder vor der Tür, bringen uns zum Soundcheck. Die gewaltige Bühne des Dubai-Desert-Rocks zeichnet sich nach einer kurzen Fahrt imposant schon von weitem ab. Wir werden in den Backstage Bereich gebracht, betreten unseren eigenen Trailer und bringen die Instrumente auf die Bretter, die für uns “ besonders an diesen Tagen wirklich die Welt bedeuten. Der Blick von dort oben auf das Festivalgelände, über den Fotograben hinweg haut mich trotz einer latenten Müdigkeit aus den Socken. Nur acht Stunden später werde ich dort von ca. 7.000 Menschen jubelnd empfangen.
Der Auftritt steht nach einem abermaligen kurzen Aufenthalt am Hotel kurz bevor. Ich bin aufgeregt. Daniel und Matze rennen wie aufgescheuchte Hühner im Backstage Bereich umher, ich selber verrichte Dehnübungen, die eher ein Alibi sind, um mich von meinem pochenden Herz abzulenken. Die Jungs der ägyptischen Band SCARAB haben die Menge gerade zum Kochen gebracht, der Jubel dort draußen, der nach jedem Song einsetzt, lässt es einem eiskalt den Rücken hinunter laufen. Gleich geht ein lang ersehnter Traum in Erfüllung. SCARAB haben ihr Set beendet, wir werden von einem Ansager nach draußen gerufen, der die Deutschen von HATRED den Leuten schmackhaft macht. Zu seinen Ausführungen zum „United wie Rock“ Bandcontest baue ich mein Equipment auf, dann blicke ich in 7.000 gespannte Gesichter, die überlegen, was denn da jetzt kommen mag. Ich bin fertig, meine Gitarre feuert ordentlich Verzerrung aus dem Verstärker, Daniel zählt auf Vier ein, wir eröffnen das Set mit dem Songdoppel „Resurrection“ und „Explosions“.
Die Angst vor einem reservierten Empfang schlägt nur Sekunden nach den letzten Tönen beinahe in Freudentränen um. Nie habe ich so viele Leute gehört, die uns nur aufgrund unserer Existenz, unseres Daseins auf derBühne, komplett in den Himmel brüllen. Nur weil wir Metal spielen. Die Fans in Dubai legen ein Verhalten an den Tag, wie es die ersten Langhaarigen mit dem kokettierenden Teufelsgruß in Deutschland zuletzt vor dreißig Jahren gezeigt haben, als es darum ging mit einer neuen energiegeladenen Musikkultur zu rebellieren. Der Mittlere Osten ist erst seit wenigen Jahren von seinen kulturellen Zwängen befreit und Thrash-Metal gewinnt hier die ursprüngliche Rohheit zurück, mit welcher er einst eine ganze Jugendkultur in der amerikanischen Bay-Area infizierte. Jeder verzerrte Akkord, den wir in die Menge jagen kommt dreimal lauter als Jubel zurück. Das Dubai Desert Rock ursprünglicher und metallischer als jedes Festival, das ich bis dato besucht habe.
Nachdem die erste Aufregung verflogen ist und unsere Songs einer nach dem anderen abgefeiert wurde, verlasse ich die Bretter ausgepumpt und glücklich. Wir gehen zurück in den Backstage Bereich, lassen uns im riesigen klimatisierten Essenszelt (in Dubai sind selbst Bushaltestellen klimatisiert) das Buffet schmecken und verbringen den restlichen Abend mit unseren Helden. Mikael Akerfeld von OPETH trinkt mit mir zusammen an der Bar, MOTÖRHEADs Mickey Dee und ARCH ENEMYs Michael Ammott laufen wie selbstverständlich herum und die Jungs von CHIMAIRA setzen sich lässig unterhaltend an den Nebentisch. Alles wirkt so surreal. Der Gang vor die Bühne, um sich die Bands von unten anzusehen, mutiert für uns zu einem Spießrutenlauf vorbei an hunderten Fotoblitzen und Autogrammkarten. Matze wird an diesem Abend geschätzte 200 Mal erkannt und folglich auch von den Fans abgelichtet. Ich hoffe, dass alle diese großartigen Bands es zu schätzen wissen, was sie Wochenende um Wochenende erleben dürfen.
Am Tag nach diesem Traum wurden wir noch von den Veranstaltern der Metal-Asylum-Clubshow Khaled, Rodi und Adnan eingeladen einen weiteren Gig zu spielen. In einer Hotelbar bescheren wir zusammen mit NERVECELL und SCARAB, die bereits mit uns am Vortag auf dem Desert Rock aufgetreten waren, dem Metal Asylum den bisherigen Besucherrekord und treffen wieder auf die totale Metal-Reinkultur. Leider kommen Rodi und Co. mit dem Zeitmanagement dieses Abends ein wenig durcheinander, so dass wir als Headliner gerade die Möglichkeit haben zweieinhalb Songs zu spielen, um dann unsere Verstärker wieder abzuschalten. Zudem verabschiedet sich Daniels Fußmaschine am Schlagzeug bereits beim Opener „Resurrection“, so dass wir innerhalb dieser zweieinhalb Lieder auch noch eine improvisierte fünfminütige Umbaupause quetschen müssen.
Der Gig wird zum totalen Chaos. Wir werden von den Fans auf die Bühne zurückgebrüllt, dürfen allerdings keinen Ton spielen, da nun kurz nach Mitternacht das kulturelle Vermächtnis des Islam Vorrang hat. Der Geburtstag des Propheten Mohammed war angebrochen. Geschlagene zehn Minuten wollten die HATRED-Rufe kein Ende finden und kurzzeitig hatten wir auch Angst, dass die Situation ein klein wenig weiter eskalieren könnte. Es passiert nichts. Stattdessen werden wir abermals von einer Welle aus Fotoblitzen überschwemmt und trinken mit den Leuten vor Ort noch ein paar beruhigende Biere.
Nun sitzen wir wieder in Deutschland, im Zug nach Hause. Das erste Mal mit einer Idee davon, was einem ein Leben als Rockstar alles bieten kann. Eine Woche später hatten wir wieder einen Auftritt, in Lübeck. Vor 150 Leuten.
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